Münchner Sagen & Geschichten

Das Bier, der Bock, das Hofbräuhaus

Mayer - Münchner Stadtbuch (1868)


Das Bier ist das Nationalgetränke in Bayern. Im Auslande haben besonders die Münchener den Ruf, ungeheure Bierquantitäten vertilgen zu können, allein wohl mit einigem Unrecht, denn seitdem nach dem Norden Deutschlands bayerisches Bier in Menge ausgeführt wird und daselbst zahlreiche Bräuereien desselben entstanden sind, hat sich auch dort die Vorliebe dafür sehr gesteigert.

Allein dessenungeachtet sind nicht die Bayern die Erfinder des Bieres. Schon im grauesten Alterthume, vor länger als 2000 Jahren, ist der Gebrauch desselben bekannt. Der griechische Dichter und Satyriker Archilochus, der ungefähr 700 Jahre, und die griechischen Tragödiendichter Aeschylus und Sophokles, die beiläusig 500 — 400 Jahre vor unserer christlichen Zeitrechnung lebten, führen es an, und nennen es Gerstenwein. Diodor von Sicilien, welcher zu den Zeiten des Julius Cäsar um 50 vor Christus lebte, gedenkt in seiner „Geschichte" (Buch 1 Kap. 20) ebenfalls des Bieres. So redet auch Plinius, ungefähr in der Mitte des ersten Jahrhunderts 

unserer Zeitrechnung, an mehreren Stellen seiner „Naturgeschichte" von diesem Getränke und sagt, daß dasselbe auf verschiedene Weise zubereitet werde, ja daß es eine Art desselben gebe, welche noch geeigneter als der Wein selbst wäre, die Menschen trunken zu machen. Er gibt uns ferner die Nachricht, daß dieses Getränke in Spanien celia und ceria, in Gallien und anderen Provinzen des römischen Reiches aber cersvisia genannt wor, den, und daß es besonders bei den Deutschen im Gebrauch gewesen fei. Uebrigens sollen, wie Plinius weiter anführt, der Sage nach die Aegypter als erste Beförderer des Ackerbaues das Bier erfunden und dasselbe in späterer Zeit zu Pelusium bereitet haben, daher es den Namen dieser Stadt trug, und sehr berühmt gewesen sein soll. Taeitus in seiner Schrift über Deutschland (Kap. 23) benennt das Getränke der Deutschen als „ein Gebräu aus Gerste oder Korn, zu einer Art schlechten Weines verarbeitet." Aus allen diesen Nachrichten geht hervor, daß die Alten ein gegohrenes und berauschendes Getränke aus Getreide kannten, allein wir wissen nicht, in wie ferne dieses Bier dem unsrigen ähnlich war.

Auch in Deutschland finden wir schon sehr früh das Bier erwähnt. In der angelsächsischen Bibelübersetzung ist die Stelle Lukas F. 15 „er trinkt weder Wein noch ein berauschendes Getränke" übersetzt mit: „and he ne drineid vvin ne beor." — Im Jahre 816 kommt eine Fuhr Bieres, — una carrada de cervisia, — als Abgabe von der Kirche von Vöhring vor. Bayern hatte schon im 9. Jahrhunderte bedeutende Bierbrauereien. (Meichelbeck hist. Frising. Thl. I. Nr. 336.)

Man muß sich aber von diesem Getränke der früheren Zeit nicht die Vorstellung machen, daß es schon auf einem hohen Grade der Vollkommenheit, oder daß es unserm gegenwärtigen Biere gleich gewesen wäre. Das von uns genannte braune Bier hieß damals das rothe, und wurde in der Regel aus Gerste, ausnahmsweise aber in Gegenden rauheren Klimas auch aus Haber gebraut. Man verstand es jedoch nicht anders, als mittels der warmen Gährung herzustellen, wodurch offenbar ein fades Getränk geliefert wurde, welches bald von der Saure ergriffen ward. Es ist daher nicht zu verwundern, daß damals der Meth und der Wein, letzterer auch von inländischem Gewächse, wenn gleich die Natur nur stiefmütterlich ihren Segen dazu verlieh, sehr beliebte Getränke des trinklustigen Publikums waren. Und dennoch mußte der Verbrauch an Gerste zum Biersieden in Bayern ein sehr bedeutender gewesen sein, denn als im Jahre 1293 eine Mißärndte war und das Getreide sehr hoch im Preise stieg, geboten die Herzoge Ludwig und Otto, daß ein ganzes Jahr hindurch im Lande kein Bier gebraut werden solle. Auch belegte man schon damals die Fabrikation des Bieres mit einer Abgabe; in München gaben sämmtliche Bräuer zusammen 32 1/2 Mut Malz, 50 Pfund Geld, sechs Pfund dem Vizedom, zwei Pfund dem Richter, und von wegen des Bräuens der bürgerlichen Häuser 40 Pfund Wachs.

Wahrscheinlich hat man in den Klöstern zuerst auf Verbesserungen im Bräuwesen gedacht. Eine solche wesentliche Verbesserung war im 15. Jahrhunderte die Erfindung der kalten Gährung, wodurch das Bier besser, 

kräftiger und dauerhafter wurde. Diese Verbesserung wurde erst nach und nach nicht ohne Widerspruch und Widerstand durchgeführt. Deshalb und weil dem Publikum nicht nur oft schlechtes Bier verabreicht wurde, sondern weil sogar schon damals, — im 14. und 15. Jahrhunderte, — gewissenlose und habsüchtige Bräuer sich mancherlei Verfälschungen und Zusätze fremdartiger und schädlicher Stoffe erlaubten, wurde das Brauwesen unter die besondere Aufsicht der Polizei genommen. Es finden sich nun allenthalben eine Menge Bräu-Ordnungen und Satzungen, wobei man in das Einzelne und in das Genaueste einging, und sich nicht blos begnügte, das Verhältniß der Quantität der einzelnen Bestandtheile des Bieres festzusetzen.

So auch in München. In dieser Stadt bestand schon zur Zeit Herzogs Ludwig des Strengen ein fürstliches Bräuhaus, und wer von den andern Bräuern in des Herzogs Bräuhause braute, dem gab man die Pfründe (das Gerstenmalz) von des Herzogs Kasten. Ludwig der Strenge verlieh dem heil. Geist-Spitale im Jahre 1286 die Bierbräugerechtigkeit, und die Herzoge Rudolf und Ludwig ertheilten dem Klarissinenkloster auf dem Anger im Jahre 1306 die Bewilligung, ihren Haustrunk selbst brauen zu dürfen. Es muß zu dieser Zeit schon eine nicht unbedeutende Anzahl Bräuer in München gewesen sein, denn im Jahre 1318 kömmt schon urkundlich ein Bürger, Namens Heinrich Preumeister vor, woraus sich schon auf einen längern Betrieb dieses Gewerbes in dieser Familie schließen läßt, da die Bürgergeschlechter ursprünglich ihre Namen von ihren Gewerben hernahmen.

In München gab es im 14. und 15. Jahrhunderte zweierlei Biere, ein besseres und ein geringeres. Das bessere Bier hatte den Namen Greußnig, und es kostete im 14. Jahrhunderte der Eimer Greußnig 40 Pfenninge, während der Eimer gewöhnlichen Bieres nur 30 Pfenninge galt.

Man hört in unseren Tagen die allgemeine Klage, daß das Münchener Bier seinen alten Ruhm verloren habe und bedeutend schlechter geworden sei. Aber es muß in den alten Zeiten Münchens in dieser Beziehung wohl auch nicht besser bestellt gewesen sein, denn der Magistrat sah sich schon sehr frühe veranlaßt, zum Schutze des Publikums gegen die Bräuer sehr strenge Verordnungen zu erlassen. Die älteste Bräuordnung in München kömmt urkundlich schon unter Herzog Ludwig dem Strengen vor. Eine ausführliche Bräuordnung des Stadtmagistrates aber wurde im Jahre 1420 erlassen. In dieser ist den Bräuern erlaubt, Meth (dieses Getränke war damals noch ein sehr beliebtes), Bier oder Greußnig zu brauen; es durfte jedoch dasselbe vor acht Tagen nicht ausgeschenkt werden, es habe denn zuvor über sich wohl vergohren und nicht unter sich. Was würden wohl unsere heutigen Biertrinker von einem Biere sagen, das noch kaum acht Tage alt wäre! Das Bier geringer einzusieden, als die Tare beträgt, oder es mit fremden oder schädlichen Ingredienzen zu vermischen, wurde strenge verboten. (Es kamen also damals schon Bierverfälschungen vor!) Ein einziger Zusatz war den Bräuern erlaubt, um das Bier „schmackhaft" zu machen, nämlich die gespaltene und getrocknete Benediktenwurzel (Caryophillata lutea); diese durften sie in 

ein leinenes Tuch nähen und in das gefüllte Faß legen. Zur Aufrechthaltung dieser Bräuordnung wurde von den Herzogen Wilhelm und Ludwig eine Bierbeschau angeordnet und dazu eine eigene Commission niedergesetzt, welche das Bier im Sommer dreimal und im Winter zweimal in jeder Woche besichtigen und prüfen mußte. Wurde dabei gefunden, daß das Bier seinen Pfenning — d. h. sein Geld,— nicht werth war, wurde der Bräuer strenge bestraft. Auch scheinen damals in München schon Uebergriffe der Bräuer und Wirthe gegen ihre Gäste in Beziehung auf richtige Mäßerei häufig vorgekommen zu fein, denn die angeführte Bräuordnung vom Jahre 1420 gebietet ihnen: „daß sie alle ihre Kandeln bringen sollen zu dem geschworenen Zinngießer, den die Stadt.gesetzt hat, und der soll sie beschauen, ob die Nägel (die Aichzeichen) darin recht stehen, und soll auch fürbas nicht mehr geschenkt werden an keinen Kandeln, dann die gebrannt und gezeichnet sind mit der Stadt Zeichen."

Allein im 16. Jahrhundert stand plötzlich ein gefährlicher Mitbewerber des bisherigen braunen Bieres auf, ein Fremdling, welcher sich nicht nur einzudrängen sondern selbst die Uebermacht zu erhalten suchte, nämlich das weiße Bier. In Böhmen nämlich erzeugte man aus Waizen weißes Bier, und an dieser Nachahmung des Weines fanden anfangs besonders Personen höheren Standes Geschmack, wodurch dieses Bier in Bayern und somit auch in München raschen Eingang fand.

Die Polizei sah sich aber bald veranlaßt, Maßnahmen gegen die Ueberhandnahme des weißen Bieres zu ergreifen, theils weil dasselbe der Gesundheit weniger zuträglich sei 

als das rothe, theils weil man Vertheuerung des Waizens und dadurch auch des Bredes befürchtete. Dem Brauen dieses weißen Bieres wurden daher anfangs polizeilich alle möglichen Hindernisse entgegen gesetzt und endlich wurd,e das Recht, weißes WaizenBier zu brauen, den Brauern gänzlich entzogen und solches nur dem Landesfürsten vorbehalten. Von nun an erscheint in München ein eigenes fürstliches „weißes Bräuhaus" und zwar ist es dasselbe Gebäude, welches heut zu Tage als Hofbräuhaus noch steht. Aus dem Umfange dieser Gebäulichkeiten läßt sich entnehmen, wie schwunghaft damals die Brauerei des weißen Bieres betrieben wurde, und wie sehr es damals beliebt war.

Diese Brauerei warf für die herzogliche Kasse so gute Erträgnisse ab, daß die Hofkammer zur Erhöhung der Revenuen im Jahre 1589 den Antrag stellte, auch für braunes Bier ein Hofbräuhaus zu errichten, und Herzog Wilhelm V. genehmigte diesen Antrag. Es wurde nun noch im nämlichen Jahre in der alten Veste an der Stelle des niedergerissenen „Hennenhauses" und des „Badgebäudes" ein Bräuhaus erbaut. Jm Jahre 1651 wurde dasselbe gegen den sogenannten „Löwenhof" in der Burggasse zu erweitert. Auch dieses alte Hofbräuhaus existirt noch heutigen Tages; es ist jenes Gebäude am Kanale in der Lederergasse Nr. 26, in welchem seit dem Jahre 1811 das Zerwirkgewölbe sich befindet. Seine ehemalige Bestimmung läßt sich noch heut zu Tage an den großen Fenstern erkennen und sind auch dessen massive Kreuzgewölbe noch wohl erhalten.

Da dieses Gebäude bei dem vermehrten Verbrauche 

des braunen HofbräuhausBieres im Verlaufe der Zeit nicht mehr ausreichte, und anderseits der Genuß des weißen Bieres sich namhaft verringerte, so wurde schon im Jahre 1708 die Brauerei des braunen Bieres theilweise in das nunmehrige, damals nur zum Brauen des weißen Bieres bestimmte Hofbräuhaus verlegt; — im Jähre 1807 aber wurde es gänzlich für das braune Bier bestimmt,' und seitdem besteht das Hofbräuhaus in seiner gegenwärtigen Verfassung und Einrichtung. Die Bierschenklokalitäten darin wurden erst im Jahre 1828 in ihrem jetzigen Zustand hergestellt, indem dazu die früheren Lokalitäten des Hofbräuamtes verwendet wurden.

Der Fremde aber, welcher etwa erwartet, in diesem Hofbräuhause, — dessen Namen entsprechend, — großartige, schöne, reinliche und elegante Lokalitäten und vor Allem gehörige Bedienung der Gäste zu finden, möchte sich sehr getäuscht sehen! Enge, niedere, sinstere Räume sind es, in die wir eintreten; ein höchst widerlicher Geruch von verschüttetem Biere, von Rettigen und der Qualm vom schlechtesten Taback überfällt uns überall, — wohin wir blicken, die größte Unreinlichkeit. Der Gast ist genöthigt, sich einen Krug selbst zu suchen, denselben am Brunnen zu spülen, und das Bier sich selbst an der Schenke zu holen! Aber der „Stoff", — wie man in München scherzweise das Bier nennt, — ist gut, oft ausgezeichnet, und so haben sich die Bierliebhaber par excellence und die alten Stammgäste längst darein gefunden, sich an alle Unzukömmlichkeiten gewöhnt; es ist dadurch eine eigene Spezies der Münchener Einwohner entstanden, „Hofbräuhäusler" genannt, und hat sich auf diese Weise in diesen Räumen ein tüchtiges Stück absonderlichen und naturwüchsigen Münchener Volkslebens gebildet.

Eine besondere Art des Münchener braunen HofbräuhausBieres ist der Einbeck, oder wie man ihn gewöhnlich zu nennen pflegt, der Bock. Die kurze Geschichte desselben ist folgende. Schon vor mehreren Jahrhunderten wurde in der braunschweigischen Stadt Einbeck ein besonders starkes Bier gebraut, welches seiner vorzüglichen Güte wegen nicht nur in Norddeutschland, sondern selbst im Auslande großen Ruf genoß, und häufig nach Rom, Amsterdam, ja selbst nach Jerusalem verführt wurde. Herzog Albrecht III., welcher sich im Jahre 1436 mit Anna, Herzog Erich I. von Braunschweig Tochter, vermählte, mag wohl dieses Bier schon gekannt haben. Gewiß aber ist es, daß Herzog Albrecht V. im Jahre 1553 zwei Wägen voll zum Gebrauche seiner Hofhaltung von Einbeck aus nach München fahren ließ. Im k. Reichsarchive zu München befindet sich noch eine von genanntem Herzoge am 2. März 1553 auf den Erfurter Bürger Cornelius Gottwald ausgestellte, und vom Rathe der Stadt Erfurt vidimirte Vollmacht zum Transporte von zwei Wagenschwer Ainpeckhisch Bier von Ainpeckh aus nach München oder Landshut. Ferner kommt in einer Münchener Hofrechnung vom Jahre 1574 vor: „Einbeckisch Bier, so die Nürnberger dem gnädigen Herrn geliefert." Bis zum Jahre 1771 wurde dasselbe durch Vermittelung von Nürnberger Handelshäusern von Einbeck bezogen. Erst von dieser Zeit an geschah das Brauen desselben im kgl. Hofbräuhause in München.

Der Bock wurde anfänglich in einem kurfürstlichen 

Wagenremisegebäude des alten Hofes ausgeschenkt. Weil aber dieser Platz als ungeeignet sich zeigte und mancherlei Unzukömmlichkeiten hatte, so wurde der Gährkeller des ehemaligen Hofbräuhauses, in einem Seitenflügel des alten HofgebSudes gegen den Psisterbach zu, als Ausschanklokal ausgemittelt. Viele der ältern Einwohner und Bockliebhaber werden sich dieses alten Bockkellers, einer großen, aber ziemlich düsteren gewölbten Halle, noch wohl erinnern. Als aber dieser Flügel niedergerissen und an seine Stelle das Gebäude der Steuer-Kataster-Kommission hingebaut wurde, ward der Bockkeller an seinen gegenwärtigen Platz im alten ehemaligen Münzgebäude am Münzgäßchen hin, verlegt.

Der Ausschank des Bockes begann ursprünglich immer erst am Fronleichnamstage, vom Jahre 1793 an aber abwechslungsweise am Christi Himmelfahrtstag oder am Pfingstsonntag. In gegenwärtiger Zeit beginnt die „Bocksaison" stets am 1. Mai, wodurch dieses beliebte Münchener Getränk auch noch den Glauben und Ruf als „Maikur" erhielt, und als solche von vielen wirklichen oder eingebildeten Kranken benützt wird.

Mit dieser Bocksaison beginnt ein eigenthümliches Leben und Treiben in der guten Stadt München.

Schon mehrere Wochen vorher, im April, ertönt aus den sonst das ganze Jahr hindurch geschlossenen, öden und stillen Räumen des Bockkellers ein unheimlicher Geisterspuck; man vernimmt aus ihnen ein geheimnißvolles Rascheln, ein auf- und abgehen, ein klopfen und hämmern, ein wischen und waschen. Sind es die Geister des Bockes, die das nahe Erscheinen desselben verkünden? Aber — 

wir kennen diese Geister und wissen, was ihr Spuck bedeutet. Sind nämlich eben zufällig die Thüren offen geblieben, so sehen wir innerhalb derselben eine Anzahl Arbeiter, geschäftig, die Bocklokalitaten für die nahe bevorstehende Eröffnung herzurichten; Tische und Bänke werden aufgeschlagen, die lange bestaubten Räume werden gereinigt und aufgewaschen, die Hallen, Arkaden und Wände mit grünen Tannenbäumen geschmückt, die Schanklokalitäten geordnet und mit allem Nöthigen versehen, — mit unnennbarer Sehnsucht erblickt der eben vorübergehende Münchener diese vielbedeutenden Vorbereitungen.

Aber der wirklichen Eröffnung geht noch ein anderes wichtiges bedeutsames Ereigniß voraus, das die Gemüther der Münchener auf das höchste spannt; es ist die sogenannte Bockprobe. Diese findet ein paar Tage zuvor in den Lokalitäten des sogenannten weißen Bräuhauses statt, wozu der Zutritt nur einer Anzahl besonders Begünstigter gestattet wird. Von diesem Augenblicke an ist München in einer gewissen Aufregung; — „wie ist der Bock heuer, — ist er gut?" — das ist die allgemeine Frage, vor der alle andern wichtigen politischen und socialen Interessen zurück treten; man kümmert sich nicht mehr, ob Krieg oder Frieden, ob preußisch oder österreichisch, nicht mehr um Napoleon und Viktor Emanuel und Garibaldi; man fragt nur: „ist der Bock heuer gut?"

Endlich ist der ersehnte erste Mai erschienen, die Bockhallen sind geöffnet, eine herrliche Frühlingssonne lacht vom wolkenlosen Himmel hernieder, warme milde Lüfte erfüllen den Aether, den Besuch des Bockkellers begünstigend. Da strömen die Freunde des edlen Getränkes 

schaarenweise herbei, in einigen Augenblicken sind alle Tische und Bänke, Zimmer und Arkaden besetzt, ja selbst der weite Hofraum ist von Gästen angefüllt, die keinen Platz zum Sitzen mehr fanden und froh sind, vielleicht ein leeres Faß zu sinden, auf dem sie kampiren können. Wir selbst haben uns mit der Menge hineindrängt. Vor allem erblicken wir hoch an der Wand das Wappen, das in keinem Bocklokale fehlen darf, einen Geisbock darstellend, der mit gewaltigen Hörnern ein volles Glas umstößt, das Sprichwort andeutend: „Den hat der Bock gestoßen!" Nun gilt es vor Allem, sich ein Trinkgeschirr zu erobern, denn keine dienstfreundliche Kellnerin als Hebe kredenzt das schäumende Glas, kein Garyon im schwarzen Fracke und mit Glaeshandschuhen bedient die durstigen Gaste, kein Aufwärter frägt sie um ihr Begehren ; Jedermann ist angewiesen, sich selbst zu bedienen. Das hier ausschließend gebräuchliche Trinkgeschirr ist kein zierlicher Krug oder ein sogenanntes Halbeglas, sondern das „Bockglas", ein gläserner Pokal, eine halbe Maß enthaltend. Waren wir nun so glücklich, ein solches Bockglas zu erringen, so beginnt nun der Sturm auf die Schenke, in welcher aus den Fäßern das edle Naß läuft. Welches Gedränge hier, welches Drücken, Zerren und Stoßen! Gleicher Andrang findet täglich während der ganzen Bockzeit statt.

Endlich haben wir alle diese Mühen und Kämpfe durchgemacht, und selig und stillvergnügt sitzen wir an der Bank, mit Wohlbehagen den Nektar schlürfend. Aus jedem uns umgebenden Gesichte erblicken wir die gewichtige Kennermiene, und das hellleuchtende Antlitz verräth die Wonne, wenn der Bock wirklich von der gehofften Güte ist.

Die Stunden, während welcher der Bockkeller von der Elite der Münchener Bockliebhaber gefüllt ist, sind Vormittags zwischen 10 und 1 Uhr. Zu dieser Zeit ist hier die eigentliche süddeutsche Gemüthlichkeit zu finden; hier sind alle Stände durcheinander gemischt, hier gibt es keinen Rangunterschied, keinen Standesvorzug, keine Ausscheidung der verschiedenen Klassen der Gesellschaft; der General oder Oberst sitzt neben dem gewöhnlichen Schreiber, der Kollegial-Direktor oder Rath neben dem Unteroffizier, der Bürgermeister oder Magistratsrath neben dem Packträger, der Geldaristokrat neben dem Proletarier, der Hochadelige neben dem Plebejer, der Ultramontane neben dem Freidenker oder Freimaurer; hier allein ist ächte Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit, hier allein ist das deutsche Volk einig, hier allein herrscht ungetrübte Harmonie!

Kaum haben wir kurze Zeit Platz genommen/ so schreiten zur Thüre herein auffallende weibliche Gestalten, alt, häßlich, schmutzig und zerlumpt, wir vermeinen die Grazien aus Shakespeares Makbeth aus einer Theaterversenkung emporsteigen zu sehen! Diese sind die Münchener Damen der Halle, hier „Radiweiber" genannt. Diese waren vielleicht vor vielen Jahren auch schöne, blühende, flotte Kellnerinen, die zierlichen Koketten der Kaffee- und Gasthäuser, das begehrliche Ziel der blasirten jungen Modeherrn und der alten verliebten Gecken und Narren, zahlreiche Huldigungen begehrend und empfangend. Nachdem sie eine Zeitlang Furore und Eroberungen gemacht, zahlreiche Feldzüge der Liebe durchgekämpft, dann ausser Kurs gekommen und endlich gealtert sind, treten sie in das Invalidenthum ein und werden „Radi- und Nußweiber!"

„Das ist das Loos des Schönen auf der Erde!"
(Schiller.)

Früher trugen sie ihre Liebe feil; ihr jetziges Geschäft ist, Rettige (in München „Radi" genannt) und Nüsse in den Wirthshäusern und öffentlichen Schanklokalitäten feil zu tragen. Im Bockkeller machen diese scheußlichen Gestalten brillante Geschäfte, denn die jungen Radieschen, hier Monatrettige genannt, sind eine pikante und darum unerläßliche Zugabe zum Genuße des Bockes, und finden daher allgemeinen Absatz, und das Radiweib verfehlt nie, dem Käufer unentgeltlich eine übermäßige Portion Salz auf den höchst schmutzigen, mit Resten von Bock, Rettigen und Nußschalen verunreinigten Tisch zu schütten. Eine andere beim Trinken des Bockes unerläßliche Speise sind die „Bockwürste", aus Kalbfleisch und reichlichen grünen Küchenkräutern verfertigt. Nach taufenden und taufenden werden diese wirklich sehr geschmackvollen Würste , während der Bockzeit verspeiset, und ausser München ist die Zubereitung und der Genuß derselben wohl überall unbekannt.

Nun kommen aber auch unvermeidliche Leiden. Aus unserem behaglichen Genuße, aus unserm seligen Beschauen und Träumen werden wir plötzlich durch höchst schrille und unangenehme Töne geweckt. Es ist die Heuschreckenplage Münchens, die Wirthausmusik, die uns leider in jedem öffentlichen Gastlokale als unausweichliches Gespenst verfolgt, alle behagliche Ruhe stört, jedes freundliche Gespräch unterbricht oder unmöglich macht und uns dadurch das Bier versauert. Eine Geige, eine Flöte oder Klarinette und eine Harfe, vielleicht auch eine ganz verstimmte 

Trompete führen ihre ohrzerreissenden Stücke auf; befindet sich aber bei dieser Künstlergesellschaft nun noch gar eine Sängerin, so gerathen wir aus der Seilla in die Charybdis. Die Sängerin, eine schon sehr verblühte und abgelebte Jungfrau mit einem der Broncefarbe ähnlichen Teint, begleitet von ein paar Musikanten mit rothen versoffenen Gesichtern, singt uns mit heiserer, kreischender und widerlicher Stimme ein Lied,

„das Stein erweichen,
Menschen rasend machen kann."

(Gellert.)

Hat eine solche Musikantengesellschaft ihre Produktion geendet, so folgt ihr auf dem Fuße eine zweite, eine dritte, mit einander wetteifernd, die Ohren des Publikums zu martern. Ach, verschwunden seid ihr schönen klassischen Zeiten, wo der blinde Elias mit seinem schiefmäuligen Söhnchen, oder das „Kanapee" so genannt von seinem Forceliede: „das Kanipee ist mein Vergnügigen", ihre wundersamen Melodeien uns aufspielten und fangen, oder wo der Sulzbeck, seines Zeichens ein Hundshetzer, auf seiner Baßgeige die Schlacht von Hanau auf das getreueste vorstellte! Die Krone aber aller dieser stereotypen musikalischen Genüsse ist der Bockwalzer, das Musterstück und der Urtypus aller Bänkelsängermusik, bei dessen Aufspielen der süße Pöbel gewöhnlich in Verzückung fällt und ihm

„ganz kanibalisch wohl wird,
als wie fünfhundert Säuen."

(Göthe's Faust.)

Der Bock dauert mit einer kurzen Unterbrechung bis 

zum Fronleichnamstage. Dann sind die Hallen des Bockkellers wieder verödet und stumm und seine Thore geschlossen bis zum Wiederauferstehungstage des nächsten Jahres. Der Münchener sucht sich nun entweder für den Verlust auf den bald sich öffnenden Sommerkellern, oder bei den von einigen Bräuern gelieferten DoppelBieren, welche gleichfalls unter dem Namen „Bock" verleit gegeben werden, aber die Güte und das unvergleichliche Aroma des Hofbräuhausbockes nicht zu erreichen vermögen, zu entschädigen.

Andere in München beliebte Abarten des Bieres sind: Das SalvatorBier, früher PaulanerBier genannt. Das Kloster der Paulaner in der Vorstadt Au genoß in alter Zeit das Privilegium, ein besonders starkes DoppelBier zu brauen. Nach Aufhebung des Klosters am Anfange des gegenwärtigen Jahrhundertes übte der Käufer des Klosterbräuhauses, Herr Zacherl, dieses Privilegium aus, wogegen ihm von Seite der Regierung mancherlei Hindernisse in den Weg gelegt wurden, bis er endlich in späterer Zeit die höhere Erlaubniß dazu erhielt. Gegenwärtig beginnt der Ausschank desselben jährlich am ersten April im Zacherlbräuhause und dessen Keller, und dauert ungefähr acht bis vierzehn Tage. Auch hier ist der Zudrang des Publikums ein ausserordentlich großer; dieses Bier ist gleichfalls ein Lieblingsgetränke der Münchener geworden, Viele ziehen es sogar dem Bocke vor.

Das ExportBier aus der Georg Pschorr'schen Bierbräuerei in der Neuhausergasse. Dasselbe ist hauptsächlich bestimmt zum übersee'schen Transport nach Indien, und ist ein starkes, kräftiges DoppelBier. Dieses ist aber 

hauptsächlich seines hohen Preises wegen nicht volksthümlich geworden, sondern wird nur als LuxusBier getrunken.

Hingegen aber hat das sogenannte WienerBier, ein in der Hacker'schen Bierbräuerei in der Sendlingergasse gebrautes Bier, größeren Eingang im Publikum gefunden. Es ist auf Wienerart mit Obergährung gebraut, während bei unsern bayerischen Bieren die Untergährung angewendet wird, und lieblich und angenehm zu trinken. Der Ausschank desselben geschieht auf dem Hackerbräukeller, der, was sonst bei den Münchener Kellern gewöhnlich eben nicht der Fall ist, einladend, ja beinahe geschmackvoll und elegant eingerichtet ist.

Nicht umgehen können wir der Vollständigkeit wegen ein anderes Getränke, welches zwar nicht zu den Erzeugnissen Münchens gehört, da die stiefmütterliche Natur das nöthige Klima versagt, das aber in alter wie in neuer Zeit eine große Rolle spielte, nämlich der Wein.

Im Mittelalter, wo das Bier weniger gebräuchlich war, wurde der Weinbau in Bayern sehr ausgedehnt und emsig betrieben. Nicht nur längs der Donau an den Hügeln ihres linken Ufers, von Niederaltaich an bis über Regensburg hinauf, an der Altmühl, Abens und Naab, sondern auch im Innern des Landes, selbst an der Isar, am Inn und am Lech begegnen wir allenthalben dem Weinbaue und der „Landshuter Ausbruch" mag wohl der Staufer- oder Krukenberger Auslese wenig nachgestanden haben. Der Verbrauch des Bayerweines in Klöstern und bei dem gemeinen Manne, selbst am Hofe war nicht gering, wie die noch vorhandenen Rechnungen 

zeigen. Die Herbe des Weines wurde gewöhnlich durch Zusatz von Honig gemildert.

Die fremden Weine, die ausser dem Bayerweine in München getrunken wurden, lernen wir aus verschiedenen Urkunden und Rechnungen, namentlich aber aus einem Dokumente vom Jahre 1385 kennen, in welchem die Herzoge Stephan, Friedrich und Johann Gebrüder der Stadt München ein Ungeld „auf alles trankh von einem jegleichen Emmer Weins allweg vier maß weins, es sei Malafaser (Malvasier), Romany, kriechel, Reinvall, Welschwein, Neckherwein, frankhen, Osterwein (österreichischer Wein), oder mett, außgenommen allein Pier vnd Graißnickh," und zwar auf die Dauer von vier Jahren verleihen." Unter diesem „Reinvall" ist jedoch nicht Rheinwein zu verstehen, sondern Wein von Rivoglio in Istrien, virmm ritolium, bei den alten Römern genannt vinum Pucinum.

Zur Niederlage fremder Weine und zum Verkaufe unter dem Reife diente der Weinstadel in der Dienersgasse, wohin ihn die Fremden liefern mußten. Dieses Gebäude ist noch gegenwärtig vorhanden, es ist das Haus Nr. 20 in der Dienersgasse, in letzter Zeit Hotel Schafroth, und noch sind, wenn auch etwas unterbaut, die ehemaligen geräumigen im Spitzbogenstile gewölbten Parterrelokale zu sehen. — Der Weinmarkt aber wurde in der Weinstraße gehalten, woher dieselbe auch ihren Namen führt.

Aber gleichwie Verfälschungen des Bieres, so kamen such im Mittelalter häufig Verfälschungen und Verschlechterungen des Weines vor. Deshalb erließ der Magistrat München in der schon mehrmals angeführten Polizeiordnung vom Jahre 1420 

sehr umsichtige und strenge Anordnungen auch über den Ausschank und Verkauf des Weines unter dem Titel: „Weinschenckhen fäez." Aus dieser Verordnung lernen wir zugleich die Art und Weise der damaligen Verfälschungen kennen. Verboten wird nämlich die Vermischung des Weines mit Weidenasche, besonders beim Neckarweine, oder Branntwein oder andere „Gemacht" in den Wein zu thun; verboten wurde die Mischung verschiedener Weine, das Schenken aus zweierlei Zapfen, und das „Pritschen" schlechteren Weines unter guten. Durch eine spätere Polizeiordnung vom Jahre 1472 wird der Beisatz von Schwefel, Bleiweis, Säure oder sonst schädlicher Gegenstände untersagt. Wurden bei den magistratischen Visitationen verfälschte Weine gefunden, so wurde dem Faße der Boden ausgeschlagen, der Wein auf die Straße laufen gelassen und der Weinschenk überdieß noch mit tüchtiger Strafe belegt.

Streng wurde auch im Mittelalter die Polizeistunde gehalten, welche durch das Läuten der sogenannten Weinoder Bierglocke angezeigt wurde; auf dieses Zeichen mußte Jedermann die Schenk- und Zechstuben verlassen und sich nach Hause begeben. Während der Magistrat so auf Ordnung sah, damit nicht die Bürger im Zechen zur Ungebühr billiges Maß überschritten, sehen wir aber doch, daß man es selbst höheren Ortes nicht besonders übel aufnahm, wenn ein Mann im Weintrinken des Guten etwas zu viel that. So schrieb Herzog Wilhelm III. im Jahre 1410 während seines Feldzuges nach Tirol an den Magistrat von München folgenden Brief: „Wilhelm von Gottes Gnaden, Herzog in Bayern. Unsern Gruß und 

Förderung zuvor, liebe Getreue! Wir lassen euch wissen, daß wir kein Pulver mehr haben. Nun mögen wir ohne Pulver nichts schaffen. Darum so bitten wir euch mit großem Fleiße, daß ihr uns euers Pulvers vier oder fünf Zentner leihet und uns sendet bei Tag und bei Nacht, damit wollen wir ohne Zweifel schaffen, das uns und euch Ehre und Nutzen ist. Auch haben wir vernommen, wie daß sich der Pogl Mauerer, unser Werkmann (Hofmaurermeister) von Weins wegen vergessen, und etwas thöricht gegen euch gehandelt habe. Nun weiß der mehrere Theil zu München, wenn er sich überweint, daß dann Niemand übler Behandlung vor ihm sicher ist, und ist sonst, wie ihr selbst wohl wisset, ein guter und bescheidener Werkmann. Darum bitten wir euch mit ganzem Ernst und Fleiß, daß ihr von Unser wegen keine Gabe (Geldstrafe) von ihm begehrt, als wir dessen ein ganzes Vertrauen zu euch haben. Darum wollen wir allzeit desto gerner thun, was euch lieb ist, und wollen ihn auch nach eueren Rath gern selbst strafen und bessern. Gegeben im Felde vor der Matzen am Mittwoch vor Augustinus 1401."

Îndem der Verfasser dem Schluße dieses Abschnittes zueilt, vermerkt er unlieb, daß er von seiner ernsten historisch-archäologisch-technologischen und statistischen Abhandlung über Bier und Wein vielfältig abgewichen ist, und sich auf das scherzhafte Gebiet verirrte. — Sei es denn! Quod scripsi, scripsi was wir geschrieben haben, haben wir geschrieben. In dieser Stimmung können wir nicht umhin, zum Schluße dieses Abschnittes noch ein paar humoristische Züge über Bier und Wein mitzutheilen.

In alter Zeit wurde die gerichtliche Bierprobe, Bierbeschau genannt, nicht auf die jetzige Weise, durch Prüfung des Geschmackes bloß mit der Zunge und Untersuchung des Gehaltes und der Ingredienzien auf chemischem Wege und durch Grad-Messungen vorgenommen; die Probe war vielmehr eine höchst einfache und praktische. Die Bierbeschauer, in München „Bierkieser" genannt, mußten bei Ausübung ihres Amtes in hirschledernen Hosen im Bräuhause erscheinen. Hier wurde ihnen eine hölzerne Bank hingestellt, und diese über den Sitz mit ein paar Maß. des zu prüfenden Bieres beschüttet. Da hinauf setzten sich nun die Bierkieser mit ihren hirschledernen Hosen, und zechten, eine Sanduhr vor ihnen stehend, eine volle Stunde, ohne von ihrem Sitze auch nur im geringster, zu rücken. War endlich die Stunde abgelaufen, so stander sie zugleich in demselben Momente auf. Blieben sie nur mit ihren hirschledernen Hosen an der Bank kleben, st daß sie nicht aufstehen konnten ohne dieselbe empor zu heben, so war das Bier gut, gehörig kräftig und Pfenning vergeltlich; war solches nicht der Fall, so wurde das Wie, als zu leicht befunden und gegen den Bräuer Strafe verhängt.

Ueber diese alterthümliche Bierprobe erlauben wir um ein sehr hübsches Gedicht von Guido Görres mit zutheilen.

Münchener Bierbeschau.

Schon ziemlich lange mag es sein,
Man zählte just das Jahr,
Als noch die alte Redlichkeit
In Deutschland üblich war.

Nun damals galt in München auch
Ein hergebrachtes Recht,
Wie man das neue Bier beschaut,
Der Brauch war gar nicht schlecht.

Drei Männer sandte aus dem Rath
Die Münchner Bürgschaft
Zum Bräuer, ob das junge Bier
Geerbt des alten Kraft.

Ihr meint, die Herren aus dem Rath,
Die tranken nun aus Pflicht;
Das mag die Sitte jetzo sein,
Doch damals war sie's nicht.

Sie goßen's auf die Bank fein aus,
Und setzten drauf sich frei,
Und kleben mußte dann die Bank,
Erhoben sich die drei.

Sie gingen drauf mit selber Bank
Vom Tische bis zur Thür,
Und hing die Bank nicht steif und fest,
Verrufen war das Bier.

Doch wie hier unterm Mondenschein
Auch gar nichts kann bestehn,
Und sich die Welt nur immerfort
Im Kreise pflegt zu drehn,

Es kam die aufgeklärte Zeit,
Und die war dünn und karg,
Und mit der deutschen Redlichkeit
War's lang nicht mehr so arg.

Und matt und dünn und aufgeklärt,
Ward da das Bier halt auch,
Und somit nahm ein Ende dann,
Der alte schöne Brauch.

Vielleicht daß Gerst' und Hopfen man
Zu wenig heute pflegt,
Vielleicht auch, daß vom Pfennigkraut
Zu viel hinein man legt.

Doch wird noch von der Bürgerschaft
Der alte Brauch geehrt,
Nur hat sie ihn, wie Anders auch,
Ins Gegentheil gekehrt.

An ihnen klebt die Bank nicht mehr,
Drum kleben sie an ihr,
Und sitzen drauf wie angepicht,
Als war's das alte Bier.

Und wer den Krug zum Munde führt,
Der setzt ihn nicht mehr ab,
Bis er den letzten Tropfen hat
Gebracht in's sichere Grab.

Ueber den Wein geben wir unfern freundlichen Lesern noch ein Münchener Lied aus dem sechzehnten Jahrhunderte, gedichtet von dem herzoglichen Kapellmeister Orlando di Lasso selbst, und der humoristische Text von ihm in gravitätischen viereckigen Noten nach der Weise seiner Zeit in Musik gesetzt. Es findet sich in einer Liedersammlung unter dem Titel :

„Newe teütsche Liedlein mit fünf Stimmen, welche gantz lieblieh zu singen, und auff allerlei Instrumenten zu gebrauchen

Von

Orlando di Lassus. k. bayer. Kapellmeister componiert.
Gedruckt zu München bei Adam Berg. Anno M. D. LXVII.

Das Gedicht lautet:

„Im Land zu Wirtemberg so gut
Im Herbst man Trauben schneiden thut,
Den Wein thut man auspressen.
Da was ein Esel, hoch von Muth,
Der suff sich voll von Wein so gut,
Und hielt sich gar vermessen.

Da das der Herr des Weins ersach,
Beim Richter führt er große Klag,
Wollt haben zahlt sein Weine.
Der Richter fragt als ohngefähr,
Ob auch der Esel g'seßen war;
Der Andre sagt: Herr, neine!

Der Richter lacht und sprach: Mein Mann!
Der Esel dir nicht zahlen kann,
Das kannst du selbst ermessen;

Dann fein Herr gibt ihm gar kein Lohn,
So hat er nur ein Ehr'ntrunk thon,
Dieweil er nit ist g'sessen."

Wie hoch in Ansehen der Ehrentrunk bei unseren Vorfahren stand, haben wir in diesem Buche bei verschiedenen Anlässen gesehen; unser heutiges „anstoßen" und „hoch leben lassen" ist nur ein schwacher und häufig mißbrauchter Nachklang dieser altehrwürdigen Sitte.


Stadtmodell von Sandtner