Münchner Sagen & Geschichten

Geld um's Eck bei St. Michael.

Trautmann - Die Alt-Münchner Wahr- und Denkzeichen (Seite 89)


Damit ist der kurze Thurm am unteren Ende der Michaelskirche gemeint.

Dieselbige Michaelskirche baute Herzog Wilhelm V., 1583 am 18. April ward der Grundstein gelegt, der Baumeister hieß Andreas Gundlfinger, der Jesuitenpater Valerian aus Welschland und einer von München, des Namens Simon Hiendl, waren auch im Spiel, der eigentliche Bauführer und ehrsame Maurermeister aber hieß Müller, dessen Conterfei in der Sakristei zu sehen ist.

Von diesem Müller geht die Rede: Er habe das wunderwürdige Gewölbe auf eigene Gefahr gebaut, und Jedermann habe es als ein unvergleichliches Meisterstück anerkannt. Als aber der Herzog befohlen habe, in der Kirche ein Paar Kanonen abzufeuern, um die Prob' zu machen, ob es auch sicher gebautsei, habe selbiger Müller, so sicher er seiner Sache war, doch aus Furcht die Flucht ergriffen und sei nimmer zu Tage gekommen. Nun soll das gerade nicht ganz ohne sein, aber gekommen ist der Müller jedenfalls wieder, denn es existirt eine gewisse, gerichtliche Aufschreibung aus unviel späterer Zeit, wobei sich der Müller wegen verschiedener Dinge vertheidigt, insonderheit des Thurmes wegen.

Aber von dem Thurm selbst zu reden.
Allererst war die Michaelskirche nicht so lang, wie später und jeßt, und wo sie zu Ende ging, war ein ganz hoher Thurm aufgebaut; auf dem stand, heißt es, derselbe St. Michael, welcher nun zwischen den zwei Kirchthüren zu sehen ist. Das war Anno Dom. 1590, und die Kirche sollte schon bald eingeweiht werden. Da stürzte der Thurm ein, und die Jesuitenfeinde sagten, es sei das eine „Strafe Gottes und ein Zoren des heil. Michaelis,“ weil sie von den Jesuiten nichts wissen wollten. Drauf sagte aber der Herzog Wilhelmus: ,„Dem ist nicht so, vielmehr ist ihm die Kirche nur zu klein.“ Drauf befahl er, daß man das Gewölbe noch länger mache, ein ganzes Gebäu dazu setze und am Ende desselben einen neuen Thurm baue. Wie wenig weit man's aber mit dem brachte, steht vor Aller Augen. Denn nachdem der Herzog gar viel auf die Kirche verwendet hatte, auf einmal ließ er ab — und deshalb nannte man's am Thurm ,,beim Geld um's Eck" - obgleich ein und der Andere behaupten will, man habe den Thurm wegen Blitzesgefahr nicht höher gebaut.

Im Uebrigen erzählt man sich wegen des ersten, großen Thurmes noch etwas anderes: Als der Herzog die Baumeister bestimmte, fühlte sich der Hofbaumeister Wendel Dietrich arg gekränkt, weil er sich auch Hoffnung gemacht hatte. Er sagte aber weiter nichts Böses, sondern sah sich nur zeitweise die Pläne und Aufrisse an und ganz besonders hatte er Acht, als es an den Thurm ging. Als er nun sah, wie dick er werden solle, weiters auch die Fundamente in Augenschein nahm, plagte er einmal in seinem verhaltenen, gutmüthigen Zorn heraus und sagte auf eine Frage des Herzogs : „ich sag' nur so viel wann sie den Thurm nicht dicker bauen und das Fundament nicht bessern, fallt er uns sammtlich auf die löbliden Köpfe!“ Das ward begreiflich bald bekannt. Denn der Herzog fragte die Baumeister, Die zogen auf den Wendel Dietrich los und machten dem Wilhelmus die Hölle so heiß, daß er dem Wendel sagen ließ: „Er solle doch mit seinem Gerede schweigen und seinen Tadel für sich behalten, und das bei seiner Ungnade!" Dieß strenge Wort ließen sie dem Wendel fühlen und bauten fort und fort, er aber sagte nichts weiter, und wenn ihn Der oder Jener scherzweise fragte: „ Nun, Meister Wendel, fallt der Thurm bald ein?" antwortete er: „Schweigt, sonſt trifft Euch des Herzogs Ungnade!"

Wie nun seiner Zeit der Thurm fertig war, und die Leute viel und oft herumstanden und ihn anschauten, stand der Wendel Dietrich zuweilen auch dabei und scherte sich nicht viel um eine freundliche Spottrede.

Als er aber wieder einmal, die Hände auf dem Rücken, so da stand, kam der Herzog mit sammt den Baumeistern daher, ohne daß es der Wendel merkte, bis ihm der Herzog leicht mit der Hand auf die Schulter schlug und sagte: „Ei nun Wendel, was ist's denn mit meinem Thurm? Da steht er ja. Es bedünkt uns, er fallt dennoch nicht ein?"

Sagte der Wendel, den Hut lüpfend: ,,Heut' noch nicht. Erst muß das Rißlein dort oben zum Riß werden. Gott erhalte Euch, Herr Herzog!" Mit dem sah er noch einmal zum Thurm hinauf und ging seiner Wege.

Sagte der Gundlfinger: ,,Hoher Herr, er wird immer kecker, und was schwatzt er da von Rißlein und Riß!"

Wie nun der Herzog mit sammt den Baumeistern, den Weltlichen und den Patribus hinaufschaute, und die anderen Leute mit ihnen, sahen sie mit einemmale einen kleinen Riß, und sagte der Herzog : „Das ist nicht gut, Gundlfinger, am Ende hätte der Wendel doch recht gehabt!"

In Kurzem, eh' der Tag verstrich, ward der kleine Riß stets größer, und nächsten Abend sagte männiglich in der Stad: „Wann das morgen wieder anhält, falt der Thurm halt doch um!" Dazu kamen noch andere böse Anzeichen, also ward die ganze lobesame Stadt aufs mehrste aufgeregt, alle mögliche Vorsicht gebraucht, daß kein zu großer Schaden geschehe, und, übereins brach dann das ganze Thurmgebäu zusammen da gab's ein Gekrach und Gepolter, daß man's bis Dachau hörte, wenn nicht noch weiter, den St. Michael hatte man aber mit viel Müh' vom Thurmdach gehoben und ſalvirt, heißt es.

Da waren der Gundifinger und die Patres, der Hiendl und der welsche Valerianus, eben nicht auf das froheste gestimmt. Der Herzog Wilhelmus aber ließ sie Alle mitsammt dem Wendel kommen, wusch ihnen ,,mit ersichtlicher Mißbilligung und hervorschauend arger Malkontenz, auch keineswegs großgünstigen Worten“ die Köpfe, weltlich und geistlich; dann wandte er sich zum Wendel und sagte: ,,Wenn Ihr von Anfangs so gewiß und sicher gewußt habt, daß der Thurm einfalle, was habt Ihr dann nicht mehr Lärm gethan? Ich hätte gute Lust und entzőg' Euch fürwahr meine Gnade!"

Sagte der Wendel Dietrich: „Ja, was Gnade, hoher Herr, da wußt Einer nimmer, wo aus und wo an. Erst verlor ich sie schier, weil ich etwas sagte, und jeßt verlör ich sie wieder, weil ich nichts und nicht genug sagte — in der gotteslästerlichen Welt kann's Einer nie recht machen! Alle tiefste Obedienz, aber seid mir gnädig oder nicht, hättet Ihr mich genommen, wär's so weit nicht gekommen!"

Sagte der Gundifinger: ,,Aber heut' ist er so ganz keck, daß sich ja Alles aufhält - laßt ihn doch einsperren, hoher Herr!"

Sagte der Herzog: ,,Wär' wohl recht! Wenn ich Einen zum Carcer condemnirte, wär's keineswegs der Wendel Dietrich, sondern Ihr, denn Ihr Bautet schlecht, und das habt Ihr selbst erwiesen. Dafür sollt ihr auf's Neue bauen, er aber soll Euch auf die Finger schauen, ich geb' ihm für zurück meine Gunst, Euch aber den Teu — Gott verzeih' mir — den Deut für Eure Kunst!"

Weil nun die St. Michaelskirche ein garso treffliches Gottesgebäude ist, mag wohl Mancher noch einiges davon vernehmen, sonderlich etwa von der Einweihung. Die ging vorsich am 6. Juli 1597 und zwar in Gegenwart einer großen Zahl von Fürsten und sonst vor nehmer Leute. Die weiß man noch Alle; es waren aber anwesend:
Der Weihbischof von Freiſing, Bartholomäus,
der Kirchstifter, Herzog Wilhelmus der Fünfte,
dessen Gemalin, die Herzogin Renata von Lothringen,
der Churprinz Marimilian,
dessen Gemalin Elisabeth von Lothringen,
des Kirchſstifters Bruder, Herzog Ferdinand,
der Cardinal und Bschof zu Regensburg, Philippus, und
der Coadjutor des Erzbischofes und Churfürsten von Cöln, Ferdinand, Beide Söhne des Kirchstifters,
der andere Sohn desselben, Albertus,
des Kirchstifters Töchter, Maria Anna und Eleonora Magdalena, dessen Schwestern Maria Maximiliana und Maria, Wittwe des Erzherzogs Carl von Oestreich, sämmtlich junger Herrschaft, als da war:
der Erzherzog Ferdinand, der später römischer Kaiser ward,
der Deutſsch- Ordens - Großmeiser Leopold,
der Bischof von Passau und Brixen, Carolus,
die fünf jungen Erzherzoginen, Maximiliana , Eleonora, Margaretha, Conxtantia und Magdalena, weiters
der Landgraf von Leuchtenberg, Georg Ludwig und noch viele andere hochansehnliche Herren und Frauen.

Die Predigt hielt der Cardinal Herzog Philipp, nach der Einweihung war in allen Sälen, Gängen und im Garten des Jesuitenklosters ein herrliches Traktament für 1700 Personen, am kommenden Freitag aber führten die Jesuitenschüler an der Kirche, neunhundert an der Zahl, eine ungemein erhebende Comödia auf, nemlich den Streit des Erzengels Michael mit dem Teufels-Großfürsten Lucifer. Die Musik dazu war vom neuernannten Chordirektor bei St. Michael, seines Namens Georg Victorin, der im Componiren für einen äußerst scharfen Kopf galt und es beim Teufelssturz ſonderlich bewährte. ,,Im Ganzen aber," schreibt Einer, „ bezauberten die raristen Erfindungen und lebhaftesten Vorstellungen, die schön gemahlten Ceänen und kunstreichen Maschinen, die kostbaristen Kleidungen, die Anzahl und Geſschicklichkeit der Actorum Sinn und Augen derer Zuschauer so fast, daß ihnen die achtstündige Zeit, denn so lang dauerte das Schauspil, allzukurz vorkame."

So viel von Einweihung der Kirche zu St. Michael. Was nun die Gruft von St. Michael betrifft, so liegen dort eine gute Zahl fürstlicher Persone ; insonderheit aber aus älteren Zeiten der Stifter Wilhelm V. und seine Gemalin Renata von Lothringen - und sein Sohn, der große Churfürst Maximilian mit seinen zwei Gemahlinnen Elisabeth von Lothringen und Anna von Oestreich.

Damit ist es aber nicht zu Ende.
Denn anbelangend das Jesuitenkloster selbst, geht die Sage: ,,Es liege dort irgend in der Nähe einer Treppe ein großer Schatz verborgen, welchen die Jesuiten eingraben ließen, kurz eh' sie das Kloster verlassen mußten. Hierüber habe nemlich ein Maurer, ehe er das Zeitliche segnete, ausgesagt, und es sei dabei klar und offen geworden: Man sei Nachts zu ihm gekommen, habe ihm die Augen verhüllt und ihn auf verschiedenen Wegen hin und her an einen Ort geführt, an welchem er mehrere Schränke und Kisten eingemauert habe, und zwar, wie aus Allem hervorgegangen sei, in der Nähe einer Treppe. Daß er sich aber im Jesuitenkloster befände, sei ihm beim Herausführen aus etlichen Dingen kund geworben, besonders aber dadurch, daß er mit seinem rechten Fuß an eine lockere Bodenplatte stieß. Er sei auch am nächsten Tage durch die Klostergänge gegangen und habe an einem voraus erwogenen Orte die lose Kelheimerplatte wirklich entdeckt. All dem und mehr Anderem zu Folge, sei ihm kein Zweifel geblieben, er habe aber geschwiegen — für's Erste, weil er den Patribus wohl geneigt und noch über dieß, weil ihm für lange Zeit hinaus ein Schweigeseid abgenommen worden sei."

Weil nun Einer vor seinem Tode nicht leicht lügt, wird sich die Sache wohl richtig verhalten, und der Schatz noch immer im Kloster liegen. Es fragt sich nur, an welcher Stiege - und ist nur zu wünschen, daß ihn der Rechte möge finden – der könnte mit dem Schatz viel Ungemach erwinden.

 

 


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