Alte Bücher

 Seite 531


Münchener Stadtbuch

XLVIII. Die Beterin an der Mariensäule.

sei, da ihnen aber das schöne Gesicht und das offene Wesen des holden Kindes gesiel, so beschlossen sie in ihrer Gutherzigkeit, den hilflosen Knaben einstweilen zu behalten, bis es ihnen allenfalls gelingen werde, die Aeltern desselben auszuforschen.

Es war am Anfange des Frühlinges 1814, als einzelne Häuflein bayerischer Krieger, die vor vierzehn Monaten mit der großen Armee des unüberwindlichen Kaiser Napoleon in die sernen Steppen Rußlands gezogen waren, in bemitleidenswerthem Zustande in der Hauptstadt München wieder eintrafen; klägliche Reste der ehemaligen glänzenden Münchener Garnison, nun in Lumpen gehüllt, mit erfrorenen Gliedmassen, Zeugen des erlittenen größten Elendes und Unglückes! Am Ende dieses Zuges schritt eine seltsame Weibsperson. Sie war offenbar noch in ziemlich jungen Jahren, aber ihre bleichen und eingefallenen Gesichtszüge trugen die Spuren großen Kummers und tiefen Jammers, aus ihren Augen leuchtete ein zerrütteter Geist! Ihr Anzug war eben so auffallend; sie war in beinahe bauerischer Tracht gekleidet, trug einen schwarzen Rock und darauf eine hellblaue leinene Schürze, am Kopfe ein breites Kopftuch, unter dem Arme einen großen Bündel und in der Hand einen rothbaumwollenen Regenschirm. Mit den Zügen der einzelnen Häuflein Soldaten langte sie am Schrannenplatze bei der Hauptwache an. Dann aber trat sie vor die Mariensäule, stand vor derselben stundenlang und stierte mit glanzlosem Auge zum Bildnisse der Mutter Gottes empor.

Von nun an erschien diese Arme — sie war unsere

 Seite 531