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Ein Jahrhundert München

Die Landschaft um München und die Stadt

der Tiefe hinzieht nach den lichten Höhen. Und wie soll ich Dir den ersten Eindruck beschreiben, den die alte, merkwürdige Stadt auf die Sinne macht, welche uns da vor Augen liegt? Ist es doch, als ob selbst die großen Frauentürme, die über alle anderen Türme und Gebäude hinaufragcn, in ihrer unausgcbauten oberen Zurundung von einer noch verschlossenen, hochanstrebcndcn weiteren Entwicklung sprächen. Und wenn Du nun mit uns hincintreten könntest in das Innere der Stadt und sähest mit uns die schon ausgewachsenen oder im Wachsen und Keimen begriffenen Werke der bildenden, alten wie neuen Kunst, lerntest die Geister kennen, welche von Tag zu Tag am Weiterfördcrn, Weiterschreiten eines großen, gemeinsamen Tagwerkes geschäftig sind, Du würdest mit mir eknstimmen, wenn ich sage: hier herrscht ein Geist, der, wie der alte Blücher, wenn er zur Schlacht führte, immerzu nur „vorwärts, vorwärts" kommandiert. Also, an ein geistiges Versauern von meiner Seite und an ein Stillestehen, wie die Wagenräder kn gar zu tiefem, fettem Boden, ist wohl bei mir, wie ich fest hoffe, nicht zu denken, sondern Gott wird mir München zu einem geistigen Turnplätze werden lassen, auf welchem der innere Mensch, er mag wollen oder nicht, seine Kräfte und Glieder tüchtig brauchen lernen soll, bis man ihn zum fröhlichen Abzüge in sein Ruhelager kommandiert.

Das Sendllngertor von der Stadtseite. Radierung von F. Boilinger

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