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Münchener Stadtbuch

XLV. Der Jungfernthurm und die eiserne Jungfrau.

„Unter dem Volke ging immer das Gerücht herum, daß in diesem Thurme in ältesten Zeiten ein heimliches Gericht gearbeitet habe und vielleicht manche Opfer begraben haben, möge. Als der Thurm abgebrochen wurde, untersuchte ich mit Stadtbaudirektor von Schede! und dem Stadt-Maurerpolier Ferdinand Zimmermann alle Winkel desselben, und es zeigte sich oben in der ersten Etage eine alte gothische Thüre, innerhalb dieser Thüre ein ausgemauertes Fletz, und auf dem Boden eine Fallthüre. Ich stieg mit einem Maurer eine Leiter hinunter, und befand mich wie in einem Begräbnisse, in welchem in einer Nische eine Art von Ruhestätte zurecht gerichtet war. Von Ketten oder eisernen Ringen habe ich keine Spur gefunden, wohl aber im Gewölbe ober der Fallthüre selbst einen eisernen Hacken zu einem Flaschenzuge, um in die ' Tiefe etwas hinabzulassen oder daraus herauf zu ziehen. Es war ein modernder Geruch in dieser Vertiefung, und der Boden war ganz mit Hülsen der Motten überdeckt, welche man an lange begrabenen todten Körpern findet. Einige Knochen, die man darin fand, waren aus der Kinnlade eines Hundes."

Aus allem diesen dürfte als das wahrscheinlichste hervorgehen, daß der Jungfernthurm in früherer Zeit, ehe er noch als Dekorations-Magazin benützt wurde, als ein Gefängniß jener barbarischen Art diente, wo die Gefangenen durch eine Oeffnung in das unterirdische Verließ oder den Kerker hinabgelassen wurden, aus welchem sie nie wieder zurückkehrten. Solche grausame Gefängnisse waren in mittelalterlichen Schlössern, Burgen und Rathhäusern, wie sie z. B. heut zu Tage noch in Regensburg gezeigt
 

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