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Ein Jahrhundert München

München im Jahre 1796

Diese Kanäle, welche hier offen durch die Straßen, dort unter den Häusern und Gewölben, bald langsam, bald schnell und mächtig strömen, werden alle Jahre im Herbste an einem bestimmten Tage abgelassen, ausgeräumt und gesäubert, welches man die Auskehr nennt. Nach Vollendung dieser Arbeit treten die Gewässer wieder ein.

Nebst diesen Kanälen, welche schon im vierzehnten Jahrhundert vorhanden waren, hat beinahe jedes Haus in München seinen eigenen Rohrbrunnen,- viele Plätze und Straßen sind auch mit steinernen Brunnensäulen, aus welchen das Wasser durch mehrere Rohre in seine Behältnisse stürzt, versehen. Überdies befindet sich fast an jeder Straßenecke ein von inländischem Marmor geschmackvoll gearbeiteter Pump­brunnen, aus dem vermittelst der horizontalen Bewegung einer eisernen Stange das Wasser geschöpft wird.

Diesen reichen Vorrat an vortrefflichem Brunnenwasser erhält man größtenteils von der Anhöhe jenseits der Isar und vermutlich aus einem durch das Dorf Haching fließenden Mühlbache, der sich außerhalb Perlach in der Ebene verliert und wahr­ scheinlicher Weise durch Quellen an der Stadt-Anhöhe wieder hcrvorkommt. Von hier wird das Wasser in hölzernen Deichen über die Isar in die Stadt geleitet und durch unzählige Aste verteilt. Es läßt sich leicht denken, daß bei diesem großen Wasser­ reichtum in den vielen privatgärten an herrlichen Springgewässern kein Mangel sei.

Die kurfürstliche Residenz, von Maximilian I. im vorigen Jahrhundert erbaut, verspricht nach altbayerischer Sitte von außen sehr wenig, leistet aber bei näherer Ansicht von innen desto mehr. Sie liegt an dem östlichen Ende der Stadt, mit welcher sie ganz ohne Prätension, ohne ängstliche Absonderung, gleichsam wie ein Bürger­ haus durch Gänge, Straßen uird Tore zusammenhängt. Sie ist jedermann offen, und nirgends ist eine Spur von Zwang zu sehen,- der geringste Landmann in seinem schlechten Arbeitskittel wandelt durch die prächtigen Hallen ebenso ungehindert und behaglich wie der Hofbediente.

Reichtum und Pracht, mit solidem Kunstgeschmacke verbunden, sind der herrschende Charakter im Innern dieses großen Gebäudes, das nicht nur für den neugierigen Beschauer Stoff genug zur Bewunderung, sondern auch für den Kenner einen Schah von vortrefflichen Gemälden, herrlichen Münzen, prächtigen Antiken und modernen Kunstwerken enthält.

Der zweite landesfürstliche Palast ist die sogenannte Herzog-Maxische oder herzog­ liche Residenz, welche an dem westlichen Ende der Stadt vom Herzog Wilhelm V. erbaut wurde. Endlich ist noch die ehemalige Residenz der bayerischen Herzöge unter dem Namen des Alten Hofes vorhanden.

Das Rathaus, wo der bürgerliche Magistrat und die dazu gehörigen Ämter ihren Siz haben, schließt von einer Seite den großen Marktplatz ein,- gegenüber (der Länge des Platzes nach) befindet sich die Hauptwachc. In der Stadt selbst sind nur zwei

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