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So lang der alte Peter …

Geschichtliches und Sagenhaftes vom Münchner Dom

Unser Herr am Ölberg

Etliche Jahre stand es an, da kam in die Stadt gewandert ein zerschlissener, hohläugiger Geselle, dem wohl anzusehen war, er sei in einer üblen Herberge gewesen. Der klopfte am Haus im Thiereckgäßlein, wo die Wittwe gewohnt hatte und fragte nach ihr; denn es war der verlorene Sohn, dem in der schmählichen Haft die Augen aufgegangen waren darüber, wie er an seiner Mutter gesündigt hatte. Seitdem nagten ihn die Reue und die Sehnsucht, und er hatte, nun er frei geworden war, kein größeres Verlangen, als sie um Verzeihung zu bitten.

Da vernahm er, daß sie tot sei, und als ihn die Hausleute an seinem Schrecken erkannten, stießen sie ihn aus und schalten ihn, daß er den Fluch Gottes auf sich trage, weil er seine Mutier mit Gram unter die Erde gebracht. Draußen am Marienkirchl, unter der Ölbergstafel, die sie habe setzen lassen, schlafe sie durch seine Schuld. Wie er hinauskam zum Kirchlein, fand er alsbald die Stätte, und die Leute wiesen ihm die Steintafel und beklagten die gute Frau, die mit so viel Leid von hinnen fahren gemußt, weil ihr Sohn ein Schelm gewesen. Der elende Mensch sah die Steinarbeit an, und wie länger er den betenden Herrn und die schlafenden Jünger beschaute, um so deutlicher entsann er sich all der Liebe seiner Mutter, all ihrer Gebete für ihn, und wie viel Tränen er sie gekostet hatte. Da ward sein Herz bewegt, daß er auf die Knie niederfiel und mit großer Reue Gott und seine verstorbene Mutter um Vergebung bat. Und bekannte sich den Leuten, die verwundert herzuliefen, als den sündhaften Sohn, der zu spät heimgekehrt war. Von Stund an mochte er nirgend bleiben, nahm auch schier keine Nahrung mehr, sondern ging Tag für Tag ans Marienkirchlein, um dort am Grabe zu beten. Darüber verfiel er zusehends und ward so hager und bleich, daß eS einen Jeden erbarmte; aber dennoch schleppre er sich zum Grab und zur Stationstafel hin.

Einstmals aber kam er von dort wiederum dahergewankt, und sein Antlitz war licht und friedsam, sodaß die ihm Begegnenden darob erstaunten. Da erzählte er: daß er zur Nachtzeit einen gar tröstlichen Traum gehabt; darin sei ihm seine Mutter erschienen und habe ihm vergeben. Nun hoffte und wünschte er nur eines noch: Gott möchte ihn ihr vereinen, und das bald. Wie er so sagte, tatö eben vom Turm des Marienkirchleins sieben Glockenschläge. Das empfing er mit Recht als ein Zeichen seines Hinscheids, wußte nur nicht, deutete es auf sieben Tage, Wochen oder Monate.

Aber die Antwort ward ihm bald, denn nach sieben Tagen wurde er zu seiner Mutter ins Grab gelegt.

Darnach als unser Lieben Frauen Münster groß gebaut wurde, kam der steinerne Ölberg wieder an die Kirchenmaucr. Dort, zur Rechten des großen westlichen Tores zwischen den beiden Frauentürmen, ist er noch zu sehen.

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