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Münchener Stadtbuch

L. Alte Gebräuche und Sitten

19. Das Fest aller Seelen.

schmückt. Blumen aller Art, welche diese späte Jahreszeit noch darbietet, insbesonders die in vielen Farben spielenden Astern, bedecken in sinniger Anordnung alle Grabhügel; Blatt- und Zierpflanzen sind um dieselben symmetrisch gruppirt, Gewinde von Epheu und Immergrün oder von schwellendem Moose, mit Blumen und den rothen Beeren der Vogelkirsche untermischt, schlingen sich um die Grabsteine. Blumenkränze mit Anfangsbuchstaben der Namen der Verstorbenen von gelben Strohblumen sind überall liegend und hängend angebracht, und dazwischen leuchten zahllose brennende Lichter in farbigen Glaslampen. Der ganze große Freithof ist in einen prachtvollen Blumengarten umgewandelt, kein Grab ist ungeziert; während der Reiche seine Familiengräber und Grüfte mit allem Reichthume der Gartenkunst und mit erotischen Gewächsen verschwenderisch schmückt und glänzenden Prunk zur Schau trägt, versäumt auch die arme Wittwe oder Mutter nicht, ein einfaches Kränzlein und bescheidenes Lichtlein auf das Grab ihres Gatten oder Kindes zu stellen, bei dem ihr verwaistes Herz zu neuer Liebe entflammt und ihr feuchtes Auge mit Sehnsucht über das stille Grab hinweg zu dem Himmel aufblickt.

Da strömen schon am 1. November tausende und aber tausende der Einwohner Münchens hinaus, und ebenso am nächsten Vormittage des Allerseelentages bis Mittag, wo das Fest endet. In dicht gedrängten Schaaren windet sich die Menschenmenge durch die vielen Gänge des Gottesackers, an diesem oder jenem Grabe, das die Ueberreste ihrer Lieben einschließt, längere Zeit im Gebete oder in wehmüthiger Erinnerung verweilend, oder auch nur schauend

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