Münchner Sagen & Geschichten

Taufe, Hochzeit und Sterben

Mayer - Münchner Stadtbuch (1868)


Wir haben in den früheren Abschnitten Bilder aus dem Münchener, Leben und Treiben längst vergangener Jahrhunderte vor uns abrollen gesehen. Nicht minder anziehend sind die häuslichen Gebräuche und Sitten der Münchener Bürger aus der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhundertes, der sogenannten „guten alten Zeit", die wir nun unsern freundlichen Lesern vorführen wollen. Wir folgen hierin hauptsächlich der Darstellung Westenrieders, die er in seiner Beschreibung der Stadt München vom Jahre 1782 aus eigener Anschauung erzählte. Wir sehen darin nicht nur bürgerlichen Wohlstand und Behäbigkeit, sondern hauptsächlich den eigenthümlichen und ausgeprägten Karakter des Bürgerthumes, der in unserer modernen Zeit durch die in Folge der Veranderung aller soeialen Verhältnisse und durch die Steigerung der Kultur sowie des Bedürfnisses herbeigeführten Vermischung aller Stände gänzlich verschwunden ist.

Nach vorgenommener Taufe war es bei den Bürgersleuten üblich, daß ein kleines Taufmahl gehalten wurde, an welchem der Geistliche, die Gevattersleute, die Hebamme, und diejenigen der nächsten Verwandten, die dazu gebeten waren, Theil nahmen. Bei demselben wurden als unerläßliche Speisen sogenannte Schneeballen (eine Art Gebäck), Käse, Confekt, Früchte und Wein aufgesetzt, und hernach jedem der Gäste von diesen Speisen etwas in ihre Wohnung geschickt. Fleischspeisen waren von diesem Mahle gänzlich ausgeschlossen. Einige Tage später mußte 

die Frau Gevatterin einen „Kindbettbesuch" abstatten und brachte dabei ein Geschenk von Eiern und Butter mit. Das Kind erhielt bei der Taufe von dem Pathen den „Pathenthaler", welcher in Papier eingewickelt in die Wiege gelegt wurde; war das Kind einige Jahre alt geworden, so erhielt es einen silbernen „Gothenlöffel", auf welchem der Name des Taufgöthen eingravirt war. So lange es noch in kindlichem Alter stand, bekam es am Allerseelentage vom Pathen einen „Seelenwecken" oder „Seelenzopf", und am Palmsonntag wurde es im Hause des Pathen mit Meth und Confekt bewirthet.

Die bürgerlichen Hochzeiten wurden durchaus in öffentlichen Gasthäusern gehalten, und ward dabei aller möglichster Luxus entfaltet. Die Gäste erhielten von jeder Speise etwas auf einem eigenen Teller in ein Tuch eingewickelt, das sie mit nach Hause nahmen und das „Bescheidessen" genannt wurde. Der folgende Tag nach der Hochzeit hieß der „goldene Tag", welchen man gleichfalls durch em kleineres Mahl im Hause der Aeltern der Braut feierte, an dem aber nur die nächsten Anverwandten Theil nahmen. Zur Trauung wurde ein Zug in die Kirche gehalten und vom Thurme herab geblasen.

Bei Todesfällen übernahm die Seelnonne alle gehörigen Anstalten. Da damals in München ein Leichenhaus noch nicht bestand, so blieben alle Leichen bis zur Beerdigung im Hause, und wurden Tag und Nacht von eigenen Leichenwärterinen bewacht. Während des Tages kamen auch die Frauen der Nachbarschaft, um bei der Leiche zu beten — und zu plaudern.

Kinder bekamen einen Kranz um den Kopf und um die Hände, und wurden binnen vierundzwanzig Stunden begraben. Man setzte auf ihre Särglein Kronen und fuhr in Kutschen zum Kirchhofe.

Bei dem Tode junger lediger Personen beiderlei Geschlechtes, die schon zur Kommunion gegangen, legte die Seelnonne vor das Haus ein Kreuz von Stroh, auf dieses einen gewöhnlichen Ziegelstein, und auf diesen eine Krone, welche bei Nacht weggenommen und des andern Tages wieder hingesetzt wurde und da so lange stehen blieb, bis die Leiche fortgetragen ward. Die Leiche, deren Sarg mit nach der Reihe stehenden Kronen geziert war, wurde nach sechsunddreißig Stunden von vier bis sechs Männern zu Grabe getragen.

Bei Verheirateten legte man blos das Kreuz und den Stein, jedoch ohne Krone auf den Sarg, und wurde eine solche auch nicht vor das Haus gelegt. Erwachsene Personen wurden erst nach achtundvierzig Stunden begraben.

Wo man eine Leiche bei einer Kirche vorübertrug, wurde geläutet. Kinderleichen begleitete kein Mann, und Frauenzimmer nicht die Leichen der Erwachsenen. Bei dem Seelengottesdienste aber fanden sich beide Geschlechter ein. Wie der Kauf die Miethe, so brach auch der Tod dieselbe, und der Hausherr mußte die Kündung der Wohnung für das laufende Ziel annehmen, so lange die Leiche im Hause lag.

Die Leichen gemeiner Personen und Armer begrub man früh Morgens; die der Bürger nach der Vesperzeit, und dann war je vornehmer der Rang, je später gewöhnlich die Stunde des Leichenbegängnisses; doch wurden Leute von Rang auch um die Mittagsstunde begraben. Bei vornehmen Leichen gingen die Hauptkläger in der „Gugel" nämlich in einem langen schwarzen Mantel und einer schwarzen Kapuze über den Kopf. Zum Begräbnißorte fuhr bei Erwachsenen Niemand, sondern man pflegte zu Fuß auf den Kirchhof sich zu begeben.

Sowie bei Hochzeiten, so auch bei Begräbnissen trug jeder Anwesende Rosmarin in der Hand oder war damit geschmückt; die Leichen der Unverheirateten wurden, mit Rosmarin geziert.

Bei den Leichengottesdiensten war es in München, wie jetzt noch großentheils auf dem Lande gebräuchlich, daß sämmtliche Anwesende zweimal um den Altar zum Opfer gingen.

Mit den Todesfällen waren auch noch in damaliger Zeit in München abergläubische Vorstellungen und Einbildungen verbunden, die der wackere Sterzinger, der muthvolle Kampfer gegen Aberglauben, dessen wir bereits in dem früheren Abschnitte über „Zauberei und Heren" erwähnt haben, in seinen Schriften uns aufbewahrt. So glaubte man, daß wenn in einer Kirche ein Licht auf dem Altare von selbst auslischt, bald ein Priester dieser Kirche sterbe. Läuft eine Thurmuhr ab, so stirbt bald Jemand aus der Regentenfamilie; läuft aber eine Uhr in einem Hause ab, so stirbt bald Jemand aus diesem Haufe. Wenn in einem Hause, wo Jemand krank liegt, sich die Katzen beißen, oder wenn ein Rabe oder eine Krähe sich auf das Haus setzt, so stirbt der Kranke bald. Wenn man ein Stück Holz von einem Todtensarge in ein Krautbeet steckt, so ist solches von Raupen frei.

Stirbt Jemand in der Stube, so sollen allsogleich die Fenster ausgemacht werden, damit die Seele hinausfahren kann. Dem Todten soll man Geld in den Mund legen, damit er, wenn er einen verborgenen Schatz hinterlassen habe, nicht umgehen und spucken dürfe.*) Wenn einer Leiche im Sarge ein Band von der Todtenkleidung zum Munde geräth, so saugt sie so lange daran, bis demnächst wieder ein anderes Glied ihrer Familie stirbt. Wer in der Kirche krank wird, der geneset nicht leicht. Hat ein Kranker Hühner- oder Taubenfedern unter sich im Bette, so stirbt er hart. Wenn man an Blumen oder Kränzen riecht, die zum Begräbniß gehören, so verliert man den Geruch. Wenn man von einem Rosmarinstrauche ein Zweiglein einem Verstorbenen in's Grab mitgibt, so verdirbt der Stock, sobald das Zweiglein im Grabe zu faulen ansängt. Legt man einen Nagel von einer Todtenbahre unter die Thürschwelle, so kann kein Dieb hereintreten (dürfte in unfern jetzigen Zeiten sehr praktikabel sein); steckt man einen solchen Nagel an die Stelle, wo ein Pferd gestanden, so kann es nicht weiter und muß stehen bleiben. Sieht das Gesicht einer Leiche roth aus, so stirbt bald noch Jemand aus der Freundschaft. Ein Strick, woran ein Mensch erwürgt worden, in das Taubenhaus gehängt, macht daß die Tauben allda verbleiben. Man soll keine Thränen auf eine Leiche fallen lassen, es kann sonst der Todte im Grabe nicht ruhen u. dgl.


*)  Dieses ist offenbar ein Ueberbleibsel aus der alten römischen Heidenzeit. Die Romer legten den Todten ein Geldstück, Obolus, in den Mund, damit er dem Sharon das Ueberfahrtsgeld über den Fluß Styr, der in die Unterwelt führt, bezahlen könne.


Münchner Friedhofsportal