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Münchener Stadtbuch

XLVI. Münchener Sagen

15. Die drei Raben.

Vor sechzig bis siebzig Jahren lebte in München ein Advokat bösen Herzens und argen Gemüthes; er dachte nur darauf, auf Kosten seiner Klienten seinen Geldsack zu füllen, hetzte sie zu ungerechtem Prozessiren auf, bis er sie ganz ausgeplündert hatte, uns machte sich gar kein Gewissen daraus, Wittwen und Waisen durch seine hinterlistigen Kniffe um ihr letztes Scherflein zu bringen. In diesem sündhaften Treiben ereilte ihn plötzlich der Tod, - ein Schlagfluß hatte ihn getroffen.

Da lag er denn mit vielem Prunke aufgebahrt in seinem Saale mit Lichtern umgeben und ein Kruzisix mit einem Weihbrunnenkesselchen daneben, und da kamen viele Leute aus der ganzen Nachbarschaft, die Leiche zu beschauen und ein paar Vaterunser zu beten, wie's der Brauch ist. Aber getrauert hat Niemand um ihn, vielmehr fiel manches harte und böse Wort über den Verstorbenen. Da fliegen mit einem Male zwei Raben an das geschlossene Fenster, und picken so lange an dasselbe, bis es zerbricht und die Glasscherben klirrend auf den Boden fallen. In diesem Augenblicke entfliegt aus dem offenen Munde des Todten ein kohlschwarzer Vogel und sämmtliche drei Raben fliegen von dannen. Der Leichnam des bösen Advokaten ist aber gleich nachher über und über schwarz geworden.

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