Veranstaltungen - Geschichte - Kunst & Denkmal
Raff - So lang der alte Peter...
III. Abteilung
Die schmerzhafte Kapelle und das
Kapuzinerkloster
Draußen vor dem Sendlingertor stand ein kleines Häusl, fast so
gemieden, wie das Scharfrichterhaus: das Prech- oder Pesthäusl. Die
Aussätzigen pflegten von hier aus, wie in der Nähe der Leprosenhäuser
in Schwabing und am Gafteig ihre hölzernen Pritscheln zu rühren
und milde Gaben von den durchs Tor Ein- und Ausgehenden zu er-
betteln. Während der häufigen Pestzeiten hauste hier der „Prechbader"
und der „Pestraucher", die alle ankommenden Briefe, Pakete, Waren,
Gelder, kurz was da immer einlief, in Essig durchräucherten. Schon
seit den Tagen Herzog Albrecht IV. stand in dieser düsteren Umgebung
ein Bild des leidenden Heilandes mit Schutzdach, das unter Wil-
helm IV. (1540) zu einer wirklichen Paffionskapelle vergrößert ward.
Während des dreißigjährigen Krieges jedoch, als die Befestigungs-
werke Münchens erweitert wurden, fiel die Kapelle dieser Erweiterung
zum Opfer.
Mittlerweile war der „fertere" (äußere) Freithof vor dem Send-
lingertor entstanden, in dem anfänglich, außer den Opfern der Pest,
meist Fremde und Selbstmörder bestattet wurden. Südlich von ihm er-
richtete andächtiger Sinn eine Martersäule und später ein Kapellchen,
wieder mit dem Leidensbilde des Heilandes. Die Opfergaben, die der
kleinen Kapelle zufloffen, mehrten sich mit den Jahren, ebenso wie
die Anwohner der „Gmain auf dem Obern Lehel" an Zahl zunahmen,
sodaß der Bau eines eigenen Gotteshauses für sie gerecht und billig
erschien. Im Jahre 1702 ward die bisherige Paffionskapelle abge-
brochen und eine größere Rotunde mit dem Namen „Schmerzhafte
Kapelle" erbaut, in der das Bild des Gekreuzigten, das in jener ver-
ehrt worden, wiederum zur Aufstellung kam. —
Hundert Jahre, ehe diese Paffionskapelle konsekriert wurde, hatte
bereits Kurfürst Maximilian I. dem zu Ende des sechzehnten Jahrhun-
derts gegründeten Orden der Kapuziner ein Kloster errichtet, zunächst
der Herzog Marburg, das erste in Bayern. Der jüngste Zweig des se-
raphischen Ordensftammes brachte es bald zu großer Beliebtheit. Her-
zog Wilhelm V. begab sich von der Herzog Maxburg häufig zu den
Gottesdiensten und Andachten ins Kloster hinüber. Das Volk strömte
zahlreich zu; als der Kapuziner Remigius von Pozolo im Gerüche der
Heiligkeit starb, drängte sich die Menge, den Leichnam mit ihren Rosen-
kränzen zu berühren. Gegen Beschuldigungen, die von geistlicher Seite
erhoben wurden, weil die Kapuziner geweihte Kräuter und Wurzeln
als Amulette verteilt hätten und dergleichen, nahm Kurfürst Maximi-
lian selbst sie in Schutz und half ihrer Sache zum Siege. Er vergabte
der Klosterkirche unter anderen Stiftungen eines der schönsten Werke
seines Hofmalers Peter Candid, die „heilige Sippe". Eine ganz im
Renaiffancegeist empfundene „8anta conversazione“, darstellend Ma-
ria mit dem Kinde, mit St. Josef, Sankta Elisabeth und dem kleinen
Johannes; Maximilian hatte dem Künstler das Bild bestellt. Der
Eindruck des Bildes, das den Altar in der einen der zwei Grüfte der
Klosterkirche zierte, war ein so wundersamer, daß eö für wundertätig
galt; viele Andächtige wallten, namentlich um die Fronleichnamszeit,
durch den sogenannten Kapuzinergraben (vom HimbselhauS bis zum
Neutor) dorthin. Der zu Anfang des siebzehnten Jahrhunderts im Klo-
ster weilende, später feierlich heilig gesprochene Pater Lorenz von Brin-
disi las öfters vor diesem Bilde die Messe und fiel dabei zuweilen in
Verzückung, sodaß er mehrere Stunden bis zur Vollendung des Opfers
brauchte. Dies hielt den Kurfürsten, damals noch Herzog Maximilian I.
aber nicht ab, ihm häufig zu ministrieren. Der Ergriffenheit vom
Anblick des GruftbildeS wurde späterhin (1706) der Übertritt des mit
einer verwitweten Gräfin Arco vermählten schwedischen Generals Horn
zugeschrieben. Eine besondere Anziehung für Blumenfreunde besaß der
Klostergarten, der stets mit den schönsten Blumen prangte. Im Garten
wurden auch die wenigen Gestorbenen bestattet, die, einer ansteckenden
Krankheit erlegen, in den Grüften deshalb nicht beigesetzt wurden.
Unter den Vielen, denen die Kirchengruft die letzte Ruhestatt bot, be-
* 95 *
* 94 *
fanden sich zwei durch die französische Revolution vertriebene fran-
zösische Bischöfe: Franz v. Bonnat, Bischof von Clermont und der
Bischof von Lisieux, JuleS-Basile Ferron de la FerronayS, der in ei-
nem Hause der PrannerSgasie zu München starb. „Mortuus ex diae*
cesi et patria exul. Gestorben als Verbannter, fern von Herde und
Heimat," sagte das Totenbuch von ihm.
Nach etwas mehr als zweihundert Jahren des Bestehens — fast
während dieses ganzen Zeitraumes waren die Kapuziner als eifrige
Prediger an der St. PeterSkirche tätig gewesen — traf 1802 die Auf-
hebung, wie so viele Kirchen und Klöster, auch die Niederlaffung der
Kapuziner. Unter Ludwig I. jedoch, auf Betreiben mehrerer Freunde
des Ordens, vor allem des greisen, selbst dem Orden zugehörigen Bene-
fiziaten Georg Urban Zacher, ward die Neuerrichtung eines Kapuziner-
hospizes beschloffen und zwar bei der schmerzhaften Kapelle vor dem
Sendlingertor, nahe dem äußeren Friedhof. Die Kapelle ward in
vergrößerter Gestalt dem Kloster als Kirche angegliedert; doch erwies
sie sich in die Länge noch zu klein, um so mehr als nun ein so volkreicher
Stadtteil des neuen München sie umgab. 1893 — 95 mußte zum Bau
einer geräumigen Kirche geschritten werden, die in schöner, würdiger
Einfachheit das Ganze erst baulich abschloß und dem hl. Antonius ge-
weiht wurde.
Einmal noch erstand das alte Heim des Ordens vor jedermanns
Augen: als im Juni 1896 bei Erdarbeiten auf dem Maximiliansplatz,
heutigen Lenbachplatz, die vormalige Kapuzinergruft aufgedeckt wurde.
Unter dem Andrang einer großen Menschenmenge wurden über 200
Leichen ans Licht gefördert; Mitglieder des, von der Aufdeckung als-
bald verständigten, Kapuzinerkonvents halfen die Gebeine ihrer toten
Mitbrüder sammeln. Nachdem die Toten feierlich ausgesegnet worden,
führte sie der Totenwagen, von den Patres geleitet, auf den kleinen
Friedhof der neuen Klosterkirche, zu ihrer letzten gemeinsamen Frie-
dcnSstatt.
Vom alten Friedhof „am Kreuz" und dem
südlichen Friedhof
Um die Mitte des 15. Jahrhunderts war es so weit, daß die Toten-
äcker bei den Hauptkirchen für die wachsende Einwohnerzahl nicht mehr
genügten. Da hielten die Stadtväter Umschau nach geeigneten neuen
Plätzen und wählten für die Pfarrei zu U. L. Frau einen Platz „in der
Kuh" (der heutige Salvatorplah), für die St. Peterspfarrei aber einen
am Sendlingertor, wo mehrere Straßen sich kreuzten; deshalb hieß
* 96 *
die Stelle „auf dem Kreuz" oder „am oberen Kreuze" im Gegensatz
zu dem „unteren Kreuz," dem früheren Parade-, jetzt Promenadeplah.
1478 erwarb der Magistrat ein Grundstück von der Schmalz- (jetzt
Kreuz-) Gaffe bis zur Brunnstraße, die ihren Namen davon haben
soll, daß hier in frühester Zeit, da ringsum Weideland war, ein Brun-
nen stand, an dem die Hirten ihre Herden tränkten. Durch Hinzukauf
noch weiteren Bodens ward der neue St. PeterS-GotteSacker eine
ziemlich geräumige Begräbnisstätte; 1480 begann der Bau einer
Gottesackerkirche „auf dem Kreuz", und zwar leiteten ihn die Werk-
meister der Frauenkirche, Jörg von Haslbach und Heimeran von Strau-
bing. Durch Vergleich mit den Erben Ainwich des GollierS, des kinder-
los verstorbenen Ritters, der das Allerheiligen-Kirchlein auf dem
Marktplatz erbaut hatte, ward diese ohnehin baufällige Kapelle ab-
gebrochen, und das Gollierfche Benefizium kam in die neue Aller-
heiligenkirche auf dem Kreuz. Als solche ward sie 1485 konsecriert.
Anfänglich richtete ein heftiger Widerstand der Einwohner sich
gegen die neuen Freithöfe. Den Einen fiel eS hart, daß sie nicht an der
Seite ihrer vorausgegangenen Lieben ruhen dürften; andere, die welt-
licher und selbstbewußter geartet waren, dünkten sich herabgesetzt,
fremden Landfahrern und hablosen Leuten gleichgestellt, weil sie auf den
abgelegeneren Friedhof gebettet werden sollten. Die Geistlichkeit hatte
ihre Not, die Pfarrkinder zu einer richtigen Auffasiung der Dinge zu
bringen; der Stadtrat von München erwirkte, um die neue Maßregel
dem Volke annehmlicher zu machen, im Februar 1480 eine päpstliche
Bulle, worin Alle, welche die neuen Freithöfe Münchens besuchen wür-
den, mit besonderen Abläffen begnadigt wurden. Noch in demselben
Jahre ergingen von Seilen des heiligen Stuhles formelle Verbote,
auf den alten Freithöfen fernerhin zu begraben. Damit war der Wider-
stand der Münchener gebrochen-
Ein harter und grausiger Mißbrauch, besten I. M. Forster erwähnt:
daß ein Toter, der unbezahlte Schulden hinterließ, in alter Zeit nicht
ehrlich begraben werden durfte, war seit 1329 abgeschafft. Denn da-
mals hatte der Gegenpapst Nikolaus V., der in der Reihe der recht-
mäßigen Päpste nicht aufgeführt ist, aus Pisa, wo er sich bei Kaiser
Ludwig dem Bayern aufhielt, die Verfügung erlassen, daß Jedermann,
auch der Ärmste, geistlich begraben werden müßte. Unwillkürlich drängt
sich beim Gedenken jener Härte der Anfang des weitverbreiteten Volks-
märchens vom „dankbaren Toten" unserer Erinnerung auf.
Im Jahre, da der Bau der neuen Freithofskirche begann (1480),
stiftele und erbaute der Rat von München das Stadtbruderhaus für
kranke und bresthafte Bürger, das neben die „Allerheiligenkirche auf
dem Kreuz" zu stehen kam. Die Seelsorge für die Insassen des Bruder-
7
* 97 *
Hauses lag dem Kaplan der Allerheiligenkirche ob, so lange bis das
Spital, über hundert Jahre später, eine eigene Kapelle erhielt.
Jene ersterwähnten päpstlichen Bullen verordneten noch ausdrück-
lich, daß zu Pestzeiten die Gestorbenen nur auf den neuen Freithöfen
und nirgends sonst bestattet werden dürften. Allzubald trat der Fall ein:
als die Epidemie des Jahres 1506 das Totenfeld rasch mit Grabstätten
füllte. —
Wohl schon damals bestand, südwestlich der Stadtmauer, ein Freit-
hof für Arme, Aussätzige und unbekannte Tote, der von seiner Lage den
Namen „der fertere" der äußere, hatte. Auf diesem, nur dürftig ein-
gezäunten Leichenacker erbaute Herzog Albrecht V. 1578 ein Salvator-
kirchlein. Nicht lange darnach erwarb die lateinische Congregation von
unserer lieben Frauen Verkündigung, der Herzog Wilhelm V. selbst
angehörte, eine größere Grabstätte, vermutlich mit der bestimmten Ab-
sicht, dem äußeren Friedhof das üble Ansehen, in dem er stand, zu be-
nehmen. Als, wie vorauszusehen war, auch die neuen Friedhöfe nicht
mehr genügten, ward der „fertere Freithof" der allgemeinen Benützung
übergeben; dazumal schon wurde eine neue Kirche, zu Ehren des Erzmar-
tyrers Stephan, an Stelle des baufällig gewordenen Salvatorkirch-
leins erbaut. Eine magiftratliche Verordnung vom Jahre 1789 hob
sämtliche Friedhöfe im Innern der inzwischen beträchtlich erweiterten
Stadt auf und verordnete die Überführung aller Leichen auf den am
14. April desselben Jahres benedizierten Gottesacker vor dem Send-
linger Tor. Aus dem Freithof am Kreuz wurden fünf große Wägen mit
Gebeinen hinausgefahren, auch die wertvollsten Denkmäler aus der
Umgebung der Allerheiligen-Kirche hinausverseht. Diese Kirche kam
dadurch in Vernachläsiigung und Vergesienheit: bei dem zweimaligen
Einfall der Franzosen 1796 und 1800, ward sie gesperrt, ja beim
erstenmal ward sie ihres sakralen Charakters völlig entkleidet und
diente als Brot- und Kornmagazin. Von 1804 bis 1814 stand sie ent-
weiht und verödet, bis die Umwohner sich ihrer annahmen, milde Gaben
für sie sammelten und die Erlaubnis zu ihrer Wiederherstellung erlang-
ten. Unter den Spenden, die ihr zufloffen, befand sich auch ein holz-
geschnitztes Kruzifix mit der schmerzhaften Mutter darunter; hievon
weiß die Sage zu melden, daß der gleiche Künstler (Tobias Bader),
von dem die wunderreiche Muttergottes der Herzogspitalkirche stammt,
aus dem gleichen Lindenbaum wie diese auch jenes andere, nun in der
Kreuzkirche aufbewahrte Kreuz- und Marienbild geschnitzt habe. Da-
her wird die Muttergottes der Kreuzkirche „die Schwester von der
Herzogspital-Muttergottes" genannt. —
Der Friedhof vor dem Sendlingertor, im Lauf der Jahre beträcht-
lich erweitert und verschönt, ist von da an bis 1868 der einzige Got-
teöacker Münchens, abgesehen von den Begräbnisplätzen der Vorstädte
und dem israelitischen Friedhof (angelegt 1816) gewesen. „Unser Lie-
ben Frauen und S. Peters Gottes-Acker vor dem Sentlinger Thor"
nennt ihn die Aufschrift eines alten Stiches von Joh. Stridbeck aus dem
18. Jahrhundert. Noch leidlich unverändert ist, gleich am westlichen
Eingang des alten Friedhofteiles, die 1644 erbaute kleine Stefanö-
kirche. Sie war vordem der Mittelpunkt einer alten Münchener Sitte.
Am Tage des ErzmärtyrerS Stephan (26. Dezember) nämlich wur-
den sowohl die feinen Vollblutpferde wie die derben Arbeitsgäule
von ihren Besitzern oder deren Bediensteten um die Kirche herum-
geritten, damit sie während des Jahres vor Krankheiten bewahrt blieben
und ihnen die Steine an den Hufen nicht schadeten. Natürlich fanden
zu dem schmucken Anblick, den der StephanSumritt trotz des Ernstes
der Stätte gewährte, zahlreiche Zuschauer sich ein.
An der Mauer des StephanskirchleinS grüßt die Besucher der Na-
me eines den Münchnern durch seine Werke Wohlbekannten. Denn
dort befindet sich der Grabstein des Hofbildhauers Roman Anton BooS,
von deffen Hand die „Taten des Herkules" unter den Hofgarten-
Arkaden, die vier Statuen an der Fassade der Theatinerkirche und ver-
schiedene Bildwerke im Nymphenburger Park herrühren. — Freilich:
je tiefer es in das Totenfeld hineingeht, desto größer wird die Zahl
Derer, die ein unsterbliches Gedenken in München hinterlaffen haben.
Die meisten Schöpfer des geistigen und baulichen München aus der
Zeit seiner ersten Könige ruhen hier, zumal in den steinernen Arkaden
des Campo santo, deffen Erbauer Friedrich v. Gärtner selbst darin be-
graben liegt. Aber nicht nur stolze und erhebende Erinnerungen be-
wahrt der Friedhof. Er birgt auch die zwei Massengräber der „in der
großen Sterb" des Jahres 1634 Hingerafften, zusammen etwa zwölf-
hundert. Desgleichen ist hier die Grabstätte der „bey 800 unterschied-
liche Burger und Bauersleut, so umb Sendlingen und die Stadt
München den 25. December Anno 1705 an den St. Weihnächt Tag
von den Kaiserlichen und dero Allierten Treppen seind nidergemacht
und theils in den Spitelern und Clöstern gestorben, Denen Gott gnedig
sein wolle." Im Jahre 1831 wurden ihre Reste unter dem bisherigen
schmucklosen Hügel erhoben und an die Stelle übertragen, die nun das
von Gärtner entworfene, von Stiglmayer gegossene Denkmal in Form
eines Weihwasserbeckens ziert. Um dem Denkmal Platz zu machen, ward
die ohnehin baufällige Kapelle der Lateinischen Kongregation, von der
zu Anfang die Rede gewesen, abgebrochen.
* 99 *
* 98 *
Hundskugel zu München
Lange erhielt sich das Gedächtnis des lustigen Bildes, das an der
Mauer des Hauses Nr. 2 in dem „Hundskugel" genannten Gäßchen
zu sehen war. Das Bild stellte eine im Grünen stehende Kegelbahn vor,
auf der eine muntere Schar von Hunden sich mit Kegelscheiben belu-
stigte. Andere Hunde sahen ihnen zu und hielten dabei in den Pratzen
einen Teller mit Würsten, von denen sie herzhaft herunter biffen. Man
war sich deshalb nicht einig, ob der Name „Hundskugel" nicht viel-
mehr „Hundskuchel" lauten müßte, nämlich Hundeküche; hinwieder
wird erzählt, daß vereinst eine Kugel von etlichen Hunden durch das
Neuhausertor die Gasse herabgerollt und an einem Haus niedergelegt
worden fei.
Unter dem Gemälde stand ein alter Reim, der hieß also:
Bis diese neun Kegel umscheiben die Hund',
Können wir heilen noch manche Stund'
Hundsfottbad armer Leut.
Dieser Vers soll sich auf die an dem Hause haftende Badergerecht-
same bezogen haben. Auch ist in einem Saalbuch der Stadt München
von 1440 die Rede von dem „HundSfutbad samt Garten", das sich
allhier befunden.
Als das FreSkogemälde zugrunde gegangen war, verfertigte der in
der Nachbarschaft wohnende Bildhauer Roman Boos ein Holzrelief,
auf dem die Hunde nicht mehr auf der Kegelbahn, sondern jener andern
Lesart gemäß, mit der Kugel scherzend vorgestellt wurden. Dieses Holz-
relief wurde, als auch das Baderhaus nicht mehr bestand, an dem Eck-
hause der „Hundskugel" benannten Straße angebracht.
Sankt Jakob am Anger
Ein Anger, eine freie Wiese, war noch im dreizehnten Jahrhun-
dert da, wo heute der Jakoböplatz, wie auch die Straßen Ober- und
Unteranger sind. Die Sage meldet, daß schon sehr früh auf dem Anger
eine Säule unter einem kleinen Schutzdach geragt habe, die das
Bildnis des heil. Jakobus mit dem Pilgerftabe trug. Wer kennt nicht
die schöne Legende von den Jakobsbrüdern, die zum Grabe des Heiligen
gen Kompostella wallfahrten, denen ein räuberischer Wirt Gut und Le-
ben zu nehmen trachtet, und die der hl. Apostel wunderbar erhält, den
Vater wie den Sohn. So mag der Schirmherr der Pilger und Rei-
senden auch vor Zeiten hier gestanden, den nach München Einwandern-
den Gruß und Segen entboten haben. Aus der Bildsäule ward
eine Feldkapelle, die schon stand, als die ersten Franziskaner sich
in Deutschland seßhaft machten, und der Franziskanerpater Castinus
mit einigen Ordensbrüdern nach München zog. Ein geringes Haus
außerhalb der Stadt ward ihnen eingeräumt; als die Zahl der Mön-
che und der Andächtigen sich vermehrte, erhob eine größere Kirche sich
„nächst St. Jakobs Kapellen", die zuvor als Klosterkirchlein gedient
hatte, nun aber Totenkapelle wurde. Wenig über sechzig Jahre blieben
die Franziskaner auf dem Anger; dann erbaute ihnen Herzog Ludwig II.
„der Strenge" ein Kloster unweit seiner Veste, auf dem heutigen
Max Josephplatz. Die verlassene Stätte bei St. Jakob aber ward zu
einem Frauenkloster umgeschaffen; im Herbst 1284 ergriffen die Kla-
risstnnen davon Besitz und blieben von da an bis zur Aufhebung des
Klosters darin heimisch.
In der Backstube des Angerklosters entstand die große Feuersbrunst,
die 1327 den größten Teil Münchens in Asche legte und natürlich das
Kloster selbst beinahe zerstörte. Lange währte es, bis 1405, ehe der
Schaden gutgemacht war. Die öffentliche Kirche ward im 18. Jahr-
hundert zopfig umgebaut und fortan durch eine Mauer von dem alten
ursprünglichen Jakobskirchl geschieden, das nun zur Klausur gehörte.
Inmitten der äußeren Kirche stand ehemals ein uraltes großes Kru-
zifix mit der schmerzhaften Mutter darunter- Es genoß hohe Ver-
ehrung, und der Fuß der Gottesmutter wurde von den Tränen und
Küssen der Andächtigen allmählich ausgehöhlt. Vielleicht darum ward
in späterer Zeit das Bildnis außer Reichweite der Gläubigen hoch an
einen Pfeiler der Epistelseite befestigt. Von diesem Kruzifix ging die
Rede, daß der Körper des Heilandes sich darum in auffallender Weise
zur Seite neigte, weil er sich eines Tages tröstend zu einer Nonne ge-
wendet hätte, die inbrünstig betend vor ihm kniete- Bei der Neuaufstel-
lung des Kruzifixes am Kirchenpfeiler ist die Seitenwendung der Hei-
landsfigur korrigiert worden. Das Bildnis hat wirkliche Haare und im
Volksmund hieß es lange Zeit, sie wüchsen nach, wie lebendiges Haar.
* *
♦
Das lange Bestehen und die ehrwürdige Überlieferung des Ordens
bedingten von selbst, daß einzelne Schwestern durch persönliche Tugen-
den und erbanlichcn Wandel hervorragten, so beispielsweise die berühmt
gewordene Schwester Klara Hortulana (1662 — 89). Ein eigentüm-
liches Schicksal wollte es, daß nicht weniger als drei Prinzessinnen des
regierenden Hauses im Laufe der Zeit unter ganz ähnlichen Umständen
bei den Klarissinnen am Anger den Schleier nahmen.
Die erste derselben war Agnes, die Tochter Kaiser Ludwigs des
* 101 *.
* 100 *
Bayern. Im Kloster am Anger erzogen, schien sie durch Schönheit
und seelische Gaben für eine glänzende fürstliche Heirat vorbestimmt.
Dem aber war sie durchaus abgeneigt, vielmehr flüchtete sie, als sie
gewaltsam abgeholt werden sollte, zum Hochaltar der Kirche, umfing
die Monstranz und flehte zu Gott um Schutz. Da Niemand wagte,
sie dem geheiligten Asyl zu entreißen, kehrten die Boten unverrichteter
Dinge um. Agnes aber blieb im Kloster, wo sie in jungen Jahren
schon starb und auch beigesetzt ward.
Ganz ähnlich, nur inniger noch lautet die legendär ausgeschmückte
Geschichte von der Tochter Herzog Albrecht HI-, Barbara genannt. Auf
den Ruf ihrer Anmut und Tugend hätte der König von Frankreich
dem Herzog Botschaft getan und die Jungfrau Barbara zur Braut für
seinen Kronprinzen begehren lasten. Die junge Herzogin aber erklärte
standhaft, daß sie keinen Mann haben möchte, sondern auf immer dem
himmlischen Bräutigam eigen sein. Das ward ihr vom Herzog ver-
stattet, und sie nahm im Angerkloster den Schleier und diente Gott
mit ganzem Herzen und Gemüt.
Nur drei Dinge hatte sie mitgebracht von daheim: einen blühenden
Majoranftock, der am Fenster ihrer Zelle stand, einen Käfig mit meh-
reren Vöglein, deren sie fleißig pflegte und eine goldene Kette, die
hatte ihr Herr Vater ihr einst verehrt.
Da sie aber eine Zeit im Kloster war, fand sie eines Tages den Ma-
joranftock scheinbar ohne Ursache verwelkt. Des andern Tages hörten
alle Singvögelein im Käfig zu singen auf und starben rasch dahin. Eine
Woche darnach zersprang die goldene Kette, die sie unter dem Habite
trug, ihr auf der Brust. Barbara aber sprach: „Das alles geht mich
an, der Herr will mich abfordern aus der Zeitlichkeit." Sie bereitete
sich zum Tode, und einige Tage später lag sie auf der Totenbahre, im
18. Jahre ihres Lebens, da man schrieb nach unseres Herren Kunst
1442.
Vierzehn Tage nach ihrem Tode ist eine andere Ordensschwester,
gleichfalls Barbara geheißen, ihr in die Ewigkeit nachgefolgt. Darauf
in gleicher Frist eine andere, nach Verlauf derselben Zeit wieder eine
andere, „bis endlich 20 an der Zahl, jede nach 14 Tagen, als unschul-
dige Tauben ihr nach in den Himmel geflogen sind." Als zweihundert
Jahre später der große Stein, unter dem Schön Barbara in der
Klosterkirche begraben lag, etwas zur Seite gerückt worden, hätte ein
angenehmer himmlischer Geruch, der aus der Gruft emporstieg, alle An-
wesenden mit Erstaunen erfüllt.
Noch einmal wiederholte sich ein ähnliches Geschick: an der Prinzessin
Maria Anna Karolina, die das älteste Kind aus Max Emanuels
zweiter Ehe war. Auch sie war zur Königin bestimmt, schlug jedoch die
Hand Philipp V. von Spanien aus, und trat in das Angerklofter,
wo sie den Namen Emanuela Theresia a corde Jesu empfing. Nur
ward sie nicht so früh, wie ihre beiden verwandten Vorgängerinnen
abgerufen, sondern brachte bis zu ihrem Ende 31 Jahre gottselig im
Kloster zu.
Bei der Aufhebung des Klosters im Jahre 1803 wurden die Ge-
beine der drei fürstlichen Nonnen gemeinsam in einen kleinen Zinnsarg
gesammelt und in der Fürstengruft der Frauenkirche beigesetzt.
* *
★
Neben diesen geschichtlich überlieferten Frauenleben gehen auch
Wunderlegenden her, die sich an solche alte Stätten der Andacht so
gerne knüpfen. So gehört das Angerklofter zu den Klöstern, mit denen
die schöne Legende von der heiligen Jungfrau als Pförtnerin in Ver-
bindung gebracht wird. Ursprünglich in der goldenen Legende des Ja-
kobus a Voragine enthalten, hat sie ihre bekannteste dichterische Ge-
staltung empfangen durch Gottfried Keller in seiner Erzählung: „Die
Jungfrau als Nonne", außerdem durch den Belgier Maeterlinck in
dem dramatischen Gedicht: „Schwester Beatrix". Der wundersame
Hergang lautet also:
Eine junge Nonne von schöner Gestalt, Beatrix mit Namen, hatte
Gott und der Himmelsherrin mit Andacht und Treue gedient, als sie
plötzlich von großer Sehnsucht nach der Welt und ihren Freuden er-
faßt ward. Sie kämpfte dawider eine geraume Zeit; endlich, da sie es
nimmer aushalten konnte, ging sie nächtlicherweile in die Kirche, trat
vor das Bild der Muttergottes und sprach: „O meine himmlische
Frau und Mutter, verzeihe mir, daß ich dir fürder nimmer dienen
kann; mich verlangt allzusehr nach der Welt. Nimm die Schlüffel, die
ich bisher geführt" — denn sie war die Pförtnerin des Klosters —
„und hüte ihrer an meiner Statt!" Darauf schlich sie leise davon
und verließ das Kloster, ohne daß Jemand es gewahrte. Manches Jahr
blieb sie draußen in der Welt und genoß viele Freuden, aber sie erfuhr
auch viel Böses und Bitteres, und das Herz ward ihr allgemach schwer
von Leid. Da hatte sie große Reue, daß sie jemals aus ihrem Kloster
gegangen war und gedachte, sie wollte zurückkehren und in Demut ihre
Sünden büßen. Also kam sie müde und traurig dort an und begegnete
zuerst einer Nonne, die erkannte sie nicht; da fragte Beatrix zaghaft,
ob sie nicht wüßte von einer Schwester Beatrix, die ehemals hier
Pförtnerin gewesen wäre? Ja, sprach die Nonne, die wäre noch da
und wäre eine fromme, schier heiligmäßige Schwester, von Allen sehr
geliebet. Das Wort konnte die Heimgekehrte nicht fasten. Sie wandte
sich und saß draußen nieder, weinend und ratlos. Da erschien ihr die
* 103 *
* 102 *
heilige Jungfrau und sprach zu ihr mildiglich: „Tochter, nun nimm
dein Gewand und die Schlüssel; die hab' ich statt deiner bis heute be-
wahrt und weiß Niemand, daß du fort gewesen. Tu' Buße und diene
mir künftig getreu!" Damit entschwand sie. Die Schwester aber fiel
auf ihre Knie nieder und pries das Wunder, das die Gnade der
Himmelskönigin an ihr getan. Als sie dann in das Kloster zurückging,
gebarten die Anderen ganz wie wenn sie nie vom Orte gewichen wäre.
Da lebte sie dann noch manches Jahr und büßte ihre Sünde und diente
Gott mit Andacht und Kasteiung bis an ihren Tod. —
Das Angerkloster, 1803 ausgehoben, ist seit den 40 er Jahren vo-
rigen Jahrhunderts das Mutterhaus des Ordens der armen Schul-
schwestern, die sich hauptsächlich mit der Bildung der weiblichen Jugend
beschäftigen.
Das Münchner Gnadenjahr
Mit dem ersten Münchner Gnadenjahr Anno 1392 hatte es fol-
gende Bewandtnis.
Die kostbaren heiligen Reliquien des Berges Andechs waren in
Kriegszeiten verborgen worden und ihr Versteck Niemand mehr kund.
Im Jahre 1388 wurden sie wiedergefunden und zwar durch den
Schloßkaplan Jakob Dachauer, der, während er Messe las, gesehen
haben soll, wie eine Maus aus ihrem Loche schlüpfte und einen Zettel
im Schnäuzlein trug, den sie am Altar fallen ließ und auf dem das
Verzeichnis der Heiligtümer stand. Diese wurden nun ans Tageslicht
gefördert und sollten alsbald der öffentlichen Verehrung ausgesetzt wer-
den. Weil aber die Klosterkirche zu Andechs für die Menge der An-
dächtigen zu klein war, gedachte Herzog Stephan der Kneißel, der
das Jubeljahr in Rom mitgefeiert hatte, nach dessen Vorbild ein gro-
ßes kirchliches Fest in München zu begehen. Er wandte sich an Papst
Bonifaz IX.; der willfahrte der Bitte des Herzogs und gewährte allen
denen, die in München in einem beliebigen Jahre mit besonderer Büß-
fertigkeit der Vorzeigung der Reliquien beiwohnen würden, vollkomme-
nen Ablaß. Vom 14. April, nämlich von Ostern bis nach Jakobi des
Jahres 1392 ward also mit päpstlicher Bewilligung das sogenannte
Münchner Gnadenjahr gefeiert. Die Heiligtümer wurden feierlich in
das Kloster zu St. Jakob am Anger in München verbracht und drei-
mal wöchentlich gezeigt. In jeder Woche — so heißt es — strömten
etwa 60,000 Menschen hinzu; an manchen Tagen betrug die Zahl der
anwesenden Fremden 40,000. Herzog Stephan selbst erließ Einla-
dungsschreiben an die Nachbarftädte, worin er den Besuchern freies
Geleit zusicherte; „und seine Maßnahmen waren so wohl getroffen,
daß während des Festes der allerbeste Friede in Bayern herrschte, die
Pilger um Mitternacht so sicher wanderten, wie zu Mittag und Nie-
manden ein Leid geschah." Von der Stadt war eine besondere Schüt-
zenschar ausgestellt, um über Ruhe und Ordnung unter den Pilgern zu
wachen. In den Kirchen saßen Tag für Tag dreißig Beichtväter be-
reit, die Bekenntnisse der Pilger zu empfangen; besondere Bedingungen
des Ablasses waren: ein Aufenthalt von sieben Tagen, der Besuch der
Kirchen Unserer Lieben Frau, St. Peter, St. Jakob am Anger und
zum Hl. Geist, sowie ein Geldopfer, das in jeder derselben zu hinter-
lassen war. Nach Angabe eines zeitgenössischen Geschichtsschreibers
ward von Pfingsten bis Jakobi täglich ein Augsburger Metzen voll
Regensburger Münze geopfert. Die Hälfte des Geldes hatte der päpst-
liche Stuhl sich Vorbehalten; als jedoch ein päpstlicher Bote das Geld
verlangte, verweigerte die Stadt die Herausgabe und ließ es auf ein
Mahnschreiben des Papstes ankommen.
Der Ansicht, daß von dem Ablaß des Jahres 1392 (Jndultus) die
Jakobidult in München sich abgeleitet hätte, stehen Nachweise gegen-
über, daß schon viel früher vor der St. Jakobskirche am Anger eine
Dult stattgefunden hatte. Seit langer Zeit ist übrigens diese Dult in
die Vorstadt Au verlegt, wo auch die Georgidult im Frühjahr und
die Michaelidult im Herbst sich abspielen und zu Füßen der Maria-
hilfkirche wie in den angrenzenden Straßen eine lebhafte, jedoch durch-
aus weltliche Handelschaft mit allen möglichen Dingen betrieben wird.
Dagegen erfolgte eine Art Wiederholung des Gnadenjahres zur
Zeit, als die Liebfrauenkirche zwar im Rohbau vollendet war, zu ihrer
würdigen inneren Ausgestaltung aber die Mittel gebrachen. Damals
erlangte Herzog Albrecht IV. vom Papste Sixtus IV. eine Bulle
auf drei Jahre; laut dieser konnte Jeder, der zum Ausbau der neuen
Kirche soviel an Geld oder Geldeswert steuerte, als er eine Woche hin-
durch zu seinem Lebensunterhalte brauchte, nach Empfang der hl.
Sakramente vom Sonntag Lätare bis zum Sonntag Judica einen
vollkommenen Ablaß gewinnen. Von den Opferspenden sollten zwei
Drittel zum Kirchenbau, ein Drittel zum Krieg wider die Türken
verwendet werden.
„Item" — so erzählt der Stadtschreiber Kirchmair — „die Truhen
ward gesetzt auf den Chor vor des Kaisers Altar, darein man das Geld
legte und wurden dazu gefetzt zwei Priester und zwei vom äußern Rat.
Item wurden auch Zeichen — (Ablaßpfennige oder Medaillen) — ge-
ben unter den zween vorderen Kirchthüren — Item es wurden auch
zweihundert und fiebenzig Beichtiger von Menge wegen des Volkes
am ersten gesetzt und darnach nit viel minder." — Einer ward bestellt,
* 105 *
* 104 *
das Gewand der Büßer zu hüten, während sie beichteten; zwei Mann
aus jedem Handwerk wurden geordnet, d«n Leuten Herberge zu beschaffen.
Die Beichtbriefe waren immer so rasch vergriffen, daß „ein Melbler
oft um Brief gen AugSpurg laufen mußte, wo diese gedruckt wurden."
Die Straßen wurden gesichert; eigene Boten verkündeten die Gnade in
den umliegenden Städten und Gerichten. Die Zahl der binnen den
drei Jahren herbeigeftrömten Fremden soll sich auf 123 700 belaufen
haben. Die Zählung geschah, indem, wie Kirchmaier berichtet, „der
Rat unter den vier Toren besondere Leute hatte und wer da hereinzog
in die Gnad, als viel Erbsen legte man allweg in einen Hafen und
zählte sie dann zur Nacht eigentlich ah." — Hoffen wir, daß bei der
Erbsenzählung keine Irrtümer unterlaufen sind!
In dem ersten Gnadenjahr und dem ihm nachfolgenden ist der An-
fang der Feste zu erblicken, welche seitdem in München die Anziehung
für den alljährlichen Zudrang der Fremden geworden sind. Der An-
schauung des Mittelalters entsprechend war es damals ein geistliches
Fest; inzwischen, dem Zeitgciste angepaßt, sind Bühnenspiele, Kunst-
und GewerbeauSftellungen, Volkstrachtenfeste, Schützen-, Turner- und
Sängerfeste darauf gefolgt. Tempora mutantur. Aber für Unterkunft
und Wohlbefinden herbeigeströmter Mcnfchenmaffen zu sorgen und zu
machen, daß der Fremde am Jsarftrand sich alsbald heimisch fühlt,
das versteht die bayerische Hauptstadt heute so gut, wie im Gnadenjahr.
Vom Münchner Bier
Das ist aller Welt bekannt, daß seit früher Zeit zu München ein
gutes Bier gebraut und getrunken ward. Schon unter Herzog Lud-
wig H. (dem „Strengen") bestand dahier ein fürstliches Bräuhaus,
und wer von anderen Bräuern in des Herzog Bräuhaus brauen
wollte, dem ward das Gerstenmalz dazu-aus des Herzogs Kasten ge-
reicht. Doch verstandens die Münchner noch nicht so wohl, wie heute,
denn sie wußten es nicht anders, als durch die warme Gährung herzu-
stellen, da dann das Bier leicht umstand, auch etwas läpperig und fade
von Geschmack war. Es ward aus Gerste, in rauheren und ärmeren
Gegenden auch aus Haber gebraut, sah rötlich aus und hieß deshalb
rotes Bier. Es muß schon viel Getreide verbraut worden sein; denn
als im Jahre 1293 eine Mißernte war und das Getreide gar teuer
ward, geboten die Herzöge Ludwig und Otto, daß ein ganzes Jahr lang
kein Bier gebraut werden sollte. Auch ward für das Brauen eine
jährliche Abgabe erhoben.
Ludwig der Strenge, unter dem die älteste urkundliche Bräuordnung
* 106 *
entstand, verlieh dem Hl. Geist-Spital im Jahre 1286 die Brauge-
rechtigkeit; und die Herzöge Rudolf und Ludwig erteilten im Jahre
1306 den Klariffinnen auf dem Anger die Erlaubnis, ihren Hauötrunk
selbst brauen zu dürfen. Im Jahre 1318 kommt bereits urkundlich
ein Bürger mit Namen Heinrich Preumeister vor, woraus auf einen
längeren Betrieb solchen Gewerbes in dieser Familie zu schließen ist.
Im 14. und 15. Jahrhundert gab es zu München zweierlei Bier,
ein beffereS und ein geringeres. Das bessere Bier trug den Namen
Greußing und kostete der Eimer 40 Pfennig, während der Eimer ge-
wöhnlichen Bieres nur 30 Pfennige galt. Die ersten Verbesserungen
im Bierbrauwesen sollen aus den Klöstern, von denen die meisten eigene
Braugerechtigkeit besaßen, herstammen. Die hauptsächlichste Verbes-
serung war im 15. Jahrhundert die Erfindung der kalten Gährung,
wodurch das Bier kräftiger, geschmackvoller und haltbarer wurde. Doch
setzte der neue Brauch erst nach und nach, nicht ohne Widerspruch und
Widerstand, sich durch.
Eine ausführliche Bräuordnung des Stadtmagiftrats München vom
Jahre 1420 schärft den Bräuern ein, kein Bier auszuschenken, eS
habe denn zuvor über sich wohl verzehren und nicht unter sich. Vor
8 Tagen durfte kein Bier ausgeschenkt werden. Das Bier geringer ein-
zusieden als die Taxe betrug, oder eS mit schädlichen oder fremden Zu-
taten zu vermengen, war gleichfalls bei strenger Strafe verboten. Ein
einziger Zusatz war den Bräuern erlaubt, um das Bier schmackhaft zu
machen, nämlich die gespaltene und getrocknete Benediktenwurzel: die
durften sie in ein leinenes Tuch nähen und in das gefüllte Faß legen.
Zur Aufrechterhaltung dieser Bräuordnung wurde von den Herzögen
Wilhelm und Ludwig eine Bierbeschau angeordnet, und dazu eine
eigene Kommission eingesetzt, die das Bier zur Winterszeit zweimal
wöchentlich, im Sommer aber dreimal die Woche prüfen mußte. Al-
brecht IV. hat den Gewerbeeid der Brauer eingeführt. Auch auf rich-
tiges Gemäße ward gesehen; denn die vorerwähnte Bräuordnung vom
Jahre 1420 gebietet den Bräuern: „daß sie alle ihre Kandeln bringen
sollen zu dem geschworenen Zinngießer, den die Stadt gesetzt hat, und
der soll sie beschauen, ob die Nägel (die Aichzeichen) darin recht stehen,
und soll auch fürbaö nicht mehr aeschcnkt werden aus keinen Kandeln.
dann die gebrannt und gezeichnet sind mit der Stadt Zeichen."
In die erste Hälfte des 16. Jahrhunderts fällt der größte Aufschwung
des Braugewerbes. Freilich ward den Brauern vorgeworfen: ihre aufs
Zehnfache gewachsene Zahl und ihr Reichtum rührten daher, „daß sie
kein gutes, gerechtes und gesundes Bier mehr sieden." Die Trunksucht,
das damals allgemeine deutsche Laster, kam dem Bierverbrauch zu
statten — „DeS stetigen und unaufhörlichen Trinkens vor den Kellern
* 107 *
und Brauhäusern ist kein End noch Aufhörens" — tadelt noch 1613
ein fürstliches Mandat. Im Jahre 1383 wurde vom Herzog Wil-
helm V. das HofbräuhauS am Platz! gegründet, während bisher der
Bräuer Mänhart den Titel eines HofbräuerS geführt hatte. Das Vor-
recht dieses landesfürstlichen BräuhaufeS war das Brauen des weißen,
aus Böhmen eingeführten Bieres. Städte und Adel beschwerten sich
über solches Vorrecht, das den übrigen Bräuern Eintrag täte. Auch
sollte das Weißbier ungesund sein und den Preis des Weizens, hierdurch
also den des Brotes, verteuern. Neben dem Weißbier ward in großen
Mengen, zumal bei Hofe, das eingeführte braune „ainpockische Bier"
(aus der braunschweigischen Stadt Einbeck) getrunken. Durch den
guten Gewinn, den das HofbräuhauS abwarf, kam die Hofkammer auf
den Gedanken: auch dies Braunbier könnte im Lande gebraut werden.
Herzog Wilhelm V. genehmigte den Antrag; so ward in der alten
Veste an Stelle des niedergerissenen „Hennenhauses" und des „Bade-
gebäudes" ein braunes Bräuhaus erbaut. Anno 1651 wurde dieser
Bau gegen den sogenannten „Löwenhof" in der Burggasse zu erweitert.
Er steht noch bis zur Stunde: es ist das jetzige Zerwirkgewölbe in der
Lederergasse. Seit 1611 war die Einfuhr ausländischen Bieres verbo-
ten; seit 1614 wurde im HofbräuhauS braunes und zwar „einböcki-
fches" Bier — Bock! — gebraut. Von 1708 an wurde das ehemals
„weiße" HofbräuhauS zum Teil für das Brauen des braunen Bieres
mit benutzt; von 1807 an wurde es ganz für das braune Bier bestimmt
und ist seitdem das HofbräuhauS.
Worin eigentlich der Grund für die gepriesene Güte des Münchner
Biers liegt, ist schon oft erörtert worden. Es gehen doch Münchner
Braumeister in die Fremde und brauen nach Münchner Rezept, und
die Kühl- und Lagerräume werden nach Münchner Muster eingerichtet
— und doch! — „Es ist naß, aber es ist nicht das" — soll Fürst
Bismarck einmal von dem nicht in München gebrauten Bier gesagt
haben. Nach einer verbreiteten Anschauung läge das Entscheidende in
der Beschaffenheit deS Münchner Wassers. Wie dem auch sei —
Münchner Bier ist „ein ganz besonderer Saft."
Leider ist längst die einstige Weise der Münchner Bierbeschau ab-
gekommen. Damit ging eS also zu. Die Bierbeschauer, ortsüblich
„Bicrkieser" genannt, mußten bei Ausübung ihres Amtes in hirsch-
ledernen Hosen im BräuhauS erscheinen. Hier wurde ihnen eine hölzerne
Bank hingestellt, die ward über den Sitz mit ein paar Maß deS zu
prüfenden Bieres übergossen. Da hinauf setzten sich nun die Bierkieser
mit ihren hirschledernen Hosen, hatten vor sich auf dem Tisch eine
Sanduhr stehen und zechten nach dieser eine volle Stunde, ohne sich im
geringsten vom Sitze zu rühren. War endlich die Stunde abgelaufen,
* 108 *
so standen sie alle gleichzeitig auf. Wenn sie dann mit den Hosen an der
Bank kleben blieben, sodaß sie beim Aufstehen die Bank mit empor-
hoben — eine Lesart will, daß die Bank an ihnen hängen blieb, bis sie
zur Türe kamen — so war das Bier gut, kräftig und seines Geldes
wert. Wenn es aber nicht klebte, dann wurde das Bier zu leicht be-
funden und über den Bräuer Strafe verhängt. Besagter Amtsbrauch
ist längst abgeschafft, und so klebekräftig ist das Bier auch nimmer. In
jüngster Zeit schon gar nicht. Aber Leute, denen es trotzdem schmeckt,
und die einen langwierigen Durst haben, gibts genug; drum kommt's
auch heutzutage noch gar oft vor, daß einer auf der Bierbank „pappen
bleibt."
Die Münchner Sauerbacken
Anno 1322 fand auf der Vehenwiese zwischen Ampfing und Mühl-
dorf die große Schlacht statt, die Kaiser Ludwig der Bayer Friedrich
dem Schönen von Österreich abgewann. An diesem Ausgang soll der
Sage nach den Münchner Bäckern ein besonderes Verdienst zustehen.
Als der tapfere Kaiser mitten im Getümmel kämpfte, stürzte, von
Pfeilen durchbohrt, sein Pferd unter ihm und riß ihn mit zu Boden.
Da stand er in großer Gefahr, von den ihn umringenden Österreichern
gefangen zu werden. Solches ersahen die Münchner Bäckerknechte —
zum Unterschied von den Zuckerbäckern auch Sauerbäcken geheißen -
und eilten zum Beistand des Herrschers. Durch sie befreit, konnte der
Kaiser an ein anderes Pferd gelangen und zu den Seinigen rückkehren.
Zu Lohn und Angedenken solcher wackeren Tat gab Kaiser Ludwig der
Bäckerbruderschaft, die „zu der Ehr unserer Lieben Frauen gegründet
war", die Erlaubnis, auf ihrer Standarte den Reichsadler anzubrin-
gen ......„den sonst kein Handwerk führen darf, ob es gleich künst-
lich und scharf." Sie erhielten darüber einen eigenen Freibrief, zu-
gleich als kaiserliches Geschenk ein Haus im Tal zu München neben
der Hochbrücke. In diesem Bruderschaftshaus versammelten sich fortan
die Bäcker. Auch diente das Haus nicht nur als Bäckerherberge, sondern
der älteste Bäckerschießer von München, wenn er gebrechlich und ar-
beitsunfähig geworden war, fand jederzeit darin freie Unterkunft und
Verpflegung. An dem Haus war außen ein Freskogemälde angebracht,
das darstellte, wie Kaiser Ludwig den Bäckern den Freibrief übergibt.
Darunter und zu beiden Seilen stand in Reimen der Ursprung des
Hauses und was sich damit zugetragen, beschrieben. „Gott geb' dem
Kaiser das ewig Leben, wünschen all Brüder und Schwestern eben" —>
ist der fromme Schlußwunsch der Beschenkten.
* 109 *
Leider sind die Malerei und die Verse im Laufe der Zeit zugrunde
gegangen.
Eines alten Münchner Rechtsbrauches sei hier noch gedacht. Ein
Bäcker, der schlechtes oder ungewichtiges Brot lieferte, verfiel der
Strafe des „Schnellens" — d. h. er wurde mit Trommeln und
Schergengeleite ans Waffer geführt und in einem Korb, der zwischen
zwei Balken hing, in das Waffer geschleudert, jedoch gleich wieder
herausgezogen. Das geschah dreimal, wobei natürlich der Bestrafte
zum Schaden noch den Hohn der zahlreichen Zuschauer zu tragen hatte.
Der Ort der so benannten Bäckerschnelle befand sich bei der Roß-
schwemme hinter St. Peter an der südwestlichen Ecke des Viktualien-
marktes, und der Brauch bestand bis zum Jahre 18IO.
Die Wadlerbretzen
Ein ehrsamer Münchner Bürger mit Namen Burkhard der Wadler
und seine eheliche Hausfrau Heilwig Wadlerin machten im Jahre 1318
dem Heiligen Geiftspital eine Stiftung zu 63 Pfund Pfennigen; denn
das Geld wurde dazumal noch gewogen. Von dieser Gült verblieben
46 Pfund 5 Pfennige dem genannten Spital „für die Sundersiechen".
Die Stifter hatten aber auch bestimmt, daß alljährlich für 3 Pfund
Pfennige Bretzen angekauft und an die Armen ausgeteilt würden.
Davon schrieb ein Gebrauch sich her, der fast durch fünf Jahrhunderte
bestand, nämlich:
Alljährlich am I.Mai, als dem Todestag des Stifters, ritt ein
Mann mit einem großen Sack voller Bretzen um Mitternacht vom
Hl. Geistfpital aus durch die Straßen der Stadt. Das Pferd, auf dem
er ritt, mußte ein Schimmel und nur auf drei Füßen locker mit Huf-
eisen beschlagen sein. Aus seinem Sack warf der Reiter Bretzen unter
das Volk mit den Worten: „Ihr jung und alte Leut, geht's zun Hl.
Geist, wo man die Wadlerbretzen auSgeit."
Im Jahre 1801 starb die letzte aus dem Geschlechte des milden
Stifters. In eben diesem Jahr, als der Bretzelspender seinen Umritt
hielt und am Ende seines leckeren Vorrats war, riß ihn die Menge
derer, die nichts mehr bekamen, vom Gaul herunter und mißhandelte
ihn kläglich. Seitdem unterblieb die Spende. Auf einem Decken-
gemälde in der Hl. Geiftkirche ist der Reiter samt seinem Schimmel
abgebildet.
Gleichfalls einer alten Stiftung gemäß pflegten an den Quatember-
tagen zwölf Spitalleute, sechs Männer und sechs Weiblein, in schwar-
zen Mänteln mit weißen Halskrausen und breitrandigen Hüten paar-
*
weise vom Hl. Geistspital nach der Frauenkirche zu wandeln und dort
der Vigil und dem Requiem bcizuwohnen. Im Volksmund hießen sie
die „zwölf Apostel" oder auch die „Quatcmbermanndln". Die Stiftung
sollte nach irriger VolkSmcinung von Kaiser Ludwig dem Bayern her-
rühren, stammt jedoch von Maria Anna, der Witwe Albrechts V., die
einen „Fürstenjahrtag" gestiftet hatte, bei dem diese Spitaler anwe-
send sein und beschenkt werden sollten. Zu Anfang des neunzehnten
Jahrhunderts ward die Sitte für einige Zeit eingestellt — aber da
ging zu München die Sage, daß jene zwölf Spittelleute um Mitter-
nacht ihren Kirchgang in gewohnter Tracht hielten, und daß die Türen
des Domes sich von selbst vor ihnen aufgetan und hinter ihnen ge-
schloffen hätten. Viele Einwohner wollten dies gesehen haben
und deuteten es als eine stumme Wehklage der Toten über das neue
unfromme Zeitalter. Nach anderer Lesart wären die geisterhaften Qua-
tcmbermanndln die umgehenden Seelen von solchen Spittelleuten ge-
wesen, die im Leben mehr über ihre Verpflegung gemurrt und auf die
Nebcnmenschen gelästert hätten, als der Andacht und einem gottgefälli-
gen Lebenswandel obzuliegen. Das müßten sie jetzt nach ihrem Tode
noch büßen und nachholen.
Kirche und Spital zum Hl. Geist
Früheste Vergangenheit umgibt uns, wenn wir an der Stelle stehen,
wo es „im Tal" heißt und wo heute die Kirche vom Hl. Geist aufragt.
Hier stand ein Katharincnkirchlein, das von allen Kirchen Münchens
das älteste gewesen sein soll, und von dem die seltsame Kunde geht, daß
es auf „Bögen" gestanden habe, wahrscheinlich zum Schutz gegen das
zu Zeiten ins Tal hereinströmende Hochwaffer. Eine Klause stand bei
dem Kirchlein. Hier erbaute Herzog Ludwig der Kelheimer, der im
Leben so viel Glück und am Ende einen geheimnisvollen blutigen Tod
fand, schon 1204 ein Pilgerhaus. Als dann der Orden vom Hl. Geist
- gestiftet um die Mitte des zwölften Jahrhunderts durch Guido zu
Montpellier - in Rom ein vom Papst Innozenz III. selbst erbautes
Spital erhielt, folgten viele Städte dem frommen Beispiel. Herzog
Otto II- errichtete an Stelle des alten Pilgerhauses einen stattlichen
Spitalbau nebst einer eigenen „Hl. Geistkirche", da der heilige Geist,
als Stärker und Tröster, besonders der Reisenden, Schwachen und
Kranken waltet. Die alte Katharinenkapelle wurde in das Spital, das
der Obhut der Brüder vom hl. Geist (nach der Regel des hl. Augustin)
übergeben ward, mit hinein verbaut und bestand dort im ersten Stock
noch sechs Jahrhunderte lang. Zweimal im Jahre, am Feste der hl.
* 111 *
110 *
Kreuzauffindung und hl. Kreuzerhöhung, fand in dem kleinen dämm-
rigen Raum ein feierlicher Gottesdienst statt; dann tat eine Türe sich
auf, die für jedermann sonst zu allen Zeiten geschloßen blieb, und der
regierenden Bürgermeister einer schritt hindurch, in Amtstracht mit
goldener Kette, um dem Gottesdienst beizuwohnen. Denn der Stadt,
die schon zuvor an der Verwaltung beteiligt gewesen, unterstand das
Spital völlig, seit in den Jahren des Streites zwischen Kaiser Ludwig
und Papst Johann die Brüder vom Hl. Geist ihre Stätte verlaßen
hatten. Rasch und heimlich muß es geschehen sein, wie aus der Sage
zu schließen: die letzten Mönche seien über Nacht davongegangen, und
am Morgen habe der Chorregent mit den Spitalern allein die horas
halten müßen. — Seitdem, wie gesagt, standen zwei „Hochmeister",
je einer vom inneren und einer vom äußeren Rate, dem Hl. Geist-
spital vor.
Von dem großen Stadlbrand 1327 hatte das Spital zwar sehr ge-
litten. Es wuchs aber darnach rasch, bedeckte allmählich die ganze
Fläche des heutigen Viktualienmarktes, reichte bis zur Wcstenrieder-
straße. Eine kleine Gemeinde innerhalb der Gemeinde, umfaßte es ein
Männer- und Weiberhaus, ein Findelhaus und Gebärhaus, eine Stube
für Sinnlose und ein Armenhaus. Um sich selbst versorgen zu können,
besaß es eigene Brauerei, eigenes Backhaus, eigene Wälder und Öko-
nomie. Nach der Säkularisation ließ die Stadt das Spital nieder-
reißen im Hinblick auf den zu schaffenden großen städtischen Viktualien-
markt; ihre Kranken verlegte sie in das nun leergewordene Elisa-
betherinnen-Kloster vor dem Sendlingertor, deffen Betrieb sie dem
Orden der Barmherzigen Schwestern übergab. Heute befindet die Ge-
samtheit der neuen städtischen Spitalbauten sich bekanntlich auf dem
Dom Pedroplatz.
Die alte Katharinenkapelle hatte mit der Verlegung des Spitals
aufgehört, als Kirche zu bestehen; sie diente, wie überhaupt das Wenige,
das von den Gebäuden noch übrig war, fortan weltlichen Zwecken.
Unverändert erhalten blieb nur die dem Spital verschwisterte, ihm
bisher untrennbar verbundene Kirche vom Hl. Geist.
* *
*
In der bischöflichen Verordnung vom Jahre 1271, die neben St.
Peter die Kirche zu U. L. Frau als zweite Pfarrei einsetzt, ist bereits
der Spitalkirche vom hl. Geist eine selbständige Stellung zugewiesen.
Es gilt als ungewiß, ob die Hl. Geistkirche bald nach dem
großen Stadtbrande 1327 oder erst später neu erstand. Trotzdem
ist sie die älteste Hallenkirche Münchens. In der ersten Hälfte
des achtzehnten Jahrhunderts wurde sie teilweise umgebaut, das
* 112 *
Gewölbe und der Dachstuhl völlig erneuert, der baufällige gotische
Turm durch einen neuen ersetzt. Der Hauptteil der inneren Ausgestal-
tung lag in den Händen der Brüder Asam, deren erstes Werk in Mün-
chen die Kirche war; außerdem wirkten daran mit der Stukkator Mat-
thias Schmidgartner und die Maler Nikolaus Stuber und Peter Ho-
remans. Zweimal ward die Kirche noch nach Abbruch des SpitaleS
erneuert, einmal im Jahre 1885, zum letztenmal im Jahre 1908
bis 1909.
Vom Grabmal des Herzogs Ferdinand und seiner Gattin, das die
Kirche birgt, ist schon die Rede gewesen. Ein vielverehrtes Mutter-
gottesbild nennt die Kirche gleichfalls ihr eigen, die sogenannte „Ham-
merthaler Muttergottes". 1620 unternahm das GastwirtSehepaar
Hammerthaler im Tal zu München eine Wallfahrt nach Kloster Te-
gernsee, und die Frau sah bei diesem Anlaß in der Johanniskapelle der
Klosterkirche ein Liebfrauenbildnis, von dem sie meinte, sich nicht mehr
trennen zu können. Sie erreichte auch wirklich, daß der dortige Abt ihr
das Bild zusandte. Als es ankam, litt die Wirtsfrau eben große
Schmerzen an einem steifen Arm. Nachdem sie aber das Marienbild
aufgestellt und vor demselben gebetet hatte, verließ sie der Schmerz, und
sie richtete darauf dem gnadenreichen Bilde bei sich eine Art HauS-
kapelle ein. Später vergable sie es dem Auguftinerklofter. Nach deßen
Aufhebung zu Beginn des neunzehnten Jahrhunderts kam das viel-
verehrte Bild in die Kirche zum Hl. Geist.
In der Hl. Geistkirche hatte auch die älteste Bruderschaft der Stadt,
nämlich die „unter dem Titel, Namen und Schutz Mariä Geburt
anno 1323 von dem Hand-Werkh der Päckhenknecht durch 300 Städte
und Märkte aufgerichtete Bruderschaft" ihre Gottesdienste und ein
„ewiges Licht". Das letztere verblieb beim heiligen Geist; mit ihren
Ämtern, Seelengottesdiensten und sonstigen kirchlichen Obliegenheiten
übersiedelten die Bäckerknechte bald in die Kirche der Augustiner, hatten
sogar dort einen eigenen Altar. Nach der Säkularisation dieser Kirche
kehrte die Bruderschaft der Bäcker bis zu ihrem Eingehen in die
Hl. Geistkirche zurück.
Die Säkularisation zahlreicher Kirchen, das Einfordern des
Kirchensilbers usw. zu Anfang des 19. Jahrhunderts weckte vielfachen
und leidenschaftlichen Widerstand, der jedoch wohl nirgendwo eindrucks-
vollere Formen annahm als in der Hl. Geistkirche. Da nämlich die
Kommission zur Ablieferung des Kirchensilbers erschien, ließ der Spi-
talpfarrer Josef Klein sämtliche Gefäße — mit Ausnahme des schönsten
Kelches, den er für sich behielt — der Ordnung nach auf dem Hochaltar
aufftellen und sechs gelbe Kerzen, wie bei einem Leichengottesdienst, an-
zünden. Dann warf er sich, mit Stola und Chorrock bekleidet, in
«
* 113 *
Gegenwart der Kommission vor dem Altäre nieder und betete laut den
Bußpsalm „Miserere". Nach beendigtem Gebet aber stieg er zum
Altäre empor, ergriff einen Hammer, zerschlug alle Kelche und Patenen
und lieferte so aus, was befohlen war. Natürlich wurde manches Ein-
gelieferte, wie in anderen Kirchen so auch hier, durch wohlhabende
Bürger wieder ausgelöft. Pfarrer Klein aber, besten gegnerische Hal-
tung der damals allmächtige Minister MontgelaS sehr empfand, wurde
.1811 aus München ausgewiesen und nach Neuburg an der Donau
verbannt. Erst nach dem Sturze des Ministers erhielt er die Erlaubnis
zur Rückkehr. Er starb zu München 1822 als Generalvikar des neu
errichteten Metropolitankapitels München-Freising.
Seit 1844 ist die Kirche vom Hl. Geist Stadlpfarrkirche.
IV. Abteilung:
Aus Münchens Fürstenschlössern
Von den Burgen und Schlössern
Die ersten Herzöge aus dem Hause Scheyern-Wittelsbach haben eine
Burg oder Veste in München nicht besessen. Einer Überlieferung nach
hatte Heinrich der Löwe, der Gründer Münchens, ein Haus oder Ab-
steigequartier auf dem Markt, dem heutigen Marienplatz; neuere Mei-
nung ist, daß sein angebliches Hoflager sich wohl schon an der Stelle
des späteren „alten Hofes" befunden hätte. Weder Otto der Große
noch Ludwig der Kelheimer noch Otto II. haben eine richtige Burg in
München gehabt, das ihnen ja auch noch nicht als ständiger Wohnsitz
diente. Erft der vierte Wittelsbacher, der in Bayern herrschte, Herzog
Ludwig II-, der „Strenge", errichtete zwar innerhalb der Stadtmauer,
aber in derem äußersten Winkel, eine wirkliche befestigte Fürstenburg,
die „Alte Veste" oder den „Alten Hof". Ludwig der Bayer hat sie
dann erweitert, zumal die St. Lorenzkapelle, die zur Burg gehörte,
neu und größer gebaut. Eine ganze Reihe von Herzögen hat im Alten
Hof gehaust: Ludwig II., Ludwig der Bayer und sein Bruder Rudolf,
Stephan I., Johann und dessen Söhne, Albrecht III. und sein Sohn,
der kunftfreundliche Herzog Sigmund, der den „alten Hof" abermals
verschönern und durchaus mit farbigen Malereien zieren ließ. Davon ist
heute freilich keine Spur geblieben; der einzige Überrest aus alter Zeit
ist der „schöne Erker" an der Südseite neben dem zur Burggasse füh-
renden Torbogen - das Türmlein, von dem es in Thomas GreillS
gereimtem Lobspruch auf München heißt, daß dieser Turm „spitzig ist
unten und oben",
.. „Rührt weder Erd noch Himmel an,
Tut dennoch unbeweglich stahn..."
Durch den großen Stadtbrand 1327 war die Burg schwer beschädigt
worden; gegen Ende des vierzehnten Jahrhunderts bot sie angesichts
der beständigen Bürgerunruhen nicht mehr Sicherheit genug. Eine
„Neue Veste" erbauten sich die Herzoge außerhalb der Stadtmauer,
im „Greymoltswinkel" der Graggenau, eine Art Trutz-München mit
Wehrtürmen, breitem Wassergraben und einer Brücke, die stracks ins
Freie führte. Oft ward auch diese Veste durch Brand versehrt, stets wie-
der auf- und reicher ausgebaut; jeder Fürst fügte das Seinige hinzu.
Albrecht IV. bezog die Neuveste nachträglich in die Stadtumwallung
hinein, erweiterte gleichzeitig Burg und Stadtgebiet, ließ durch Leon-
hard Halder den großen Festsaal erbauen. Von der Zeit, da er seinen
Bruder Herzog Christoph, der ihm die Mitregierung abtrotzen wollte,
gefangen hielt im nordwestlichen Rundturm, blieb diesem Turm der
Name Chriftophsturm. Den Festsaal, der unter Wilhelm IV. erst voll-
endet worden, den St. Georgssaal, ließ Albrecht V. schon umgeftalten
zu einem Prunksaal im Renaissancestil. Der Meister dieses Saales,
Wilhelm Egkl, schuf auch den ersten Bau für die Sammlungen der
Kunstkammer: das heutige Münzgebäude mit dem prächtigen Kolon-
nadenbau des — fälschlich so genannten — Turnierhofs, während die
Büchersammlung im „alten Hof" untergebracht wurde bis zum Bau des
„Antiquariums" beim Brunnenhof. Unter Wilhelm V. ward am
alten Residenzgarten der „Grottenhoftrakt" aufgeführt und der Neu-
veste ein besonderer Stock als Witwensitz hinzugefügt.
Gleichfalls zu Wilhelm V. Zeit, als 1580 ein Brand die neue
Veste verheerte, ward die sogenannte Wilhelminische Residenz (spätere
StaatsschuldentilgungSkaffa) erbaut. In ihr hat, nachdem er die Re-
gierung seinem Sohne, Maximilian I. abgetreten, Herzog Wilhelm
dauernd gewohnt. Der Bau war mit dem gleichfalls von Wilhelm V.
gegründeten Jesuitenkollegium durch den sogenannten Wilhelmöbogen
verbunden, den heute noch die Büste des fürstlichen Erbauers schmückt.
Der spätere Bewohner der Wilhelminischen Neuveste war Prinz Max
Philipp, der zweite Sohn Kurfürst Max I-, und nach ihm erhielt die
Burg den Namen „Herzog Maxburg".
Der eigentliche Begründer der heutigen Residenz und zugleich der-
jenige, in dem die absolute Herrschergcwalt, aber auch die Herrscher-
verantwortung ihren stärksten Ausdruck fand, war Maximilian I. Be-
kanntlich entstammt seiner Zeit der alte, der Residenzstraße zugewandte
* 115 *
* 114 *
Teil mit dem die Faffade bekrönenden Madonnenbild zwischen den
Portalen. Nie hat sich recht ermitteln lassen, von wem die Pläne stamm-
ten. Gewiß ist, daß der Herzog, spätere Kurfürst, selbst sehr viel Anteil
an dem Entwurf gehabt haben muß; wenigstens wurde Gustav Adolf,
als er bei seinem Aufenthalt in München nach dem Baumeister des
Residenzfchlosies fragte, die Antwort zu teil: der Kurfürst fei sein
eigener Baumeister gewesen. 1598 begann der Bau; Hans Simon
Reifenstucl aus Gmund am Tegernsee war der Bauleiter. Die Reiche
Kapelle, die Hofkapelle, der ganze Block um den Kaisersaal mit den äl-
teren Fürstenzimmern, der größte Teil der inneren Umgebung der Höfe
entstammen jener Zeit. Auch der heutige Hofgarten wurde schon 1614
angelegt und mit Bogengängen umgeben; desgleichen ist der Rundtem-
pel in der Mitte, den die (häufig als Diana bezeichnete) entzückende
Bronzefigur der Bavaria schmückt, von Maximilian I. errichtet.
Unter Maximilians Nachfolgern hat die von ihm mit Fresken, pla-
stischen Kunstwerken und vor allem mit den berühmten Hauteliffetape-
ten prächtig geschmückte Residenz noch weitere künstlerische und prunk-
volle Ausgestaltung erfahren. Der Ruf des Münchner Restdenz-
schloffeS, als des großartigsten deutschen Schloßbaues, drang überall
hin. DaS „triumphierend Wundergebäu" haben schon Maximilians
Zeitgenoffen es genannt. Dem kraftvollen Renaiffancecharakter des ur-
sprünglichen Hauptflügels fügte zunächst die barocke Pracht der päpst-
lichen Zimmer, des goldenen Saales sich ein, die unter dem Kurfürsten
Ferdinand Maria entstanden. Unter Max Emanuel und seinem Sohne
trat, nachdem die lange Unterbrechung des spanischen Erbfolgekrieges
vorüber war, ein neues Moment hinzu: die Reichen Zimmer, die Joseph
Effner mit soviel Kunst geschaffen und die, nachdem sie ein Raub der
Flammen geworden, Franz Cuvillies erneuert und in das reizvollste
Rokokogewand gehüllt hat.
Denn leider fiel das Neue und Kostbare stets wieder dem Feuer zum
Opfer. Der erste große Residenzbrand brach schon 1674 aus und zer-
störte bis auf den Flügel des Kapellenhofes fast die ganze Residenz.
Eine Unvorsichtigkeit der ersten Kammerfrau der Kurfürstin, Fräulein
de la Perouse, die bei brennender Kerze entschlummerte, hätte den
Brand verschuldet. Wasserbehälter und Löschgeräte in der Residenz selbst
befanden sich in Unordnung; Hilfe von außen ward verspätet gerufen
und geleistet. Zum Unglück weilte Kurfürst Ferdinand Maria vorüber-
gehend fern, so daß die ordnungschaffende Autorität gebrach- Was nicht
verbrannte, wurde durch Ungeschick beim Löschen und freche Plünderung
bei den RettungSarbeiten verdorben und verschleppt. Kunstgegenstände
von unermeßlichem Werte gingen verloren. Der Kaisersaal und was
hinter ihm lag, blieb erhalten.
Das zweite Mal brach Feuer in der Residenz am 26. Februar 1729,
unter der Regierung des Kurfürsten Karl Albrecht, aus. Nach eigener
Angabe des Kurfürsten brannten drei Zimmer völlig ab; das soge-
nannte „Cabinet de Bronze“ mit seinen schönen alten Figuren ging
in Rauch auf, schönste Werke Albrecht Dürers verbrannten- „Und" —
schreibt Karl Albrecht — „was Vor mir am betaurlichsten ware, die
helffenbäunene Kästen, so mit meines Herrn Vattern seliger Chur-
fürsten Max Emanuel aigenhändiger schöner Arbeith eingerichtet waren.
AuS dem Schlaffzimmer hat das bey dem Churhaus so hoch geschätzte
Vnd in der ganzen Welt bekanndte Frauenbild Vom Raphael Urbino
nit können errettet werden; dieses ist der Hauptschaden so in dieser
leidigen Brunst geschehen. Gott ist zu dankhcn, daß der HauSschatz noch
so glikhlich davonkommen und nit die ganze Residenz abgebrunnen." ...
Der dritte Residenzbrand, zugleich der größte, loderte unter Max
Joseph HI. im März 1750. Fast das ganze Residenzschloß ward in
Schutt und Trümmer verwandelt; der Schaden war ungeheuer. Als
Ursache des Brandes ward angegeben, daß am Abend zuvor in dem
St. Georgssaal eine Truppe französischer Komödianten gespielt hatte,
und daß hierbei nicht vorsichtig mit Feuer und Licht umgegangen wor-
den; nach anderer Meinung war das Feuer gelegt. Jedenfalls faßte
Max Joseph III. damals den Entschluß, ein eigenes neues Theater zu
errichten, das, obzwar sich der Residenz anschließend, von derselben
durch eine starke Feuermauer geschieden wäre. Somit gab der letzte
Residenzbrand Anlaß zur Entstehung des Residenztheaters.
Der Plan des Kurfürsten für einen neuen großen Schloßbau blieb
unausgeführt bis zu König Ludwig I-, dem eigentlichen Neuschöpfer der
Residenz. Er ließ 1826 den großartigen Trakt aufführen, der den Na-
men Königsbau erhielt, auch den Festsaalbau und den Marftall, sowie
die Allerheiligenhofkirche. Den ChristophSturm, der von der 1729 völlig
niedergebrannten alten Neuveste noch übrig war, mußte auf des Königs
Wunsch der Architekt der Residenz, Leo Klenze, durch geschickten Über-
bau erhalten.
Unter König Ludwigs I. Regierung wurde ferner das 1811 begon-
nene, seitdem aber wieder durch Brand zerstörte Hof- und National-
theater fertig gestellt, welches im Verein mit dem Königsbau und dem
Residenztheater sowie dem Postgebäude dem heutigen Max Josephplatz
das entscheidende Gepräge gibt.
* *
*
Ein richtiges altes Schloß pflegt seine Gespenster zu haben. DaS
trifft auch auf Münchens Schlösser zu. Von der Herzog Maxburg ging
ehemals die Rede, daß sich dort die Kurfürftin Marianne, Maximi-
* 117 *
* 116 *
lions I. Gemahlin, als Geist sehen laste, jedoch freundlich-mild, ohne
einem Menschen Leides zu tun. Dennoch sei eine Schildwache eines
Nachts vor ihr so erschrocken, daß der Arme in den Schloßhof hinauS-
rannte, dort bewußtlos in den Schnee fiel — es war zur Winters-
zeit — und andern Tages förmlich ausgegraben werden mußte. Hat
ihm aber nachträglich nichts geschadet.
Ein wirklich böser Spuk dagegen soll bisweilen um Mitternacht in
der Residenz sein Wesen treiben. Ein großes schwarzes Ungetüm in
Gestalt eines Pudels, der feurige Augen macht, und dem die Helle Glut
aus dem Maul geht. Das soll die verdammte Seele eines untreuen
Dieners fein, der zur Schwedenzeit oder während der österreichischen
Besetzung den Feinden verraten hätte, wo der Kurfürst Geld und
Kleinodien verborgen. Er sei dafür heimlicher Weise Hingerichtei wor-
den, muß aber nach seinem Tode noch geistern, und das Geld, das er
für seinen Verrat empfangen, muß er im Jenseits geschmolzen fresten;
drum speit er lauter Feuer aus.
Ferner geht in der Residenz, in Nymphenburg, Schleißheim und
überhaupt allen Wittelsbacher Schlöffern ein Frauengeist um von
ähnlicher Art wie die weiße Frau, die in den Hohenzollernschlöstern
spukt. Zum Unterschied ist es hier eine schwarze Frau, in reicher schwar-
zer Kleidung, einen Schleier um das Haupt; ihr Bild ist in der Re-
sidenz zu sehen. Ihr Erscheinen verkündete jedesmal ein Unglück oder
einen Todesfall im Haufe der Wittelsbacher. — Vor dem Hingang
König Ludwig II. versicherte ein Soldat, der im Schlöffe zu München
die Wache hatte, sowie der alte Galeriediener F. . . in Schleißheim
hoch und heilig, die „schwarze Frau" gesehen zu haben; auch vor dem
Tode Mar II. und seiner Witwe, der Königin Marie, sollte sie er-
schienen sein.
Ludwig „der Strenge"
Der Beiname, der sich an Herzog Ludwig II. heftet, ist ein sehr un-
zutreffender. Denn er bezieht sich auf eine Bluttat, mit der sich Ludwig
als Achtundzwanzigjähriger belastete und die keineswegs der Strenge,
vielmehr blindem Jähzorn, sinnloser Wut entsprungen scheint.
Ludwig hatte, mit Maria von Brabant vermählt, den offenbar
grundlosen Verdacht der Untreue auf sie geworfen; angeblich wäre,
indeß er am Rhein weilte, ein Brief der Herzogin an den Raugrafen
Heinrich ihm in die Hände gefallen, besten Inhalt der Herzog falsch
auslegte und darüber in rasende Eifersucht geriet. Am 18. Januar 1256
um Mitternacht ließ er auf dem Mangoldstein in Donauwörth der ver-
meintlichen Ehebrecherin durch einen Burgwart das Haupt abschlagen;
ein Hoffräulein Marias, der Mitwifferschaft beschuldigt, ward von der
Burg herabgestürzt und mit ihrer Herrin des andern Morgens im
Kloster Heiligkreuz begraben.
Ein zeitgenössisches Gedicht, von dem Minnesänger Meister Stolle
dem Jungen, gibt dem Entsetzen Ausdruck, das die Untat überall
erweckte:
„O wehe! Heut und immer ruft wehe und schreit!
So weh dem Tag, so weh der Nacht, so weh der feigen Zeit!...
Ich vernahm in meinen Tagen keinen Mord so groß,
Als von der Bayern Herren; wie hat er so bloß
Gestellt die Würde und die Tugend sein." ...
Ein rührender, vielleicht legendärer Zug ward im Liede von der Ge-
mordeten berichtet:
„Nun möget ihr hören Jammer klagen:
Noch ihres Herren Kuß bat sie vor ihrem Ende.
„Soll ich nun sein von Euch erschlagen,
Deß müßt Ihr viel und sehr noch ringen Eure Hände.
Es zeuge mir der Jungfrau Sohn, daß ich unschuldig bin,
Der Tod, den ich jetzt leiden muß, wird Euerm Heil zum
sUngewinn."
Die Weissagung dieser Worte ging an Ludwig alsbald in Erfüllung.
Die empörten Verwandten der Gemordeten drohten Rache; als kirch-
liche Buße ward ihm auferlegt, entweder ins heilige Land zu pilgern
oder ein Kloster zu stiften. Er wählte das letztere und erbaute das
Zisterzienserkloster Fürftenfeld bei Bruck. Sein Gewisten aber ward
wohl seine schärfste Strafe, zumal sich augenscheinlich bei ihm und den
Seinigen immer mehr die Überzeugung von der Unschuld der Gelöteten
befestigte. Die Tochter aus Ludwigs zweiter Ehe empfing den Namen
Maria; fein Sohn Rudolf stiftete noch nach des Vaters Tode für
besten Seelenheil eine ewige Messe und ein ewiges Licht am Grabe der
gemordeten Herzogin. Eine Überlieferung besagt, daß binnen wenig
Tagen Ludwigs Haar erbleicht sei und man ihn nie mehr lachen gesehen;
jedenfalls scheint häufige Schwermut ihn heimgesucht zu haben, auch
nachdem aus seinen zwei späteren Ehen (mit Anna von Schlesien-Glo-
gau und nach deren Tode mit Mechtild von Habsburg) ihm Kinder-
segen erblüht war. Die stete Erinnerung seiner Bluttat hat jedenfalls
das Gewaltsame in Ludwigs Natur mählich gedämpft und sein Gewisten
geschärft. „Aus der Tätigkeit des gereisten Mannes empfängt man
überwiegend die Eindrücke besonnener Selbstbeherrschung, treuer
* 119 *
* 118 *
Pflichterfüllung, eifriger Fürsorge für das Gemeinwohl." (Riezler).
Sein Verhältnis zu seinem Neffen und Mündel Konradin dem Stau-
fer hat Kritik erfahren, noch mehr die unter ihm vollzogene erste Landes-
teilung und seine Beihilfe zur Kaiserwahl Rudolfs von Habsburg,
nachdem Ludwigs eigene Bewerbung um die Kaiserkrone sich als aus-
sichtslos erwiesen. Aber „es ist sehr fraglich, ob er in beiden Fällen an-
ders handeln konnte. . . und ihm ist zu danken, daß Baiern auch unter
den ungünstigeren Verhältniffen eine angesehene Stellung im Reiche
behauptete. . ."
Als Ludwig starb (1294) fand er die letzte Ruhestatt in seiner Stif-
tung Fürstenfeld, wo ihm, freilich nicht unparteiisch, nachgerühmt ward:
„Ganz Baiern mußte den Tod dieses Fürsten beklagen, der alle anderen
an sittlicher Zucht übertraf, und unter dem das Land Wohlstand und
Fülle des Friedens genoß."
*
Im Zusammenhang mit Ludwigs schwärzester Tat sei noch einer,
von Franz Trautmann fein ausgesponnenen, Legende gedacht. Es wird
darin erzählt, daß die Qual seiner späten bittren Reue den Herzog oft,
wenn er von der Hofburg kam, in die kleine Wieskapelle hinter St.
Peter eintreten ließ, um dort Verzeihung zu erbeten. Da hätte er einst,
als er einsam dort kniete, am Altar die Erscheinung seiner Gemordeten
zu sehen gemeint, ohne Zorn auf ihn herblickend, mit einem feinen
roten Streifen um den Hals. Darauf hätte er die Arme gen Himmel
gereckt und voll Inbrunst gesprochen: „O Domine, absolve me per
innocentiam Mariae!“ *) und so zu dreien Malen, wobei er einen
leisen süßen Sang, wie von Engeln vernahm. Als er zum dritten Mal
die Worte gesprochen hatte, hörte er hinter sich eine Stimme sagen:
„Ludovice, te absolvit Dominus noster“ * 2) - und erblickte, sich
umschauend, die lichte Erscheinung der toten Maria, die noch hinzu-
fügte: „sicut Deus et ego“ —’) und dann verschwand. —
Zum Wahrzeichen des Wunders, womit ihn Gottes Vergebung be-
gnadigt, hätte Herzog Ludwig an der Stelle, wo Maria ihm erschienen,
ein schwarzes Kreuz in den Stein graben lasten. Doch war davon schon
zu Anfang vorigen Jahrhunderts keine Spur mehr zu entdecken.
H ȣ> Herr vergieb mir, um der Unschuld Marlens willen/
2) »Ludwig, dir vergibt unser Herr."
s) »und wie Gott, vergeb' ich dir."
Der Turmaffe im „alten Hof"
Dem zierlichen gotischen Erkertürmchen im alten Hof gegenüber, da
wo setzt das Rentamtsgebäude München III sich befindet, stand einst
die Burgkapelle zum hl. Laurentius. Neben dem Chor der Kapelle
ragte ein niedriger Turm empor und darauf die aus Stein gehauene
Figur eines Affen, der ein kleines Kind in seinen Armen hielt. Davon
ging folgende Sage:
Herzog Ludwig, der Erbauer der Burg, hatte einen zahmen drolligen
Affen, der sich frei rings in der Burg umtrciben durfte und bei jeder-
mann wohl gelitten war. Eines Tages nun geschah es, daß der Affe
ganz allein in dem Zimmer weilte, wo das Söhnlein des Herzogs,
nachmals Ludwig der Bayer, in der Wiege lag. Da wandelte den
Affen, der schon öfter beobachtet hatte, wie die Wärterin mit dem Kind-
lein gebarte, die Lust an, es ihr ein wenig nachzumachcn. Er hob also
das Prinzlein aus der Wiege, schützte es hoch, schaukelte es in seinen
Armen und stolzierte so mit ihm im Gemach auf und ab. Unversehens
aber trat die Wärterin herein und schrie laut auf, da sie das zarte Kind
in den haarigen Armen des Tieres sah. Sie wollte ihm das Prinzchen
entreißen; der Affe, im Schrecken darüber, nahm vor ihr Reißaus, lief
durch Vorsaal und Gänge, Trepp' auf Trepp' ab, die Wärterin immer
hinter ihm drein. Endlich ersah der verfolgte Affe keinen Ausweg, als
durch eine Dachluke, schlüpfte hinaus aufs Dach und setzte sich auf die
Spitze des Erkerturms. Nun war guter Rat teuer: der Herzog und die
Seinen, von dem Schrecknis benachrichtigt, standen in bitterer Angst
zu Füßen des Turmes; niemand getraute sich, den Affen auf seinem ge-
fährlichen Sitz zu beunruhigen, damit er nicht das Kind herabfallen
ließe. So schien eS am rätlichsten, ihn ungestört oben hocken zu lassen
und im Hofe Decken und Betten auSzubreiten, damit sich das Kind im
möglichen Falle nicht verletze. Als das Tier sah, daß alles ruhig war
und niemand eS hetzte, kletterte es schließlich vom Dache herab und
trollte den Weg ins Kinderzimmer zurück, wo es den kleinen Ludwig
sorgsam wieder in die Wiege bettete. Nun sollte der Affe tüchtig
durchgebläut werden, aber er flüchtete sich alsbald zu der Frau Hof-
meisterin und umarmte sie unter so possierlichen Bittgebcrden, daß er
der Strafe entging. Der tatenlustige Affe ward von da ab in besseren
Gewahrsam genommen, sein Bild aber zum Angedenken der glücklich
abgewandten Gefahr in Stein gehauen und auf die Zinne des Turmes
gesetzt.
* 120 *
* 121 *
Herzog Christoph der Kämpfer
Am Eingang des allen HofeS lag vormals an einer Kette ein ge-
waltiger Stein, mehr denn drei Zentner schwer. Daneben in der Mauer
waren drei Nägel eingeschlagen und eine steinerne Tafel angebracht,
mit folgenden Versen darauf:
„Als nach Christi Geburt gezehlet war
Vierzehnhundert neun und achtzig Jahr
Hat Herzog Christoph hochgeborn
Ein Held aus Bayern auserkorn
Den Stein gehebt von freyer Erd
Und weit geworfen ohngefehrd.
Wiegt dreyhundert vier und sechzig Pfund,
Deß gibt der Stein und Schrift Urkund.
Drey Nägel stecken hier vor Augen,
Die mag ein feder Springer schaugen,
Der höchste zwölf Schuh von der Erd,
Den Herzog Christoph ehrenwerth
Mit seinem Fuß herab tät schlagen.
Kunrad lief bis zum andern Nagel
Wohl von der Erd zehenthalb Schuh,
Neunthalb Philipp Springer luef
Bis zum dritten Nagel an der Wand.
Wer höher springt, wird auch bekannt.
Als unter Kurfürst Maximilian I. das neue Residenzschloß erbaut
ward, ließ der Fürst den Stein, sowie die Nägel und die Tafel in einen
Hof der neuen Residenz versetzen, wo sie annoch zu sehen sind.
Wer die beiden Wettkämpfer des Herzogs „Kunrad" und „Philipp"
gewesen sind, wissen wir nicht. Herzog Christoph aber, geboren am
5. Juni 1449, war einer der fünf Söhne, die Albrecht HI. von seiner
Gemahlin, Anna von Braunschweig, gehabt. Von Gestalt hager und
unansehnlich, besaß er eine ungewöhnliche Stärke und Behendigkeit,
dazu eine feurige, unstete und unternehmende Sinnesart. In Kampf
und Ritterspiel, sei es zu Schimpf oder Ernst, tat es ihm keiner zuvor;
daher ward er der „Kämpfer" benannt. Ein harter und gar vergeb-
licher Kampf nahm lange Zeit feine beste Kraft: der um die Mit-
regentschaft Bayerns neben seinem Bruder, dem Herzog Albrecht IV.
Durch zweiundzwanzig Jahre (von 1463 — 85) währte der Bruder-
streit; gewaltsame Taten auf beiden Seiten zeitigte er. Herzog Albrecht
ließ seinen Bruder, vor dessen Anschlägen gewarnt, durch den Grafen
Niklas von Abensberg im Bade gefangen nehmen und in den runden
Turm setzen. Herzog Christoph, daraus befreit und längere Zeit hin-
durch mit seinem Bruder verglichen, geriet abermals in Fehde mit ihm
und nahm blutige Rache an Albrechts Parteigängern, zumal dem Abens>
berger, der im Gefecht bei Freising von Christoph und den Seinen
erschlagen ward. Die Gattin des Abensbergers, Frau Martha, eine
gebürtige Werdenbergerin, soll vor Schreck und Leid darüber gestorben
sein. Am Osterfest desselben Jahres — 1485 — aber wurde ein Land-
tag zu München einberufen, wo vierundsechzig Schiedsleute den Hader
zwischen den fürstlichen Brüdern schlichten sollten. Herzog Albrecht be-
währte seine von den Zeitgenossen oft gerühmte Klugheit, indem er
dem Spruch der Schiedsrichter zuvorkam und seinen Bruder zu sich ins
Schloß lud. Da vertrugen die Fürsten sich brüderlich dahin, daß Herzog
Christoph die Alleinherrschaft in Bayern seinem Bruder Albrecht abtrat.
Damit ward Friede zwischen den Fürsten, zumal Albrecht sich auch mit
seinem Bruder Wolfgang gütlich verglichen hatte; Sigmund hatte
bald nach dem Ableben des ältesten Bruders Johann der Regierung
entsagt.
Mehr denn zwei Jahrhunderte war das Land von beständigen Erb-
streitigkeiten, Teilungen, blutigen Fehden zerrissen worden infolge des
gleichen Erbrechtes aller nachgelassenen Söhne eines Fürsten. Mit
fester Hand griff Albrecht hier ein, indem er das Erstgeburtsrecht ein-
für allemal zum Hausgesetz erhob und dadurch die Herrschgewalt auf
einer Person vereinigte.
Wie Christoph der „Kämpfer" hieß, so ward Albrecht „der Weise"
genannt. In den beiden Worten liegt der ganze innere Gegensatz beider
Brüder beschlossen. Das feurige unruhige Wesen deS einen, der in
stetem Widerstreit mit sich und der Außenwelt seine Kraft ohne eigent-
liches Ziel verzehrte, und die klare scharfe Klugheit des anderen, die
unter stets ungünstigen Verhältnissen das Mögliche wirkte und erreichte,
viel mißkannt und angefeindet, wie denn zu gescheite Leute selten be-
liebt sind.
Die ritterlichen Eigenschaften Christophs, seine Kraft und Gewandt-
heit, die ihm beim Landshuter Turnier anläßlich der Hochzeit Georgs
des Reichen den Sieg über den stärksten Polenritter verschafft hatten,
glänzten noch in den Kriegen des Kaisers Maximilian I. in Flandern
und in Ungarn. Bei der Belagerung von Stuhlweißenburg, als das
Kriegsvolk schon den Mut zu verlieren begann, sprang der hagere,
dunkle Bayernfürst vom Pferde, riß einem Knecht die Lanze aus der
Hand, und mit dem Ruf: „Wohlauf, liebe Brüder, mir nach!" setzte
er über den Graben und erkletterte kühn die Stadtmauer. Seinem
Heldenmut, der die Übrigen anfeuerte, war hauptsächlich die Einnahme
der Stadt zu danken; Kaiser Max zeichnete ihn und seinen Bruder
Wolfgang dankbar bei jedem Anlaß aus.
* 123 *
* 122 *
Nachdem Christoph das dreiundvierzigste Jahr überschritten hatte,
beschloß und vollführte er, zur Sühne früherer Gewalttaten, zumal der
Ermordung des Abensbergers, mit noch anderen Fürsten und Edlen die
Wallfahrt ins heilige Land.
In Venedig schrieb Christoph, offenbar von Todesahnungen heim-
gesucht, seinen letzten Willen nieder (vollendet am Tage Christi
Himmelfahrt 1493) der gleichsam einen versöhnlichen und reuigen
Händedruck an seinen fernen Bruder darstellt; denn seine ganze Ver-
lasienschaft war darin dem Herzog Albrecht und dessen Leibeserben
vermacht.
Christoph erreichte mit seinen Genossen glücklich das gelobte Land,
betete am Grabe des Erlösers, beichtete und kommunizierte dort bei den
Franziskanern. Auf der Rückreise jedoch befiel ihn ein Fieber; krank
landete er auf der Insel RhoduS bei den Johannitern, deren Groß-
meister, Graf Rudolf von Werdenbcrg, sich seiner besonders liebevoll
annahm. Die Sorgfalt der Johanniter und ihres Großmeisters war
indeß vergeblich: am 15. August, dem Großfrauentag, erlag Herzog
Christoph seiner Krankheit und ward in der Kirche des hl. Antonius
auf Rhodus mit großer Trauer und Feierlichkeit bestattet. Nur seinen
Schild und sein Schwert brachten die Genossen seiner Pilgerfahrt heim
nach München; die wurden in der Burgkapelle aufgehängt und von da
in die Georgskapelle der neuen Residenz überführt, wo sie zum An-
gedenken des starken Herzogs noch bewahrt werden.
Herzog Wilhelms V. Hochzeit und die Mar vom
Doktor Faustus
Die Neue Veste hat viel Prunk und denkwürdige Schauspiele, auch
Zuzug von fremden Gästen gesehen, bei fürstlichen Hochzeiten und
Leichenbegängnissen und Herrschaftsantritten. Das glanzvollste Fest
aber, von dem weit über Bayern hinaus gesprochen ward, war die
Hochzeit, die Herr Wilhelm — nachmals Herzog Wilhelm V. — mit
Renata von Lothringen hielt im Jahre 1568. Dazu hatte sein Vater,
Herzog Albrecht V., alles aufgeboten, was künstlich und köstlich war:
die Stadt wimmelte von fremden Fürstlichkeiten und ihrem Gefolge,
die sämtlich auf das prächtigste gekleidet waren. Der Bischof von Augs-
burg, als Kardinal und päpstlicher Legat, vollzog die Trauung. Ver-
schiedene neue Kompositionen Orlando di Lassos wurden von der Hof-
kapelle aufgeführt; ja, Orlando verfaßte mit Massimo Trojano zusam-
men eine Harlekinskomödie, bei der er als Dichter und Musiker, Kapell-
meister und Schauspieler glänzte. Ein großes Jesuitenspiel „vom star-
ken Samson" ward zu höchster Bewunderung der Gäste dargestellt.
Die Festlichkeiten, Tanz, Turnier, Tafelfreuden, Schauspiel währten
über vierzehn Tage. Bei der Festtafel am Tage nach der Vermählung
wurde unter der Menge der Gerichte eine Pastete aufgetischt: aus der
stieg ein Zwerg des Erzherzogs Karl von Österreich, nicht ganz zwei
Spannen hoch, in silberweißer Rüstung, der alle Anwesenden, vorab
das fürstliche Brautpaar, aufs zierlichste begrüßte.
Welches Aufsehen die Hochzeitsfeier machte, zeigt sich auch daraus,
daß eine darauf bezügliche Sage in das 1587 erschienene Volksbuch
von Dr. Faust überging.
Der Inhalt der Sage lautet ungefähr also:
Doktor Faustus zu München
Es saßen auf eine Zeit drei Grafen, die zu Wittenberg studierten,
beisammen und redeten von der herrlichen Pracht, die auf der Hochzeit
von des Bayernfürsten Sohn zu München sein würde, wünschten,
auch dabei sein zu können. Da riet einer von ihnen: sie sollten Doktor
Faust darum angehen, und ihm eine Schenkung tun; der möchte ihnen
wohl dazu helfen, daß sie die Hochzeit sehen und zur Nacht wieder in
Wittenberg sein könnten. Nach dem Rat taten sie; und Faustus war's
wohl zufrieden, und sagte ihnen zu. Auf den Tag, da des Fürsten von
Bayern Sohn Hochzeit halten sollte, hieß Faustus die Grafen sich aufs
Schönste kleiden, führte sie dann in seinen Garten und breitete einen
großen Mantel aus; darauf setzte er die drei und sich selber, gebot
ihnen aber strengstens, daß keiner, so lang sie außen wären, ein Wort
reden oder einer Frage antworten dürfte. Das versprachen sie ihm.
Darauf hub FaustuS seine Beschwörungen an, und es kam ein star-
ker Wind und führte den Mantel mit ihnen durch die Luft davon, daß
sie rechtzeitig gen München kamen. Und sie fuhren unsichtbar, daß
niemand ihrer gewahrte. Nachdem sie die Pracht der Hochzeit den
ganzen Tag zugeschaut hatten, kamen sie am Abend, da es zum Nacht-
essen ging, in den Palast. DaS nahm der Marschall wahr und sagte
es dem Herzog an, wie alle Fürsten, Grafen und Herren schon zu
Tische säßen; draußen aber stünden noch drei Herren mit einem Die-
ner, die erst gekommen wären. Da ging der alte Herzog, sie zu em-
pfangen, aber sie antworteten auch dem alten Fürsten nicht auf seine
Rede, neigten sich nur. Derweil reichte man ihnen das Handwasser,
da vergaß sich der eine Graf und bedankte sich der Ehre. Es war
aber zwischen ihnen ausgemacht, daß sie, sobald Doktor FaustuS spre-
chen würde „Wohlauf", allesamt an seinen Mantel greifen und mit
* 124 *
* 125 *
ihm davonfliegcn sollten. Da nun der Graf das Gebot des Schwei-
gens verletzte, rief Fauftus: „Wohlauf!", und die zwei anderen Gra-
fen, sich an seinem Mantel haltend, wischten mit ihm davon; der
Dritte aber ward ergriffen und ins Gefängnis geworfen. Da wurde
er befragt, wie das Ding zugegangen sei, und wer die drei Anderen
gewesen? Aber der Graf gab keine Antwort, besorgte, was daraus
entstehen möchte, wenn er seine Gesellen verriete. Also ließen sie ihn
für die Nacht geschloffen und mit Hütern bewahrt und bedräuten
ihn, daß man ihn morgen peinlich befragen wollte. Der Graf aber
getröstete sich, daß Dr. Fauftus, auf das Anhalten seiner Vettern,
ihn wohl erledigen würde. So geschah es auch: ehe der Tag anbrach,
kam Faustus zurück, und durch seine Zauberkunst fielen die Wächter
in tiefen Schlaf, und alle Türen und Schlöffer sprangen auf. Da
fuhr er mit dem Grafen durch die Luft nach Wittenberg, und die Drei
taten ihm eine stattliche Verehrung dafür.
Die zu München aber hatten das Nachsehen.
Albrecht V. und Orlando di Lasso
Die ausgesprochene, in großem Stil sich betätigende Kunst- und
Prachtliebe Albrechts des Fünften, dieses typischen deutschen Renais-
sancefürsten, war keineswegs eine Ursache reiner Freude für seine
Landstände und seine obersten Räte. Die sprachen ihm in einem
schriftlichen Gutachten vom Sommer 1558 ihr „herzliches Mitleiden"
aus, daß er „solche hergelaufene unbekannte, liederliche Leute am Ho-
fe überhandnehmen" und „zu so vilfeltigen gepewen, malereyen, kist-
lereyen" sich bereden laste. — Die guten Räte hatten von ihrem
Standpunkt, im sorglichen Hinblick auf ihres Herzogs wachsende
Schuldenlast, nicht ganz unrecht; aber auch der Herzog hatte nicht
unrecht, wenn er mit Unwillen das wohlmeinende Schriftstück auf-
nahm und ungnädig beantwortete.
Denn zu den „Malereien" die man ihm vorwarf, gehörten unter
anderen die Gemälde und Miniaturen von Hans Mielich, zu den
„Kistlereyen" (Holzschnitzereien) Jakob SandtnerS prachtvolle Holz-
modelle bayerischer Städte, vor allem das große Stadtmodell von
München, das eine Perle des bayerischen Nationalmuseums bildet.
Unter den „Gcbäuen" befand sich beispielsweise das heutige Münzge-
bäude, enthaltend das bauliche Kleinod des sogenannten Turnierhofs;
und mit den „hergelaufenen liederlichen Leuten" ward merklich auf
einen kürzlich neu Berufenen gezielt: Orlando di Laffo.
Ein Freund der Künste überhaupt, war Albrecht V. besonders ein
Freund der Tonkunst; die Liebe zur Musik war ein Erbteil der baye-
rischen Herzöge. Mit seinem Sohne Wilhelm, der zu Landshut
eine eigene Hofmusik hielt, wechselte Albrecht ausführliche Briefe
über neu zu gewinnende oder gewonnene Kräfte für die „Cantorey"
(Hofkapelle). Desgleichen schreibt der kaiserliche Vizekanzler und bay-
erische Gesandte in Brüffel, Dr. Seid, von „guten Singern", auch
Knaben, um die er sich für Albrecht bemüht. Das fürstliche Cantorey-
haus stand an der Ostseite des heutigen „Plahls", damals Graggen-
au geheißen; die einstige Stätte des CantoreyhaufeS nimmt ein Teil
des jetzigen HofbräuhaufeS ein. Die Hofkapelle pflegte bei den gesun-
genen Ämtern in der alten Hofkirche zu St. Lorenz mitzuwirken, so-
wie bei Hofe die Tafelmusik zu bestreiten; später ließ sie sich hören
in dem 1558 — 62 erbauten großen Saal der Neuveste. Ihre Mit-
glieder teilten sich in Sänger und Instrumentalisten; sie wurde, so
scheint eö, umgebildet nach dem Muster der kaiserlichen Kapelle
durch den hervorragenden Tonmeister und großen Kontrapunktisten
Ludwig Senfl, der von 1525 an am Hofe Wilhelms IV. gelebt hatte.
Er war ein Schüler des flandrischen Komponisten Isaak. Von allen
Zeitgenoffen war er gepriesen worden: der gelehrte Benediktiner Wolf-
gang Seidl aus Tegernsee hatte eine begeisterte sapphische Ode auf
ihn gedichtet; Luther hatte ihn hochgeschätzt und in einem Schreiben
an ihn die Wittelsbacher Herzöge, die er in religiöser Hinsicht befeh-
dete, höchlich gerühmt, weil sie die Musik so pflegten und ehrten.
SenflS Behausung befand sich in der Hofstatt Nr. 6, ganz nahe von
seinem Freunde Simon Schaidenreißer. Er starb zu München
um 1555.
Zu Beginn von Albrechts V. Regierung nun war der Kapellmei-
ster Ludwig Daser, ein geborener Münchner, Leiter der Hofkapelle,
der auch kompositorisch tätig war. Obschon erst ein Dreißiger, ward
er 1559 pensioniert, offenbar um Orlando di Laffo Platz zu machen.
Er ging später nach Stuttgart und starb als Kapellmeister dort 1589.
Ein Zug jener Zeit war das Vordringen des ausländischen, zumal
italienischen und niederländischen Elementes auf jedem künstlerischen
Gebiete. Im Falle Orlando di Laffos trat noch besten überrragende
künstlerische Bedeutung hinzu. Hans Jakob Fugger, dem der Grund-
stock von Albrecht V. Bibliothek und Handschriftensammlung zu dan-
ken ist, sandte 1556 eine Motette Orlandos nach München; durch
seine Vermittlung berief Herzog Albrecht den jungen Meister in seine
Hofkapelle und später zu deren oberstem Leiter. Alle Hauptwerke Or-
landos sind in München entstanden. Auf Bestellung Albrechts kom-
ponierte Orlando feine berühmten fünfftimmigen „Sieben Bußpsal-
men Davids". Unmöglich, die Fülle des von Orlando Geschaffenen
hier auch nur zu streifen. Kaiser Max II. verlieh ihm für seine „or-
* 127 *
* 126 *
ländischen Gesänge" (die Herzog Albrecht dem Kaiser mitgeteilt) den
erblichen Adel; Papst Gregor XIII. bereitete dem Künstler, als dieser
ihm in Rom persönlich seine fünfstimmige Meffe überreichte, einen
ehrenvollen Empfang und machte ihn zum Ritter des goldenen
Sporns. Dazwischen lud Karl IX. von Frankreich Orlando zu sich
nach Paris, um seine Meinung bei Errichtung der von dem König
gestifteten musikalischen Akademie zu vernehmen. Doch blieb der
Meister, trotz aller schmeichelhaften Anerbietungen, die ihm ander-
wärts gemacht wurden, stets München freudig getreu.
Dies änderte sich auch nicht, als 1579 Albrecht der Fünfte das
Zeitliche segnete und den Ruhm eines „gottesfürchtigen, stattlichen
und gar vernünftigen Herren" zurückliesi, „der gelahrte und kunst-
reiche leit vast lieb hält und baiern zieren wollt von innen undt von
außen." Denn Wilhelm V., fein Nachfolger, hielt Orlando nicht
minder in Ehren. 1580 lehnte der Meister einen Antrag des Kur-
fürsten August von Sachsen ab, unter Hinweis auf die reichliche
Entlohnung und sonstigen Güter, mit denen die Gunst der beiden
Bayernfürsten ihn bedacht hatte.
Um die zeitliche Wohlfahrt des Meisters Orlando war es also gut
bestellt; dazu kam noch die Auszeichnung und persönliche Wärme,
die er von den Herzögen genoß. Und neben den Ehren, die sein Schaf-
fen ihm erwarb, lebte er ein glückliches, häusliches Leben, vermählt
mit Regina Weckhinger, „einer herzoglichen Kammerdienerin", die
ihm achtzehn Kinder gebar, zehn Söhne und acht Töchter. Wenn
der Dienst seines Fürsten ihm nicht Zeit ließ, das von Wilhelm V.
ihm geschenkte Landhaus in Schöngeising an der Amper aufzusuchen,
weilte er des Sommers „zur Recreation" in einem anderen Garten,
den er „sambt einem Hauß darinn" vor den Toren der Stadt, in der
Lehel-Gegend besaß. Da fanden wohl auch die Freunde sich öfters ein:
Friedrich de Sustris und dessen Schwiegersohn Hans Krumpper,
Peter Candid, Lizenziat Müller und des Herzogs Leibarzt Dr. Tho-
mas Mermann mit dem tiefgründigen Forscherblick, den, wie des
Meisters Orlando Witwe noch bezeugt, „ihr Mann seliger" vor Al-
len geliebt hat am fürstlichen Hofe.
Orlandos letzte Jahre waren verdunkelt durch Schwermut und Ge-
mütsverdüsterungen, die Folgen rastloser geistiger Überanstrengung —>
über zweitausend Werke hat er geschaffen. Umgeben von Frau und
Kindern, sowie treuen Freunden starb er, zweiundsechzigjährig, eines
sanften Todes. Er ward bestattet bei den Franziskanern, deren Klo-
ster und Freithof sich bekanntlich an der Stelle des heutigen Natio-
naltheaters befand. Demgemäß ist von der Grabstätte des „Fürsten
der Musik", wie feine Zeitgenossen ihn nannten, keine Spur ge-
* 128 *
blieben; sein Grabstein jedoch steht im Bayerischen Nationalmuseum,
mit der Inschrift:
„ftlic facet Orlnnäus ills La88U8,
Qui lassum recreat orbem.“
Das Wohn- und Sterbehaus Orlando di Lassos ist die heutige
Gaststätte am „Platzl", die seinen Namen trägt.
Der erste Kurfürst
Er saß an seinem Schreibtisch zu München, in dem Gelaß, das er
selbst hatte entstehen sehen und nach seinem Sinn geschmückt hatte,
ehe der Krieg, der dreißigjährige, ihn und die Welt mit anderen Sor-
gen belud. Der ruhige Farbenglanz der Hauteliffe-Wandteppiche schim-
merte im späten Tageslicht; von der Decke sahen die gemalten Allego-
rien fürstlich-christlicher Tugenden zwischen Stuckmarmor und schwerem
Getäfel auf ihn herab, der sich in stetiger Arbeit abmühte, sie zu ver-
wirklichen. Da war die monatliche Zollrechnung, die wollte durch-
gerechnet sein, denn dies war des Fürsten Stolz im Alter, wie einst
in der Jugend, daß er „selbst zu seinen Sachen sah" und jede Rech-
nung selbst überlas. Ein altes deutsches Wort hatte er zum Leibspruch
erkoren: in jeder Hauswirtschaft muß man einen Zehrpfennig, Ehr-
pfennig und Sparpfennig haben. Zum AuSgeben des EhrpfennigS
kamen Fürsten leicht genug. Die bevorstehende Vermählung feines
Kurprinzen würde manches schöne Stück Geld dahin nehmen. Gut:
wer rechtzeitig spart, kann rechtzeitig ausgeben. Heute hatte er den
Bau deS neuen Opernhauses am Salvatorplah, der bereits tapfer
emporstieg, angeschaut. Es würde eine schöne Vista ergeben, wenn
eS fertig stand. Dem Fürsten schwellte ein gewisser Stolz die Brust,
im Gedenken der Aufgaben, die er, Maximilian L, den Künsten schon
gestellt hatte, er, den die Mitwelt als karg verschrie. Ein bißl gehörte
er ja selbst zum Handwerk: in seinen wenigen Mußestunden drehte er,
dessen ganzer sonstiger Tag zwischen Gebet und Arbeit verfloß, zier-
liche Gebilde aus Elfenbein. Und am Plan dieser seiner Residenz
hatte er fest mitgetan. Nichts von weltlichen Dingen bot dem Kur-
fürsten solche Erquickung als die Betrachtung von Kunstwerken. War
ihm jemals ein Brief, eine Mühe zu viel gewesen, um von den Nürn-
bergern oder anderswoher ein Stück seines geliebten Albrecht Dürer
zu erwerben? Mit Lust übersann er, was Alles er von des herrlichen
Meisters Hand besaß. Und die Gedanken wanderten weiter: zum
Grabmal, das er seinem kaiserlichen Ahnen Ludwig gesetzt hatte, zu
Peter Candids Malereien im Kaisersaal, zu dessen Himmelfahrt Mariä
in der Frauenkirche —
9
* 129 *
Da wandte Maximilians Sinnen sich ab von der Kunst, hinüber
zu seiner himmlischen Herrin, zu deren Füßen sein Leben verglomm
wie draußen überm Restdenzportal die ewige Lampe vor ihrem, von
Hans Krumpper geschaffenen, Erzbild. Voreinst hatte er eine, mit
seinem Blute geschriebene, Widmung an sie versaßt und in Altötting
niedergelegt. Keine irdische Liebe war je so stark gewesen, daß sie ihn
abwendig gemacht hätte dieser einen, rein geistigen, seine Seele be-
herrschenden Liebe zur Mutter des Herren. — „Ora pro nobis!"
— sprach er leise, und sah innig hinauf zu dem Marienbilde über
dem Tische an der Wand. Das war das Stück Schwärmerei, das
dem sonst Kühlen, Nüchternen innewohnte.
Sein Tagewerk brauchte wahrlich nüchterne, kühle Klarheit, brauchte
einen ungebeugten, zuweilen harten Willen. Hatte er es nicht hun-
dertmal schwerer gehabt, als sein Vater und Ahn? Hatte er nicht
fliehen müssen aus seiner Hauptstadt, nicht der Kriegsfurie in die
medusenartigen Augen gesehen? Hatten zu dem endlich Sieghaften,
wieder im Frieden Herrschenden nicht Hunger, Pest, Verwüstung
um Hilfe geschrien? Und es war ihm doch einigermaßen gelungen,
dem ärgsten Elend zu steuern; er hinterließ doch ein beruhigtes, ge-
ordnetes Land, einen gefüllten Schatz. Vor Allem: ein Volk, in
Ehrfurcht und im Väterglauben erhalten.
Wem hinterließ er es? Fürsten können so wenig als Andere ihr
Bestes, Stärkstes vererben. Nur den Besitz, nicht die bewahrende
Kraft. Und er, der Kurfürst, stand im neunundsiebzigsten Jahre;
täglich konnte Gott ihn abberufen. —
Die welke Greisenhand schob die Stöße der Rechnungen, Sup-
pliken, Berichte zur Seite; da und dort waren die Ränder der Pa-
piere mit kleinen unwilligen Anmerkungen bedeckt, wo irgend etwas
Mißfälliges sein scharfes Auge getroffen hatte. Er zog ein Heft her-
vor, das die Erfahrungssumme eines ganzen Fürstendaseins seinem
Nachfolger überliefern sollte, die „Treuherzigen väterlichen Lesestücke,
Erinnerungen und Ermahnungen" für seinen Sohn.
Sparsamkeit und Mäßigkeit, Erhaltung der Würde und Autori-
tät, jedoch mit Freundlichkeit und Sanftmut gepaart, Verschwie-
genheit bei wichtigen Geschäften, die goldene Regel, nur langsam zu
reden, verständig und mit gutem Bedacht, Neuerungen und a la
modisches Gebaren zu meiden. Alles hat sein Beispiel dem Prinzen
schon eingeprägt, nachdrücklicher als gemalte und in Erz gegossene
Allegorien. Und die rastlose hagere Hand schreibt, gleichsam als Mot-
to, noch die Worte: „Eifrige, arbeitsame Potentaten und Fürsten
sind den brennenden Kerzen zu vergleichen, welche sagen könnten:
aliis lucendo consumor! Anderen leuchtend verzehre ich mich." —
Anderen leuchtend? Es gab Viele, die den Kurfürsten Maximi-
lian tadelten oder fürchteten. Hart, streng, eigensüchtig hießen sie ihn,
freilich im Widerspruch zu Solchen, denen er als der Salomon Europas
galt. Er fragte den Einen und den Anderen nicht nach. Wie der baye-
rische Bauer nur zweierlei kennt: den Herrgott und das Stück
Heimatscholle, das er bebaut und mit Stolz seinen Hof nennt, so gab
es für Bayerns Herrscher auch eben nur Gott und den Staat. Aus
seinem ganzen kämpfereichen Leben entsann er sich unter den Sün-
den, die er bereute, keines Augenblicks, wo sein katholischer Christen-
glaube gewankt oder wo er das Wohl des Staates nicht bedacht
hätte. Käme jetzt seine letzte Stunde, so könnte er dies beteuern vor
Gottes Angesicht -
In das Gemach Mckte verglimmender Abendschein. Der greise
Fürst, im Gedanken an seinen Tod, hatte die Feder niedergelegt
und bekreuzte sich andächtig. Sein Antlitz trug den Ausdruck völligen
Friedens.
Schleißheim
Ein uralter Edelsitz und Kirchort, kam Schleißheim im 15. Jahr-
hundert zuerst an Herzog Ernst von Oberbayern, später an die Brü-
der Pfattendorfer, die natürlichen Söhne Herzog Sigmunds. Die
stille friedsame Lage des Ortes auf der Garchinger Heide, sowie die
Fruchtbarkeit des Bodens veranlaßten Herzog Wilhelm V., hier eine
Musterschwaige und ein Herrenhaus zu errichten. Später baute er
zu den im Umkreis schon bestehenden vier Kapellen noch fünf weitere
hinzu, jede mit einer Klausnerwohnung daran. Es waren nun im
Ganzen 9 Kapellen, die zu Sankta Maria, St. Jakob, Sankt»
Margaretha, St. Nikolaus, St. Korbinian, St. Franziskus, St.
Ignatius, St. Wilhelm und St. Renatus. Sie alle sind verschwun-
den, nur die St. Jakobskapclle besteht noch als Friedhofskapelle
von Hochmutting, und die Jgnatiusklause ist umgewandelt in die be-
kannte Gastwirtschaft „zum Bergl." In die Schleißheimer Klausen
pflegte Wilhelm V. mit seiner Gattin Renata und einigen Vertrau-
ten vom Hofe sich zurückzuziehen, wenn er einsam der Betrachtung
und den Andachtsübungen obliegen wollte. An diese Klausen mahnen
heute noch einzelne niedrige, einstöckige Häuschen. Später, als Wil-
helm V. seinem Sohne Maximilian die Regierung abgetreten hatte,
bot er dem neuen Herrscher die Schwaige Schleißheim, die sein per-
sönliches Eigentum war, zum Kaufe an. Es ist bezeichnend für den
sparsamen Sohn, daß er genau prüfen ließ, welchen Ertrag die
Schwaige abwarf, ehe er auf den Handel einging. Um jede Kleinig-
* 131 *
* 130 *
keil der Bewirtschaftung kümmerte er sich selbst, bis auf den Speise-
zettel für die Dienstboten herab. Doch behagte auch ihm Schleißheim
als Aufenthalt, denn er ließ durch seinen Liebling Peter Candid hier
an Stelle des einfachen Herrenhauses das alte Schloß aufführen,
den ältesten Renaissancebau in Münchens Umgebung. Seine Nach-
folger bauten die so geschaffene Sommerresidenz noch weiter aus,
schmückten sie mit Gemälden und Stuckarbeiten, gestalteten den Park
im Sinne der damaligen französisch-italienischen Gartenkunst. Fer-
dinand Maria, der gern hier weilte, starb in Schleißheim im Jahre
1.679; sein Sohn Max Emanuel ist der eigentliche Schöpfer des
neuen großartigen Schlosses. Es war fein Lieblingöbau, für fein per-
sönlichstes Wesen so bezeichnend, wie die MichaelSkirche für Wilhelm V.
oder der Plan der neuen Residenz für Maximilian I. Aus dem
Feldlager vor Namur sandte der Fürst, der seinem eigenen Geständ-
nis nach „schon glücklich war, wenn er Pläne zeichnete, nur das
Papier zu verschmieren" — seine baulichen Anordnungen hinsicht-
lich SchleißheimS nach Hause. Begonnen ward mit dem Schlößchen
Lustheim, das an Stelle der abgebrochenen Renatusklause des Ur-
ahns Wilhelm steht, die zierliche Nachbildung eines italienischen Ka-
sinos. Dann folgte der Bau des Hauptschlosses, das noch bei Max
Emanuels Tod nicht ganz vollendet war. Der Ehrgeiz Dessen, der
von einer Königskrone träumte, wollte, daß sein Schloß eines Kö-
nigs würdig sei; daneben spricht aus jedem Zug der Anlage seine
schwelgerische Sinnenfreudigkeit, das Stück Romantik, das in ihm
wohnte und sein wirkliches Kunstgefühl. Er hat Unsummen ver-
schwendet, dieser Kurfürst, über den die Meinung der Mitlebenden
so geteilt, häufig mit Recht absprechend war. Aber er hat der bildenden
Kunst, dem Kunfthandwerk, der Gartenkunst würdige Aufgaben ge-
stellt; und so leicht er in politischen Dingen sanguinisch daneben griff,
so sicher fand er die richtigen Persönlichkeiten heraus, die solche künst-
lerische Aufgaben lösen konnten. Für Schleißheim war es zuerst der
Graubündner Enrico Zuccali, dann Joseph Effner, der Dachauer
Gärtnerssohn.
Wenn schon der Plan des Schlosses nicht in vollem Umfange zur
Ausführung kam, ist der Eindruck dennoch majestätisch genug. Von
monumentaler Wirkung schon der Eintritt durch das Hauptportal,
herrlich der Blick von den Fenstern der Ahnengalerie herab auf die
blumigen Teppichgärtnereien und die ganze Gestaltung des Parkes,
der den Zusammenhang zwischen Schleißheim und Lustheim vermit-
telt. Die berühmte Gemäldegalerie, zum Teil von Max Emanuels
Vorfahren herstammend, aber durch ihn und seine Nachfolger be-
deutend gemehrt, umfaßte zu seiner Zeit schon !OOO Nummern.
Zwar ist aus dem Gemäldeschah das Beste inzwischen in die Alte
Pinakothek überführt worden, doch ist dafür wieder manches Wert-
volle in Schleißheim neu hinzugewachsen.
Während der Spätzeit Max Emanuels und der Regierung Karl
Albrechts weilte der Hof zur Sommerszeit abwechselnd in Schleißheim
und Nymphenburg. Es fanden hier wie dort die gleichen glänzenden
Feste statt: auf dem Kanalarm, der von Schleißheim nach Lustheim
führt, wurden venezianische Gondelfahrten unternommen, der Park
ward glänzend beleuchtet und großes Feuerwerk darin abgebrannt.
In den prächtigen Sälen, wo goldene und silberne Ornamente sich
an seidenen Stofftapeten hinaufranken oder in die Wandbespannung
kostbare Gemälde eingelassen sind, wurden Bälle und festliche Em-
pfänge, Konzerte und Theateraufführungen veranstaltet. Der graue
und rosige Marmor des Treppenhauses, die eingelegten Mosaikfuß-
böden spiegelten den Glanz der Kerzen und das Flackern der Wind-
lichter, mit denen den höchsten Herrschaften hernach in ihre Gemächer
geleuchtet ward. Und wenn dann die Lichter verloschen waren, und nur
der Mond sein Silber auf Park und Schloß ergoß, klang vielleicht
noch leises Liebesgeflüster da und dort aus den verschnittenen Buchen-
hecken oder den süß und schwül duftenden Fliederbüschen hervor. —
Seit dem Kurfürsten Max III. Joseph kam der Hof nicht mehr nach
Schleißheim. 1822 ward es landwirtschaftliche Lehranstalt, später
Kreisackerbauschule, dann Remontedepot. Heute, im Gegensatz zu
Nymphenburg, das vom Leben der bis zu ihm sich erstreckenden Haupt-
stadt umgeben wird, ist Schleißheim still. Abseits und einsam liegt
das Schloß inmitten des flachen moorigen Landes. Die Schönheit
und der Prunk dieses Kleinods dekorativer Kunst stechen seltsam ab
gegen die Ode ringsum. Der Besucher mag sich in den Sälen und
Parkwegen ergehen und Betrachtungen anstellen über die Vergäng-
lichkeit alles Irdischen. Aber im Scheiden wird er das Gefühl mit-
nehmen, zu Gaste gewesen zu sein in einer Welt, die dem Heutigen
fern und unwirklich scheint und deren Anhauch doch Jeder als einen
Zauber empfindet.
Kaiser Karl VII.
Im prunkvollen Fürftenschlafzimmer der Residenz liegt ein Ster-
bender. Die Krone auf dem hohen goldgestickten Baldachin über dem
Bette erscheint als eitler, törichter Gegensatz zu dem Leiden des ar-
men Dulders, den leibliches und seelisches Weh vorzeitig unter die
Erde bringt. Aus dem Dämmer heraus, das seine Sinne schon um-
spinnt, reckt er noch einmal die Hand nach den Weinenden, die sein
Sterbelager umstehen:
* 132 *
* 133 *
„Meine armen Kinder, mein armes Land, verzeiht Euerem armen
Vater!" Das sind Karl Albrechts letzte Worte in diesem Leben.
DaS Mitleid der Zeitgenoffen hat Karl Albrecht, Kurfürsten von
Bayern, als römischer Kaiser Karl VII., den „Unglücklichen" ge-
nannt. Mit nur zu gutem Grunde.
Er zählte noch nicht neun Jahre, da er, Max Emanuels ältester
Sohn, in Gefangenschaft der Österreicher geriet, von ihnen, die sei-
nen Vater befiegt und vertrieben hatten, aus München hinweggeführt
wurde, um erst in Klagenfurt, dann in Graz erzogen zu werden. Als
Jüngling ward er den Eltern und der Heimat wiedergegeben; als
nicht ganz Dreißigjähriger, jung vermählt, vom Glanze eines prunk-
liebenden, schönheitsfreudigen Hofes umgeben, trat er das Erbe sei-
nes Vaters an.
Er war deffen Erbe auch innerlich. Die verstehende Kunstliebe,
besonders die Freude am Bauen, die leicht erregbare Sinnlichkeit,
der Ehrgeiz und die persönliche Tapferkeit Max Emanuels waren
auch dem Sohne zu eigen. Aber alles um eine Note schwächer, zar-
ter, nicht mehr so ins Große gehend. Er verhielt stch zum Vater —
wie die Amalienburg zu Schleißheim. Und während die sanguinische,
abenteuernde Seele Max Emanuels in einem Körper wohnte, der
trotz Strapazen und seelischen Erschütterungen vierundsechzig Jahre
vorhielt, war Karl AlbrechiS Widerstandskraft mit achtundvierzig
Jahren verbraucht — ungeachtet des stählenden EinfluffeS der von
ihm so leidenschaftlich geliebten Jagd.
Erft wenige Zeit herrschte er, als ein furchtbarer Brand sein
Residenzschloß verheerte, Kunstschätze vernichtete, deren Verlust dem
Kurfürsten wahrhaft zu Herzen ging. Darnach kam eine Frist unge-
störten, beglückten Daseins, ein Entfalten aller persönlichen Neigun-
gen. Der Fürst, vor dem bei der feierlichen Landeshuldigung der Erb-
jägermeister, Graf Törring, einherschritt, den mächtigen Hetzrüden
an der Leine führend, streifte mit Gefolge oder einzeln, als einfacher
Jäger durch Wald und Moor. Wenn er dann heimkehrte, beutereich,
aber ermüdet, beschmutzt, dann gewährte eS seinem verfeinerten Em-
pfinden die köstlichste Erholung, auszuruhen inmitten hochgesteigerter
Pracht, erwähltester Form- und Farbenkunst, schöner graziöser Frauen.
Das waren die Jahre der Amalienburg.
Dann aber kam der Augenblick, wo Karl Albrecht den alten Kampf
seines Hauses mit Habsburg um die Vorherrschaft in Deutschland
aufnahm, die „Pragmatische Sanktion" anfocht, der „Großherzogin
von Toskana", wie er Maria Theresia nannte, das Erbe ihres Va-
ters, Kaiser Karl VI., bestritt.
Eine Spanne kriegerischer Erfolge, siegreichen Vordringens, frei-
lich im Bündnis mit anderen Mächten: Preußen, Sachsen, Spanien,
Frankreich. Und der Triumph, der höchste, den sein Vater vergeblich
ersehnt hatte: zum römischen Kaiser erwählt zu sein. Ein Triumph
voll grausamen Schicksalshohns. Denn inzwischen hat das Waffen-
glück sich schon gewendet: Maria Theresias Heere fallen siegreich in
Bayern ein. Während die Vorbereitungen zur glanzvollen Krönung
in Frankfurt a. M. getroffen werden, erreichen nur Unglücksbotschaf-
ten den zu Krönenden, der sich im Bette unter qualvollen Gicht- und
Steinschmerzen windet. Es lieft sich erschütternd, wie dem armen
siechen, sorgenzerriffenen Manne der schwere Krönungsornat angelegt
wurde, wie man ihn, der sich mühsam aufrechthielt, auf einen
geschmückten Zelter hob und in feierlichem Krönungszug dahin-
führte. Dennoch, so freudlos es in ihm aussah, strahlte persönlicher
Zauber von ihm aus: Goethes Mutter, die damals elfjährige Elisa-
beth Katharina Textor, hat es uns bezeugt. Sie sah ihn krönen, sie
sah ihn mit seiner Gemahlin am Charfreitag in Frankfurt von Kirche
zu Kirche gehen, Hand in Hand, gehüllt in lange schwarze Mäntel.
Beide hatten Lichter in der Hand, die sie gesenkt trugen... „Überall
kniete er auf der letzten Bank unter den Bettlern und legte sein Haupt
eine Weile in die Hände." Später sah sie ihn offene Tafel halten
unter Trompetengeschmetter, umringt von großen Herren; als seine
Gesundheit getrunken ward, jauchzte sie mit: „der Kaiser sah mich an
und nickte mir." Die wundersamen melancholischen Augen des kran-
ken Kaisers erweckten in der späteren „Frau Rat" ihre „erste rechte
und auch letzte Leidenschaft."
Schwerste Gründe zur Schwermut hatte er. Ein Bundesgenoffe
nach dem anderen fiel ab von ihm. Im Mai 1742 war, als die Pan-
duren in München einbrachen, von diesen unmenschlich gehaust wor-
den; am Lehel wurden vierzig Häuser in Asche gelegt, die Einwohner
niedergemehelt, die Schwerverwundeten, sowie viele kleine Kinder
lebend ins Feuer geworfen. Und im Juni ließ Österreich sich im be-
setzten Bayern huldigen — wie zu Max Emanuels Zeit.
Der Einfall der preußischen Heere in Böhmen 1744 erleichterte
Bayern und führte Karl Albrecht in seine Residenz, die er dazwischen
nur kurz wiedergesehen, zurück. Auf wie lange? Seine Umgebung
glaubte: bis zur baldigen eiligen Flucht. Er wußte es anders: er
fühlte sein Ende nahe. Seine LieblingStochter Therese Benedikte,
deren Tod ihm in dieser Leidenszeit fast das Bitterste gewesen, war
ihm vor der Heimreise erschienen, tod- und friedeverkündend. Er starb
am 20. Januar 1745. — „Er war sanft, menschlich herablaffend"
— urteilt von ihm die kritische Markgräfin Wilhelmine von Bay-
* 135 *
* 134 *
reuth, die Schwester Friedrichs des Großen, und meint: er hätte ein
befferes Schicksal verdient. - -
Sogar der Grabesfrieden wäre ihm nicht gegönnt gewesen, wenn
dem zu glauben, was seine Witwe, die Kaiserin Amalie, 1750 an
ihre Tochter schrieb. Darnach wäre sein Geist im Angerkloster in
München erschienen, kurz vor dem Tode seiner Schwester Maria
Karolina, die dort als Klarissin Gott diente. — „Noch einmal wagst
du, vielbeweinter Schatten, hervor dich an das Tageslicht" — Diese
Verse Goethes drängen sich einem unwillkürlich auf bei solcher
Kunde. Aber sie geleiten auch jeden, der an einem Frühlingstage den
Park zu Nymphenburg und die Amalienburg betritt, die Erinnerung
an den liebenswerten unglücklichen Kaiser als stille Genossin zur
Seite.
Nymphenburg
Der alte Name der Hofmark Nymphenburg ist „Kemnaten".
Unter diesem Namen schenkte eS Kurfürst Ferdinand Maria seiner
Gemahlin Adelheid „ins Kindbett", als sie ihn durch die glückliche
Geburt eines Thronerben erfreut hatte. Die Kurfürstin fand den bis-
herigen Namen zu gewöhnlich. Sie bat ihre Mutter, einen anderen
vorzuschlagen, und dieser andere war „borgo delle nymphe“ d. h.
Nymphenburg. Die Fürstin ließ den Mittelbau des heutigen Schloßes
durch den Bologneser Agostino Barelli aufführen, als einfaches Luft-
schloß, im Stile der italienischen Villa, umgeben von einem kleinen
Garten im französischen Geschmack. Aber erst der damals geborene
Kurprinz, spätere Kurfürst Max Emanuel baute Schloß und Park
in ihren heutigen Größen aus. Der „Adelaideftock", der Mittelbau,
wurde nach beiden Seiten fortgesetzt; der eine Flügel endete in einer
Kaserne, der andere in einem Kloster hetzt das der Englischen Fräulein),
bis viel später die den Schloßplatz umgebenden Beamtenwohnungen
sich daran reihten. Ländlich und doch großartig wirkt der Anblick des
weißen SchloffeS mit seinen Nebenbauten und der Fontäne, die in-
mitten des Platzes lichtfunkelnde Tropfen sprüht. — Der spanische
Erbfolgekrieg unterbrach die Bauten, die damals Anton Viscardi
leitete, für volle zehn Jahre. Als Max Emanuel gleich nach seiner
Heimkehr sie wieder aufnehmen ließ, ward ein Bayer, der in Paris
auf kurfürstliche Kosten ausgebildete Joseph Effner, damit betraut.
Auch die Parkanlagen wurden nun vollendet: breite Alleen, lauschige
Wege wurden angelegt; Wasierkünfte mit schimmernden Steinfigu-
ren, ein verträumter kleiner See und ein Kanal belebten die Land-
schäft. Als Ruhewinkel nach den mancherlei Gesellschafts- und Lauf-
spielen im Freien, die hier des Sommers betrieben wurden, entstand
die „Pagodenburg" im chinesischen Geschmack, ferner als prunkvolles
Badehaus die „Badenburg". Später jedoch, da Max Emanuel
alterte und die Stimmungen zerknirschter Andacht, die bei ihm sein
Leben lang mit gelegentlicher Frivolität gewechselt hatten, vorherr-
schend wurden, ließ er das St. Magdalenenkirchlein im Park auf-
führen und sich daneben ein paar einfache Zimmer, die Klause oder
Eremitage, einrichten. Die als künstliche Ruine begonnene, erst unter
Max Emanuels Nachfolger vollendete Kapelle enthält die weiße
Marmorfigur der heiligen Büßerin inmitten einer dunklen Grotte
aus Muscheln und Tuffstein, wo ein kleiner Brunnen rieselt. Es war
Sitte, daß alljährlich am Feste der heiligen Magdalena, 21. Juli,
die Kapelle, die für gewöhnlich verschlossen ist, für jedermann offen
stand. Daher schrieb sich ein großes Volksfest, das Magdalenenfest,
zu dem die Münchner noch jetzt scharenweise nach Nymphenburg
hinausgehen oder fahren. Denn das Wasser des Magdalenenbrünn-
leins galt im Angedenken der reuigen Tränen der hl. Büßerin als
heilsam für kranke Augen. Manche Besucher füllten davon in ein
Fläschchen und trugen eS zu täglichen Waschungen mit heim. Nach
der Andacht pflegte eine gemütliche Einkehr in einer der Wirtschaften
des großen Rondells zu Seiten des SchloffeS zu folgen, vornehmlich
beim „Controlor".
Karl Albrecht, unter dem die Magdalenenkapelle vollendet ward,
hat zu Ehren seiner Gemahlin Maria Amalie, der tapferen Jägerin,
auch das Juwel des Nymphenburger Parkes erbauen lassen, die
„Amalienburg". Sie ist das schönste Werk ihres Meisters Cuvillies
und eine Perle aller Rokokokunst überhaupt. Das Ganze ein Traum
in Silber, unterwebt mit Blau und Gelb, etwas unendlich Zartes,
Schimmerndes, der Lebensausdruck eines auf feinsten Daseinsgenuß
eingestellten Menschen, der die Schönheit in allem liebt. An die Be-
stimmung des Hauses zu Jagdzwecken erinnert — ein so leidenschaft-
licher Jäger Karl Albrecht auch war — nur der auf dem Dache er-
richtete „Hochstand" mit zierlicher schmiedeeiserner Einfassung, von
dem herab zumeist auf Fasanen geschossen ward. Die Raumverhält-
nisse, die Linien, die innere Ausstattung der Amalienburg bilden einen
Zusammenklang von vollendeter wunderbarer Harmonie; sie ist sozu-
sagen das Wahrzeichen des Nymphenburger Parkes: die Seele ihres
fürstlichen Bauherrn scheint in sie hinein gebannt zu sein.
Was Karl Albrechts Schöpfungen ebenso wie die seines Vaters
für das heimische Kunsthandwerk bedeuteten, beweist die entzückende
Feinheit der Holzschnitzereien, die sich an den Wandpanneaux empor-
* 137 *
* 136 *
schlingen und der köstlichen Stuckarbeiten der Plafonds. Die ersteren
stammen von einem „Schneidkiftler" in der Au, Joachim Dietrich,
die zweiten von dem Westobrunner Stuckator Joh. Bapt. Zimmer-
mann - alles Handarbeit nach Cuvillies Entwürfen.
Bekanntlich trug Karl Albrecht sich mit dem Gedanken, zwischen
München und Nymphenburg eine eigene Stadt, genannt „Karl-
stadt" zu errichten. Hierzu ließ es der österreichische Erbfolgekrieg
nicht kommen, doch haben Karl Albrecht und seine Gemahlin den
Grundstein zum ersten Hause der künftigen Stadt, der Taferne und
Bäckerstatt „Zum Controlor" persönlich gelegt (März 1728).
Dagegen entstand unter dem Kurfürsten Max HI. Joseph in Nym-
phenburg eine Neuheit von größter gewerblicher Bedeutung- In den
fünfziger Jahren des 18. Jahrhunderts nämlich hatte ein einfacher
Münchner Hafnermeister, mit Namen Johann Niedermayer, ohne
die feit einem halben Jahrhundert bestehende Meißener Porzellan-
fabrik zu kennen, das Geheimnis der Porzellantechnik entdeckt. Unter
Überwachung des Grafen Sigmund von Haimhausen, des kunstsinni-
gen Direktors der von Max III. gegründeten bayerischen Akademie,
ward Niedermayer erster technischer Leiter der Nymphenburger Por-
zellanmanufaktur, die sich in einem Nebenflügel des Schloffes be-
findet und deren künstlerische Schöpfungen sich Weltruhm erworben
haben. All die Anmut der Schäferspiele, der zierlichen Herren und
Damen, die ehemals auf den Parkwegen NymphenburgS lustwandel-
ten, die Nymphen und Gottheiten, die weißschimmernd aus dem
Gebüsch hervorlauschten, bis herab auf die Drölerie der zahmen
Hunde und Rehe, der Lieblingsvögel und Papageien, lebt fort in der
berückenden Kleinkunst der Nymphenburger Porzellanfabrik.
Der letzte Kurfürst und erste König Bayerns, Max Joseph I., hat
Nymphenburg besonders geliebt und ist hier 1825 gestorben.
Einer wenig bekannten Besonderheit des Schlosses zu Nymphen-
burg sei noch gedacht. In der großen Galerie des oberen Stockwerks,
über dem Einfahrtskorridor, hört, wer ruhig darin verweilt, mitunter
das Geräusch von Tritten und Menschenstimmen, ohne daß er jemand
sieht. Jedenfalls liegt dem eine akustische Eigentümlichkeit der Bau-
anlage zu Grunde; auf bängliche Gemüter wirkt der Vorgang spuk-
haft, wie er sogar von solchen gelegentlich mit dem Andenken König
Ludwigs II. in Verbindung gebracht wurde.
Denn auch die Wiege eines Königs hat in Nymphenburg gestanden:
Ludwig II- ist hier am 25. August 1845 geboren, zur größten Freude
seines Großvaters Ludwig I-, der an diesem Tage seinen GeburtS-
und Namenstag beging. Den Wünschen, die den kleinen Prinzen
beim Eintritt ins Leben begrüßten, sollte keine Erfüllung beschicken
x 138 -x
fein. Dies Leben, das so glückverheißend im schönheitsvollen Nym-
phenburg begann, endete leidenbeschwert an einem regendunklen
Pfingsttag in der Tiefe eines Bergsees.
Max HI. Joseph
Kaum achtzehnjährig kam er zur Regierung. Aber seine Jugend
war darnach angetan, ihn früh zu reifen: er hatte das schwere Ster-
ben und kämpfereiche Leben seines Vaters, Karl Albrecht, mitgeschaut.
Er übernahm von ihm ein schlimmes Erbe, den österreichischen Erb-
folgekrieg. Die erste Handlung des jungen Kurfürsten war, Frieden
zu schließen und das durch den Krieg entstandene furchtbare Elend
nach Kräften zu lindern.
Unendlich bezeichnend für Max Joseph ist ein Zug aus dem ersten
Jahr seiner Herrschaft. Er wollte eines Morgens mit Gefolge auf
die Jagd ausreiten, die er gleich seinem Vater und Großvater leiden-
schaftlich liebte. Unterwegs, in der Sendlingergasse, begegnete ihm
ein Priester von St. Peter mit dem Viaticum. Der Kurfürst stand
ab von der Jagd, stieg vom Pferde und folgte entblößten Hauptes
dem Priester hinunter zum Anger, in die Dachkammer eines dürftigen
Hauses, wo ein armer Handwerksbursch am Sterben lag. Der Fürst
wohnte knieend und tief ergriffen der heiligen Handlung bei, trat
dann an das Bett, um dem Todkranken Trost und Mut zuzusprechen
und geleitete, nachdem er ihn reichlich beschenkt hatte, still und ernst
das Altarsakrament in die Peterskirche zurück.
Er fühlte wahrhaft für sein Volk. Dies Gefühl ward erwidert,
wie die vom Volke ihm verliehenen Beinamen, der „Gütige" oder
der „Vielgeliebte" beweisen. Ebenso steckte die Liebe zu den Künsten
und Wissenschaften ihm tief im Blut. Unter ihm ist das köstliche Re-
sidenztheater geschaffen worden; unter ihm trat die bayerische Akade-
mie der Wissenschaften ins Leben. Für Musik hatte er ausgeprägte
Begabung: er spielte mit Leidenschaft Klavier, Violine, Cello und
Gamba, ähnlich seinem Großvater Max Emanuel, ja er komponierte
auch selbst. Der kunstsinnige, musikverständige Graf Salern war
sein Musikintendant, sein gelegentlicher Helfer desgleichen bei einer
anderen Liebhaberei, die Max Joseph mit seinem Großvater sowie
mit seinem großen Ahn, Maximilian I-, teilte: dem Verfertigen
kunstreicher Arbeiten aus Elfenbein. Er war als Drechsler in Elfen-
bein sehr geschickt und tatsächlich stolz darauf. Ebenso ehrte und för-
derte er die handwerkliche Geschicklichkeit eines jeden auf jedem Ge-
biet. Der Grundzug seines Wesens war neben der Güte eine milde
Heiterkeit, von der seine Umgebung mannen Zug berichtete.
* 139 *
In zweiunddreißigjähriger Regierung erlebte er viel Schweres.
Die ersten Jahre waren ausgefüllt mit dem Bestreben, das durch
jahrhundertlange Kriege völlig ausgesogene, verarmte und geschwächte
Land einigermaßen wieder aufzurichten. Er sparte in erster Linie an
sich selbst, setzte sein Einkommen herab zu Gunsten des Staates. Die
Schulbildung stand auf schauerlich niedriger Stufe; Max Joseph be-
mühte sich, sie zu heben, unterstützte das Wirken des vortrefflichen
Stiftskanonikus Heinrich Braun, der unablässig auf gründlicheren
Unterricht in der Muttersprache hinwies. Die Volksschulen wurden
reformiert, Realschulen gegründet, die Gymnasien verbeffert. Max
Josephs Kanzler Kreittmayr schenkte mit Zustimmung seines Fürsten
dem Lande ein neues Strafrecht, ein verständliches bayerisches Land-
recht. Äußere schwere Katastrophen verschonten die Regierung Max Jo-
sephs nicht, trotzdem sie friedlich war. Von dem großen Residcnzbrand
1750, der das Schloß seiner Ahnen in Asche legte, ist schon geredet wor-
den. Zwanzig Jahre darauf ward Bayern von einer fürchterlichen Hun-
gersnot heimgesucht. Das Elend war so groß, daß in der Umgegend
Münchens und teilweise auch in der Stadt, der Hungertyphus als
ständiges Übel auftrat. Der Kurfürst, der natürlich von dem Ge-
treidemangel gehört hatte — leider sperrten die deutschen Staaten,
ja sogar deren einzelne Provinzen sich gegeneinander ab, statt einander
in der Not auszuhelfen — fragte wiederholt, ob Münchens Bürger-
schaft genügend versehen sei. Doch fehlte es in seiner Umgebung nicht
an Leuten, die teils um ihre Unfähigkeit zu verdecken, teils um, wie
sie angaben, sein weiches Gemüt zu schonen, ihm die bittere Wahrheit
verschwiegen. Er erfuhr es auf eine schrecklich erschütternde Art. An
einem Samstag kehrte er aus der Mesie in der Herzogspitalkirche
zurück. Da wurde seine Karosse von einer ganzen Schar blasser ab-
gezehrter Gestalten umringt, welche ihn mit aufgehobenen Händen
um Hilfe anschrieen, da sie am Verhungern wären. Der Kurfürst
war außer sich. Er versprach sofortige Hilfe, befahl, die Kassen und
amtlichen Getreidespeicher zu öffnen. Sie waren leer. Der Kurfürst
ließ alsbald in Holland eine große Summe Geldes aufnehmen, für
welche Summe durch den Münchner Kaufmann Sabbadini ausländi-
sches Getreide aufgekauft und auf allen Schrannen um billigen Preis
ausgeboten wurde. Max Joseph schonte sogar seinen geliebten Wild-
bestand nicht. Er ließ eine große Menge Wild abschießen und das
Fleisch an die Armen verteilen. Leider hatte der Fürst ohne den Korn-
wucher gerechnet, den etliche der beauftragten Kornverkäufer ruhig
trotz der Größe der Not weiter betrieben. Das ging über die Milde
sogar des Kurfürsten. Er ließ zwei Kornwucherer zum Tode ver-
urteilen und verschloß sich am Tage ihrer Hinrichtung vor jedermann,
weil er festen Willens war, kein mündliches oder schriftliches Be-
gnadigungsgesuch für die beiden anzunehmen.
Eine segensreiche Neuheit wurde unter der Regierung Max Jo-
sephs HI- auf Antrag und Betreiben seines Intendanten, Grafen
Seeau, eingeführt: der erste Rettungsdienst. Nachdem Graf Seeau
einen scheinbar ertrunkenen Knaben durch andauernde Wiederbele-
bungsversuche seinen Eltern wiedergegeben hatte, wurden Geldpreise
ausgesetzt dafür: wer zuerst einem Wundarzt Mitteilung von einem
geschehenen Unfall machte, wer die geeigneten Hilfsmittel zur Stelle
schaffte, kurz, wer sich um Erhaltung von Leben und Gesundheit
eines Verunglückten verdient machte. Den doppelten Lohn empfing,
wer mit persönlicher Gefahr das Leben eines anderen rettete.
Im Jahre 1777 ging Max Josephs eigenes Leben zur Neige.
Er erkrankte an den Pocken, die von den Ärzten nicht erkannt und
daher verkehrt behandelt wurden. Es heißt, daß der Kranke seinen
Tod vorausahnte, daß die „drei Siebener" der Jahreszahl ihm ein
schwermütiges Vorgefühl erweckten. Doch starb er so friedlich wie er
gelebt hatte, dankte seiner Gattin Maria Anna Sophie für ihre
Liebe und treue Pflege, schied unter Segenswünschen von seinem
Volk und Land. Der rührende Auftritt, als auf sein Bitten das
Gnadenbild der Muttergottes aus der Herzogspitalkirche zu ihm ge-
bracht ward, ist bereits erzählt worden. Er konnte der Patrons Ba-
variae, die er zeitlebens mit ganzer Innigkeit verehrt hatte, getrost
in die Wunderaugen sehen. Soweit es menschlicher Unvollkommen-
heit möglich ist, hatte er seine Aufgabe in diesem Leben erfüllt, ein
Vater der ihm Anvertrauten zu sein.
Karl Theodor, Maria Anna und die
Zweibrückener
Mit Max III. Joseph erlosch der Stamm Ludwigs des Bayern.
Max Josephs Nachfolger, Kurfürst Karl Theodor von der Pfalz, war
nichts weniger als ein lachender Erbe. Ungern dachte er daran, fein
Mannheim, das er zu einer Stätte der Musen gemacht hatte, zu ver-
tauschen gegen das rauhe, ihm ganz fremde Altbayern.
Der Mangel an Zuneigung zwischen Fürst und Volk, sowie
Karl Theodors Kinderlosigkeit wurden von Österreich dazu benutzt,
um dem Kurfürsten die Abtretung eines großen Teiles von Bayern
im Austausch gegen die reichen Niederlande vorzuschlagen. Einen
alten Erbanspruch aus dem 15. Jahrhundert auf das Straubinger
Gebiet nahm Kaiser Joseph II. zum Vorwand. Und Karl Theodor
gefiel der Plan sehr wohl.
* 140 *
* 141 *
In der Herzog-Maxburg zu München saß Herzogin Maria Anna,
Karl Theodors Schwägerin, die Witwe des Herzogs Clemens, deffen
Erzieher und späterer Kabinetösekretär Andreas Felix von Oefele
gewesen. Herzogin Maria Anna Charlotte war eine ebenso warm-
fühlige als hochgebildete Frau: sie unterhielt z. B. zu München die
herzoglich marianische Landesakademie, wo die Schüler in Mathe-
matik, Philosophie, Geographie, in Deutsch, Latein und Französisch,
aber auch in Musik, Tanzen, Fechten und militärischen Übungen un-
terwiesen wurden. In der Voraussicht deffen, was kommen würde,
hatte sie schon bei Max Josephs Lebzeiten auf die Errichtung eines
neuen Wittelsbachischen Hausvertrages gedrungen, der auch den Zusatz
enthielt, daß München der Wohnsitz des jeweiligen Kurfürsten bleiben
müßte. Als nun das Gefürchtete nahe rückte, rief Maria Anna den Her-
zog Karl August von Pfalz-Zweibrücken, den nächsten Erben Karl
Theodors, durch eine dringliche Botschaft nach München. Desglei-
chen hatte sie um Beistand an Friedrich den Großen, der ihr befreun-
det war, geschrieben. Noch ehe er ihren Brief empfing, traf sein Ab-
gesandter, der Graf von Görtz, in München ein, hielt sich bei Tage
in Maria Annas Gartenpalais vor dem Neuhausertor verborgen,
hatte aber zwei Nächte nacheinander eine lange, heimliche Unterre-
dung in der Maxburg mit der Herzogin, dem Herzog Karl August
und deffen Ministern. Darin wurde fest abgemacht, daß der Herzog,
als nächster Agnat, seine Zustimmung zu der geplanten Landabtre-
tung verweigern und den König von Preußen anrufen sollte, ihn
bei seinem Recht zu schützen. Dies Alles geschah, wie verabredet:
Friedrich der Große setzte sich mit allen Mitteln der Zerreißung Bay-
erns entgegen und griff, als Verhandlungen nichts fruchteten, zum
letzten Mittel, zu den Waffen.
Der sogenannte bayerische Erbfolgekrieg, in dem Friedrich II. und
Josef II. ihre Truppen persönlich anführten, begann im Frühjahr
1778 und währte bis zum Teschener Kongreß. Der trat zusammen,
nachdem sich Maria Theresia, die von Anbeginn den Gebietsanspruch
ihres Sohnes für unbillig und ungerechtfertigt ansah, mit Friedens-
vorschlägen ins Mittel gelegt hatte. In dem am 13. Mai 1779 unter-
zeichneten Friedenstraktakt wurde das Innviertel (jenseit von Salz-
ach, Inn und Donau) an Österreich abgetreten, wogegen das Haus
Habsburg sich jeden künftigen Anspruchs auf bayerische Gebiete be-
gab und das Erbrecht der Zweibrückener Linie auf alle wittelsbachi-
schen Lande nachdrücklich festgelegt ward.
Trotzdem tauchte das Gerücht, daß Kurfürst Karl Theodor immer
noch mit jenem Tauschgedanken liebäugle, wiederholt und nicht grund-
los auf. Nicht nur an ihn, sondern auch an den Herzog Karl August
* 142 *
wandten sich geheime Unterhändler, um diesen mit großen Summen
und Verheißung einer Krone zu locken, wie den Kurfürsten mit dem
Besitz der Niederlande. Karl August aber hielt fest an einem un-
zerriffenen Bayern und rief nochmals Friedrich von Preußen zu
Hilfe, der zur Aufrechterhaltung von Bayerns Selbständigkeit und
Üngeteiltheit 1785 mit mehreren Reichsständen den deutschen Fürsten-
bund schloß.Die natürliche Wirkung von alle dem war eine Kühle zwischen
Fürst und Volk, die vor Karl Theodors persönlicher Anwesenheit
in München nicht wich. Wie die Bayern mißtrauisch auf den Kur-
fürsten und die mit ihm gekommenen Pfälzer, die „Rheinschnaken"
blickten, so wurde er selbst durch den Widerstand, den er fühlte und
durch die beginnende Unruhe der Zeit argwöhnisch, unsicher. Viele
Anklagen gegen die Herrschaft Karl Theodors sind von Mit- und
Nachwelt erhoben worden. An den rauschenden Bäumen des engli-
schen Gartens, den er mit Benjamin Rumford anlegte, hat er seine
Fürsprecher, wie an den Weisen deutscher Tonmeister, die er mit Vor-
liebe erklingen ließ.
Dagegen trat, als die französischen Revolutionsheere Süddeutsch-
land mit Krieg überzogen, die mangelhafte Verfassung des Heeres,
wofür niemals Geld da war, kläglich zutage. Der Kurfürst selbst
flüchtete mit seiner Gemahlin nach Sachsen und überließ eö der von
ihm eingesetzten Regentschaft, sich mit den Feinden abzufinden, was
mittels einer zu zahlenden übermäßigen Kontribution und der Abtre-
tung wertvoller Kunstwerke im September 1796 gelang. Aber bald
brachte der wiederum und bedrohlicher aufflackernde Krieg eine neue
Gefahr: die in Bayern einmarschierende österreichische Armee, der
das Angftgerücht voranlief, daß sie nicht zur Bekämpfung der Fran-
zosen, sondern zur Besetzung des Landes da sei.
In diesem Augenblick höchster Bedrängnis, wo das Staatsschiff
Bayerns am Untergehen schien, ward auch der Steuermann abberu-
fen: Karl Theodor erlag am 16. Februar 1799 einem Schlagfluß.
Der ihn beerbte, war des verstorbenen Karl August jüngerer Bru-
der Max Joseph, als Kurfürst der vierte Maximilian.
Das Land war arm, machtlos, ohne Heer, umringt von Feinden,
und doch flatterten am Tage des Einzugs des neuen Herrn die weiß-
blauen Fahnen von allen Häusern, und Festfreude schimmerte aus dem
Straßenschmuck und leuchtete von den Gesichtern. Und als der Zwei-
brückner in seine Residenz einfuhr und freundlich vom Wagen aus
den neuen Untertanen die Hände reichte, machte ein richtiger Münch-
ner, der Kaltenegger Bräu, sich zum Sprecher des ganzen Volkes,
indem er, die Hand Max Josephs schüttelnd, ausbrach in den Erleichte-
rungsruf: „Na, Maxl, weil du nur da bist!"
* 143 *
Sieben Jahre später ward Bayern zum Königreich erhoben, Max
Joseph sein erster König. Das alte München, das der Herzöge und
Kurfürsten, war mit der Jahrhundertwende zu Grabe gegangen, das
neue München hatte begonnen.
V. Abteilung:
Außerhalb der Tore^j
n)RechtSderJsar
VonSt. Emmeram
Der heilige Gottesmann Emmeram gedachte gen Pannonien zu zie-
hen, um die Heiden allda zu bekehren. Auf dieser Reise rastete er
am Hofe des Bayernfürsten Theodo zu Regensburg; der bat ihn
zu bleiben, da auch in seinem Lande die Gemüter noch vielfach heidnisch
rauh und christlicher Unterweisung bedürftig seien. Der fromme Bi-
schof blieb allda und lehrte die Heiden und bekehrte ihrer viele. Da-
nach ergriff ihn große Sehnsucht, ins Land Italia zu pilgern und
am Grabe der Apostelfürsten zu beten. Derweil aber hatte die Tochter
des Herzogs, die schöne Uta, mit einem Ritter gespielt und ihren
Kranz verloren; das mochte sie nicht lange verhehlen und war in
großen Ängsten vor ihres Vaters Zorn und schwerer Strafe. Als
nun Sankt Emmeram seine Wallfahrt angetreten hatte, ging sie zu
ihrem Vater und klagte: der Bischof habe ihr die Ehre genommen
— vermeinend, sie käme dadurch besseren Kaufes davon, und dem
Entfernten vermöchte es nicht zu schaden. Etliche sagen: der fromme
Mann selbst hätte, als sie sich weinend ihm anvertraut, ihr erlaubt,
ihn zu verklagen, wenn sie damit ein milderes Gericht erlangen könnte.
In jedem Falle tat sie's und erwirkte, daß ihr nichts zu leid ge-
schah. Aber ihr Bruder, Lambert geheißen, ward darob voll Zorns,
noch mehr als ihr Vater, und saß eilends mit seinen Reisigen zu
Pferde, um dem gleisnerischen Übeltäter nachzujagen. Sie ritten,
was die Rosse vermochten; bei Helfendorf, unweit München, erreich-
ten sie Sankt Emmeram, der friedlich seines Weges zog. Da warfen
sie ihn zu Boden, richteten ihn mit ihren Schwertern grausam zu
*) Dies: „Außerhalb der Tore" bezieht sich natürlich auf Münchens alte
Zeit. Die meisten der genannten Orte sind heute kn München eingemeknvet.
und ließen ihn verstümmelt als einen Sterbenden in seinem Blute
liegen.
Es waren aber einige Landleute in der Nähe, die kamen herzu,
als die Mörder davongebraust waren. Denen gebot Sankt Emme-
ram, sie sollten ihn auf einen Karren legen, davor zwei Ochsen ge-
spannt wären; denn hier sei die Stätte nicht, da er sterben wollte.
Also zogen die Ochsen den Karren bis gen Feldkirchen in der Gemein-
de Aschheim; dort gab Sankt Emmeram den Geist auf, und alsbald
standen die Ochsen still. Die Kunde davon verbreitete sich rasch; der
entseelte Leib des Heiligen ward nach Aschheim gebracht und dort in
der St. Peterskirche beigesetzt. Aber darnach regnete es vierzehn Tage
lang ununterbrochen: das galt für ein Zeichen, daß dies die rechte
Ruhestatt nicht sei. Nochmals wurde der Karren mit den Ochsen be-
spannt und der heilige Leichnam darauf gelegt, auf daß die Vor-
sehung ihn geleiten möchte. Da schritten die Ochsen mit ihrer Last
bis an die Isar, nach Oberföhring, wo sie nicht mehr weiter konnten.
Also ward St. Emmerams Leichnam auf dem Wasser nach Regens-
burg in sein Bistum geführt, wo ihn Theodo, reuig ob der Tat seines
Sohnes, mit großen Ehren bestatten ließ.
Zu Oberföhring jedoch, an der Stelle, wo das Ochsengespann zu-
letzt stehen geblieben, ward dem heil. Emmeram ein Kirchlein errichtet;
und noch bis in die neuere Zeit — (jetzt ist es nicht mehr da) — wurde
er dort von Alt und Jung verehrt-
Frau Uta zu Trudering und Frau Uta
zu Föhring
Im Heideland bei Ramersdorf ist es nächtlicher Weile nicht ge-
heuer. In der Walpurgisnacht, der Allerseelennacht und den Geb-
nächten steigen die Toten aus den Gräbern der Freithöfe von Trude-
ring, von Ramersdorf, Perlach und Haidhausen. Da sitzen sie im
Kreise auf der Heide umher und halten Gericht über einen unseligen
Toten, der inmitten kniet, gleich den andern in längst verschollener
Tracht. Neben ihm steht der Henker mit Strick und Schwert; der
haut ihm, sobald das lautlose Gericht am Ende und das Urteil ge-
fällt ist, das Haupt ab. Im selben Augenblick schlägt es ein Uhr auf
der Kirche zu Ramersdorf — und die Geister sind sämtlich zerstoben.
Der, an dem dies nächtliche Gericht sich vollzieht, soll ein reicher
und mächtiger, aber ebenso harter und grausamer Ritter zu Trudering
gewesen sein, der seine Hörigen drückte und viel unschuldiges Blut
vergoß. Bei Trudering - bekanntlich dem ältesten, angeblich in graue
* 144 *
io
* 145 *
Heidenzeit hineinragenden Dorf um München — ist auf ebenem
Boden ein tiefes breites Loch; da hinein soll eines TageS das Schloß
des bösen Ritters samt dem Schloßherrn versunken sein. Die Schloß-
frau aber, Uta geheißen, war zur Zeit, als dies geschah, aushäusig;
heimkehrend, sah sie eben noch den Kamin des Schlosses in die Tiefe
versinken. Darnach wohnte Uta im Dorfe Trudering, tat den Armen
viel Gutes und vergabte der Gemeinde reiches Wald- und Ackerland.
Uta soll später einen bayerischen Herzog gefreit haben.
Etliche sehen in ihr die gleiche Uta, die den Tod St. Emmerams
verschuldete. Deutlich drückt dies eine zweite Form der Sage aus.
Die meldet: als St. Emmeram des Martertodes gestorben und seine
Unschuld offenbar geworden sei, hätte Herzog Theodo seine schuldigen
Kinder, Uta und ihren Bruder Lambert, in die Verbannung geschickt.
Da hätte Uta viele Jahre auf dem Schlöffe bei Trudering gelebt, in
großer Reue, und hätte zur Sühne ihrer Tat all ihr Hab und Gut den
Armen geschenkt. Nachdem sie aber gestorben und unter den Klagen
der ganzen Gegend bestattet worden, wäre ihr Schloß später eben
jenem bösen Ritter zugefallen, der in Allem das Gegenteil der ver-
storbenen Wohltäterin gewesen und darum nach seinem, durch Gottes
Zorn bewirkten Tode noch dem Gerichte verfallen sei.
Ungewöhnlich lange, wenn auch in widersprechender und verblaßter
Überlieferung hat sich Utas Angedenken in Trudering erhalten. Noch
bis in die neueste Zeit wurde der toten Guttäterin dankbar bei feier-
lichen Gottesdiensten gedacht; auch ward am Pfingstfreitag in der
Kirche Vesper und Litanei gehalten, weil an diesem Tage das Schloß
versunken sein soll. Der Platz, wo es versank, wird an der Landstraße
bei Trudering noch heute als „Utahöhle" gezeigt; desgleichen mahnt
die Bezeichnung einzelner Grundstücke als „Utta-Teil" in alten Tru-
deringer Katastern an die Schenkung, die Uta dem Dorfe gemacht.
Der Name Uta webt überhaupt durch die Ortschaften der späteren
Grafschaft Ismaning.
*
Das unbebaute Weideland an Stelle des heutigen Ober-Föhring,
samt zwei frühchristlichen Kirchen aus der Römerzeit, gehörte seit Kö-
nig Pippins Zeiten dem Bischof von Freising, der hier eine tüchtige
Holzbrücke über die Isar schlagen ließ, der Salzzüge wegen. Ein
Meierhof aber und etliche Hufen Landes dabei waren dem fränkischen
König zu eigen. Die vergabte König Arnulf der Karolinger seiner
Gattin Uta, die bayerischen Stammes war, als Witwensitz.
Sie soll die Gegend besonders geliebt und häufig der Andacht zu
dem Blutzeugen St. Emmeram in deffen nahegelegener Kapelle gepflo-
gen haben. Eine Sage knüpft sich an ihren Namen, ähnlich der von der
Psalzgräfin Genovefa oder der Jutta von Braunsberg in Tirol: daß
nämlich ein böser Ritter, dem König Arnulf zu sehr vertraute, eben
hier in Föhring die reine Königin mit sündlicher Leidenschaft bedrängt
hätte. Als sie ihn zürnend abgewiesen, hätte er listig üble Nachreden
gegen sie auszustreuen und den Kaiser selbst mit Mißtrauen gegen
sie zu erfüllen gewußt, bis er, auch von diesem beleidigt, sich zu deffen
Feinden geschlagen hätte, und als Rebell mit den Waffen in der
Hand gefangen genommen worden sei. Zur letzten Rache wäre er der
Königin anklagend gegenüber getreten und hätte sie schändlicher Un-
treue geziehen, was der verbitterte, argwöhnische Arnulf auch geglaubt
und seine Gattin vor Gericht gestellt hätte. Aber Uta betete zu Gott
und legte getrost ihre Hand auf das Evangelienbuch, um laut ihre
Unschuld zu beschwören; als dann ihr Verleumder trotzig dagegen
schwören wollte, tat Gott ein Zeichen an ihm, daß Hand und Arm
ihm gelähmt wurden. Da boten der König und seine Edlen der
Frau alle große Ehre; der Miffetäter aber ward hingerichtet. — So-
weit die Sage.
Geschichtlich ist, daß Uta den Meierhof zu Föhring besaß und daß
Ludwig das Kind, ihr Sohn, ihn von ihr empfing. Ihr Name und
ihre Andacht zu St. Emmeram sowie ihr bayerisches Fürstenblut ga-
ben vielleicht Anlaß zu einer Verwechslung mit jener früheren Uta.
Ob nicht am Ende die Uta-Stiftung zu Trudering mit ihr zusammen-
hängt? — /
Aber kehren wir zurück nach Föhring.
Als der Freisinger Dom abbrannte (903), schenkte Ludwig das
Kind sein von der Mutter überkommenes Hofgut zu Föhring dem
Bischof Waldo als Beisteuer zum neuen Dombau. Mehr und mehr
bildeten die Bischöfe den Handelsweg aus, den ihnen der Besitz Föh-
ringö und der Isarbrücke gewährleistete: den Weg vom Salzburgi-
schen über Föhring ins verkehrsreiche Augsburg. Auch eine Münz-
stätte gründeten sie zu Föhring am Ende des ersten Jahrtausends
nach Christus und blieben so fast zweihundert Jahre im ungestörten
Besitz. Noch spät, um die Wende des 13. Jahrhunderts zum 14.,
umfaßte das Freisinger „Amt Föhring" eine ganze Reihe von Ort-
schaften am Jsarrain und am Würmsee — —
Mitten hinein in die Entwicklung sprengte der bewaffnete berittene
Troß, mit dem Heinrich der Löwe, der Welfenherzog, um 1157 Ober-
föhring überfiel, Brücke und Markt zerstörte. Der von ihm vernichte-
ten Schöpfung des Bischofs setzte er eine eigene entgegen, ebenso
lebensfähig aus den gleichen Bedingungen der Natur und des Ver-
kehrs. Wo die heutige LudwigSbrücke steht, bei der Kohleninsel, jetzi-
* 146 *
* 147 *
gen Museumsinsel, legte er der Isar eine neue Brücke auf: sie führte
hinüber zu der Stätte, wo bisher hauptsächlich drei Benediktinerklö-
ster begütert waren, zum Dorfe „Bei den Munichen".
Ramersdorf
Der weitberühmte Kaiser Ludwig der Bayer besaß zu eigen einen
heiligen Kreuzpartikel, den trug er alle Zeit in einer Kapsel an einem
Kettlein um den Hals. Als er nun Anno 1347 Todes verblichen war,
da erbte sein Sohn, der Markgraf Otto von Brandenburg, gedachtes
Heiligtum und trug es gleichermaßen bei sich. Über eine Zeit tat der
Markgraf Otto mit seinem Bruder Stephan und anderen Herren
eine Pilgerfahrt zum heiligen Grab. Da verhielten sie sich eine ziem-
liche Frist in der Stadt Jerusalem, ohne doch irgend Jemand ihren
Stand und Namen kundzutun, denn sie wollten unerkannt bleiben.
Aber aller Vorsicht zum Trutz spürten etliche von den Türkischen es
aus, wer die Beiden wären, und gedachten: zwei Fürsten mit samt
ihrem Geleit wären ein feiner Fang, der ein hohes Lösegeld bringen
möchte. Also beschloßen die Heiden, die Pilger aus Bayerland an
einem Tag, wo sie alle beisammen wären, zu überfallen.
Es lebte aber zu Jerusalem ein Jude, Aaron geheißen, der hatte
früher eine Zeit in München gewohnt und mancherlei Guttat empfan-
gen von einem Münchner Patrizier, der hieß Johannes Ligsalz und
befand sich auch in Jerusalem mit dem Markgrafen. Nun kam zu
dem der Aaron und entdeckte ihm den bösen Anschlag der Türken, den
er weislich ausgekundschaftet hatte. Alsbald brachte der Ligsalz die
Nachricht seinen fürstlichen Herren. Die wußten wohl, wesien sie sich
von den blut- und habgierigen Heiden zu versehen hätten; darum
besandten sie eilig ihre Mitpilger und redeten untereinander ab, daß
Jeder einzeln und heimlich das Weite suchen sollte: erst außer der
Stadt wollten sie sich wieder zusammenfinden.
Die Türken derweil erfuhren von ihren Spähern: zur Zeit seien
die Wallfahrer alle unter einem Dach versammelt. Sie rückten also
stattlich an und umzingelten das Gebäu; aber da sie eindrangen, fan-
den sie es leer. Während sie nun hin und her stritten, nach welcher
Richtung die Vögel entwischt sein möchten, gewann die kleine Schar
der Bayern einen großen Vorsprung. Doch lag es am Tage, daß die
Türkischen ihnen nachsehen würden; und weil deren gar viele und
wohlberitten waren, sahen die Pilger den Untergang vor Augen, denn
weder die Fürsten noch ihre Gefolgschaft wollten sich gutwillig er-
geben. Da tat der Markgraf Otto ein Gelübde zu der seligsten Jung-
frau Maria, von der ein Bildnis in der Kapelle zu Ramersdorf ver«
ehrt ward: wenn ihnen Allen Rettung würde aus der drohenden Ge-
fahr, so wollte er seinen Kreuzpartikel in die Kapelle stiften und ihn
dort dem Marienbilde umhängen.
Die Türkischen aber hatten sich richtig aufgemacht und jagten den
Pilgern nach. Ein paarmal war es nahe daran, daß sie ihrer habhaft
geworden wären, aber immer führte irgend ein Umstand sie irr, und
sie suchten und suchten, als ob sie mit Blindheit geschlagen wären. So
kam es, daß die beiden Fürsten den Meeresstrand erreichten und ein
Schiff bestiegen, das dort vor Anker lag; das führte sie mit ihrem
ganzen Geleit davon.
Als sie schon dahinsegelten, gelangten die Türken auch ans Ufer
und verfolgten zu Schiff die Entflohenen. Doch ging es ihnen zu
Wasser wie zu Lande: ein widriger Wind trieb sie der Kreuz und
Quer, und die Anderen waren zu weit voraus — so mußten sie zu-
letzt grimmig enttäuscht das Steuer wenden und heimsegeln.
Die Wallfahrer aber priesen Gott und seine seligste Mutter dafür,
daß sie so glücklich entronnen waren; und als sie ins Land Bayern
zurückkehrten, da löste der Markgraf Otto alsbald fein Gelübde ein
und opferte seinen heiligen Kreuzpartikel der Jungfrau Maria in
Ramersdorf. Und es war eine große Freude über die Heimgekom-
menen und taten Viele den Dank für deren wunderbare Rettung durch
Opfer und milde Gaben gleichfalls kund. —
Das war im vierzehnten Jahrhundert.
Dreihundert Jahre später geriet nochmals eine kleine Schar von
Münchnern in große Not: anno 1632, da der Schwedenkönig Gustav
Adolf als Sieger die Stadt München in seiner Gewalt hielt. Zum
Entgelt, daß er nicht rauben und brennen hatte lassen, sollte ihm die
Stadt dreimalhunderttausend Taler Brandschatzung entrichten. Die
konnten nicht allsogleich bezahlt werden, und da ließ der König, bis
daß es geschehen wäre, zweiundvierzig angesehene Männer geistlichen
und weltlichen Standes als Geiseln ausheben und von dannen führen.
Sie wurden am 7. Juni in Kutschen gesetzt und unter starker solda-
tischer Bedeckung nach Augsburg gebracht, wo sie, gemeinsam mit den
Geiseln von Landshut, Freising und Weilheim, in Haft verblieben. In
der alten bischöflichen Pfalz wurden sie gefangen gehalten, mit großer
Härte behandelt, gelegentlich sogar mit dem Tode bedroht. Damals
taten sämtliche Geiseln das Gelübde, im Falle glücklicher Wiederkehr
nach München „einen löblichen Gottesdienst mit Predigt und Prozes-
sion zu Talkirchen oder Ramersdorf abzuhalten und dort der Mutter
und Patronin eine ewige Lobtafel" aufrichten zu lassen.
Nach dem Tode des Königs Gustav Adolf in der Lützener Schlacht
verschlimmerte sich das Schicksal der Geiseln beträchtlich, denn sie
* 149 *
* 148 *
sollten, wie ihnen angekündigt ward, nun nicht mehr Gefangene der
Krone Schweden, sondern derjenigen Generäle und Obersten sein,
denen der Rest der Brandschatzungssumme zugewiesen worden. Von
dieser Summe war aber erst die kleinere Hälfte bezahlt. Häufig wurden
Abgeordnete von den Gefangenen selbst — natürlich gegen Verspre-
chen der Rückkehr — in die Heimat gesandt; es kamen auch zu Beginn
des Jahres 1633 Abgesandte von München und vom Kurfürsten nach
Augsburg, um den schwedischen Generalen etwas von der noch aus-
stehenden Summe abzuhandeln. Aber das alles führte zu nichts; viel-
mehr wurden die Schweden noch dadurch erbittert, daß zwei der Gei-
seln, einer von München und einer von Landshut, trotz ihres Eides
von solch einer Gesandtschaft nicht zurückkehrten. Daraufhin wurden
im Juni 1633 die übrigen Geiseln gefeffelt zur Armee geführt, erst nach
Donauwörth, dann nach Nördlingen. Auf inständiges Bitten wurde
ihnen erlaubt, nochmals Abgesandte zu schicken, für deren Rückkunft
alle Übrigen sich „mit Leib und Blut" verbürgen mußten. Die Ver-
handlungen mit der Heimat und dem Kurfürsten brachten nur den
einen Gewinn, daß die Gefangenen wieder nach Augsburg geschafft
wurden.
Endlich ward der Handel so geschlichtet, daß gegen Salzlieferungen,
die von Bayern aus zu leisten wären, etliche Augsburger Handels-
herren sich bereit erklärten, den schwedischen Obersten das noch fehlende
Geld zu erlegen. Aber infolge des Mangels an Pferden und der
Kriegsschwierigkeilen überhaupt trafen die Salzlieferungen ebenso ver-
spätet und unregelmäßig ein, wie die Spenden an Geld und Lebens-
mitteln, die von München aus den unglücklichen Geiseln gesandt wur-
den; und diese litten deshalb oft bittere Not. Erst im März 1635
schlug ihnen die Erlösungsstunde und sie kehrten — mit Ausnahme
von dreien — nach fast dreijähriger Gefangenschaft zurück in die Hei-
mat, in die Arme der Ihrigen. Sie erfüllten alsbald ihr Gelübde, zogen
zu feierlichem Dankgottesdienst nach Ramersdorf und ließen die Votiv-
tafel machen, die sich zu ewigem Angedenken der Stifter heutigen
Tages noch dort befindet. Alle sind, im Gebet vor der seligsten Jung-
frau knieend, darauf abgebildet.
Das Andenken der Männer, die für sie gelitten, hat die Münchner-
stadt auch bewahrt, indem sie eine ganze Anzahl Straßen nach deren
Namen benannt hat.
Noch zwei andere Votivtafeln, gleichfalls mit den Bildniffen der
Stifter geschmückt, hängen zu Ramersdorf. Erstens die der sieben
Münchner Bürger, die 1683 — „alß der Türk Wien belagerent der
gantzen Christenheit den gäntzlichen Untergang anthroete" — eine jähr-
liche Meffe an jedem Sonn- und Feiertag des „Frauendreißigers" ge-
* 150 *
lobten, ein Verbündnis, das seit 1894 in die hl. Geistkirche überging.
Ferner eine Tafel ganz im Sinne der Schwedengeiseln errichtet von
den zwanzig Geiseln, welche im Oktober 1742 von den Österreichern
mitgenommen wurden, als diese München nach neunmonatlicher Okku-
pation verließen. Die Gefangenschaft der Armen — zuerst in Linz,
dann in Graz — währte dreiviertel Jahre; zwei der Geiseln starben
in dieser Leidenszeit. Die Übrigen kehrten glücklich heim und erfüllten
ihr Gelöbnis zu Ramersdorf.
Bogenha usen
Bogenhausen, im achten Jahrhundert „Puginhusir", später „Pu-
genhausen" benannt, war zuerst geistliches Land: die Benediktiner von
Schäftlarn waren dort begütert; später scheint es an das Hochstift
Freising gelangt zu fein. Hinwieder belehnte Herzog Ludwig II. („der
Strenge") 1272 den Edlen Heinrich von Schwabing mit allen Gü-
tern zu „Pugenhaufen und obern Beringen" (Bogenhausen und Ober-
föhring); schon im nächsten Jahr jedoch vertauschte der Lehensträger die
Güter gegen anderen Landbesitz an Bischof Konrad II. von Freising.
Auch ein Nonnenkloster (das von St. Clären) besaß um jene Zeit
schon in Bogenhausen zwei freieigene Höfe und eine Mühle.
Die Pfarrei Bogenhausen war im 14. Jahrhundert eine sehr aus-
gedehnte: sie umfaßte acht Filialen mit Begräbnisstätten, nämlich: Gie-
sing, Haidhausen, Harthausen, Trudering, Riem, Gronsdorf, Hart und
das Leprosenkirchlein St. Nicolaus am Gasteig. Im Jahre 1524 zählte
die Pfarrei achthundert Seelen.
Der dreißigjährige Krieg verschonte den friedsamen Ort nicht: die
Schmiede und etliche Häuser von Bogenhausen gingen beim Durchzug
der Schweden in Flammen auf. Später, da es sich wieder erholt hatte,
war das Dorf durch den Reiz seiner Lage jenseits der rauschenden Isar,
sowie ein paar gute Einkehrhäuser ein beliebtes Ziel der Münchner
Spaziergänger. Zwischen Wiesen und Bäumen lagen verstreut die herr-
schaftlichen Ansitze: am Jsarabhang der des Grafen Montgelas, des
eine Zeit lang allvermögenden Ministers unter König Max Joseph I.
Hier in Bogenhausen haben 1815 Fürst Taxis am 5. Oktober und
General von Wrede am 6. Oktober es gegen die Meinung des von
Napoleons Unbesiegbarkeit durchdrungenen Grafen Montgelas erreicht
und erstritten, daß Bayern sich von Napoleon ab und der deutschen
Sache zuwandte.
Oben auf aussichtsreichem Hügel über dem heutigen Brunnthal (das
Ende des 17. Jahrhunderts eine Art Weiberspittel gewesen sein soll)
* 151 *
stand der „Kögelhof", der sich allmählig zu einem Schlößchen auswuchs.
1740 wurde dies, Eigentum des Hofkammerrais Greg. Kafp. von La-
chenmayer, unter dem Namen „Neuburghausen" zu einem adeligen
Sih erhoben und mit Patrimonialgerichtsbarkeit ausgestattet. Später
kam Neuburghausen oder Neuberghausen in die Hände der Grafen
Törring, aus deren Hause zwei, Georg und Josef Ignaz von Törring,
auch in der St. Georgskirche zu Bogenhausen bestattet sind. Als >766
die Kirche neu erbaut ward — sie bietet eines der reizvollsten Beispiele
für eine ganz im Stil des Spätrokoko durchgeführte Dorfkirche --
stiftete Graf August von Törring, damals Besitzer von Neuberghausen,
den Choraltar, der das Bildnis des heiligen ritterlichen Kirchenpatrons
trägt und die Kanzel, über der drei schwebende Engel die Sinnbilder
des Glaubens, der Hoffnung und der Liebe halten. Zu dankbarem Ge-
dächtnis des Stifters ist am Hochaltar das Törringsche Wappen ange-
bracht. Die Törring, Landjägermeister von Bayern, aus deren Stamme
bekanntlich außer Kriegs- und Staatsmännern ein vaterländischer Dich-
ter, der Verfasser der Dramen „Kaspar der Torringer" und „Agnes
Bernauerin" entsprang, waren auch ansässig drüben in Haidhausen (alt
Haidhusir), wo ihnen der prächtige ehemals Fuggersche Lustgarten ge-
hörte und ihr Lustschloß auf dem Bezirk etwa der späteren Schloßstraße
lag. Sie hatten dort zu Nachbarn noch ein Geschlecht, deffen Name
mit der bayerischen Geschichte eng verbunden ist, die Grafen von Prey-
sing-Hohenaschau.
Das Schlößchen Neuberghausen erwarb späterhin König Maximi-
lian II-, der ein Stift für die Töchter von Staatsbeamten daraus
machte. Der Plan des Königs, sich im Garten des Stiftes ein Mauso-
leum zu errichten, blieb unausgeführt.
Der feierliche Tag für Bogenhausen war ehedem, wie natürlich, der
Tag des Kirchpatrons, des hl. Georg, am 23. April. Die Flößer,
sowie die Ökonomen und herrschaftlichen Grundbesitzer der Umgegend
fanden sich in großer Zahl dazu ein. Nach dem levitierten Hochamt
(das jetzt am Sonntag nach Georgi stattfindet) ging eö in den Garten
der vormaligen Betz'schen Gastwirtschaft, wo Gelegenheit zu reichlicher
Erquickung durch Speise und Trank sich bot. Gewöhnlich war nächsten
Tages in der Zeitung zu lesen, wie viel Paar Würstel und wie viel
Kirchweihnudeln verzehrt, auch wie viel Banzen zu Ehren des Fest-
tages geleert worden waren. Mitten im Garten des Wirtshauses stand
eine der behaglichen alten Tanzlauben - ein überdachter hölzerner
Rundbau auf hölzernen Säulen — wie eine solche auch auf dem Wege
von Föhring nach dem heutigen Herzogpark jüngst noch träumte. Da
konnte das junge Volk zur Feiertagslust sich munter im Kreise drehen.
Die Decke der Tanzlaube war einst bemalt; ebenso schmückte bunte
Malerei das Kinderkarussel, das später unterm Dach des alten Tanz-
bodens aufgestellt war und bei Jugendfesten im Freien eine große An-
ziehungskraft ausübte.
Dies alles hat nun sein Ende gefunden, so gut wie das „Hendl-
braten" resp. „Hendleffen", das als eine rühmliche Besonderheit des
„alten Betz" galt. Jetzt ist die Gastwirtschaft aufgehoben, die Ge-
bäude sind zu einer Chemikalienfabrik umgestaltet, und nur die alte
Tanzlaube im Garten, ein verlasienes Überbleibsel, mahnt an Bogen-
hausenS idyllische Zeit, aus der zum Glück die zopfige Pfarrkirche und
das Pfarrhaus unverändert erhalten sind.
An der Mauer der kleinen Kirche befindet sich eine Steintafel zum
Gedächtnis des Hofastronomen Dr. Johann Söldner, Erfinder der
Söldnerschen CoordinatensyftemS; eine andere bezeichnet die alte Grab-
stätte Johannes von Lamonts, der, ein gebürtiger Schotte, vom Jahre
1835 an vierundvierzig Jahre Direktor der Sternwarte war. Die
Bogenhauser Sternwarte ward errichtet 1817. Zuvor im 18. Jahr-
hundert wurden die von der Akademie der Wiffenschaften ausgehenden
astronomischen Beobachtungen auf dem frei und hochgelegenen „Geister-
schlößl", das sich auf einer Bastion der alten Stadtumwallung befand
und Schauplatz aller möglichen Spuksagen war, angeftellt, sowie auf
der „Schwanenburg" am Gasteig, da wo heute das Gasteigspital steht.
Lamont, gestorben 1879, hat neben dem südlichen Bogenhauser Fried-
hofseingang ein größeres später errichtetes Grabdenkmal mit seinem
Bildnis und der Grabschrift:
„Li Lvelurn et terrain exploravit."
St. Nikolaus am Gasteig
Bei dem uralten, ehemals nach Bogenhausen eingepfarrten Kirch-
lein des hl. Nikolaus auf dem Gasteighügel stand das Spital der un-
heilbaren ansteckenden Kranken, der „Sundersiechen". Die Leprosen
(d. h. Aussätzigen), die nur hier und im Nikolausspital in Schwabing
untergebracht wurden, trugen besonders vorgeschriebene Tracht: schwarz
oder grau, darüber einen schwarzen Mantel bis an die Kniee und hier-
über einen breiten weißen Leinenkragen. Ebenso gingen auch die Weiber
„mit Übermäntl und Kragen und hatten hoch- oder spitzgupfige Hüte
wo nicht auch einen weißen Schleier um das Kinn." Sowohl die
Siechen zu Schwabing wie die am Gasteig hatten ein kleines Häuslein
am Weg „neben den Angern hin", wo die Leute aus der Stadt vorbei-
gingen, wenn sie eine der beiden Nikolauskirchen besuchen wollten. Die
St. Nikolauskapelle am Gasteig ward zumal am Ostermontag viel be-
* 153 *
* 152 *
sucht, „da man nach EmmauS geht". Die Siechen machten mit kleinen
hölzernen Pritschen die sie halten, „ein Getös", um die Aufmerksamkeit
und Gebefreudigkeit der Vorübergehenden zu erregen. Auch durften sie
zu bestimmten Zeiten, am Mittwoch und Freitag in der Quatember-
woche, in die Stadt kommen, wo sie mit ihren Pritschen „ein großes
Getös" machten und Almosen sammelten unter dem beständigen Ruf:
„GebtS, weilS lebtö! Manns nimmer lebts, könnts nimmer geben!
Vergelts Gott tausendmal, vergeltS Gott!"
Als der Aussatz, diese spezifisch mittelalterliche Krankheit, auf deut-
schem Boden erloschen war, blieb das Spital noch eine Zeit lang die
Zuflucht der mit anderen ekelhaften oder unheilbaren Übeln Behafteten,
bis es 1862 abgebrochen ward.
Neben der Nikolauskirche steht die kleine Altöttinger Kapelle, deren
Gründung auf den frommen Herzog Wilhelm V. zurückgeführt wird,
und die ebenfalls durch lange Jahre ein beliebtes Wallfahrtsziel der
Münchener war.
Am Gasteig wurde 1561, als Merkzeichen des hier endenden Mün-
chener Burgfriedens, ein Kalvarienberg errichtet. Noch keine hundert
Jahre hatte er bestanden, da kam der gelehrte Jesuitenpater und Poet
Jakob Balde heraufgewandelt und rastete am Kalvarienberg. Hierbei
entdeckte er, daß in dem hölzernen großen Kruzifix ein junger Bienen-
schwarm sich eingenistet hatte und ein ebenso emsiges als vergnügtes
Dasein führte. DaS regte den geistlichen Dichter zu sinniger Betrach-
tung an, und er verfaßte darauf hin eine Dichtung, benannt „Der
Bienenstock" in sieben lateinischen Oden, deren letzte mit frommer An-
rufung des gekreuzigten Heilands schließt. —
Die Sage läßt auch einen anderen hier oben kurze Rast halten,
nämlich den „ewigen Juden". Der soll 1702 von der Salzburger
Straße her zum Gasteig hingekommen sein und nach München herein-
gewollt haben; es wäre ihm aber nicht erlaubt worden. Da beschied er
sich in Demut, sagte zu vielen Leuten, die ihn umstanden: das ChristuS-
bild auf dem Hügel sei das wahre Abbild unseres Herrn, betete auch
lange davor und beschenkte etliche mit Rosenkränzen und sonstigen an-
dächtigen Dingen, ehe er seines Weges wieder von dannen zog.
Die wundersame Mär wird aber noch anders erzählt. Es wäre näm-
lich der AhasveruS 1721 am Jsartor erschienen, und es wäre, nachdem
er sich genannt, der Einlaß in die Stadt ihm verweigert worden. Dar-
auf hätte er jedoch in Haidhausen Unterkunft gefunden und dort mit
allerhand Geschmeide, das er bei sich trug, eine ergiebige Handelschaft
eröffnet. Der Zulauf zu ihm steigerte sich rasch, um so mehr als er um-
ständlich von den Wundern und dem Leiden des Heilands, auch von den
Aposteln, die er alle persönlich gekannt haben wollte, zu erzählen wußte.
* 154 *
Überdies hatte er, wie er sagte, schon siebenmal den ganzen Erdkreis
durchwandert und berichtete merkwürdige Dinge davon. Die Meisten
glaubten ihm aufs Wort und kauften desto lieber bei ihm ein. Das
Kruzifix auf dem Gafteigbergl bezeichnete er als das einzig wahre und
genaue Abbild unseres Herrn, betete auch mit großer Andacht davor.
Nachdem er einige Zeit dagewesen, verschwand er eines TageS so plötz-
lich wie er gekommen war.
In den nächsten paar Jahren soll der angebliche „ewige Jude" noch
anderwärts, so in Bamberg und in Würzburg, aufgetaucht sein, bis er,
überall ausgewiesen, endlich spurlos verschwand.
In der Au
Wo heute die Vorstadt Au ist, soll im 12. Jahrhundert noch nichts
gestanden haben als ein paar dürftige Fischerhütten und das Häuschen
eines ForftauffeherS. Es geschah nicht selten, daß die Isar, damals noch
der ungebändigte Bergstrom, der sie von Urzeit gewesen, mit Hochwaffer
daherwogte und daS bißchen Habe der wenigen Ansiedler wegzureißen
drohte. Das soll einmal im 15. Jahrhundert wieder geschehen sein, und
die Bedrängten wußten sich angesichts des immer höher schwellenden Ge-
strudels keinen Rat, als laut und inbrünstig zu beten. Da gewahrten sie
ein Kruzifix, das auf dem Waffer daherschwamm und auf einer Sand-
bank liegen blieb. Die Anwohner taten alsbald das Gelübde: wenn die
Gefahr gnädig vorüberginge, wollten sie an dieser Stelle ein Kirchl
bauen und das auf der Isar hergetriebene Kreuz auf den Altar sehen.
Als sich darnach das Wasier wirklich verlief, erfüllten die Geretteten,
was sie gelobt, und das alsbald erbaute Kirchlein konnte 1466 geweiht
werden, zu Ehren des hl. Kreuzes. Diese Kreuzkirche stand auf dem
jetzigen Mariahilfplatz bis ins 17. Jahrhundert; daneben wurde 1629
bis 1631 die alte Mariahilfkirche erbaut, an deren Stelle später die
heutige Pfarrkirche trat.
Bald nach dem Entstehen des ersten Kirchleins schuf sich Herzog Wil-
helm IV. hier außen in der damals noch freien waldigen Gegend „am
Neudeck" ein Jagdschloß mit Hofgarten, Falknerei und Pagenhaus.
Albrecht V. gelobte, in unmittelbarer Nähe des Schlößchens eine Kirche
des hl. Karl Borromäus zu erbauen, die jedoch erst unter seinen Nach-
folgern vollendet ward. Wilhelm V. gründete sich „am Neideck" zu zeit-
weiliger Weltflucht „ägyptische Einsiedeleien" wie in Schleißheim. 1627
berief Maximilian I. die Paulanermönche von Burgund nach München,
überwies ihnen das Neudeckschloß samt der Kirche, verstattete ihnen auch,
zur Erleichterung ihres Unterhaltes, den Anbau eines Mietstockes (wie
* 155 *
ihn später die Augustiner errichten durften) sowie die Einrichtung einer
Bierbrauerei. Eine weibliche OrdenSniederlaffung kam hinzu, da der
Münchener Patrizier Alberti neben einer von Hofbaumeifter GaiS-
reitter errichteten Kapelle ein Frauenkloster stiftete, das anfänglich nur
klein und von wenigen Paulaner-Tertiarierinnen bewohnt, dann aber,
nach seiner Vergrößerung und Vollendung, von 1715 an den Benedik-
tinerinnen des Klosters Niedernburg bei Passau überwiesen ward. Die
Anhöhe, auf der es lag, zuvor Geisberg genannt, empfing den Namen
„Lilienberg" von der Inschrift des Kloftereingangs:
„Unter reinen Lilgen weidet
Hier der Göttlich Präutigam."
Die Säkularisation Anfang des 19. Jahrhunderts machte dem Be-
stehen beider Klöster ein Ende. Der Paulanerstock ward Strafanstalt;
im Benediktinerinnenkloster befindet sich heute das Bezirksamt. An
Stelle der Kirche und des Klosters der Paulaner steht das Amtsgericht
München II, besten Turmdach nach dem ehemaligen Kirchturm die Form
eines Priesterbiretts trägt. Ans Jagdschlößchen mahnt noch das Hirsch-
geweih und die Gedenktafel an der Südwand des Gasthauses „Neu-
deckergarten". Die Paulanerbrauerei aber, übergegangen erst an Franz
Taver Zacherl, dann an Schmederer, ist, jetzt noch am Nockherberg in
Giesing befindlich, die Quelle des weltberühmten „Salvatorbieres".
Wenn schon die Hauptgebäude der Au sämtlich ihre Bestimmung ge-
wechselt und ihr Äußeres der Neuzeit angepaßt haben, so ist doch die
alte Zeit nirgend so lebendig als hier. Da gibt es noch schmale Sträß-
chen mit einstöckigen aneinandergeklebten Häusern, kleinen Wasserläufen,
über die hölzerne Brücken führen, bescheidenen ländlichen Vorgärten,
kurz das ganze reizvolle Wesen, das heutige Maler ebenso unwidersteh-
lich anzieht wie einen Lebschee oder Karl Spihweg. Das „Paschihaus"
(ehemaliges Pagenhaus) überrascht auch jetzt, so sehr es umgebaut ist,
durch seine Gestalt und Lage; noch steht das Haus des „Radlwirt", das
zu Wilhelm IV. Zeit von Andreas Radl erbaut und als Wirtschaft
aufgetan wurde. An die Falknerei mahnen Falkenstraße und Falkenwirt.
Aber die bauliche Besonderheit der Au, die sie nur mit Giesing und
Haidhausen teilt, bilden die sogenannten „Herbergen".
Die Herbergen sind einstöckige Holzbauten in der Weise altbayeri-
scher Bauernhäuser; meist umgibt den niedrigen Oberstock ein hölzerner
Altan, auf dem Wäsche zum Trocknen hängt oder etwelche Pflanzen ge-
zogen werden. Bunte Fensterläden beleben den Ton des alten Holz-
werks. Oft hat jedes Stockwerk seinen eigenen Eingang über eine
schmale von außen hinaufführende Treppe oder kleine Brücke von der
Straße her. Jede solche Wohnung kann, soviel Räume sie eben um-
faßt, vom Besitzer selbständig veräußert werden, und bei Niederlegung
der Häuser müßte der Magistrat München sie den Jnsasten mit Geld
ablösen.
In diesen Vorstadthäusern vererbte sich lange Zeit ein frommer
Brauch, der freilich verschollen ist. Bald im einen, bald im andern Hause
kamen während der Adventözeit die Nachbarn Äbends zusammen, ent-
zündeten ein paar Wachslichter auf dem Tisch, stellten dazwischen als
„Sinnbild" die Figuren der hl. Jungfrau und des hl. Josef und Huben,
nachdem der Rosenkranz gebetet worden, die Herberggesänge zu singen
an. Der Hauptgegenftand dieser Lieder war: Maria bittet Josef, ihr
eine Herberg zu suchen, wo sie sich ihrer heiligen Bürde entledigen kann.
Aber vergeblich klopft Josef an alle Türen; mit groben Reden wird er
fortgescheucht: nirgends ist Raum für die Müden, die schließlich im
Stall sich ein Obdach suchen müssen. Die Sänger wehklagen darum
und sprechen ihre Entrüstung aus:
„Felsenharte Bethlehemiten,
Wie könnt Ihr so grausam sein? .."
um am Ende demütig und treuherzig zu bitten, daß die heilige Mutter
hier bei ihnen einkehren möchte:
„Ganz unwürdig solcher Ehre
Ist zwar dieses Sündenhaus;
Doch, o Mutter, mich anhöre:
Schlag mir nicht mein' Wohnung aus!
Wo du und dein Kind zugegen,
Da ist die Vergnügenheit." ..
Ebenso wird der heilige Josef innig eingeladen:
„Einstens batest du die Sünder,
Doch umsonst; jetzt bitt ich dich.
Wenn du kommst zu Menschenkindern,
Wer ist glücklicher als ich?!" —
Neben diesem häufigsten Thema der Obdachsuchenden heiligen Fa-
milie kamen meist Hirtenlieder zum Vortrag. Seltener wurde ein an-
deres Lied gesungen: wo ein Kind nächtlicher Weile ans Fenster pocht
und von der „Schäferin", die offenbar als Verkörperung der christ-
lichen Seele gedacht ist, Einlaß begehrt. Sie weigert sich zunächst, ist
voll Mißtrauen gegen den späten seltsamen Gast: . .
„Ich hier mich nur allein befind',
Magst etwa sein ein loses Kind;
[: Nein, nein, laß dich nicht ein." :]
* 156 *
* 157 *
Aber der Adel in den Worten des Kindes, das angibt, es wolle ein
ihm verloren gegangenes Schäflein suchen, überwindet sie:
„Glaub schwerlich, daß ein fremdes Schaf
Sich in der Au befindt.
Eh als ich dir die Port aufmach,
Sag mir: wer bist, mein Kind?
Oder wer ist der Vater dein,
Daß du schon jetzt ein Hirt mußt sein,
[: So jung, so zart, so fein?" :]
Worauf die Antwort kommt:
„Mein Vater ist von Ewigkeit,
Und ewig ist sein Reich;
Sein eingeborner Sohn zugleich
Ich ewig bin und bleib.
So merke nur und mich anhör:
Dein arme Seel von dir begehr;
Drum bin ich hier, schenk's mir!" :]
Den Heiland erkennend, bricht die bisher Zweiflerische in Entzücken
aus und öffnet ihm Heim und Herz:
„Mein Herz ich dir eröffnen thu,
Darin sollst finden Raft und Ruh.
[: Ich bitt, abschlag mirs nicht!" — :]
Den ganzen Brauch dieses Zusammenkommens und dieser Gesänge
nannte man „die Herberg abstatten". Erst um die Mitte des neun-
zehnten Jahrhunderts kam er ab.
Der Waisenvater
Durch die Straßen der Vorstädte rechts der Isar geht ein Mann,
dürftig gekleidet, wie ein Bettler den Hut in der Hand. Das Gesicht ist
dennoch nicht das eines bloßen Bettlers: in den Augen glimmt ein in-
neres Licht; die Haltung, der dunkle Rock sind mehr wie die eines Geist-
lichen, zum mindesten eines Lehrers. Das hat der Johann Michael Pöp-
pel, Faßbinderssohn aus der Au, einst auch werden wollen, hat die La-
teinschule besucht, ist Schulgehilfe gewesen in den Waisenhäusern zu
Freising und Erding und hat da gesehen, was elternlose Kinder sind,
was ihr Leben ist. -
Vielleicht war es die unbestimmte Furcht vor der Größe und Schwere
einer aufdämme^nden Bestimmung, was ihn flüchten ließ in Kloster-
frieden. Aber nicht für immer, nicht einmal für lange, denn die gleiche
Liebe zu aller Kreatur, die im Herzen des hl. Franziskus glühte, trieb
den Johann Michael aus dem Haufe des Heiligen wieder hinaus. Als
Privatlehrer — nach anderen als Tagschreiber — hauste er in einem
bescheidenen Stübchen in der Au, sah das Elend, das der österreichische
Erbfolgekrieg über sein Vaterland brachte, sah die Kinder, deren Väter
im Kriege gefallen waren, deren Mütter dem Hunger und der über-
mäßigen Arbeit erlagen, obdachlos, ohne Brot, verwildert herumirren.
Und der Johann Michael, der den Anblick nicht ertrug, reckte sich auf
zu einem Entschluß: der Vater all dieser Waisen zu werden.
Er erbat sich die Erlaubnis vom Gerichtsherrn des Pflegegerichts Au,
dem Freiherrn Franz Karl von Wideman», daß er versuchen dürfte,
was er vermöchte. Und sein Hausherr, der Gerichtsdiener Christoph
Nußbaum überließ ihm eine große Stube um billigen Zins. Darauf,
am letzten November, am Tage des hl. Andreas, holte sich Pöppel eine
Schar von völlig verlassenen Buben und Mädeln, dreißig im Ganzen,
zusammen; die führte er zuerst in die Mariahilfkirche — die alte, denn
die neue hat erst Ludwig I. erbaut — und betete zu Gott für sie und
sich. Dann nahm er sie heim in seine Stube und fing an, ihnen Vater
und Mutter zu sein, sie zu waschen und zu kämmen, zu kleiden, zu näh-
ren, zu unterrichten.
Noch mehr: er ging betteln für sie.
Von Tür zu Tür, bei Wind und Wetter, im dünnen schäbigen Rock,
verachtet, rauh abgewiesen, beschimpft. Er durste sich keine Empfind-
lichkeit gestatten, denn seine Kinder brauchten Brot. Es heißt, daß ein
Reicher, der nicht geben wollte, ihn einst mit dem Stock bedrohte und,
als der kecke Bittsteller sich nicht abweisen ließ, ihn wirklich schlug. Pöp-
pel hätte darauf geantwortet: „Schlagen Sie mich, aber geben Sie
meinen Waisen!" — und da wäre dem reichen Mann das Herz doch
weich geworden, so daß er fortan der Waisenschule freigebig spendete.
Sieben Jahre bettelte sich der Waisenvater so durch, von 1742 bis
1749. Er litt oft bittere Not mit seinen Kindern, aber er verließ sie
nicht. Als 1749 öffentliche Sammlungen für die Armen, Krüppel
und Waisen des nun beendigten Krieges veranstaltet wurden, erhielt
der Johann Michael ein gutes Teil von dem Ertrag; er konnte ein Haus
nahe der Mariahilfkirche kaufen und für seinen Zweck ausbauen. Da
trat zu der bisherigen Verspottung ein anderes: der Neid, der dem
Habenichts das Gelingen nicht gönnte. Häßliche Angriffe und Beschuldi-
gungen wurden gegen ihn geschleudert; des Eigennutzes, der Fahrlässig-
keit wurde er geziehen. Allerhand Hindernisse erschwerten ihm den Weg;
* 459 *
* 158 *
mehrmals stockte sein Bau, weil die Mittel fehlten. DaS Alles nahm der
Poppel hin wie ehedem den Schlag; seine Geduld war so unerschöpflich,
wie sein Mut. Und nach drei Jahren stand sein Hausbau fertig da.
Wie vor jedem Sieger, beugten sich Unverstand und Mißgunst vor
Dem, der innerhalb zehn Jahren das Alles erreicht hatte.
Begüterte Wohltäter spendeten so viel, daß die auf dem Waisen-
haus lastenden Schulden abgetragen werden konnten und noch ein Rest
von 4822 fl. als Anstaltsvermögen übrig blieb. Außerdem besaß Pöp-
pel seit 1751 ein behördliches Sammelpatent. Das „Waisenhaus zu
St Andrä in der Au", wie es nunmehr hieß, konnte als richtige Erzie-
hungsanstalt in verschiedene Klaffen eingeteilt werden; die Kinder, ge-
nährt und gekleidet, erhielten von Pöppel und einem Gehilfen Unter-
richt in Religion, Lesen, Stricken, Spinnen und Nähen.
Als Pöppel starb (1763), hinterließ er ein gesichertes Werk, das
heute, mit dem großen städtischen Waisenhause seit 1818 vereinigt, un-
ter Aufsicht des Magistrats München steht.
Pestsagen aus Giesing
Wie der „schwarze Tod" in Bayern umging, da machte er vor den
alten Dörfern rings um München so wenig Halt wie vor den stattli-
chen Häusern zu Füßen der Frauentürme. Immer wieder rollten ver-
mummte Totengräber den Pestkarren vor die Häuser und luden die
neuen Opfer, die der Tag gefordert hatte, darauf. Die Freithöfe boten
nicht Raum für alle die frischen Gräber; an vielen Orten mußten eigene
Pestfriedhöfe angelegt werden. Dies war auch in Obergiesing, dem alten
„Kyesinga", der Fall. So klein und frei der Ort auf waldiger Höhe
am Perlacher Forst lag, hatte er von allem Elend des dreißigjährigen
Krieges fein Teil getragen und trug es auch jetzt.
Hart am Waldrand stand ein schmucker Hof, der einem freien Bauern
gehörte. Der saß in Wohlstand und Wohlsein mit Weib und Kindern,
war bisher vor allem Unheil bewahrt geblieben und schien es fürder zu
bleiben, denn die Pest verschonte sein Haus. Um sich dankbar zu zeigen,
ließ der Bauer einen großen „Christus in der Rast" schnitzen, d. h.
ein Bildnis unseres Herrn in Ketten, während der kurzen Rast zwischen
der Geißelung und der Kreuzigung- Davor hielt der Bauer von nun
an stets seine Andacht. Aber die Pest, eine Zeit lang scheinbar erloschen,
kehrte wieder, grausiger als zuvor, und so brünstig der Bauer vor dem
Herrgottsbild betete, fielen doch all seine Hausgenossen der Seuche zum
Opfer, zuletzt sein Weib und seine Kinder. Da geriet der Mann in
Verzweiflung, lästerte Gott und schleuderte das Christusbild vor das
* 160 *
Haus auf die Erde. Darnach holte die Pest auch ihn. Weil aber das
Sterben immer zunahm, meinten die Umwohner, das fei die Strafe für
die Verunehrung des Heilandsbildes. Darum taten die von Giesing und
von der Au sich zusammen und wallfahrteten mit Kreuz und Fahne
nach Ramersdorf zur Gnadenkirche. Den geketteten Christus trugen sie
feierltch mit sich und stellten ihn bei der Rückkehr in der Giesinger Kirche
auf. Von da an begann die Pest mählich abzunehmen. Der Pestwagen
jedoch, der die Leichen zum Friedhof fuhr, soll noch lange oben unterm
Dach der Kirche aufbewahrt worden sein.
Der „Herrgott in der Raft" blieb in der Giesinger Dorfkirche, von
den Andächtigen voll Zutrauens verehrt, bis zum Jahr 1892, wo die
kleine Pfarrkirche abgeriffen und der sie umgebende Friedhof aufgehoben
wurde. Da übersiedelte der Herrgott in den Gottesacker, der eben in
jener schweren Zeit der Pestilenz als Pestfreithof angelegt worden war,
an der Stelle, wo heute der Giesinger Pfarrhof steht.
Von diesem Pestacker wird erzählt, daß ehemals zur Mitternachts-
stunde zwölf graue Männlein den Steig, der von der früheren Bäcker-
gaffe am Giesinger Berg hinaufgeht, sacht emporgewandelt seien, den
Pestfreithof umschritten und in der alten Dorfkirche gebetet hätten. Da-
von hätte das Bergl den Namen „Manndlbergl" oder „Mannderbergl"
geführt. Bei dem Freithof, so lang er bestand, soll eö zur Nacht über-
haupt nicht geheuer gewesen sein: wer vorüberging, vernahm rufende
Stimmen oder den Ton wie wenn mit Steinen oder Sand geworfen
wird.
1895 verschwand auch dieser Gottesacker; und der Herrgott in der
Rast" wurde von da an im Kloster der armen Schulschwestern in
Obergiesing aufbewahrt.
Das letzte äußere Gedenken der Pestzeit, eine Pestsäule auf dem We-
ge von Giesing nach Ramersdorf, erhielt sich bis gegen die Mitte des
vorigen Jahrhunderts, ist aber seitdem auch entfernt.
Vom Salvator
Zu Neudeck in der Au begingen alljährlich im Monat April die
Paulanermönche mit großer Feierlichkeit, acht Tage lang, das Fest ihres
Ordensstifters, des hl. Franz von Paula. Es begann am 2. April; nur
wenn etwa dieser Tag in die Karwoche fiel, ward der Festanfang auf
den ersten Sonntag nach Ostern verschoben. Während der Festoktav
konnte jeder andächtige Besucher der Paulanerkirche eines vollkommenen
AblaffeS teilhaftig werden. Auch wurden dort die ganze Festwoche hin-
durch die „heilig Vaterkertzen" geweiht, weshalb die Münchener Bür-
ii
* 161 *
gersfrauen korbweise das Wachs zum Weihen in die Kirche brachten.
Der Brauch schrieb sich her von einer Gewohnheit des hl. Franz von
Paula, nämlich: Hohen und Niedrigen geweihte Kerzen zu schenken;
deß zum Gedächtnis wurden alljährlich an seinem Feste in den Kirchen
seines Ordens geweihte Kerzen den Gläubigen ausgeteilt.
Wer einmal in die Au hinausgepilgert war, besuchte natürlich
auch die Mariahilfkirche und die übrigen Kirchen der Vorstadt. Nach
der Andacht war im Paulanerkloster gutes „heilig Vaterbier" oder
„heilig Vateröl" — so benannt, weil die Paulaner nur von Oel speisen
durften — zu bekommen.
Kurfürst Maximilian I. begab sich alljährlich am 2. April zu den
Paulanern, um einer Mesie beizuwohnen. Auch unter feinen Nachsol-
dern pflegte der kurfürstliche Hof den heil. Vaterfesten nicht fern zu
bleiben. Die Emporkirche im Heiligtum der Paulaner trug den Namen
„der Fürstenchor" — „weil die gnädigsten Herrschaften darauf dem
OrdenSfefte beiwohnen." Sowohl Max III. Joseph als Karl Theodor
versäumten nicht, am 2. April den Ausflug nach der Vorstadt Au zu
machen und die Mesie bei den Paulanern zu hören. Es war Sitte, daß
der Kurfürst unter Begleitung seiner Leibgarde, der Hartschiere, zu
Pferde und gefolgt von einer Kavallerieabteilung hinaus ritt, vor dem
Paulanerklofter abstieg und die Väter besuchte, ehe er sich in die Kirche
begab. Die Kurfürstin und die Prinzessinnen fuhren mit ihren Hofda-
men zu Wagen dorthin, gleichfalls von Hartschieren eskortiert, deren
prächtige Uniform und Pferde — sie ritten auf Schimmeln — einen
glänzenden Eindruck machten.
Der Konvent der Paulaner war stets bestrebt, auch an seinem Teil
das Fest würdig und feierlich zu gestalten; für die Feftpredigt ward ein
berühmter Kanzelredner aus der Stadt oder anderswoher gewonnen,
außerdem ein infulierter Prälat geladen, damit ein Pontifikalamt ab-
gehalten werden konnte.
Nicht minder beeiferten sich die Bewohner der Au, „den durchlauch-
tigsten Landesvater nach Fürstenwürde zu empfangen." Kanonendonner
begrüßte den festlichen Tag; am Auertor erwartete den aus der Resi-
denz kommenden fürstlichen Zug „die bürgerlich Auische Kavallerie",
die ihn von da ab „in schuldiger Ehrfurcht" eskortierte. Spalier bilden-
des Militär, Ehrenpforten, Schaugerüste mit allegorischen Darstellun-
gen, geschmückte junge Mädchen und weißgekleidete Schulkinder, dazu
das fröhliche Gewoge einer dichtgedrängten festlich erregten Menge
und das Geschmetter mehrerer Musikchöre — nichts fehlte, um die hohen
Gäste zu ehren und den Tag zu einem lange nachleuchtenden zu machen.
Nach beendigtem Hochamt wurde den fürstlichen Herrschaften in der
Klosterkirche die geweihte Vaterkerze überreicht, worauf der Hof noch
im Kloster bewirtet wurde. — Wie zu sehen, ging es umständlicher
damals her, als ein bekanntes Gedicht und Bild es darstellt, das den
Kurfürsten einfach vor der Klosterpforte anreiten und von Barnabas,
dem Bräuhausfrater, empfangen läßt . . .
„Mit dem Gruß, der bis zur Stunde
Sich erhielt in Volkes Munde:
8alve, Pater patriae,
Bibas, princeps optime.“
Von diesem Gruß nämlich: „Salve Pater“ usw. soll das Wort
„Salvator", das aber eigentlich von „Sankt Vaterbier" herkommt,
abgeleitet werden. Das Einzige, was von all dem Glanz uns Heutigen
geblieben, ist bekanntlich dies Sankt Vater- oder Salvatorbier.
Das Kloster der Paulaner ward 1799, nachdem es kurz vorher ein
letztesmal den Besuch des Kurfürsten (späteren Königs) Max IV. Jo-
seph empfangen hatte, aufgehoben. Es wurde nachmals Strafanstalt;
die Brauerei aber ging in weltliche Hände über, die es nicht minder
gut verstanden, das weitberühmte stark eingesottene Bier, das berau-
schendste der Münchner Doppelbiere (hierin dem vielbesungenen „Bock"
noch über) zu brauen. Der Salvatorkeller am Nockherberg in Giesing
öffnet seine Pforten alljährlich auch nur für kurze Zeit, weil nämlich,
zum Bedauern der Durstigen, der Stoff meist schnell ausgetrunken ist.
Hofmäßig geht es dabei freilich nicht zu, denn bekanntlich ist das Tragen
eines Zylinders z. B. verpönt, und ein solcher wird augenblicklich einge-
trieben. Von den Gesängen, die dabei üblich sind, darf behauptet wer-
den, daß sie an den eigentlich geistlichen Ursprung des Festes keineswegs
erinnern. Auch bedarf der Menschenstrom, der während des Salvator-
ausschankS zur Quelle wallt, keines Ehrengeleites, noch der Triumph-
pforten. Dennoch ist, wenn gleich in vergröberter Form, etwas vom
Charakter des Volksfestes diesen bierfrohen Frühlingstagen noch ver-
blieben.
Es hieß einst, daß zur Salvatorzeit der Brauer Franz Taver Zacherl,
der das BräuhauS von den Maltesern, den Nachfolgern der Paulaner,
erkaufte, bedeutend erweiterte und den nach ihm benannten Keller er-
baute, nächtlicherweile dort umgehen soll. Wer die Gäste vom Nockher-
berg herabkommen sieht, zweifelt bei ihrem Anblick sicher nicht, daß auch
dort und bei Tage der Zacherlgeist umgeht.
* 162 *
* 163 *
Von Pachem und vom Hachinger Bach
In ganz Bayern finden sich Sagen von versunkenen Orten, ähnlich
den norddeutschen Sagen von Vineta und Julin oder der Gerstäcker-
schen Erzählung vom verschwundenen Dors Germelshausen, das nur alle
hundert Jahr an die Oberfläche kommt. So geht die Mär von einem
Dorf, geheißen Pachem oder Bachheim, das nahe bei München, zwi-
schen Riem und Berg am Laim gelegen hätte. Der Ortsname Pachem
kommt in Urkunden des 14. und 15. Jahrhunderts vor, doch ist er,
wenn er sich wirklich von einem Bach ableitet, nach der heutigen Be-
schaffenheit der Gegend unverständlich, da kein Gewäffer sich ringsum
befindet. Möglich, daß ein Kirchdorf, das hier stand, zu Beginn des
16. Jahrhunderts gewaltsam zerstört, oder durch irgend ein Ereignis
vernichtet wurde. Leute, die an windstillen Tagen dort durch die Felder
gingen, haben erzählt, daß sie Menschenstimmen, Dengeln von Sensen,
zuweilen Geläute von Kirchenglocken aus der Erde heraufgehört hätten.
Deshalb erhielt sich die Überlieferung, daß ein großes Dorf dort in die
Tiefe versunken sei. Manche bringen deffen Schicksal in Verbindung
mit dem Wasier, das südlich von der sagenhaften Stätte fließt: dem
in seiner Art auch wundersamen, als Naturmerkwürdigkeit anzusprechen-
den Hachinger Bach-
Bei Deisenhofen wird er zuerst als schmale Wasierader sichtbar, von
Oberhaching an strömt er reichlicher, erreicht seine eigentliche Stärke
bei Taufkirchen. So bleibt er eine Weile, treibt mehrere Mühlen; von
Unterhaching an aber beginnt er abzunehmen und ist in Unterbiberg
nur mehr ein kleines Rinnsal, das außerhalb Perlach gänzlich versickert.
Diese Eigentümlichkeit wird geologisch aus dem engen Zusammen-
hang des Bachwasierspiegels mit dem unterirdischen Grundwasserspiegel
erklärt. Aber die Volksphantasie deutele den Vorgang anders und leitete
daraus eine Sage ab von einem feindlichen Brüderpaar, dessen Vater,
ein braver alter Müller, bei seinem Sterben den Beiden gemeinsam
die Mühle am Hachinger Bach nahe Perlach hinterlassen hätte. Durch
die Erbschaft fuhr der Geizteufel in die Söhne, die sich zuvor ganz gut
vertragen halten und sie wurden einander spinnefeind. Keiner gönnte dem
Anderen sein Teil, sie stritten und maulten den ganzen Tag, vernachläs-
sigten darüber Arbeit und Kundschaft und kamen so allmählich herab.
Damals floß an jener Stelle der Bach noch breit und hell. Als jedoch
die Zwei es immer ärger trieben und den würdigen Pfarrer von Per-
lach, der um der Liebe Gottes und des Gedächtnisses ihres Vaters wil-
len sie zur Eintracht mahnte, roh von der Schwelle jagten, da war ihr
Maß voll. Eines Tages war der Bach, gerade bei der Mühle, versiegt,
und die Mühle stand still.
Da half kein Fluchen und kein Jammern, keine Vorwürfe, die sich
die Beiden gegenseitig machten. Sie wurden zu Bettlern, und schließlich
suchten sie sich auf dem Wege von Perlach nach Ramersdorf zwei stark-
ästige Birnbäume aus, nahmen Jeder einen Strick und hingen sich
daran.
Nächtlicherweise sollen die zwei Müller als ruhelose Geister an der
Stelle ihres Selbstmordes spuken und zwar so lange, bis der Hachinger
Bach wieder seinen früheren Lauf hat.
Harlaching
Die kleine Wallfahrtskirche zu Harlaching, hoch am Ufer der Isar,
ist ursprünglich wohl sehr alt. Keine Gewißheit besteht über die Zeit
ihrer Erbauung; doch kommt der Ortsname selbst im 12. Jahrhundert
als „Hadelaichen", „Hadelahingen" vor. Die Kirche, der heiligen Mut-
ter Anna geweiht, hat eine schwermütig sagenhafte Entstehungsge-
schichte. Ein Münchener Patrizier soll mit einer schönen Jüdin auf einem
Landsitze in Thalkirchen verbotenes Liebesglück genossen, die Verführte
aber hernach verlassen haben. Da sprang sie verzweifelt in die Isar und
fand den Tod. Von seinem Gewissen beunruhigt, ließ ihr Verführer
die kleine Kirche von Harlaching erbauen. Bei der „Marienklause",
die 1865 aus einem Dankgelübde für Errettung von Hochwasser
und Felssturzgefahr entstanden ist, soll die Seele der Selbstmörderin
als blaues Irrlicht umherschweben.
Einem Dankgelübde wird auch das alljährliche große Kirchenfest,
der Harlachinger Ablaß, der am 8. September beginnt, zugeschrieben.
Es soll herrühren von einem Grafen, der zu Giesing seinen Ansitz hatte,
sich aber in einer kalten Winternacht während eines furchtbaren Schnee-
sturmes in den damals noch dichten Wäldern an den Jsarhängen ver-
irrte und den Tod vor Augen sah. In dieser Bedrängnis gelobte er, für
den Fall seiner glücklichen Errettung der nächsten Kirche eine reiche
Stiftung zu machen. Darnach vernahm er den feinen Ton eines Glöck-
leins, das gar nicht weit entfernt zu fein schien. Der bereits erschöpfte
Graf nahm seine Kräfte zusammen, ging dem Klang des Glöckchens
nach und kam so nach Harlaching, wo er alles wach und in größtem
Staunen fand, denn das Glöcklein hatte von selbst geläutet. Da erfüllte
der Gerettete sein Gelübde und stiftete, von reichen Spenden der Um-
wohner unterstützt, das „Harlachinger Ablaßfest".
Harlaching, ursprünglich dem Kloster Tegernsee gehörig, ward später
mit der Schwaige Harthausen (der heutigen Menterschwaige) zusam-
men Eigentum des Landesfürsten und wurde von ihm mehrfach als
* 165 *
* 164 *
Ritterlehen an verschiedene Adelige verliehen. Es gehört heute zur
Stadtgemeinde München und zur Pfarrei Giesing.
Das Schloß der bayerischen Herzoge, das in Harlaching stand und
berühmt war durch seine prächtigen Gartenanlagen am Bergabhange,
ist zu Ende des 18. Jahrhunderts durch Brand zerstört worden. Heute
erinnert, da die Kirche gleichfalls im 18. Jahrhundert völlig neu erbaut
ist, und der ganze Ort sich als vornehme Villenvorstadt entwickelt hat,
eigentlich nichts mehr an frühere Zeiten, als der uralte kleine Kirchhof
und das Denkmal, das König Ludwig I. bei der Kirche dem Andenken
des Malers Claude Gelee, genannt „Lorrain" setzen ließ. Dessen
Ansässigkeit zu Harlaching ist freilich neuerdings in das Bereich der
Sage verwiesen worden. Ludwig I. selbst weilte gern auf der benach-
barten Menterschwaige, die bis 1660 herzoglicher, resp. kurfürstlicher,
von 1793 an bürgerlicher Besitz war. Hierher, auf die — damals noch
Harthausen genannte — Schwaige flüchtete Herzog Johann II-, der
älteste der fünf Söhne Albrechts III-, vor der in München herrschenden
Pest, und hier, in dem nachmals abgebrannten Schlößchen, erlag er ihr,
sechsundzwanzigjährig, am 18. November 1463.
b)LinksderJsar
An der Isar
Untrennbar, landschaftlich wie geschichtlich, gehören München und
sein freudiger Karwendelsproß, der Isarstrom, zusammen. Ja, die Isar
darf sich rühmen als Ursächerin der Stadt. Wo ein solches belebendes
Wasser fließt, ist die gegebene Stätte einer größeren Menschenansiede-
lung. Mit der Zerstörung der einen und Erbauung der anderen Isar-
brücke, mit dem sich bekriegenden, durch die Isar bedingten Vorteil
zweier großer Herren hat Münchens Geschichte begonnen, das Werden
des Dorfes zu einer Stadt, die schon hundert Jahre nach ihrer Grün-
dung „ins Maßlose" wuchs. Die Brückenwacht der Isar, das ist Mün-
chen zu Anfang gewesen; die Lebensader der Stadt, das war die Isar.
Die „Schnelle, Reißende", soll ihr Name, der uralten Ursprungs
ist, bedeuten. Zu Zeiten der Schneeschmelze oder sonst bei Hochwasser
fährt sie wirklich reißend daher, mit hohen Schaumwellen gegen die
Ufer schlagend. Schön ist der Blick von den waldigen Hängen, etwa bei
Pullach oder Großhesselohe, herab auf den milchig grünen Strom, die
breiten hellschimmernden KieSftrecken, die Höhlen und seltsamen Bil-
dungen im Nagelfluhgestein. Kelten und Römer haben ihre Spur längs
des Flusses zurückgelassen; drüben am Osthang, wo die gotische Herzogs-
bürg Grünwald so stattlich in die Isar hinabschaut, liegt das alte
Römer-Kastell, das in jene fernste Vergangenheit zurückweift. Von der
Eisenbahnbrücke, die bei Großhesselohe die Isar überspannt, haben frei-
lich selbst die Römer sich nichts träumen lassen, so wenig wie der sin-
nende Mann im schwarzen geistlichen Gewand, der hier so gern die
Schau über das Flußbett und die waldigen Höhen genoß.
Inmitten all der Drangsal des dreißigjährigen Krieges hat hier der
„bayerische Horaz", der Jesuitenpater Jakobus Balde, eine seiner schön-
sten Oden gedichtet, das „Echo". Sie sind lateinisch, die Dichtungen
des gelehrten Humanisten, aber sein ganzes Empfinden war deutsch,
so wie der Schmerz um die Leiden seines Volkes, für das er den teuer-
werten Frieden so heiß ersehnte.
Auch ein Anderer, dessen Namen als den eines Zeitgenossen die Echo-
Ode nennt, hätte nach, zwar unverbürgter, Überlieferung hier oben ge-
weilt: Claude Gelee, benannt le Lorrain. Er hätte seine Studien ge-
macht an der Durchsichtigkeit der Luft, den duftigen Lichtwirkungen der
Ferne, so wie es nachmals noch mancher Meister des achtzehnten und
neunzehnten Jahrhunderts tat: Dillis, Beich, Lebschee, Schleich, Weng«
lein und wie sie sonst heißen. Eines Künstlers Gedächtnis erneuert auch
der Anblick von Brug Schwanegg, die sich Ludwig Schwanthaler er-
baute und damit einen Traum seiner frühen Jugend verwirklichte. Und
welche fröhliche Scharen hat der Wald zwischen Großhesselohe und
Pullach gesehen, wenn alljährlich bei der Habenschaden-Feier nach dem
Gedächtnisgottesdienst für den Stifter das Frühlingsfest der Künstler
sich entspann! —
Einen eigenen Reiz aber hat es, der Isar ganz nahe zu sein, dicht
am Strand im Gras der Jsarauen zu rasten, die von selbst, durch mäh-
liches Zurückziehen des Stromes in sein heutiges Bett, entstanden sind.
Oder auf einem Floß, das etwa von Tölz dahertreibt, sich fröhlich nach
München hinunterschaukeln zu lassen. Die Flößer und Uferanwohner
wissen mancherlei zu erzählen von den frühen märchenhaften Vorstellun-
gen, mit denen die Volksphantasie Fels und Strom belebte. Die Höh-
len bei Geiselgasteig und Großhesselohe wurden gedacht als von wilden
Leuten, Wassergeschöpfen und wohl auch räuberischen Unholden bewohnt.
In einer davon soll das „Schnarchermandl", einer aus der großen Fa-
milie der Zwerge, Kobolde und Wichtelmännchen seßhaft sein, dessen
lautes Schnarchen zu Zeiten sich über den Fluß hin vernehmen läßt.
Häufiger noch ist der eigentümlich klagende Ruf „Tutli —i —i" zu hö-
ren, der von einem Wasservogel herrührt, aber den Viele einem na-
mentlich zwischen Thalkirchen und Harlaching heimischen Spukgeist,
dem „Tutlipfeiferl", zuschreiben. Bald pfiff er dem Wanderer oder
Flößer dicht vor den Ohren, gleich darauf weit vom jenseitigen Ufer
* 167 *
* 166 *
her. Die Einen knüpfen daran die Sage von einem wirklichen Pfeifer,
einem Spielmann, der das stolze Fräulein von Burg Grünwald geliebt
und dem sie aufgegeben hätte, ihr Geschmeide, das sie vor seinen Augen
hineingeworfen, aus der Isar zu holen. Er versuchte eö, kam aber nim-
mer herauf — es ist die Geschichte von Schillers „Taucher". Auch der
ruhelose Geist einer jungen schönen Selbstmörderin, die, entweder aus
Liebesgram oder einem Ehrenräuber zu entfliehen, in den Fluß gesprun-
gen sei, wird mit dem Tutlipfeiferl und seinem Klageruf in Verbindung
gebracht.
Als harmlos und gutartig gilt das „Wisperl", das nur zu heiligen
Zeiten, vornehmlich an Allerseelen, mit leisem Gezirp wie eine Grille,
bald nah, bald fern sich hören läßt. Ein geradeswegs böser Geist aber
ist das „Pfeiferl"; er pfeift grell durch die Finger, und wagt jemand
ihm zu antworten — flugs ist er da. Einmal ging einer zu später
Stunde durch die Isarauen, ahmte den Pfiff des „Pfeiferls" nach —>
da wuchs vor ihm aus dem Boden eine schwarze Gestalt. Der Mann,
beherzt, griff nach seinem Messer und schrie: „Trau di net zuawi, oder
du bist hin!" Aber das Gespenst schwoll zu dreifacher Mannshöhe em-
por; da packte den Kühnen das Grausen, und er rannte davon — hast
du nicht gesehen! Ob ihm Unheil widerfahren ist — denn das „Pfei-
ferl" bringt Unglück durch seine Begegnung — weiß man nicht. Am
besten ist's, wenn der Pfiff ertönt, sich still zu halten, ein Kreuz zu
schlagen und im Gehen für sich zu beten. So haben es ehedem auch die
Floßknechte gemacht, beim Überfahren des Isarwehrs an der Marien-
klaufe; denn dort in der Nähe haust die Isarnixe — die übrigens den
Meisten als gleichbedeutend mit dem „Tutlipfeiferl" gilt — samt ihrem
Gatten, dem Hakemann oder Hackenmann. Zu Zeilen singt sie ein selt-
sam berückendes Lied; wer sie singen hört, muß nach altem Glauben bei
einer nächsten Floßfahrt ertrinken. Drum schützten die Flößer sich dort
an den „Überfällen" durch Gebet und führten gern etwas Geweihtes
bei sich. -
War jede Unbill des Wassers und der Witterung samt jeglicher dä-
monischen Anfechtung überwunden, dann saß und trank der wackere
Flößer recht „grüabig" zu München beim „grünen Baum". Da wurde
das beliebte Tölzer Bier verzapft; da herrschte ein fröhliches Durch-
einander von Münchnern aller Stände, Gelächter und Gesang. Zur Zeit
König Ludwig I. pflegten auch die Künstler die Wirtschaft zum „grü-
nen Baum" mit besonderer Vorliebe zu besuchen. Der Wirt galt als
eines der vielen, just in seinem Stande nicht seltenen, Münchner Origi-
nale, so wie der „lachende Wirt", der diesen Namen trug, weil er, wie
die Prinzessin im Märchen, nur einmal gelacht hatte. An den Grün-
baumwirt knüpft sich die Münchner Redensart: „Da möchtst doch gleich
Greanbaamwirt wern!" — Angeblich führte der drollig-knurrige Wirt
selbst diesen Spruch im Munde, wenn ihm etwas widern Strich ging.
Der „grüne Baum", nach dem die Wirtschaft sich nannte, wurde,
als 1787 ein Sturm ihn brach, durch eine Linde ersetzt. Die Wirtschaft
selbst aber verschwand gleich der anderen, altbekannten Gaststätte „zum
Ketterl" an der Floßstraße, als der Durchbruch der Steinsdorfstraße
erfolgte und an die Stelle der ehemaligen Lände ein großstädtischer
Straßenzug längs der Isar trat.
Die Zeiten und ihre Bedürfnisse wandeln sich; Gebäude entstehen
und vergehen. Was aber unmittelbar aus Schöpferhand entsprungen
ist wie der leuchtende rauschende Bergfluß, der München durchströmt,
bringt stets, trotz menschlicher Regulierung und moderner Prachtbauten,
einen Ewigkeitshauch mit sich.
Schwabing
Die Schwabinger — die Nachkommen eines mutmaßlichen Swapo.
Schon seit dem sechsten Jahrhundert wahrscheinlich orisseßhaft, seit
dem achten Jahrhundert — Respekt! — urkundlich nachgewiesen. Bau-
ern, Fischer, Flößer, wie die Nachbarschaft der Isar es bedingte, meist
Untertanen eines ausgedehnten Edelhofes. Denn schon im zehnten
Jahrhundert gab eS dort einen Edelsttz „Derer von Schwabing".
Einen des offenbar zahlreichen Geschlechtes, den edlen Heinrich von
Schwabing, hat, wie früher erzählt worden, Herzog Ludwig II. „mit
allen Gütern zu Pugenhausen und Oberfehringen" belehnt; Bogen-
hausen und Oberföhring liegen ja Schwabing gegenüber. Besagter
Heinrich trat diese Besitzungen am anderen Isarufer bald an den Bischof
von Freising ab. Ähnlich handelte, jedoch aus höchst praktischen Grün-
den, ein Eberhard von Schwabing, im dreizehnten Jahrhundert. Der
hatte einen seiner Okonomiehöfe einem Münchner, dem Richter Jordan,
verpfändet um sechs Talente — und als die fällige Zeit herannahte,
wußte er das Geld nicht zu beschaffen. Da entschloß er sich kurz und
schenkte seinen Hof dem Kloster Schäftlarn mit dem Beding, daß dies
ihn auslösen müßte — was auch zu beiderseitiger Befriedigung geschah.
Zu Anfang des 14. Jahrhunderts starben die Edlen von Schwabing
im Mannesstamme aus; eine Erbtochter jedoch hatte zur Ehe den
Patrizier Gollier von München. Der Gatte oder erst der Sohn dieser
Schwabingerin war Ainwich der Gollier, den Herzog Ludwig um seiner
Verdienste willen zum Ritter schlug, und der auf dem Marktplatz in
München die Allerheiligenkapelle anstatt der zerstörten herzoglichen
Münze erbauen ließ. Dieser Ainwich soll auch das alte, gar kleine Kirchl
* 168 *
* 169 *
Johannes des Täufers in Schwabing größer und schmucker erbaut
haben aus Freude und Dank, daß er ein Söhnlein Johannes zur Taufe
gebracht. Nachmals starb dies Kind, die Kirche jedoch erstand abermals
größer und ward nach der zweiten Patronin, der hl. Ursula mit ihren
Jungfrauen, benannt. Die Kirche zu „Swäbingen pey München, da
rastent der gut Herr sant Johans, der Tauffer unseres Herrn Jesu
Christi und die heilige Elftausend Mayd" war freilich nur eine „Zu-
kirch" (Nebenkirche) des Gotteshauses zu Sendling; erst 1811 ward
Schwabing eine selbständige Pfarrei. Aber die Schwabinger hielten ihr
Kirchl hoch und heilig: bei den etlichen Malen, als die noch ungebändigte
Isar mit Hochwasser ging und wilde Wogen auf die Kirche zuwälzte,
wagten die Bauern und Fischer ihr Leben daran und eilten auf Flößen
und Kähnen ihrer „Sant Ursel" zu Hilfe.
Sogar in friedsam später Zeit forderte hier der Isarkanal ein junges
Leben: den 21. Juli 1783 ertrank darin „der kunst- und tugendreich
Pankratius Piebl, Buchdruckergesell in München, seines Alters 26" —
und ward beim alten Schwabinger Kirchl gefunden und bestattet.
Noch älteren Ursprungs soll das Kirchlein des hl. Nikolaus gewesen
sein, dessen Abbruch 1898 nicht bloß den Schwabingern, sondern auch
vielen Münchnern tief ins Herz griff. Nachgewiesen ist sein Bestehen
seit dem fünfzehnten Jahrhundert als „GotzhauS der Siechen", das
beim Leprosenspital stand und noch zu München gehörte. Die gelegent-
lichen Ausflüge der Münchner nach „Sand Nikolas bey Schwäbing"
namentlich am Pfingstfest und ihre Einkehr beim wirtenden Hausver-
walter des Spitals sind anderwärts erwähnt. Aber die Münchner,
sowie die Schwabinger kamen auch mit dem Kreuz gewallfahrtet, da
das Nikolaikirchl größtes Vertrauen und Ansehen genoß. Sankt Niko-
laus, als früher Patron der Schiffergilde, hatte billigen Anspruch auf
die Verehrung dieser ruderführenden Isaranwohner.
Die ehemaligen Untertanen der Edlen von Schwabing, wie sie ge-
diehen und sich mehrten, legten einen Zug ausgesprochener Selbst-
behauptung an den Tag. Durch die größere Hälfte des sechzehnten
Jahrhunderts währten die Händel, die sie hatten mit denen von Mün-
chen und von Freising wegen Verletzung der Fischereigrenze. Die
Schwabinger hätten bloß bis zum Frauenkreuz (gesetzt zu frommem
Andenken an eine ertrunkene Frau) und bis drüben zum Föhringer
„Engelturm" fischen sollen, aber sie zogen vor, es bis Garching zu tun.
Die Münchner, obzwar sie gelegentlich ihre Grenze energisch gegen diese
„unruehigen Vischer von schwebing" verteidigten, huldigten doch auch
wieder dem Satze: „da kann ma aa net so sein" — und ließen ein paar
ertappte Schwabinger laufen, „weil die ihnen guete Worte geben
haben, daß sy hinfüro nimmer khomen wellen." Die Freisinger prozes-
* 170 *
fierten lange und heftig, wobei aber schließlich nichts herauskam, als ein
neuer Markstein zur Darnachachtung unterhalb des Frauenkreuzes.
Auch an diesen hielten sich die Schwabinger nicht unbedingt; und bei
dem „Blumbesuch" (Weiderecht) in der Hirschau, das sie mit denen
von Freimann, Föhring und Bogenhausen teilten, richteten sie es gleich-
falls so ein, daß nicht gerade sie im Nachteil blieben.
Von jener Zeit und dem pfiffigen, zugleich aber wehrhaften alten
Bauernschlag, der selbst der kurfürstlichen Regierung nicht allzuviel
Reverenz bewies, zeugen heute nur noch die paar alten Häuser und
Gärten unten beim Ursulakirchl (jetzt St. Silvefterkirche), an der
Biedersteinerstraße, der Maria Iosefastraße, und den andern, die sich
am englischen Garten hinziehen. Eigentlich ist es so recht der Garten
Schwabings, dies am einstigen Hirschanger von Kurfürst Karl Theodor
und seinem Mithelfer, dem Benjamin Thompson, Grafen Rumford,
geschaffene Stück Eden nördlich der Altstadt München. Wer vom
„Harmlos", diesem steinernen Hüter des Garteneingangs, hinunter-
schlendert zum „Chinesischen Turm", durch die umbuschten Schlängel-
pfade an Wasserfällen, Ruhebänken vorbei zum „Aumeister", ans
„Milchhäusl" oder nach Kleinhesselohe, der sieht dem Kurfürsten, des-
sen Verhältnis zu München ein so gezwungenes war, um dieser Schöp-
fung willen vieles nach. Freilich darf auch das Verdienst der Vollender,
der beiden ersten Könige und Ludwig von Skells, nicht vergessen
werden. Die Großstadt versinkt hier völlig vor dem Landschafts-
reiz eines Parkes, bei dessen Anlage die Kunst das von der
Natur Gegebene aufs glücklichste benutzt hat. Die kleinen, bald
raschflutenden, bald sacht dahinschleichenden Wasserarme, die schönen
alten Bäume, von einem linden Feuchtigkeitsdunst umwebt, die durch-
blümten Wiesen nehmen Blick und Seele gefangen. Und beim Hinauö-
schauen, Hinaustreten immer wieder irgend ein Ausschnitt aus dem
alten Schwabing, der das Bild ergänzt: der Wasserturm am Schwa-
binger Bach etwa — oder Schloß Biederstem oder SureöneS oder das
Gohrenschlößl.
Es gab noch einen Weg nach Schwabing: den trockenen „Türken-
graben", den Max Emanuel durch gefangene Türken hatte anlegen
lassen. Seinen Zweck als Wasserweg verfehlte der Kanal, wurde daher
1811 eingeebnet und mit Häusern und Gärten überbaut. Ganze Ge-
nerationen geputzter Münchner sind Feiertags durch den Graben oder
durch den Theodorspark gen Schwabing gewallt, etwa nach dem Serem-
pusgarten, auch Schwabinger Volksgarten, wo es Kegelscheiben und
Scheibenschießen für die Erwachsenen, Schaukel und Karussel für die
Kleinen gab. Aber das und der erste zoologische Garten, der hier außen
entstand, im Gumppenberg-Garten, gehörten einer späteren Zeit an;
* 171 *
früher war ein Hauptziel der Ausflügler die „kalte Herberge" nord-
westlich vom Dorf Schwabing. Eine üble Sage hing sich an den
Namen: das freiliegende Wirtshaus sei ein Mordhaus gewesen, wo
Leute kalt gemacht worden wären. Aber das soll Verleumdung gewesen
sein; und jedenfalls war die Einkehr sehr beliebt. Die Münchner
Gärtner hielten dort eine Zeitlang ihr IahreSfest.
Was Neu-Schwabing heute ist, ein Begriff für sich innerhalb Mün-
chens, weiß Jedermann; und es hat ja auch schon den Fall gegeben, daß
München zu Schwabing wie einst bei den Fischereihändeln, in Gegen-
satz trat. Aber wohlgemerkt: zu dem nicht bodenständigen, dem sozusagen
angeschwemmten Element. Denn Jung-Schwabing, das auf Schwabin-
ger Boden erwachsene, bewahrt im Grunde den Charakter des „alten
romantischen Landes", dessen äußeres Antlitz auch unterm neuen Ge-
wand der Villen oder Arbeiterviertel noch da und dort hervorschaut.
Und das ist gut so.
Sendling
Räumlich ist es eine ziemliche Strecke von Schwabing nach Send-
ling. Aber da Schwabing einst zur Sendlinger Pfarrei gehört hat,
ist der Schritt doch nicht zu weit. —
Auch Sendling ist alte Bajuwarenniederlassung, beurkundet seit
782. Bis in das 18. Jahrhundert waren im Reichental bei Ober-
sendling die Ruinen der Burgen sichtbar, die das Edelgeschlecht der
Sendlinger dort bewohnte. Auch eine Dingftätte (Gerichtsstätte) ist zu
Sendling gewesen. In Untersendling war das Kloster Benediktbeuren
begütert, dessen Besitzungen im 30 jähr. Krieg verheert wurden; ferner
besaß das Gotteshaus St. Martin in Ottendichl den „Diftelhof",
aus dem dann ein adeliger Sitz und später der heutige VergnügungS-
ort Neuhofen wurde. Jahrhunderte lang gehörte Sendling zur Pfarrei
Thalkirchen, doch hatten Mitter- und Untersendling schon 1315 eigene
Kirchen mit Freithöfen umgeben. Das alte Margarethenkirchlein und
sein Freithof sind Schauplatz der Sendlinger Mordweihnacht gewesen.
Ein grauer Christtag, der heranzieht am Ende des schicksalsvollen
Jahres 1705. Die letzten Hausen der Oberländler, deren Sturm auf
die Stadt München mißlungen ist, haben sich hinaufgeflüchtet nach
Sendling. Die Kaiserlichen unter General Kriechbaum halten sie in
weitem Bogen umschlossen; sie sind umstellt wie jagdbares Wild. Ein
Versuch, durchzubrechen, wäre vergeblich; er würde so viel bedeuten,
wie gewissen Tod. Das verschneite, vereiste Land ringsum ist bereits
bedeckt mit Verwundeten und Toten, die gefallen sind auf dem Rückzug
vom Jsartor bis Untersendling. Die noch Lebenden haben keine Wahl
als zu sterben oder sich zu ergeben.
Die Mehrzahl wählt den letzteren Weg; denn es ist Pardon ver-
heißen worden, unter der Bedingung, daß die Waffen sofort gestreckt
würden. Sie tun wie ihnen geboten ist, drängen hinaus auf das freie
Feld, werfen die Waffen von sich und sich selber auf die Knie." Die
Rosenkränze haben sie herausgezogen, winden sie um die Hände, die sie
aufheben zum Beten, zum Bitten — —
Eine Salve kracht. Geknatter und Geschrei — Geröchel. Dann
heißt eö: „Wer noch lebendig ist, stehe auf!"
„Und wie die erste Salva vorbey,, — so lautet ein zeitgenössischer
Bericht — „hat man gleich wieder Salva gegeben und türkisch um-
gemetzgert, bis 1100 Mann auf dem Platz geblieben". Reiter und
Fußvolk stürzen über die Wehrlosen her, mit Schüssen und Säbelhie-
ben. Das Morden setzt sich fort in die Dorfhäuser, auf den Friedhof,
in die Kirche hinein, wohin immer die noch Überlebenden sich zu bergen
suchen. Wie der damalige Pfarrer von Sendling, Simon Schoyer, drei
Tage später an den Fürstbischof berichtete, „hat man auch das Gottes-
haus nit verschont, diseö mit bluetvergießen, und beraubung der hinein-
geflichten Bauern profanirt, auch ... die dreh Sendling sammt Thalkir-
chen schröcklich beraubt, allen Bauern, Söldner und Tagwerkher all ihr
Geld, Fahrnuß und Vich, wie auch mir über die 700 fl. bares Geld,
auch alle meine Pferdt hinweggenommen." —
Die Pfarrkirche und ihre unmittelbare Umgebung waren Schauplatz
des letzten Verzweiflungskampfes. Erst hatten die Bauern nach Ge-
meinden zusammengeftanden, jetzt drängten sie durcheinander, wie wilde
Tiere wehrten sie sich. Nach der Überlieferung kämpfte inmitten des
verlorenen Haufens der SchmiedbaltheS von Kochel nebst seinen Söh-
nen. Reckenhaft stand er, schwang seinen Morgenstern, bis er selbst
zu Tode getroffen niedersank. Die geschichtliche Forschung hat keinen
Schmied von Kochel gefunden, wohl aber festgestellt, daß ein Schmied
Balthasar (BaltheS) Riesenberger von Bach im Mangfalltal, Pfleg-
amt Vallei, an jenem 25. Dezember sein Leben bei Sendling ließ. Viel-
leicht half eben sein Schreibname dazu, ihn im Andenken der späteren
Geschlechter überlebensgroß darzustellen.
Die Wenigen, die dem Blutbad entrannen, wurden auf Leiterwägen
in die Stadt geschafft, zum Gefängnis, zur Folter, zum Tode — sofern
sie nicht vorher aus Mangel an Hilfe ihren Wunden erlagen.
Vier äußere Denkzeichen mahnen an die Sendlinger Mordweih-
nacht. Auf dem südlichen Friedhof der eiserne Weihbrunnkessel, den
König Ludwig I. stiftete zum Gedächtnis der 682 Oberländler, die dort
ruhen. Ferner der von Geheimrat Philipp Zwackh errichtete Denkstein
* 173 *
* 172 *
auf dem Hügel des alten Sendlinger Friedhofes, der drei- bis vierhun-
dert jener Tapferen deckt — und am Untersendlinger Kirchlein das
Freskogemälde Lindenschmitt's, das deren letzten Kampf verherrlicht.
Gegenüber von Kirche und Kirchhof aber erhebt sich seit neuer Zeit
das eherne Brunnen-Denkmal des Schmiedbalthes mit dem Hammer
in der Faust, als die Verkörperung des mannhaften opferbereiten
Volkswillens, der sich gegen Unrecht mutig zur Wehr setzt, und dem
das Leben nicht als der Güter Höchstes gilt. Außerdem bewahren das
Andenken des Schmieds und seiner heldischen Mitkämpfer die Straßen
Sendlings, welche die Stadt München sämtlich nach Jenen und nach
ihren Heimatorten benannt hat.
Neuhausen und der Winthirstein
Weil Neuhausen — wohl im Gegensatz zu der älteren Ansiedlung,
die schon bestand, heißt es hier „bei den neuen Häusern" — bis vor
einem halben Jahrhundert eine Filiale der Pfarrei Sendling war
(gleich Schwabing) soll in diesem Zusammenhang von ihm berichtet
werden. —
Nahe dem heutigen Rotekreuzplatz steht, ein Wahrzeichen, daß hier
ehemals das kurfürstliche Jagdgehege begann, das kleine halbverfallene
Jagdschlößchen des Kurfürsten Karl Albrecht, das durch sein verblaßtes
Freskogemälde noch fetzt die Augen auf sich zieht. Schräg über davon
ragt ein schlichtes Brunnendenkmal: auf romanischer Säule ein Mann
im Reisegewand, mit treuherzig frommer Gebärde an ein Saumtier
gelehnt. Das ist der selige Winthir.
Ursprünglich hieß eö: der fromme Mann, der als ein Säumer an den
Strand der Isar gekommen, sei aus edlem fremdländischen Geschlechte
gewesen und hierher eingewandert, um in dem zum Teil noch heidnischen
Niuwenhusir (Neuhausen) das Evangelium zu predigen. Wahrschein-
lich hing er irgendwie zusammen mit den irisch-schottischen Mönchen,
die im siebenten Jahrhundert schon und zwar meist als scheinbare Händ-
ler, Säumer, Kaufleute, die Lande durchzogen und den Glauben ver-
breiteten. Das Vorhandensein einer Handelsstraße, wie es die von
Reichenhall herkommende, über die Isar, Munichen und Pasing nach
Augsburg führende Salzstraße war, bestimmte naturgemäß den Gang
solcher Glaubensboten. Winthir, dessen Auftreten in das achte Jahr-
hundert fallen dürfte, baute sich, wie die Legende berichtet, eine ein-
fache Klause hier zwischen den Angern und verbrachte darin sein Leben
mit Gebet und Werken der Wohltätigkeit. Sogar von Wundern, die
er gewirkt habe, meldet die Überlieferung. Da er starb, wurde er an der
* 174 *
Kirchenmauer bestattet in einem steinernen Sarge, unter dem Wehkla-
gen des ihn verehrenden Volkes. Als anno 1600 die Neuhauser Kirche
vergrößert werden sollte, ward an der bezeichneten Stätte gesucht, und
wirklich fand sich der Steinsarg mit Winthirs Gebeinen. Nun wurde
die Wand der Epistelseite weiter hinausgerückt, sodaß WinthirS Gruft,
über der später ein Altar sich erhob, in das Innere der Kirche zu liegen
kam. Außerdem stand jahrhundertelang an der Wendlstraße in Neu-
hausen ein Stein, die sogenannte Winthirsäule, die vermutlich nur ein
Markstein war, dem Volke aber als Wahrzeichen galt, daß hier die
Klause stand, wo Winthir wohnte und predigte. Der Winthirstein, wie
die Säule auch hieß, war lange Zeit ein Ort beständiger Andacht: in
irgendwelcher Not und Bedrängnis flüchteten die Beter dorthin. Es
hieß auch: durch Winthirs Fürbitte seien die Fluren umher von allen
Hagelschlägen und sonstigen Wetterschäden verschont geblieben. Einmal
soll ein reicher Bauer, der zu Neuhausen wohnte, es doch erlebt haben,
daß ein Hagelschauer zerstörend über seine Felder ging; da hätte der
Betroffene, der ein großer Geizkragen war, auf den seligen Winthir,
als auf einen Betrüger, furchtbar gelästert und geflucht, sich auch daran
gemacht, aus Rache den Winthirstein umzustürzen. Mit Hacke und
Spaten ging er ans Werk, aber ein Blitz traf ihn, daß er tot an der
Stelle seines Frevels niederfiel.
Im 18. Jahrhundert fanden regelmäßig zu Neuhausen feierliche
Winthirprozessionen statt unter Beteiligung einer großen Volksmenge,
zuweilen auch des kurfürstlichen Hofes, denn feit 1715 gehörte die freie
Hofmark Neuhausen zum Besitz der Wittelsbacher. Unter ihren frühen
Eignern befanden sich, außer den Bischöfen von Freising und später dem
Augustinerkloster zu München, zwei seitliche Abkömmlinge des herr-
schenden Hauses, Herzog Sigmunds natürliche Söhne: Hans und
Sigmund Pfattendorfer. Eines der größten höfischen Feste hat übri-
gens in Neuhausen seinen Anfang genommen: die Hochzeit Wil-
helms V. mit Renata von Lothringen. Hier im Dorf waren die beiden
Gezelte geschlagen, wo am 21. Februar 1568 die feierliche Einholung
der hohen Braut geschah. Herzog Wilhelm, der Bräutigam, von einem
glänzenden Geleite umgeben, geführt von seinem Vater, Albrecht V.
und dem Großmeister des Deutschordens, traf zuerst ein, harrte im
Bräutigamszelt der Braut, die von Dachau herannahte, ebenfalls mit
stattlichem Gefolge. Sie begab sich zunächst in das noch leere Gezeit,
dann trat sie hinaus, und zwischen den zwei Zelten begegnete sich das
Paar zur Begrüßung. Darnach, unter Geschützdonner und Glockenge-
läute, wogte der Zug in die Stadt, nach der Kirche Unserer l. Frau,
wo das De Oeum gesungen ward.
Solche Pracht hat Neuhausen später nimmer gesehen, nur etwa einen
* 175 *
Abglanz davon, wenn der Kurfürst hier mit seinen Begleitern eine
Rast vor oder nach der Jagd hielt. Auch den Kreuzgängen zu Ehren des
seligen Winthir machte der Beginn des 19. Jahrhunderts ein Ende.
Doch wurde die Säule, die seinem Andenken galt, noch im Jahre 1873
erneuert und erst, als der wachsende Verkehr in dem großgewordenen
Orte ihre Entfernung ratsam erscheinen ließ, an die westliche Mauer
des Friedhofes versetzt. Damit eS aber nicht etwa heiße: Aus den
Augen, aus dem Sinn — steht dafür WinthirS neues Denkmal
am Eingang der Vorstadt Neuhausen, nahe dem Hause des Roten
Kreuzes, wo die Werke der christlichen Nächstenliebe unabläffig geübt
werden.
Die Entstehung von Thalkirchen
Als Herzog Stephan, zubenannt Fibulatus, mit den Augsburgern
in Fehde lag, da haben ihm vornehmlich die tapferen Grafen und
Gebrüder Christian und Wilhelm von Frauenberg Beistand getan.
Es war ihm aber, trotz solcher Hilfe, das Kriegsglück nicht immer hold,
und die Fehde war gar lang und blutig. Anfang des Jahres 1372 zog
der Herzog mit seinem Volk an der Würm entlang, da sperrten die
Kriegsknechte derer von Augsburg ihm in großer Zahl den Weg. Weil
die Feinde die mehreren waren, blieb dem Herzog und seinem Haufen
nichts, als sich zurückzuziehen. Graf Christian von Frauenberg hatte
den Auftrag, den Rückzug zu decken und führte ihn mannhaft aus,
geriet aber dabei in große Not, denn die Feinde drängten ungestüm
hinterdrein, und die kleine herzogliche Nachhut befand sich unversehens
eingeklemmt zwischen die feindliche Reiterei und die reißende Isar bei
Thalkirchen. Da mochte der tapfere Graf Christian gedenken, daß Gott
die Kinder Israel glücklich durch das rote Meer geführt habe, während
ihre Verfolger ertrunken seien. Also rief er Gottes Hilfe an und gelobte,
wenn ihnen hinübergeholfen würde, an dieser Stelle eine Kirche samt
Kloster zu Ehren der Gottesmutter zu erbauen. Darauf sprengte er
beherzt mit seinen Reitern in die Isar hinein und durchschwamm sie
glücklich, ohne daß Einer von ihnen umS Leben kam. Die nachsetzenden
Feinde aber ertranken. Seinem Gelöbnis treu, ließ der Graf Christian
alsbald die Kirche erbauen, hatte auch die Absicht, ein Kloster dabei
zu errichten. „Als er" — so meldet ein Chronist — „darnach anno
1396 mit Pfalzgraf Rupprecht auch anderem Bayerischen Adel König
Sigmund von Ungeren wider die Türken zuzogen, soll er endtlichen
Vorhabens gewest seyn, auf seine Wiederkunft das Kloster vollends
zu bauen, derhalb auch etlich Geld verordnet, aber er ist daselbst sammt
vielen anderen umbkommen in der Schlacht bei Nikopolis, 26. Sep-
tember 1396." So weit die Meldung, die auch durch zwei alte Ver-
löbnistafeln in der Wallfahrtö- und Pfarrkirche Mariä Himmelfahrt
zu Thalkirchen bekräftigt wird. Das eine Bild zeigt den Vorgang,
wie der Graf mit den Seinigen die Isar glücklich übersetzt, während
die feindlichen Krieger verdutzt und enttäuscht am jenseitigen Ufer Zu-
rückbleiben. Das Gemälde pflegt große Befriedigung bei den Betrach-
tern hervorzurufen, weil die feindlichen Kriegsknechte „gar so dumm
schauen", wie einmal eine Kirchenbesucherin sich ausdrückte. Die. zweite
Votivtafel zeigt eine Jsarlandschaft mit der bereits im Bau befind-
lichen Gnadenkirche, im Vordergründe den Grafen Christian, dem der
Baumeister den Plan des Gotteshauses überreicht. Das erste Gemälde
hat eine erklärende Aufschrift in Prosa; die des zweiten Gemäldes
'lautet: „Dies Gotteshaus im schönsten Flor 1 Stieg 1372 hier empor 1
Durch Grafen von Frauenberg, als er hier war 1 Mit seinen Kriegern
i» Gefahr.1 Es wurde erbaut zur Muttergottes Ehr'1 Weil sie mit Sieg
gekrönt das bayerische Kriegesheer."
Urkundlich erwiesen ist aber, daß allerdings Graf Christian der
Frauenberger diese Kirche hat erbauen lasten und daß er im Falle
seiner glücklichen Rückkehr aus dem Türkenkriege einen halben Dom
gelobte. Doch hat offenbar einzig seine Frömmigkeit ihn zum Kirchen-
bau bewogen, während die Erzählung von der glücklichen Errettung
aus Feindeshand und aus den Fluten der Isar nur schöne Sage ist.
Besonders verdienstlich haben sich, nachdem 1632 die Kirche von
den Schweden arg verwüstet worden, ihrer die kurfürstlichen Hof-
musiker Münchens angenommen, indem sie 1656 zusammentraten und
einen frommen Bund schloffen mit der Absicht, für den Schmuck des aller
Zierde beraubten Gotteshauses Sorge zu tragen und daselbst den
Frauendreißiger durch ihr Zusammenwirken möglichst feierlich zu be-
gehen.
Aus diesem Bunde entwickelte sich das jetzt noch bestehende „Ma-
rianische Ehr- und Zierbündnis". Von innen und außen gänzlich
erneuert, ist die ehemals gotische Kirche in ihrer heutigen Gestalt voll-
kommen eine Schöpfung des 18. Jahrhunderts.
Wo von Kirchenschmuck und vom achtzehnten Jahrhundert die Rede
ist, darf billigerweise Maria Einsiedel nahe Thalkirchen nicht un-
erwähnt bleiben und zwar um der Brüder Asam willen, die 1763 die
Kapelle dort erbauten, in Erinnerung ihrer vorhergegangenen Arbeit
an der gleichnamigen berühmten Wallfahrtskirche in der Schweiz. Das
Landhaus, das sie sich selbst neben der, jetzt abgebrochenen, Kirche ge-
schaffen, mit ehemals reichem äußeren Schmuck, ist als Gasthaus noch
erhalten.
* 176 *
12
* 177 *
Die Birg bei Hohenschäftlarn
Auf der Straße von Wolfratshausen her nach Schäftlarn hat einst
vielhunderifacher rüstiger Männertritt gedröhnt: als die Oberländler
von Tölz, von Benediktbeuren, von Starnberg sich sammelten zur Be-
freiung Münchens von der österreichischen Zwangsherrschaft. Zu Hohem
schäftlarn und Kloster Schäftlarn war der Sammelplatz in jenen ver-
hängnisvollen Dezembertagen 1705; von hier zogen die vielen Tapferen
in Kampf und Tod. —
Östlich von der Ortschaft, jenseits der Landstraße, führt durch den
Wald der Fußweg von Schäftlarn nach Baierbrunn. Zwischen den
Stämmen wölben sich keltische Hochäcker; aus keltischer Zeit stammte
wohl schon das verschanzte Lager, das hier oben über der Isar lag.
Die Römer kamen ins Land, bauten die Birg aus als Kastell mit
Wällen und Gräben, benützend, was vorher war und was die Natur
hergab. Ein bayerisches Rittergeschlecht späterer Zeit machte seine Burg
daraus. Von ihrem Ende handelt die Sage, die hier, an der Stätte
uralter Vergangenheit, lebendig ist:
In der Birg wohnte ein Ritter, namens Sachsenhäuser; er war
der Sohn eines Tyrannen, welcher die Leute erschoß, wenn sie auf
Flößen auf der Isar herabfuhren. Die Birg wurde einst belagert,
konnte aber nicht genommen werden, bis eine alte Frau von Baierbrunn
den Belagerern den Rat gab, das Waster abzugraben. „Gebt," sagte
sie, „einem Roß drei Tage lang kein Waster, dann wird es die Quelle
finden." Die Belagerer befolgten den Rat: das dürstende Pferd
scharrte und fand die Quelle; da wurde an dieser Stelle die Wasser-
leitung der Birg abgegraben. Die Belagerten hatten kein Wasser
mehr und mußten sich ergeben. Der besiegte Sachsenhäuser zog in das
Kloster Schäftlarn, um dort bußfertig zu enden. Am Jahrestag, da
solches geschehen, nämlich am Tage Pauli Bekehr, haben vormals die
Klosterherren ein Erinncrungsfest gefeiert: sie hielten am Vormittag
in der Kirche einen Gottesdienst ab, darnach ließen sie drei Banzen
Bier für die armen Leute laufen und teilten Hefennudeln an sie aus.
Die Alte aber, die den Rat gegeben hatte, mußte nach ihrem Tod
geistern und ist als „Birgweibl" Vielen erschienen. Sie ist von kleiner
Gestalt, schlecht gekleidet; auf dem Kopf trägt sie einen Strohhut, in
der Hand einen Stock und einen Korb. Wenn sie von der Birg weg-
ging, und es begegnete ihr jemand, dann fragte sie jedesmal um den
Weg nach Baierbrunn; ging sie aber gegen die Birg zu, so fragte sie,
wo der Weg nach Schäftlarn geht. Aber sie kam niemals weder dahin
noch dorthin, denn sie ist in die Grenzen der Birg gebannt und kann
darüber nicht hinaus.
Wolfratshausen
a) Vom seligen Konrad Nantwein
Um das Jahr l 286 kam ein Pilgrim mit Namen Konrad Nantwein
nach Wolfratshausen, der wollte gen Rom wallfahrten gehen. Der
Richter dort war aber ein ungerechter und habgieriger Mann; dem
stand der Sinn nach dem Reisegeld des Pilgers. Darum ließ er ihn
durch falsche Zeugen einer schändlichen Tat verklagen, in den Kerker
werfen und nach gefälltem Spruch den Feuertod erleiden. Das Urteil
ward dem Pilger auf dem Gerichtsplatz der Burg Wolfratshausen
angekündigt. Als er nun — so meldet die Sage — von den Schergen
befragt worden, wo er seinen Geist aufgeben wolle? da hätte er den
Knopf seines Pilgerstabes gelockert und gesagt, wo der beim Hinweg-
schleudern niederfalle, dort wolle er gerichtet sein; darauf habe er den
Knopf des Stabes mit Macht hinausgcschleudert und wo dieser nieder-
gefallen, sei er verbrannt worden.
Noch andere erzählen, daß er nicht verbrannt, sondern auf einem
glühenden Rost zu Tode gemartert worden sei; und das wäre im
sogenannten Deisenbergerhaus geschehen.
An der Stelle aber, da Nantwein den HenkerStod erlitten hatte oder
(wie Etliche sagen) da er verscharrt worden war, geschahen mannig-
fache Wunderzeichen, aus denen die Unschuld des Gerichteten offenbar
ward. Alsbald strömten von allerwärtS die Andächtigen herbei, und schon
nach wenigen Jahren ward die Verehrung des Seligen eingeführt und
erlaubt. Uber derfelbigen Stätte erhob sich später die Wallfahrtskirche
St. Nantwein (geweiht dem hl. Laurentius), etwa zwanzig Minuten
von Wolfratshausen.
Im Deisenbergerhaus wurde noch lange das Gewölbe gezeigt, wo
Konrad Nantwein eingekerkert gewesen. Als ein früherer Besitzer des
Hauses, seines Zeichens ein Schloffer, die Kelten, an denen der Selige
gelegen hatte, wissentlich verarbeitete, soll er drob närrisch geworden
sein. Das hölzerne „Pilgramsflaschl" und die in Silber gefaßte Hirn-
schale des seligen Nantwein wurden lange Zeit mit großen Ehren auf-
bewahrt; und an seiner Kirchweih wurde noch im 17. Jahrhundert
den Wallfahrern Wein aus dem Fläschchen gereicht. I860 jedoch wurde
beides angeblich nach London verkauft.
b) Vom Ga st abudl
Der Gafteigpudel ist ein Gespenst, das sich allnächtlich um die
Geisterstunde auf dem Gasteig bei Wolfratshausen umtrieb. Es hat
* 179 *
* 178 *
das Aussehen eines kohlschwarzen Pudels von mittlerer Größe mit feu-
rigen Augen; wie etliche behaupten, schleift er eine lange feurige Kette
nach sich. Aus der Schlucht zwischen dem Schloßberg und dem anderen
Bergl, an dem die Münchner Landstraße hinanführt, kommt der
Gasteigpudel oder — mit dem Volksmund zu sprechen: Gastabudl -
hervor, klimmt das Bergl empor und erscheint auf der Straße. Gar
manche wissen vom Schrecken zu erzählen, den er ihnen eingejagt;
zumal in den Erinnerungen alter Floßknechte, die sich auf dem Heim-
weg von München verspätet und bei später Nacht erst den Gasteig be-
schritten hatten, spielte der Gastabudl eine Hauptrolle.
Einmal aber gingen mehrere Wolfratshauser Bürger von Starn-
berg spät nach Hause: es war stockfinster, und sie nahmen daher in
Dorfen eine Laterne zu leihen. Wie sie auf den Gafteig kommen, läuft
etwas vor ihnen in einiger Entfernung her, schwarz und vierfüßig,
ähnlich einem Hund. „Aha!" riefen sie durcheinander. „Dös iS meinoad
da Gastabudl!" — „Nacha is's also wirkli wahr?" — „Den müaß
'ma derlösn!" Also Huben sie den bekannten frommen Spruch an:
„Alle guten Geister loben Gott den Herrn; sag an, Geist, was ist dein
Begehrn?" — Aber das schwarze Ding lief dahin, redete und deutete
nichts; die Bürger, mit ihren Stöcken und der Laterne, liefen mutig
hinterdrein. Wie sie am Fuß des Bergls angekommen sind, verschwindet
das Gespenst — haft du nicht gesehen? — in einem Hof, der zu einem
Hause gehört. Da haben es die Männer endlich erwischt, und siehe: eS
war ein friedlich grunzendes Schwein! und die Frau vom Haus rief
aus dem Fenster: was denn los sei? ob sie ihr vielleicht die Sau mehgern
wollten mitten in der Nacht? — Da zogen die Wackeren beschämt
davon.
Trotz dieser mißglückten Erlösung muß aber der Gastabudl endlich
Frieden gefunden haben; denn man hört schon lang nichts mehr von ihm.
Maria Eich
„Es hielt einstmals der Kurfürst von Bayern in den Wäldern um
Planegg eine große Hofjagd ab. Dabei ging es laut und wild her und
wurde von den Jägern, Hofherren und Rittern manch ein edles Wild
zur Strecke gebracht. Da ersah der Fürst selber von ferne einen prächti-
gen Hirschen mit mächtigem Geweih, so stattlich, wie er meinte, noch
keinen erblickt zu haben. Asbald ward auf diesen Jagd gemacht: die
Schar der Jäger und die Meute der Hunde war hinter ihm drein,
aber der schnellfüßige Hirsch floh allen weit voraus. Plötzlich gewahrten
die Verfolger, wie der Hirsch bei einem großen Eichbaum stehen blieb,
* 180 *
sich an den Stamm hindrückte und unverwandt an ihm emporschaute.
Der Kurfürst mit seinem Jagdgefolge nahte heran, allein das edle Tier
blieb ruhig stehen. Als sie nun zu dem Eichbaum hinkamen, sahen sie
oben daran ein Bildnis der allerseligsten Mutter Gottes befestigt, wie
wenn es droben gewachsen wäre. Der Fürst, ergriffen und gerührt,
schenkte dem Hirschen, der seine Zuflucht zu der Himmelsherrin ge-
nommen hatte, Leben und Freiheit. Um den Eichbaum herum aber ließ
er ein Kirchlein nebst einer Klausnerhütte erbauen."
So meldet die Sage. Richtig ist, daß ein frommer Knabe aus
Planegg in einem hohlen Eichbaum ein tönernes Marienbild aufstellte
und häufig davor betete, auch daß solche Andacht von anderen Nach-
ahmung fand. 1743 ward ein Kapellchen über dem Baum erbaut und
fünfundzwanzig Jahre später zur heutigen Kapelle umgemodelt. 1809
fuhr während des Gottesdienstes ein Blitz in den Baum, ohne jedoch
das Gnadenbild zu beschädigen. Darnach ward der zerspellte Baum
bis auf den Strunk abgesägt, doch steht das wundersame Marienbild
noch dort über dem Tabernakel und ist Gegenstand hoher Verehrung
von allen den vielen Wallfahrern, die jahraus jahrein den Gnadenori
Maria Eich besuchen. Eine große Zahl von Votivtäfelchen, die an den
Wänden des Kirchleins aufgehängt sind, kündet den Dank für göttliche
Hilfe und Gebetserhörung. An der Außenwand ist auf einer Tafel der
wirkliche Hergang jenes Jagdabenteuers gemalt zu sehen. Das begab
sich am 12. Oktober 1775, dem Namenstage des Kurfürsten Max III.
Joseph, folgendermaßen: Der von kurfürstlichen Jägern gehetzte Hirsch
war endlich gestellt worden, dicht bei der Kapelle, an die er sich nun
zitternd hinschmiegte. Der Kurfürst, als ein inbrünstiger Verehrer der
Gottesmutter und zugleich ein besonderer Tierfreund, ehrte das Asyl
des Hirschen, wie die Verse unter dem Bilde verkünden:
„Ein abgejagter Hirsch in seiner vollen Flucht
Hat Schutz und Sicherheit an diesem Ort gesucht.
Und was er hat gesucht, das hat er auch gefunden;
Die Jäger haben sich zu seinem Tod verbunden:
Der Churfürst selber kommt und sieht das Schauspiel an,
Er giebt dem Tiere Schutz und wandte seine Bahn.
O Vater, welcher Preis muß Deinen Namen zieren:
Der beßte kommt Dir zu, bei Menschen und bei Tieren."
* 181 *
Wie Karl der Große geboren ward
(M ühlthal bei Starnberg)
Pippin der Frankenkönig hielt eine Zeit lang Hof auf der Burg
Weihenstephan bei Freising. Da gedachte er sich zu vermählen und ließ
werben um eines mächtigen Fürsten Kind aus Schwaben, die war ge-
heißen Bertha und hoch gepriesen um ihre Schönheit und Tugend. Der
König sandte nun seinen Hofmeister, einen seiner ersten Ritter, die
Braut zu holen; da nahm sie weinenden Abschied von ihren Eltern
und folgte dem Gesandten. Außer ihrem Brautschatz führte sie mit sich
ihr Lieblingshündlein und ihr Wirkzeug, denn im Weben, wie im
Spinnen kam ihr keine gleich.
Der Hofmeister aber war argen Herzens und gedachte, dem König
anstatt der fürstlichen Braut seine eigene Tochter unterzuschieben, die
jener ähnlich sah. Darum ließ er, ehe sie das letzte Nachtlager auf der
Reise hielten, das Gefolge vorauf ziehen und nächtigte mit der ihm
Anbefohlenen und zweien seiner vertrauten Knechte in der tiefen Wild-
nis zwischen dem Würm- und Ammersee. Als Jungfrau Bertha kaum
eingeschlafen war, mußten die Knechte sie ungestüm aufwecken und ins
tiefe Dickicht führen; die Arme folgte ihnen voll Schrecken, gehüllt in
ein schlichtes Gewand, das der Hofmeister ihr anstatt der königlichen
Kleider vor ihr Lager gelegt hatte. Ihr treues Hündchen lief ihr nach.
Da sie zu tiefst im Walde waren, wollten die Knechte sie töten, wie
von ihrem Herrn ihnen geboten war. Aber Bertha bat so flehentlich,
daß die Knechte sich über ihre Jugend und Schönheit erbarmten und
sie leben ließen. Nur mußte sie ihnen mit einem teuren Eide geloben,
daß sie nie wieder in ihre Heimat trachten wollte, auch keinem ihren
Stand und Namen aussagen wollte, noch was ihr geschehen sei. Als
sie das beschworen hatte, töteten die Knechte statt ihrer das Hündlein
und brachten sein Herz und seine Zunge sowie das von seinem Blut
bespritzte Obcrkleid Berthas dem Hofmeister zum Wahrzeichen, daß
sie die Jungfrau umgebracht hätten. Da ward der arge Mann voll
Freude, nahm die königlichen Gewänder Berthas und tat feine Tochter,
die er in der Nähe verborgen hatte, damit an. So führte er sie dem
König Pippin zu. Dem deuchte sie nicht so schön als das Bildnis, das
ihm zuvor von rhr gezeigt worden, doch löste er sein Königswort ein
und nahm die falsche Braut zu seiner Gemahlin.
Die verlasiene Bertha hielt sich in der Wildnis verborgen so lange,
bis bitterer Hunger sie zu Menschen trieb. Sie irrte lange umher, ehe
sie einen Köhler fand, der sie aus dem Walde heraus nach der Reis-
mühle bei Gauting führte; da bat sie den Müller, ihr Obdach zu ge-
* 182 *
währen als einer Magd. Dort iui Hause blieb sie, und es reute den
Müller nicht, daß er sie ausgenommen, denn sie fertigte wunderschönes
Gewirk aus Gold und Seide: das trug der Müller gen Augsburg und
verkaufte es den Händlern um gutes Geld. So schwanden Jahr und
Tag dahin.
Einst kam der König Pippin in jenem Walde zu jagen und verirrte
sich darin, so daß er sein Gefolge verloren und niemand bei sich hatte
als seinen weisen Arzt und Sterndeuter nebst einem Knecht. Zuletzt
fanden sie densclbigen Köhler, der führte sie, wie er Bertha geführt,
zur Reismühle, damit sie dort nächtigten und sich erquickten. Am
Himmel zogen die Sterne auf; der weise Meister blickte empor und
sprach zu Pippin mit Staunen: „Herr, Ihr sollt noch diese Nacht von
Eurer Hausfrau einen Sohn gewinnen, vor dem die Christenkönige
und die Heidenkönige sich neigen." Da sprach Pippin: „Wie kann das
sein? Meine Hausfrau und meine Burg sind weit." Der Sterndeuter
ging noch einmal hin, beschaute das Firmament und sprach: „Herr, es
ist so: Ihr werdet diese Nacht bei Der sein, die Eure rechte Hausfrau
ist und schon lange war." Alsbald bedrängte Pipin den Müller, daß
er sagen sollte, wer außer ihm und den Seinen noch im Hause wäre?
Der Müller gestand zuletzt: es sei schon sieben Jahre bei ihm eine
engelschöne Jungfrau verborgen, die lasse sich vor keinem Menschen
sehen. Da mußte die Jungfrau herfürgehen, und als Pipin sie ansah,
erkannte er, daß sie seinem Weibe glich, aber noch mehr dem Bildnis
der edlen Maid Bertha, das ihm einst gesandt worden. So beschwor
er sie, ihm zu sagen, wer sie sei, denn in den Sternen stehe geschrieben,
daß sie sein ehelich Weib. Darauf schwieg sie und weinte — er aber
gewahrte an ihrer Hand den Brautring, den er ihr durch seinen falschen
Hofmeister geschickt hatte. Alsbald hielt er sich nicht länger, sondern
umfing sie minniglich. Sie aber bat ihn, nicht mehr in sie zu dringen
mit Fragen, denn ihr Mund sei mit dreifachem Siegel geschlossen.
Am Morgen, da er ungern schied, nahm Pippin den Müller beiseite
und sprach zu ihm: „Ich muß nun zu Felde ziehen wider die Sachsen;
pflegt meiner Fraue wohl, und bringt sie mir ein Kind, so sendet mir
Botschaft: einen Pfeil, wenn es ein Knabe, eine Spindel, wenn es ein
Mädchen ist!" Darnach ritt er von dannen.
Während er zu seinem Heereszug rüstete, erstand er von augsburgi-
schen Händlern ein köstliches Geweb für sein KönigSzelt; das war aus
bunten Seiden und Gold gewirkt und stammte von Berthas eigener
Hand. Darauf hatte sie ihre Geschichte dargestellt: wie der Hofmeister
sie aus ihrer Eltern Burg geführt hatte und dann den Mördern über-
antwortet, und wie sie, um das Leben zu behalten, ihnen den teuren Eid
schwören gemußt. Ihr Bild und das des bösen Hofmeisters waren
*
* 183
deutlich erkennbar; und je mehr der König die Schilderei ansah, desto
klarer ward ihm, welche Untat da geschehen war. Sogleich ließ er die
beiden Knechte heimlich zu sich berufen und bedräute sie, bis sie nieder-
fielen und alles gestanden. Da versammelte Pippin seine Räte und
auch den Hofmeister; denen erzählte er die Missetat und fragte den
Hofmeister vor allen, was einem gebühre, der solches verbrochen hätte.
Der Hofmeister erblaßte und zitterte und wollte sein eigenes Urteil
nicht sprechen. Die Räte aber, vor denen der König ihn anklagte, ver-
dammten ihn zum schmählichen Tode. Seine Tochter, die falsche Köni-
gin, ward in strenge Haft genommen, wo sie vor Gram bald hernach
starb.
Pippin aber zog zu Felde, und es währte Jahr und Tag, bis er
siegreich aus dem Sachsenkrieg wiederkehrte. Da kam ihm, als er der
Heimat sich näherte, schon der Müller entgegen und reichte ihm einen
Pfeil, zum Zeichen, daß die schöne Berta ihm einen Knaben geboren.
Da ward Pippin fröhlich und hieß all seine Edlen und Ritter mit ihm
reiten nach der Reismühle, um ihre Königin in Ehren abzuholen. An
der Türe der Mühle bot ihnen Frau Berta Willkommen und reichte
dem König seinen Sohn dar. Und er führte sie und ihr Kind mit
großem Jubel nach Weihenftephan — da wurde sie als Königin gekrönt
und ihr Knäblein getauft und Karl genannt. Also behielten die
Sterne recht, und Karl der Große ward ein Held, vor dem sich
Christenheit und Heidenschaft in Ehrfurcht neigten.
Bucintoro (Starnberg)
Lange Zeit war um den Würmsee herum nichts als Wald und
moosige Aue; Fischer und Bauern wohnten dort. Das Dorf, das am
Rande des Sees mählich entstand, hieß Aheim; die Burg, die es auf
einer Höhe überragte, hieß nach dem Namen ihrer Besitzer, der Edlen
von Starenberg. Sie verarmten und verzogen bald; zu Ende des
14. Jahrhunderts ward das Schloß Eigentum der Herzoge von Bayern.
Herzog Ernst und Herzog Albrecht IV. weilten hier gern. Albrecht V.
ließ im Schloßgarten ein prächtiges „Sommer- oder Fürstenhaus"
erbauen, hatte auch auf dem See eine eigene Luftflotte, darunter „eine
königliche Fregatte, drei Schiffe von Lärchenholz mit eichenen Säulen
darauf, Gondeln nach Venediger Art, alles zierlich geschnitzt, bemalt
und vergoldet". Er fuhr oft auf dem See, geriet einmal (1575) in
das „groß Hagelwetter, das zu Starnberg gewest, hat die leut undt
das Schiff jämmerlich abklopfft, aber dem Herzog, Gott lob, nichts
geschehen." j
Die hohe Zeit für den Würmsee oder, wie er später hieß, den
Starnbergersee, brach jedoch erst an unterm Kurfürsten Ferdinand
Maria, dessen schöne prachtliebende Gemahlin Henriette Adelaide auf
dem See „das größte Vergnügen der Welt" genoß.
Für den Aufenthalt des Hofes am See wurde ein eigenes Prunk-
und Staatsschiff gebaut, von venetianischen Baumeistern, darunter
Francesco Santurini. Als Muster diente ihnen das berühmte StaatS-
schiff, das den Dogen Venedigs an feierlichen Tagen hinaus auf die
Adria trug: der Bucintoro. Aber der jüngere bayerische Namensvetter
übertraf seinen Vorgänger um eines Stockwerks Höhe, wie auch an
Glanz der Ausstattung. Ringsum war das Schiff mit Sirenen, Na-
jaden und Tritonen bemalt; diese Gemälde sowie die in den Kajüten
stammten von Joh. Spielberger aus München. Am Vorderteil schwang
Neptun, auf einem Delphin thronend, seinen Dreizack; ferner war da
der die Himmelskugel tragende Atlas (ein Werk Kaspar Amortö),
sowie im Saal eine Statue des Herkules. Ein giebelförmiger Aufbau
mit zwei vergoldeten Löwen und einer vergoldeten Laterne krönte die
oberste Galerie; eine vergoldete Pallas vom Bucintoro befindet sich
noch im Nationalmuseum, wo auch die Abbildung des Schiffes zu
sehen ist.
Es hatte zwei Segel, wurde aber durch hundert Ruderer, die in die
bayerischen Farben gekleidet waren, hauptsächlich bewegt. Dem prächti-
gen Anblick, den es mit seiner Bemannung und den glänzenden Fahr-
gästen sicherlich gewährte, scheint allerdings die Seetüchtigkeit des
Fahrzeugs nicht völlig gleichgekommen zu sein. Denn bei den auf dem
See sich häufig und jäh erhebenden Winden war es mit seinem Tief-
gang von nur drei Fuß ein hilfloser Spielball für Sturm und Wellen.
Dieser Fehler in der Bauart kam wahrscheinlich von dem irrigen
Glauben an verborgene Felsklippen im See, der schon im 16. Jahr-
hundert bei den ersten Segelschiffen mit Masten, die für den Würmsee
erbaut wurden, sich äußerle. Jedenfalls geriet 1669 der Kurfürst
mit seiner Gattin auf dem Staaisschiff bei stürmischem Wetter in
augenscheinliche Lebensgefahr. Sie hatten samt ihren Kindern auf dem
Wasser, nahe bei Possenhofen, gespeist, als unvermutet der Sturm sich
erhob und den Bucintoro, der obendrein sehr breit war und einen Flach-
boden ohne Kiel hatte, mit größtem Ungestüm hinaus in den hoch-
gehenden See trieb. Zum Glück sah dies vom Gestade der Fischer Georg
Schropp, sprang, da das Schiff gegen seine Behausung getrieben
wurde, bis an den Hals ins Wasser und half den Gefährdeten glücklich
ans Land, wo dann die fürstliche Familie in seinem Fischerhäusl sich
trocknete und bis nach Ablauf des „groben Unwetters" verblieb.
Vermutlich hat der wackre Fischer, dem übrigens sogleich eine Gnade
* 184 *
* 185 *
versprochen ward — er erhielt dann später den „Steurmaifterdienst"
zu Starnberg — im Stillen seine Betrachtungen angestellt über das
Befahren oberbayerischer Gebirgsseen mit venetianischen Prunkschiffen,
und im letzten Herzensgründe hat er möglicherweise den herrlichen Bu«
cintoro für ein „Gelump" erklärt.
Die glänzenden Feste auf dem See nahmen jedoch ihren Fortgang:
es gab Konzerte, Feuerwerke, Tanzbelustigung, Spielpartieen, ja sogar
Hirschjagden auf dem Waster. Hierzu wurde aus den Wäldern bei Berg
der Hirsch aufgescheucht und in den See gesprengt; die Hunde schwam-
men ihm nach. Der Bucintoro und sein Gefolge kleinerer Schiffe waren
in drei Reihen schlachtmäßig aufgestellt; man sah von Bord aus, wie
der gehetzte Hirsch ermattete: schließlich wurde der mit dem Tode Rin-
gende durch einen Schuß oder Partisanenstoß zur Strecke gebracht. —
Eine solche Jagd fand statt im Jahre 1722, als Max Emanuels
ältester Prinz, nachmals Kurfürst Karl Albrecht, sich mit der KaiserS-
tochter Marie Amalie vermählte.
Karl Albrecht, gleich seinem Vater ein besonderer Freund des Starn-
berger Sees, war übrigens der Letzte, der auf dem Bucinioro den
Starnberger See befuhr. Mit ihm nahm die Zeit der Glanzfeste auf
dem See ihr Ende; 1758 ward das Prunkschiff abgebrochen.
Fürstenfeldbruck
a) Ludwig des Bayern Tod
Als der vielgeliebte und vielgeprüfte Kaiser Ludwig schon
sechzig Jahre seines Alters zählte, pflegte er noch körperliche Gebresten,
die ihn befielen, am liebsten durch Bewegung in frischer Luft zu ver-
treiben. Am elften Oktober deö Jahres 1347 spürte er während der
Mittagsmahlzeit Schmerzen im Unterleib; da ließ er sein Roß auf-
zäumen, bestieg es und ritt auf die Bärenhatz gen Fürftenfeld. Da er
hinter dem Dorfe Puch über eine Wiese sprengte, sah sein Gefolge,
dem er weit voraus war, ihn plötzlich im Sattel wanken und vom
Roste herab zu Boden sinken. Etliche Landleute, die draußen arbeiteten,
liefen erschrocken hinzu; in den Armen eines Bauern verschied der
Kaiser. Seine letzten Worte waren: „Süße Königin, unser Frau, bis
(sei) bei meiner Scheidung!" Als die Seinen herbeieilten, war er schon
tot. Der Anger, da dies geschehen, wird noch heute die Kaiserwiese
genannt. An der Stelle, wo der Kaiser starb, wurde ihm zum Ge-
dächtnis eine kleine Kapelle erbaut; nachmals verfiel sie, und heute steht
dort ein Gedenkstein in Pyramidenform aus Ettaler Marmor.
„Am andern Tag nach dem Tode des Kaisers" — so meldet die
Überlieferung — „ist geschehen in einem Kloster zu StamS — (andere
sagen: bei den Patres Franziskanern zu München) — daß ein überaus
frommer und andächtiger Pater den Gottesdienst vollbrachte und Meste
las. So er nun gekommen war bis auf die heil. Wandlung, schwieg er
eine kleine Zeit gar still, darnach sprach er zu deutsch dreimalen: ,O wie
weh ist dir, und wird dir doch schier wohl bester!' Nach diesen Worten
vollbrachte er sein Amt und wandelte. Auch so er wollte genießen das
hochwürdige Sakrament, verzog er abermals eine kleine Zeit und
schwieg still. Darnach sprach er, wie vor, in deutsch zu dreimal: ,O wie
weh ist dir, und wird dir doch schier wohl bester!' Nach dem genoß er
das heil. Sakrament. Das alles vernahm der Altardiener, und so
die Meß vollendet war, fragte der Diener gar demütiglich den Priester,
was er doch mit den deutschen Worten, die er in dem Amt der Meß also
gemeldt, gemeint oder angezeigt hätte. Antwortete ihm der Priester
und verkündt ihm, wie Kaiser Ludwig gestorben und ihm in der Meß
fürkommen in großer Pein, aber doch daraus erlöst worden sei. Daraus
männiglich mag merken, daß er ist in den Gnaden Gottes des All-
mächtigen."
b) D i e heilige Edigna zu Puch
Die Jungfrau Edigna war eines mächtigen Königs Tochter aus
Frankenreich. Ihr Vater wollte sie einem reichen Fürsten vermählen;
sie aber mochte keines Mannes fein, denn sie hatte sich Gott allein
gelobt und diente ihm mit Fleiß. Sie hatte einen Hahn, der weckte sie
in aller Frühe durch sein Krähen, da stand sie alsbald auf und betete
und rief mit einem silbernen Glöcklein auch ihre Gespielinnen zum
Gebet. Ihr Sinn aber stand nach der Einsamkeit, und sie sehnte sich
weit hinweg vom Prunk des Hofes. Drum lag sie ihrem Vater an mit
Bitten, bis daß er sie ziehen ließ. Und zog aus auf einem schlechten
Wagen, davor zwei Ochsen gespannt waren, und nahm nichts mit sich
als ein härenes Gewand, ihren Hahn und ihr Glöcklein. Sie vertraute
aber, daß Gott ihr den Ort anzeigen werde, wo sie fürder bleiben sollte;
wenn sie dahin gelangte, sollte ihr Hahn krähen und die Glocke von
selbst läuten — dies Zeichen hatte sie von Gott erbeten.
So fuhr sie viele Tage und kam in deutsches Land, dahin, wo die
Bojoaren hausten. Durch ein waldiges Tal fuhr sie, darin ein schönes
grünes Waster floß, die Amper geheißen. Von dem langen Weg aber
ward die Fürstentochter müde und schlief ein. Da war ihr, als hätte der
Hahn gekräht und das Glöcklein geläutet; sie wachte auf und fragte
ihren Fuhrmann, ob er nicht den Hahn hätte krähen und die Glocke
läuten hören? Der Fuhrmann sprach ja und wies ihr die Statt, wo
* 187 *
* 186 *
beides geschehen sei. Das war an einem Hügel, der heute zum Dorf
Puch gehört, und es stand eine hohe dickstämmige Linde darauf. Da
hieß Edigna den Fuhrmann umkehren nach der Stelle — denn sie
waren schon vorbeigefahren — und stieg ab an dem Hügel und sandte
den Wagen hinweg. Wie sie zur Linde schritt, fand sie den einen der
zwei Hauptäste hohl; darin machte sie sich ein Bette von Moos und
wohnte dort fünfunddreißig Jahre und diente Gott mit Gebet und
Bußübungen. Das Volk umher aber hielt sie in hohen Ehren, denn sie
tat allen Gutes und spendete Rat und Trost jedem, der zu ihr kam,
verkündete oft auch verborgene und zukünftige Dinge. Morgens und
abends läutete sie ihr ■ Glöcklein, um die Waldleute zum Gebet zu
mahnen. Sie lebte nur von Wurzeln, Kräutern und Milch; die Milch
erhielt sie aus einer Schwaige, die unweit des Berges stand, denn das
Dorf war noch nicht da.
Einmal kam ihr Vater aus Frankenreich dahergefahren, der hatte
Sorge, wie es seinem Kind etwa erginge in der Wildnis und fragte,
ob sie nicht wieder heimkehren wollte mit ihm. Aber die heilige Edigna
mochte nichts mehr wiffen vom Glanz der Krone und bat, daß er sie
laffen sollte, wo sie Frieden gefunden. Da gab er sich drein, und sie
blieb wohnen in der Linde, bis sie selig verstarb, zu großer Trauer des
Landvolks umher, das den heiligen Leichnam an selbiger Stelle be-
stattete. Aus der Linde floß hernach ein heilsames Öl; aber als geizige
Menschen es um Geld verkaufen wollten, vertrocknete es alsbald.
Darnach, da sich immer mehrere dort angesiedelt hatten und ein
Kirchlein erstand, wurden die seligen Gebeine erhoben und in das
Kirchlein verbracht, wo auch EdignaS Glocke lange Zeit gezeigt ward.
Zahlreiche Votivbilder, sowie wächserne Abgüsse von Gliedern und
Tieren bezeugen das Vertrauen, das die Umwohner in EdignaS Für-
bitte setzen. Bei Viehseuchen zumal wird sie häufig angerufen. Die
Linde ist heutzutage umfriedet, und darin steht eine zierliche Bildfigur
der heiligen Edigna. Zwischen den Zweigen sind kleine Engel an-
gebracht, weil in den langen Jahren ihrer Einsamkeit die Heilige von
Engeln bewacht und behütet worden.
Vom seligen Grafen Rasso
Es war zur Zeit der letzten Karolinger ein Graf zu Andechs und
Dießen mit Namen Rathold; das war ein arger Mann und grausamen
Sinnes. Er hatte zur Ehe eine liebholde Frau, Adalona, eine Gräfin
von Hohenwart: an der fuhr er so übel, daß sie, so geduldig sie war,
eS zuletzt nimmer ertrug, zumal da sie noch für ein zweites Leben Sorge
zu tragen hatte. Also floh sie mit Angst und Wehklagen von dannen,
gedachte Schutz zu suchen bei ihrem Bruder, der nicht gar zu weit
entfernt wohnte; denn er war Pfarrherr im Dorf Gerezhausen nahe
von Landsberg. Aber weil sie großen Leibes war, kam sie nur mühsam
vorwärts; und ehe sie noch Gerezhausen und den dortigen Burgstall
erreichte, am Fuße des Burgbergs, wo der Weg von Mühlhausen nach
Gerezhausen führt, ward sie von den Wehen überfallen und genas eines
Sohnes. Fromme Leute brachten die Mutter und das Neugeborene in
das Haus des Pfarrers; da empfing das Kind die heilige Taufe und
mit ihr den Namen Rasso.
Der Kleine ward zuerst bei seinem Ohm aufgezogen und zeigte sich
gar verständig, auch wuchs er gewaltig an Gliedern und Leibesstärke.
Darnach kam er in ritterliche Zucht, und nach der Schwertleite ward
er den deutschen Königen Heinrich und Otto ein tapferer Kämpfer
gegen die heidnischen Ungarn. Dafür wurde er Gaugraf des Husen- und
Ammergaus; auch war seines Vaters Erbe, die Grafschaft Andechs-
Dießen, ihm zugefallen. Weil aber sein Sinn noch eifriger nach den
himmlischen Dingen stand als nach weltlicher Herrschaft, so trug er
große Sehnsucht, die Stätten zu sehen, wo unser Heiland auf Erden
gewandelt; darum geleitete er im Jahre 949 seine Base Judith, die
Gemahlin des Bayernherzogs Heinrich I., auf ihrer Fahrt nach Rom
und Jerusalem. Von da brachte er eine große Menge köstlicher Heil-
tümer mit, die zu sammeln der Papst zu Rom ihm huldreich bewilligt
hatte.
Als der Graf Rasso wiederkehrte von seiner Pilgerfahrt, da tat er
sich der Waffen ab, gedachte nimmer zu Felde zu ziehen, vielmehr still
in der Heimat zu bleiben und durch fromme Werke seine Sünden zu
sühnen. Er besaß die Altenburg bei Andechs; auch die Sonderburg oder
Sünderburg bei Schöngeising, wo vordem die Römer gehaust haben,
soll ihm eigen gewesen sein. Am liebsten aber wohnte er auf der Raffen-
burg beim Dorf Wildenroth, von dem er gesagt haben soll: es liege
ähnlich wie Bethlehem. Das Schloß aber ist sehr groß gewesen, und
die Vormauern sind bis zu dem Turm gegangen, der heute zur Kirche
von Höfen gehört, selbiger Zeit aber ein Wachtturm war. Einmal stand
der Graf Rasso auf den Zinnen seines Schlosses und schaute auf die
Stelle nieder, wo die Amper eine Insel bildet, die sie mit zwei Wasser-
armen umschlingt. Da sprach der fromme Graf: „Dorthin, wo mein
Speer fällt, will ich mir ein Klösterlein bauen." Dieweil er so sprach,
erhob er gewaltigen Armes seinen Speer — andere sagen: seinen
Streithammer — und schleuderte ihn über die Amper hinweg. Der
Speer fiel nieder dort, wo heute das Kloster und die Wallfahrtskirche
zu Grafrath steht. Alsbald begann Graf Rasso den Bau des Klosters
* 189 *
* 188 *
an derselbigen Statt, und da es vollendet stand, übertrug er die Herr-
schaft seines Gaus an seinen Sohn Friedrich. Er selbst aber trat als
Laienbruder in das Kloster, das er gestiftet und weihte sein Leben
fortan dem Dienste Gottes und den Werken der Buße und Mildtätig-
keit, bis er Anno 954 im Rufe der Heiligkeit verstarb.
Das Kloster wurde schon im Jahr nach seinem Tode von den Ungarn
zerstört. Die Heiligtümer, die er aus Jerusalem und Rom gebracht
und dem Kloster vergabt hatte, wurden mit Not noch geflüchtet auf die
Burg Andechs. Es heißt, daß die Ungarn auch das Grab des Seligen
zerstören wollten, aber daß sie, wie mit Blindheit geschlagen, es nicht
fanden. Hernach bauten Rasios Nachkommen eine Kirche über dem
Grab und schenkten sie dem Kloster Dieffen; das Kloster Dieffen, auch
von den Andechsern gestiftet, baute im 17. Jahrhundert an die Grab-
und Wallfahrtskirche ein neues Klösterlein und später die heutige neue
Kirche.
Dort in der Kirche zu Grafrath, das nach seinem Namen also be-
nannt ist, steht des seligen Grafen Grabmal mit seinem Steinbild.
Auf dem Hochaltar werden seine Gebeine verwahrt, woran zu erkennen,
wie stark und mächtig von Gliedern er gewesen ist; um sie zu verehren
und seine Fürbitte anzurufen, kommen noch häufig Wallfahrer dorthin.
An der Stätte aber, da er im Freien geboren worden, unterm Burgsel
bei Gerezhausen, steht eine steinerne Säule, darin eine Tafel, die gleich-
falls das Bild des seligen Rasso und daneben das seiner Mutter zeigt.
Welche von den Anwohnern des Lechrains nach Grafrath kirchfahrten
gegangen sind, die halten, wenn sie vom Grabe Raffos zurückkehren,
ihre letzte Raft und ihre letzte Andacht gern bei seiner Geburtsstatt,
oder sie machen es umgekehrt.
Vom heiligen Berg Andechs
über dem Ammersee ragt er auf, umrauscht von allen Quellen deut-
scher Vergangenheit. Schon zu Karls des Großen Zeit hätte eine
Veste auf dem Berg gestanden; die Sage nennt Burg Andechs als die
GeburtSstätte Ludwigs des Frommen. In ungewissem Dämmer der
Vorzeit verliert sich das Edelgeschlecht, das zuerst hier oben hauste;
einer Überlieferung nach sollen es die tirolischen Grafen von Taur,
deren Hauptsitz zwischen Hall und Innsbruck lag, aus deren Stamm
der heilige Romedius (im vierten Jahrhundert) entsprossen war, ge-
wesen sein. Beurkundete Besitzer von Andechs sind seit AuSgang des
zehnten, Beginn des elften Jahrhunderts nach Christus die Grafen
von Diessen-AndechS.
Die Geschichte dieses Hauses böte Stoff für einen historischen
* 190 *
Roman, sowohl was die bewegten äußeren Schicksale, als die seelischen
Besonderheiten der Andechser betrifft. Zu höchsten geistlichen und welt-
lichen Ehren sind die einen gelangt; blutig und gewaltsam haben andere
geendet. Von dem so mächtigen als frommen Grafen Rasso, dem Sohne
Ratolds und AdalonaS, ist schon erzählt worden. Die Heiligtümer, die
er mit päpstlicher Genehmigung nach Bayern brachte, wurden nach
seinem Tode bei der Zerstörung des von ihm gegründeten Klosters nach
Andechs gerettet; die mitgeflüchteten Mönche von Wörth bewachten
sie, bis später die Mönche von Seeon (auch Kloster Seeon hatten im
IO. Jahrhundert die Ahnen der Andechser gestiftet) dies Amt über-
nahmen. Graf Berthold II., der Begründer des Klosters Dieffen, wird
als erster Stifter eines Klosters auch auf Andechs bezeichnet. Ein vor-
heriger Versuch Bertholds, die Reliquien nach Seeon zu übertragen,
soll daran gescheitert sein, daß die Pferde plötzlich erlahmten. Graf
Berthold ist der Vater der seligen Mechtildis, deren goldene Haarlocke
in die Wetterglocke des Klosters Diessen mit hineingegossen worden wäre
und ihr segnende Kraft verliehen hätte. Als nach der Säkularisation
das wilde Feuer in die Kirche schlug, der Turm abbrannte und die
Glockenmasse glühend herunterrann, sei die Haarlocke der Seligen un-
versehrt zum Vorschein gekommen.
Inzwischen stieg die Machtfülle der Grafen von Andechs so, daß sie
beinahe der der bayerischen Herzoge gleichkam. Nicht nur zwischen Lech
und Isar, auch am Inn, an der Donau, und in Franken, wo die
Plassenburg ihnen gehörte, waren sie begütert, ferner in Burgund,
Italien, Kärnten und Steiermark, Dalmatien und Kroatien. Die letz-
teren Besitzungen wurden als „Herzogtum Meranien" zusammengefaßt.
Herzog von Meranien und Markgraf zu Istrien nannte sich schon Bert-
hold IV., der 1188 starb und dem ein so bedeutsames Geschlecht ent-
sproß. Die älteste Tochter war die hl. Hedwig, Herzogin von Schlesien
und Polen; die andere, Gertrud, ward Königin von Ungarn und
Mutter der hl. Elisabeth; sie starb ermordet. Königin Gertruds
Schicksal ist poetisch behandelt in Grillparzers Drama „Ein treuer
Diener seines Herrn". Tragisch fiel auch das Los der schönen
und fühlsamen Agnes, die von König Philipp II. Augustus von
Frankreich geliebt und zur Ehe begehrt wurde. Als sie einst —
so erzählt die Legende — in der Burgkapelle vor dem den Hoch-
altar schmückenden Kruzifixus um die Erfüllung ihres Herzens-
Wunsches gebetet hatte und darüber in Schlummer sank, wäre ihr im
Traum der Gekreuzigte erschienen und hätte gesprochen: „Kröne mich
mit der Dornenkrone". Bald hernach ward die Vermählung vollzogen,
und Agnes kam nach Frankreich. In Paris aber ward ein großer Teil
von der Dornenkrone des Erlösers aufbewahrt; die hätte der hl. Ger-
* 191 *
manuö im sechsten Jahrhundert dorthin gebracht. Da Agnes das Heilig,
tum sah, gedachte sie an ihren Traum und auch daran, daß schon Lud-
wig der Fromme ihrem Ahnherrn ein paar Zweiglein davon geschenkt
hätte. Mit Erlaubnis des Königs, den sie darum bat, ließ sie durch
einen Benediktinermönch, Isaak aus Seeon, der ihr Begleiter ge-
wesen, sieben Zweige der hl. Dornenkrone nach Andechs bringen. Damit
widerfuhr der Burg und Kapelle großes Heil, aber der Königin Agnes
war in Frankreich kein Glück beschieden. Vielmehr ward ihr die Krone
gleichfalls zu einer Dornenkrone; denn ihr Gemahl, vom Papste ge-
bannt, mußte sich von ihr trennen und seine widerrechtlich verstoßene
Gattin Ingelberga zurücknehmen. Agnes, die - wie es heißt - in
gutem Glauben gewesen, als sie den König ehelichte, starb ein Jahr
nach der Trennung an gebrochenem Herzen.
Wiederholt hatten die deutschen Kaiser auf der Burg Andechs ge-
weilt, Heinrich II-, der Heilige, und Heinrich HL während der Zeit
seiner Minderjährigkeit. Die Gnade der Kaiser vermehrte den Heilig«
tümerschatz der Burg durch die drei wunderbaren heiligen Hostien, die
als päpstliches Geschenk sich zu Bamberg befanden. Da Berthold des
Vierten Bruder, Otto, Bischof von Bamberg war — wie nachmals
Bertholds Sohn, Eckbert — so geht die kostbare Stiftung offenbar
auf bischöfliche Fürbitte zurück.
Inmitten allen Glanzes brach Verderben über Andechs herein.
Heinrich, der Sohn Bertholds IV., ward der Mitschuld geziehen an der
Ermordung Kaiser Philipps (1208) durch Otto von Wittelsbach. Graf
Heinrich, vor dem Kruzifirus in der Schloßkapelle betend, gleich seiner
unglücklichen Schwester Agnes, sah acht Tage lang das Kreuzbild Blut
schwitzen. Wenige Wochen später irrte er geächtet umher; sein Gebiet
aber ward von den Kriegern Herzog Ludwigs I-, des Kehlheimers, ver-
wüstet. Die Mönche auf Andechs vergruben, ehe sie flüchteten, den Re-
liquienschatz; nur jenes Kruzifir nahmen sie mit sich, um es nach Seeon
zu bringen. Unterwegs, bei Forstenried, ward das Kreuz so schwer, daß
sechs Pferde es nicht von der Stelle bewegen konnten. Daraus ward
erkannt, daß hier die Stätte seiner künftigen Verehrung sei. Zwei
Mönche, Isaak und Berthold, blieben bei ihm zurück; bald erhob sich
über dem wundertätigen Kreuzbild von Forstenried ein Kirchlein und
wurde daraus ein berühmter Wallfahrtsort.
Graf Heinrich, der wie fein Ahn Raffo ins heilige Land gepilgert
war, kehrte heim, als feine Unschuld sich erwiesen hatte; doch starb er
bald darauf. Vor seinem Tode noch empfing er den Besuch seiner
Nichte, der heiligen Elisabeth, von der auch das Brustkreuz und ein
Teil ihres Brautkleides, sowie andere Reliquien unter den Kleinodien
des Kirchenschatzes bewahrt werden. Auf der halben Höhe des Berges
* 192 *
Andechs fließt das St. Elifabethenbrünnchen, das durch ihr Gebet
entweder erweckt oder so gesegnet worden sei, daß ihm vielfache Heilkraft
zugeschrieben wird.
Bald nach Heinrichs Hinscheiden wurde die Burg angeblich völlig
zerstört. Das Geschlecht der Andechser jedoch stand in hohen Ehren noch
unter Otto VII., Heinrichs Bruder, der wie der gleichnamige deutsche
Kaiser den Beinamen der Große erhielt, und Otto VIII., beide Herzöge
von Meranien und Pfalzgrafen von Burgund. Mit Otto VIII. starben
die Andechser aus (1248).
Auch die Wallfahrt zu den Heiligtümern auf Andechs schien aus-
gestorben, bis eine blinde Frau von Widdersberg, durch ein Traum-
gesicht ermahnt, hinaufpilgerte, ihre Augen mit der Wurzel eines, aus
den Trümmern des Kirchleins auffproffenden Wachholderstrauches gerie-
ben und alsbald das Augenlicht wieder erlangt hätte. Der wundersamen
Erzählung, wie die Reliquien wieder aufgefunden wurden, ist schon im
Zusammenhang mit dem „Münchner Gnadenjahr" Erwähnung ge-
schehen. Fast vierzig Jahre sind die Reliquien in München verblieben,
und eS heißt: die Münchner hätten sie gerne behalten, wenn nicht
Wunderzeichen sie davor gewarnt hätten, — wie deün jede teilweise
oder ganze Verpflanzung der Heiligtümer auf übernatürliche Art ver-
eitelt worden wäre. Also kehrte 1428 der Schatz nach Andechs zurück,
wo inzwischen die neue Kirche erbaut worden. Herzog Ernst errichtete
bald darnach ein Benediktinerkollegialstift auf dem „heiligen Berg", wie
er von da an hieß. Albrecht III. machte aus dem Stift ein wirkliches
Benediktinerkloster, und 1455 zogen, am Georgitag, die ersten Mönche
aus Tegernsee droben ein. Der „heilige Berg", den Legende und Ge-
schichte so mit unverwelklichery Grün umranken, erlangte und bewahrte
einen hohen Ruf als der berühmteste bayerische Wallfahrtsort nächst
Altötting. Allein im Pestjahr 1465 sind fünftausend Menschen hinauf-
gepilgert. Andechs überstand die Stürme des dreißigjährigen Krieges,
wie es die des spanischen und österreichischen Erbfolgekrieges und
auch die Säkularisation schließlich überwunden hat. Denn nachdem das
Kloster 1803 aufgehoben worden, hat Ludwig I. es neu gestiftet und
seiner Lieblingsschöpfung, der neugegründeten Benediktinerabtei St.
Bonifaz in München, als Priorat einverleibt. Der Ruhm der Fröm-
migkeit und Gelehrsamkeit, der die alten Klöster des Ordens stets
schmückte, ziert in hohem Maße auch das neuzeitliche zu München und
seine Tochteranstalt auf dem heiligen Berge. —
Es weilt sich schön droben, als wandernder freundlich aufgenom-
mener Gast. Bei einem kühlen Trunk aus der Klofterbrauerei rastet
der Fremdling von den Eindrücken der Kirche mit ihren Wunder-
schätzen und der Erziehungsanstalt — denn ein Heim für verwahrloste
13
* 193 *
Knaben ist mit dem Kloster verbunden. Weit schweift der Blick umher,
zu den leuchtenden Gipfeln der Gebirgskette, auf die Seen und die
Dörfer drunten, über die Ebene, in der München liegt. —
Auf dem Boden der Benediktiner, der frühesten Glaubensboten, ist
„Munichen" erwachsen. Von benediktinischem Boden aus, hoch über
der Welt, grüßen wir am Ende unseres Rundganges die traute Stadt.
VI. Abteilung:
Alt-München in Brauchen, Sitten
und Meinungen
a) Das tägliche Leben
Das Bezeichnende ist für München, daß es die Hauptstadt eines
Volkes von Bauern und Hirten, Jägern und Fischern war, aus dem
umgebenden agrarischen Hinterland nicht nur mit leiblicher Nahrung,
sondern auch mit aller Überlieferung und bodenständigen Anschauungen
gespeist. Der Name „Kulturdorf", den München gelegentlich empfing,
hebt das Schollenhaste, Wurzelechte hervor, wodurch die Kultur Mün-
chens sich von der anderer Großstädte von /eher unterschied. WaS an
alten Sitten heute noch in München lebt, ist ländlichem Volkstum
entsprossen; was in der Stadt längst nicht mehr gilt, ist auf dem
Lande, in den Bergen teilweise noch lebendig.
Auch das Münchner Slraßenbild erhält ein besonderes Gepräge
durch die verhältnismäßige Häufigkeit volkstümlicher Typen, die nament-
lich an Festtagen zwischen der modisch langweiligen Allerweltstracht
einherwandeln. Ehemals freilich bot auch die Kleidung der Städter
einen abwechslungsreichen Anblick, zumal die Freude am Farbigen und
Prächtigen in München trotz sonstiger Einfachheit stets hervortrat.
Seit dem 13. Jahrhundert schon machten Luxusgesetze sich notwendig.
Zu Beginn des 15. Jahrhunderts war der Aufwand, der in der guten
Stadt München mit Kleidern getrieben ward, so groß, daß er einem
hohen Rate bedenklich erschien. Die Münchner Bürger verschmähten
es, sich, ihre Frauen und Töchter in schlichte Stoffe zu kleiden, sie
trugen feine flandrische Tücher, davon die Elle 50 Pfennige kostete,
auch Mäntel und Wämser von Seide, wohl gar mit kostbaren Pelzen
verbrämt und mit Gold, Perlen und Edelsteinen geziert, bald mit
offenen (sogenannten „zerhauenen") oder mit einfachen langen Ärmeln.
Die Frauen trugen lange Schleppgewänder, dazu Silberketten und
Goldgeschmeide, kostbare Gürtel, das Haar mit Bändern und Perlen-
kränzen — Schapeln oder Gebende genannt — durchflochten. Im
Jahre 1405 sah der Stadtrat von München sich genötigt, eine strenge
Kleiderordnung zu erlassen, darin er den Frauen und Jungfrauen alle
Perlenkränze, auch Haarbänder von Gold und Perlen verbietet und
ihnen nur Haarbänder von Seide oder von zwei Lot Perlen erlaubt.
Keine soll mehr als anderthalb Mark Silber auf ihrem Leib tragen,
es soll fürder keine Frau noch Jungfrau einen Rock tragen mit Vehen
(ausländischem Pelzwerk) gefüttert und verbrämt. Auch die Sitte der
offenen Ärmel wird untersagt, sowie das Tragen eines Mantels oder
Rockes, der länger als zwei Finger auf der Erde nachschleift. Die Ver-
letzung dieser Gebote wurde nicht an den schönen Übertreterinnen,
sondern an deren Mann oder Vater mit einer Geldstrafe gebüßt.
Solche Verordnungen halfen jedoch immer nur für gewisse Zeit; bald
war die alte Üppigkeit wieder eingerissen und eine abermalige strenge
Mahnung notwendig. Die letzte derartige Kleiderordnung datiert vom
Jahre 1749, also aus der Regierung Kurfürst Max III. Joseph. Die
komischen Folgen derselben schildert eine „Relation" vom Beginn des
Jahres 1750: „Am heiligen Neujahrstag", - heißt es da — „sind
verschiedenen Weibsbildern, und wie man sagt bey 60 Personen ihre
schönen bordierten Hauben von den Stadtamtleuten vom Kopfe weg-
gerissen und abgenommen worden. Sodann bis 12 Uhr haben.. meistens
vor den Gotteshäusern sehr viele Hauben von den Weibsköpfen sprin-
gen müssen. Einige Weibsbilder haben auf der Gaffen gleich anderen
schwarze Hauben bis zum Eingang der Kirche getragen, unterm Portal
aber solche abgetan und verborgene bei ihnen getragene reiche Hauben
aufgesetzt, beim Ausgang aus der Kirche abgetan und versteckt; es sind
aber dergleichen Vortel den Amtleuten sogleich bekannt und folglich
die Weibsbilder endlich gar ausgesucht worden"........Solche, die
Ratsfrauen waren, wurden nicht angegriffen, sondern notiert. Diesen
wurde dann solange, bis sie zu gesetzlicher Strafe gezogen waren, zur
Nachtzeit militärische Exekution in die Häuser gelegt. „Einem Bräu-
knecht sind die seidenen Strümpfe von den Füßen abgezogen, dann
mehr anderen Bräu- und Metzgerknechten ihre auf dem Hut gehabten
Borden, weiters einigen Bürgers- auch Bauernmenschern die Brust-
flecke herausgerissen und die darangewesten Borden abgetrennt
worden."...
Daß diese übermäßige Strenge nicht lange vorhielt, beweist die
übliche Münchner Kleidung im 18. Jahrhundert bis zu Anfang des
19., wie sie vornehmlich Westenrieder beschreibt. Darnach trug der
* 194 *
* 195 *
Münchner Bürger an Werktagen Rock und Weste von Landtuch, letz-
tere auch von Leinwand, eine Halsbinde von Flor oder weißer sehr
feiner Leinwand und einen großen runden, mit Schnüren zu drei
Flügeln aufgeschlagenen Hut, ferner lederne Beinkleider nebst grauen,
blauen oder weißen baumwollenen Strümpfen. An Feiertagen trug er
Rock und Weste von feinem ausländischen Tuch und einen ebensolchen
sehr weiten Mantel, der ihm in vielen Falten von den Schullern bis
zu den Schuhen hinabging. Der Kragen des Mantels war nicht selten
mit silbernen oder goldenen Borten verbrämt; von geschlagenem Silber-
waren auch die Schnallen am Hute und an den Schuhen, sowie die
Knöpfe an Rock und Weste. Dazu kam noch ein silberner oder goldener
Ehering und eine Sackuhr.
Außerdem gehörte zur Feiertagskleidung ein spanisches Rohr mit
silbernem Knopfe. „Auch ein Degen, aber niemals beides zugleich".
(Nach der vorerwähnten Kleiderordnung vom Jahre 1749 war den
Lakaien oder Handwerksburschen das Tragen eines Degens untersagt.)
Der Bürger trug abgeschnittenes Haar, zuweilen auch die Perücke.
Das Gesicht war glatt rasiert. Die meisten Zünfte hatten an feier-
lichen Tagen ihre besondere Tracht, z. B. die Müller hellblaue Röcke,
die Schmiede und Schlesier braune, die Metzger hochrote Westen usw.
Ratsherren und Doktoren trugen sich meist dunkel und bedienten sich
der Perücke. Merkwürdigerweise ward den Weltpriestern noch 1789
vom bischöflichen Ordinariat Freising eingeschärft, schwarze Kleidung
mit einem Kollar oder, da dies sehr teuer kam, doch dunkle Farben
zu tragen. Die Tracht der geistlichen Orden blieb sich natürlich gleich.
Eigentümlich will uns Heutigen der Brauch erscheinen, die Kinder in
Ordenshabite zu kleiden, wozu sie noch „Gehänge" trugen, nämlich ein
Amulett, das an einem schönen Bande von der rechten Schuller herab-
hing, an dessen Seiten aber Denkmünzen mit Ohrlein oder andere
Raritäten festgemacht wurden. So ward Kurfürst Karl Theodor durch
seine fromme Mutter Maria Anna, in Folge eines Gelübdes, schon als
zartes Kind in das Ordensgewand der Paulaner gekleidet.
Die Bürgersfrauen trugen gewöhnlich einige Unterröcke; der Ober-
rock war von Leinenzeug, oft auch von Seide oder feinstem Tuch, unten
mit einem Silber- oder Goldspitz verbrämt. Dazu kam ein Fürtuch
(Schürze), dann ein Oberleib oder Mieder mit Fischbein ausgespannt
und überaus steif. Dies Mieder aus Brokat oder Seide mit einem
dazu passenden Brustfleck wurde geschlossen durch ein Geschnür aus
silbernen Ketten, woran etliche Schaumünzen, Kreuzchen und dergleichen
„angeöhrlt" waren. Darüber eine kurze Weste, Wams genannt, von
Tuch oder Zeug und ein Brusttuch aus Seide oder feinem Linnen. Den
Hals schmückte eine silberne oder gar goldene Kette von IO—18 „Gän-
* 196 *
gen" (Reihen) mit reicher Schließe; auch waren die Finger mit Ringen
und die Schuhe mit silbernen Schnallen geziert. Zur völligen Tracht
der Bürgerefrauen und Bürgerstöchter an Sonntagen gehörte ein mit
Silber beschlagenes Gebetbuch und ein Rosenkranz von kostbaren Ko-
rallen oder Steinen. An feierlichen Tagen war die Kleidung gewöhnlich
schwarz oder braun; statt der Westen wurden die sogenannten „Schal-
keln" getragen und mit silbernen Kelten zugeschnürt. Das Haar ward
nicht gepudert; die Frauen trugen es geflochten und in Knoten um den
Kopf gebunden. Im Winter setzten sie darauf große Hauben, deren
äußerer Boden von Seiden oder Samt, die Verbrämung aber von
Pelz war. Auch die Jungfrauen trugen im Winter Hauben, welche
den ganzen Kopf bedeckten. (Späterhin, als der Dreispitz auf den
Männerköpfen dem hohen zylinderförmigen Hut gewichen war, diente
zur allgemeinen Zier der Bürgerstöchter die den Vorderscheitel frei-
lassende Riegelhaube aus Silber- oder Goldftoff.) Im Sommer ward
um das Haar eine Krone geflochten, „welche von schwarzen Bändern
oder gemeinen Perlen, oft aber mit kostbaren Steinen besetzt ist und
diese machen sie mit einer silbernen oder goldenen Nadel, welche sie
durch die Krone und die Haare stechen, fest." So trug sich namentlich
die ehrsame Jungfrau als Antlaßjungfer bei kirchlichen Umgängen,
oder als Kranzljungfer bei Hochzeiten, nachdem der Kranz, resp. die
Krone das Zeichen der Jungfräulichkeit — anstatt des vormals frei
herabwallenden Haares — geworden war.
Diese Trachten beschränkten sich auf die eigentlich bürgerlichen Kreise.
Der Hof und die adelige Gesellschaft, denen die reichsten und ange-
sehensten Bürger gern nacheiferten, kleideten sich im 17. Jahrhundert
auf spanische, im 18. auf französische Art, machten alle „Fa?ons" der
Zopf- und Empirezeit mit, parlierten und gebarten „n In mode“. Der
Bürger- und Handwerkerstand jedoch behielt auch in Sitte und häus-
lichem Leben die schlichten altväterischen Daseinsformen bei. Die Eh-
halten (das Gesinde) aßen am Tische der Dienftgeber, desgleichen am
Tische des Handwerksmeisters dessen Lehrlinge und Gesellen. Früh
ward aufgeftanden, wenn irgend möglich der Frühmesse beigewohnt;
gefrühstückt wurde eine einfache Morgensuppe, wenn das Frühstück nicht
ganz ausfiel. Der Kaffee, dessen erstes Auftreten zur Zeit und an dem
Hofe Karl Albrechts ftattfand, hat sehr langsam sich in der eigentlichen
Münchner Bevölkerung eingebürgert. Um 11 Uhr ward zu Mittag ge-
gessen - noch jetzt ist die durchschnittliche Essenszeit um 12 Uhr -
die Zeit des Abendessens war um 6 Uhr. Die häufigsten Gerichte
waren: Suppe, Voressen (Lungenragout), gesottenes und geselchtes
Fleisch, Gemüse und Salat, auch Knödel verschiedener Art. Braten
gab es nur an Sonn- und Feiertagen und dann vornehmlich KalbS-
* 197 *
oder Gansbraten. Im Backen und Bereiten von Mehlspeisen hat die
Münchner Hausfrau stets eines guten Rufes genosien. Bestimmte
Gewerbe hatten herkömmliche Vorzugsspeisen: so mußte bei den Schu-
stern des Abends stets Kopfsalat aufgesetzt werden. Das gemeinsame
Tischgebet, das der jüngste Tischgenoffe vorzubeten pflegte, sowie der
abendliche Rosenkranz waren allerwärtS üblich.
Nach dem Abendessen ging der Hausherr, auch etwa der erwachsene
Sohn gern noch zu einem guten Abendtrunk in irgend eine Wirtschaft
oder späterhin auf einen Keller; wohlgemerkt durfte er nur so lange
beim Trünke sitzen, bis die Bierglocke läutete und ihn mahnte, daß es
für ehrbare Leute Zeit zum Heimgehen sei. Hatte er außerhalb der
Tore gezecht, so mußte er auch der Torsperre gedenken, die das Ver-
gnügen etwas verteuerte. Die kleine Torsperre trat sogleich nach dem
Gebetläuten ein, also an kurzen Wintertagen schon um halb fünf Uhr,
im Hochsommer dagegen um halb neun Uhr. Die Stadttore blieben
dann zwar geöffnet, aber jede eintretende Person bezahlte einen Kreuzer
und für ein Pferd zwei Kreuzer. Das Zeichen zur großen Torsperre
gab eine Glocke vom Frauenturm und zwar im Winter um neun, im
Sommer um zehn Uhr. Darnach wurden die Tore geschloffen, und nur
bei dem sogenannten Einlaßtor, das davon seinen Namen hatte, war der
Eintritt für jeden Menschen und für jedes Tier, gleichviel ob Pferd
oder Hund, zu 6 Kreuzer. Natürlich kam es vor, daß besondere Güte des
Bieres oder Weines einen Trinklustigen Maß und Stunde über-
schreiten ließ. Herzog Wilhelm III. legte 1410 während seines Tiroler
Feldzugs beim Magistrat München briefliche Fürbitte ein für seinen
Werkmann (Hofmaurermeister), den Pogl Mauerer, der sich „von
Weins wegen vergeßen und etwas töricht .... gehandelt habe". Der
Herzog gibt hinsichtlich desselben zu: „wenn er sich überweint, daß dann
Niemand übler Behandlung vor ihm sicher ist"; weil er aber sonst ein
guter und bescheidener Werkmann ist, bittet der Herzog, ihm die Geld-
strafe, die er verwirkt hat, zu erlaffen. Im Mittelalter wurde in
Bayern selbst der Weinbau emsig getrieben, am linken Donauufer
zumal, von Kelheim bis nach Donaustauf, aber auch an der Altmühl,
an der Isar, am Inn und am Lech. Der eigentliche „Baiernwein", eben
aus jener Donaugegend, soll in heißen Jahren wirklich gut geraten
sein, während der bei Landshut oder bei der Herzog Maxburg in
München selbst gewachsene Tropfen es über den Rachenputzer nicht viel
hinausbrachte. Die Herbigkeit solchen einheimischen Rebensaftes ward
durch Zusatz von Honig gemildert. Auf die Einfuhr fremder Weine
war ein „Ungeld" (Steuer) gesetzt; eingefübrt wurden Weine aus
Franken, aus Österreich und Tirol, ferner Neckarwein, Romanier,
Wälschwein (aus Südtirol), Malvasier, Rainval (aus Rivoglio in
Istrien). Zur Niederlage und zum Faßverkauf der fremden Weine
diente der „Weinstadel" in der Dienersgaffe. Der Weinmarkt aber
wurde in der Weinstraße gehalten, woran der Name der Straße noch
gemahnt. Bezüglich des Weinausschankes und des etwaigen Wein-
pantschens bestanden ebenso ausführliche und strenge Gesetze, wie hin-
sichtlich des Bierausschankes. Es war verboten, Branntwein oder
Weidenasche oder anderes „Gemächt" in den Wein zu tun, aus zweier-
lei Zapfen zu schenken und den guten Wein mit geringerem zu mischen.
Wenn bei der magistratlichen Weinbeschau gefälschter Wein sich vor-
fand, so wurde der Weinschenk mit strenger Strafe belegt. Seit der
ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts hat das Bier den Wein aus der
Volksgunst verdrängt.
Bei dem Beleuchtungszustand der Straßen verstand es sich von
selbst, daß der Biedermann, der sich zu später Stunde heimbegab, eine
Laterne mit sich führte, denn wer ohne Licht in den Straßen betroffen
ward, den hielten die Sicherheitswächter an, abgesehen von allem Un-
lieben, was ihm sonst zustoßen konnte. Oft ließ der Hausvater sich von
seinem Knecht oder Lehrling, die Frau von ihrer Magd vorleuchten.
Übrigens waren im Jahre 1782 die Straßen Münchens bereits durch
mehr als 600 Laternen erhellt; auch gab es damals bei weiteren Wegen
ober schlechtem Wetter schon die Kutsche und daneben den Tragseffel
(portechaise), besten vornehme Damen sich gern bedienten.
Als ausgesprochener Freiluftmensch verlegte der Münchner von jeher
seine liebste Erholung hinaus in Gottes Natur. Die Fahrten nach
einem der Beluftigungsorte, die uns heute ganz nah dünken, Schleiß-
heim, Nymphenburg, Starnberg, Großheffelohe, galten damals freilich
als weite Ausflüge, die mindestens einen ganzen Tag erforderten und
mit der Kutsche unternommen wurden. Aber die allernächste Umgebung
bot genügende Wanderziele: die Isarauen, das Isarbergl, den englischen
Garten, die zahlreichen Biergärten, in denen es sich so gemütlich saß.
Wohlgemerkt durften nur in den vier Sommermonaten die Brauer
auf ihren Kellern vor der Stadt „Gäste sehen und Bier in ininuto ver-
schleißen." Nichts anderes als Bier durfte gereicht werden, weshalb sich
bis in neueste Zeit die Münchner ihr Esten auf den Keller mitbrachten.
Im Frühjahr, wo nach allgemeiner Ansicht etwas zur Erneuerung des
Geblütes geschehen mußte, war es Sitte, entweder zum Maibock oder
zum „Schön- und Stärketrunk", nämlich zum Met, zu gehen. Dies
geschah vorzugsweise am ersten Sonntag nach Ostern. Die beliebteste
Metschenke war in der Neuhausergaste beim Lebzelter Thumberger.
Ein besonderer Brauch war, daß die Dienstmädchen am Tage des
DienftwechsclS, dem sogenannten „Schlenkltag", im Sonntagsstaat
von ihren Liebhabern zum Thumberger geführt wurden. Die gebräuch-
* 199 *
* 198 *
lichen Ziele zum schlenkeln waren: Lichtmeß (2. Februar), Georgi
(23. April), Jakobi (25. Juli) und Michaeli (29. September). Die
paar Tage, die sich der Dienstbote zwischen dem Verlaffen des alten
und dem Antritt des neuen Dienstes gerne gönnte, hießen die
„Schlenklweil". Vorzugsweise an Georgi gingen die Pärchen zum
Metschenken, saßen dort in den Gartenlauben, „Beichtstühle" ge-
nannt, und verzehrten zum süßen Würztrunk die Lebkuchen, die „Schif-
fer!" hießen.*)
Als Frühlingskur wurde ferner nach altem Brauch die Ader ge-
schlagen, und die Wundärzte hatten genug zu tun. Mit fortschreitender
Jahreszeit dachten die Begüterten auch daran, eine Landfrische, ein
„Badl" aufzusuchen. Das Volk im allgemeinen hielt sich an die her-
kömmlichen Ausgänge, die meist ein kirchliches Ziel hatten. Am Oster-
montag, wo es Brauch war „nach Emmaus zu gehen", wurde, wie
schon erwähnt, das Gasteigbergl erklommen und dort im Nikolauskirchl
eine Andacht gehalten. Ein Gleiches geschah an Pfingsten in der St.
Nikolauskapelle zu Schwabing, neben der sich wie am Gasteig ein
Siechen- oder Leprosenhaus befand. Bei dem Pfleger desselben „war
gutes, weißes Bier zu trinken". Von der allgemeinen Wanderung der
Münchner in die Au zum Kloster der Paulaner am Feste des heiligen
Ordenövaters, wo es die geweihten St. Vaterkerzen und das süße
starke Salvatorbier gab, ist auch schon gesprochen worden, ebenso vom
großen vielbesuchten Ablaßfest in Harlaching, dem das zu Ramersdorf
gleichkam.
Außer diesen freundlichen Unterbrechungen des täglichen Lebens
wurden besonders in Ehren gehalten und ausgiebig gefeiert sowohl die
Feste des Familienlebens, wie die hohen Kirchenfeste. Von den ersteren
möge zunächst die Rede sein.
b) Liebe,Hochzeit,Geburtund Tod
Die alte Sehnsucht, die beide Geschlechter zu einander zieht, war in
Altmünchen so mächtig, wie allerwärts. Manches Mädchen, wenn es
am Lenztage ins Freie kam, fragte heimlich den Kuckuck, wie viel Jahre
noch bis zur Hochzeit? und zählte dann, wie oft er seinen Ruf erschallen
*) In den 80er Jahren vorigen Jahrhunderts sah dle Schreiberin dieser
Blätter in einer damals in der Augustenstraße befindlichen Filiale der Seidl-
Bäckerei noch ein altes Gemälde, das eine männliche und weibliche Figur kn
Altmünchner Tracht, umgeben von obigen Leckereien, zeigte mit der Unterschrift:
»Komm her meine liebe Gret,
Hier gibt es guten Meth.
Willst du auch was guats dazua
Das kannst du haben alles gnua.*
ließ. Die Begegnung eines Schimmels galt als glückbringend, weil der
Hochzeitswagen gewöhnlich von Schimmeln gezogen ward. Zu den Ehe-
patronen, der hl. Katharina, dem hl. Nikolaus, vor allem dem hl. An-
tonius betete das Mädchen fleißig, tat ihnen Gelübde für Erfüllung
des heißesten Herzenswunsches. In bestimmten „Loönächten", so in der
AndreaSnacht (50. November) und der ThomaSnacht (21. Dezember),
versuchte die Heiratslustige zu erforschen, welcher Hochzeiter ihr etwa
beschieden sei. Völlig entkleidet stieg sie von rückwärts in ihr Bett oder
trat eS mit der großen Zehe und sprach dazu: „Bettstatt ich tritt dich 1
heiliger Andreas (hl. Thomas) ich bitt dich, 1 laß mir erscheinen 1 den
Herzliebsten meinen," worauf ihr im Traum der Zukünftige erscheinen
sollte, zumal wenn sie neben dem Bette zwei geweihte Kerzen brennen
hatte, um von keinem Teufelsspuk geäfft zu werden. Das gleiche geschah
in der Christ- und Silvesternacht, wie auch in beiden Nächten jetzt noch
Blei gegossen wird, um aus der Gestalt der Bleistückchen die Zukunft
zu erforschen. Oft werfen die Mädchen in der ThomaSnacht, entkleidet
am Boden hockend und der Türe den Rücken wendend, ihren linken
Schuh über den Kopf. Fällt er so, daß die Schuhspitze gegen die Türe
weist, so bedeutet es, daß sie im Laufe des Jahres das Haus verlaffen
wird. Auch schaut die Liebende gerne in den Brunnen oder durch ein
Stück Kirchenfenfterglas, um die Gestalt des Ersehnten zu erblicken; in
den Spiegel zu schauen, soll den gleichen Erfolg haben. Doch
soll es auch schon geschehen sein, daß die Neugierige anstatt
eines schmucken Bräutigams den beinernen Tod sah und von
ihm auch richtig im nächsten Jahre heimgeholt ward. Trotz der
Frömmigkeit der Münchnerinnen kam es bisweilen vor, daß eine
unglücklich Liebende magische Mittel zur Erreichung ihres Zieles
anwandte. So trachtete sie z. B. ein Läppchen, worauf Tropfen
ihres Blutes gefallen, mit einem anderen, das ein Tropfen vom
Blute des Geliebten genetzt hatte, unter das Altartuch zu verber-
gen, so daß eine hl. Meffe darüber gelesen ward; oder sie versuchte einen
Tropfen ihres Blutes dem Manne in Bier oder Wein zu trinken zu
geben. Der schaurige Aberglaube des „Totbetens" (durch Rückwärts-
Beten des Vaterunsers) ward geübt, wenn ein Mädchen sich an einem
Ungetreuen rächen wollte. Eine Andere erzählte in der Mitte der
80er Jahre des vorigen Jahrhunderts: „Jetzt bet ich alle Abend ein
Vaterunser für die allerärmste Seele, für die sonst keinö mehr bittet,
die laßt ihm nachher keine Ruh', bis er wieder zu mir kimmt."
Wie streng in früherer Zeit die Gefallene gerichtet wurde, ist bekannt.
Eine Alt-Münchner Redensart lautet: „die darf am Antlaß (am Pro-
zefsionStage) auch schon in die Frühmeß' gehen", d. h. sie darf nicht dem
Hochamte beiwohnen, von dem die unbescholtenen, kranztragenden Jung-
* 200 *
* 201 *
frauen ausgehen. Heutzutage sind die Anschauungen beträchtlich ge-
lockert, und über ein lediges Kind, das auf dem Lande ohnehin keine
zu schlechte Stellung hat, regt sich das Volk auch in der Stadt nicht
mehr besonders auf. „Wenn er (der Verführer) Mann ist, wenn er
an Charakter hat, wird er sie wohl heiraten," hört man höchstens sagen.
Wurde aber von Anfang an der rechtmäßige Weg betreten, so tat
in Altmünchen nicht der Freier selbst — auch wenn Beide sich schon
einig waren — sondern ein älterer, ehrsamer Mann, meist ein naher
Verwandter, die Anfrage, ob die Sippschaft des Mädchens und dieses
selbst der Vermählung geneigt sei. War zwischen den Familien alles
abgeredet, so erfolgte der feierliche Verspruch, jedoch nur im engsten
Familienkreise. Mit um so größerem Prunk wurde dagegen die Hochzeit
gefeiert; jeder, der irgend zur Freundschaft (Verwandtschaft) gehörte,
mußte dazu geladen werden. „Ich gehe dir auf die Hochzeit" war ein
Versprechen, das freundliche ehrende Gesinnung ausdrückte. Es galt
und gilt als schwere Kränkung, Jemand hierbei zu übergehen. In alter
Zeit fanden die Hochzeiten stets im Elternhause des Bräutigams, erst
später in dem der Braut statt. Die Feste und Gastlichkeiten dauerten
oft mehrere Tage, so daß der Rat von München zu Beginn des 15.
Jahrhunderts den übermäßigen Aufwand bei derartigen Festen rügen
mußte. Es wurde damals verordnet, daß zu einer Hochzeit höchstens
24 Frauen und Jungfrauen aus der Verwandtschaft geladen werden
dürften, außer es seien Fremde da. Kinder unter 10 Jahren sollte man
gar nicht zur Hochzeit gehen lassen. Die Hausfrau setzte besonderen
Stolz darein, bei solchen Anlässen vor den Gästen mit ihrem schönsten
Geschirr zu prunken; in wohlhabenden Bürgerhäusern war damals an
glänzendem Zinn und Kupfer, sogar an getriebenem Silber kein Man-
gel. Vom Umfange hochzeitlicher Gastmähler berichten einzelne noch er-
haltene Speisezettel, die uns Heutige mit fassungslosem Staunen über
solche Leistungsfähigkeit erfüllen. Außerdem erhielten die Gäste am
Schlüsse eine zierlich in ein Tuch eingewickelte Mitgabe, die sie mit
heimnahmen und die das „Bfcheidessen" hieß. Später bürgerte sich all-
gemein die Sitte ein, das Hochzeitsmahl in einem Wirtshaus zu hal-
ten, wie dies auch heute noch in den weitesten Volkskreisen Brauch ist.
Zum Kirchgang wurde im alten München vom Turme herab geblasen.
In frühen Zeiten begab sich der Brautzug in die Kirche zu Fuß, später
bediente man sich bei vornehmen Hochzeiten der Kutsche, wenigstens für
die Braut und die beiden Ehrenmütter. Die Braut trug den reich ge-
stickten Brautgürtel und den Kranz resp. die mit Blumen durchflochtene
Brautkrone. Der Bräutigam steckte an Hut und Sonntagsrock ein
Sträußchen von goldenen und silbernen Flitterblumen, mit bunten
Bändern durchflochten, dazu ein Zweiglein Rosmarin. Vor dem Kirch-
* 202 *
gang pflegte das Brautpaar noch den Eltern für alle bisher genossenen
Guttaten zu danken, ihren Segen zu erbitten und zu empfangen.
Nach altem Volksglauben soll die Braut niemals umblicken während
der kirchlichen Trauung, sonst „sieht sie sich nach dem Zweiten um",
d. h. ihr junger Gatte wird sterben. Viele der einfachen Zuschauerinnen
bei einer Hochzeit achten jetzt noch darauf, wer von den Brautleuten
weiter vom Altar zurückkniet oder an wessen Seite die Altarkerze
schneller herunterbrennt; denn das Betreffende wird zuerst sterben.
Ebenso ist viel verbreitet der Aberglaube: derjenige, der während der
Trauung seinen Fuß auf den des anderen setzt, oder die Hand
beim Segen oben hat, werde in der Ehe die Herrschaft haben.
Die Brautleute sollen während des Segens so nahe beieinander
knieen, daß niemand zwischen ihnen hindurchblicken kann. Sehr
alt war der unheimliche Glaube: um jede liebende Annäherung
der Vermählten aneinander zu hindern, dürfe jemand nur ein Schloß,
das er in der Hand halte, während des Segens zuschnappen lassen und
dies Schloß hernach ins Wasser werfen. Auch wer beim Gratulieren
die Hände des Brautpaares mit einem Nagel rieb, der am Charfreitag
an das heilige Schmerzenskreuz gedrückt ward, sollte die Eintracht
beider zerstören; doch versündigte er sich schwer dadurch. Ehemals be-
stand die schöne Sitte, daß eine vom Land stammende Braut in ihrer
Heimattracht vor den Altar trat; die aus Tölz gebürtige Schwester
eines bekannten vaterländischen Forschers trug an ihrem Hochzeitstage
das schöne Gewand der Ahnfrau, obschon sie in ein vornehmes Münchner
Haus einheiratete. Die Ausstattung der Braut wurde in solchem Falle
gleichfalls auf geschmückten Wagen — „Kammerwagen" sagt man auf
dem Lande — in das neue Heim geführt. Die Spitze des Wagens bil-
dete ehedem die Braut oder Brautjungfer mit der Kunkel, später die
Wiege. Es war bräuchlich, einer solchen Fuhre bei der Abfahrt einen
Teller oder Hafen so nachzuwerfen, daß das Geschirr an den Rädern
zerschellte. Gab es viel Scherben, so bedeutete dies Glück in der Ehe,
nach anderen Herrschaft des Mannes.
So lange Münchens Kirchen noch mit Friedhöfen umgeben waren,
galt der alte fromme Brauch, daß sich das neugetraute Paar beim Ver-
lassen der Kirche an die Gräber der dort bestatteten Anverwandten, zu-
mal der Eltern, begab, um im stillen Gebet daran zu verweilen. Beim
Verlassen des Friedhofes sperrte gewöhnlich ein Strick mit frischem
Grün umwunden den Ausgang, und dieser mußte erkauft werden, indem
der Bräutigam kleine Münzen unter die den Strick haltende, mut-
willige Jugend warf.
Beim Betreten des Hauses, wo das Hochzeitmahl stattfand, war es
ehemals Sitte, daß die Köchin der Braut entgegentrat, sie begrüßte
* 203 *
und aufforderte, das Kraut zu versuchen, worauf die Braut in die
Küche ging, die Suppe salzte und etwas vom geweihten Hochzeitswein
in den Fleischtopf tat. Späterhin pflegte die Köchin während des Mah-
les mit verbundener Hand im Saale zu erscheinen, klagend, daß sie vor
Freude und Aufregung sich so arg verbrannt hätte und nicht weiter
kochen könnte. Doch stellte ein Trinkgeld des Bräutigams sie alsbald
wieder her.
Auf uralte Germanensitte geht der Brauch zurück, daß während des
HochzeitmahleS die Braut plötzlich verschwunden, nämlich gestohlen war.
Der Bräutigam mit seinen Beiständern machte sich auf, sie zu suchen,
fand sie endlich in einem Nachbarhause versteckt und mußte sie von den
jungen Leuten, denen der Raub gelungen war, mit Geld wieder aus-
lösen. Bei oder nach der Mahlzeit wurde stets in irgend einer drolligen
Umhüllung der Braut eine Anspielung auf künftige Mutterfreuden,
etwa ein Wickelkindchen, überreicht.
Den Reigen nach der Tafel eröffnete der Hochzeiter mit seiner
Hochzeiterin, darnach forderten beide alle anwesenden Ehrengäste der
Reihe nach zum tanzen auf. Mitunter gab es zu Anfang des Tanzes
eine kleine Verzögerung, indem die Hochzeiterin mit einem Male hinkte.
Es stellte sich heraus, daß eine größere Münze in ihrem Schuh das
Hinken veranlaßt hatte. Das Hindernis wurde entfernt und den auf-
fpielenden Musikanten eingehändigt.
Bis zur Schwelle des hochzeitlichen Gemaches gaben ehemals dem
Brautpaar die nächsten Angehörigen das Geleite; bei vornehmen Hoch-
zeiten wurde dem Paar mit Fackeln vorgeleuchtet. Das Ehebett kirchlich
einsegnen zu lassen, ehe die Gatten ihr Gemach betraten, war weit ver-
breitete Sitte. Der Tag nach der Hochzeit hieß „der goldene Tag". Er
wurde durch ein kleines Mahl im Hause der Brauteltern gefeiert, an
dem aber nur die nächsten Verwandten teilnahmen. Die jungen Gatten
pflegten an diesem Tage die Kirche zu besuchen; außerdem wurde am
goldenen Tage die Mitgift der Frau dem Gatten ausgehändigt. Sie
selber trat die Herrschaft an im neuen Hauswesen, wo sie von nun
an wacker schaltete — wenn sie nicht gar zu bald „nach Rom reisen
mußte", wie ein gewisser hoffnungsvoller Zustand in München all-
gemein genannt wird.
Kindersegen war voreinst viel mehr als heute ersehnt und, falls er
ausblieb, bitter vermißt. Wo die Kunst der Ärzte versagte, flüchtete die
unfruchtbare Frau meist zur Gottesmutter in irgend eine Gnadenkirche.
In solchen Kirchen sind häufig seltsame, krötenähnliche Gebilde, meist
aus Eisen zu sehen, Sinnbilder der sogenannten „Bärmutter", gewid-
met von Frauen, die Befreiung von einem weiblichen Leiden erflehen.
Auf erbetenen Kindersegen weist das Votivgeschenk eines kleinen Kind-
* 204 *
chens aus Wachs oder gar aus Silber. Wenn fleißiges Kirchfahren
nicht half, so lag der Altmünchnerin der Verdacht nicht ferne, daß sie
„vermeint" oder verhext sei. Hat doch sogar Kurfürst Maximilian I.
die Unfruchtbarkeit seiner ersten Frau der Verhexung zugeschrieben!
Im 16. und 17. Jahrhundert, wo der Hexenwahn wie eine Seuche
wütete, wandten viele^Frauen sich irgend einer „wissenden" Person zu,
die sich auf „weiße Magie" verstand, nämlich auf magische Mittel,
welche, ohne gegen den Christenglauben zu verstoßen, der schwarzen
Magie, der Hexenkunst, entgegenwirken sollten. Doch sind auch die
Volksmeinungen zahlreich, die sich mit anderen Gründen der Kinder-
losigkeit beschäftigen. Daß ein zorniges Weib nicht leicht Mutter werde,
war eine weitverbreitete Anschauung. Auch die Nichterfüllung eines Ge-
lübdes oder des feierlichen Versprechens, das man einem anderen ge-
geben hatte, konnte die Ursache der Unfruchtbarkeit sein.
Die werdende Mutter, nachdem sie ihrer Hoffnung gewiß war, sollte
stets etwas Geweihtes an sich tragen, um sich vor dem „Vermeinen" zu
schützen. Sie soll nicht Branntwein oder Schnaps trinken, denn damit
brennt sie dem Kind „das Herzl aus". Es ist auch nicht gut, wenn die
Mutter vor der Geburt die leere Wiege schaukelt: damit nimmt sie dem
Kinde den Schlaf. Den Anblick eines Toten soll sie meiden, sonst kann
ihr Kleines sterben oder doch Totenfarbe erhalten. Während eine Wöch-
nerin im Bette liegt, soll nach altem Glauben das Feuer auf dem Herde
nicht ausgehen, das brächte Unglück. Gerne legte man ehemals der
Mutter und dem Neugeborenen etwas Geweihtes ins Bett oder hing
es ihnen um den Hals, weil über die noch nicht aufgesegnete Frau und
das ungetaufte Kind der Böse Gewalt hätte. Die Hebamme räucherte
mit Kranewitt (Wachholder), der gegen Zauber hilft; sie hing übers
Bett einen Trudenstein (ein kleiner schwarzer Kiesel, durch den von
Natur ein Loch geht), wenn sie glücklicherweise einen solchen besaß.
Auch zündete sie eine geweihte Kerze an und machte mit dem Benedik-
tenkreuz der Kindbetterin drei Segenskreuze auf Stirne, Brust und
Füße. Mit der Taufe ward von jeher so sehr als möglich geeilt, damit
der kleine Mensch nicht der ewigen Seligkeit verlustig gehe. Den Zu-
stand der Ungetauften im Jenseits dachte die Volksmeinung als leid-
und freudlos. Noch im 18. Jahrhundert wurden bisweilen die Leichen
von Kindern, die bei der Geburt gestorben waren, in irgend einer
Gnadenkirche vor den Altar gelegt unter andächtigem Gebete, solange
bis der kleine Leichnam „zeichnete", d. h. irgend eine Veränderung
zeigte, die als ein Merkmal flüchtig wiedergekehrten Lebens gelten
konnte. Dann durfte er die Nottaufe empfangen und somit der Christen-
heit beigezählt werden. Ungetaufte oder totgeborene Kinder kamen
ehemals nicht in geweihte Erde, sondern hatten auf dem Freithof oder
* 205 *
angrenzend an denselben ihr eigenes kleines Totenfeld, den Unfchuldigen-
Gottesacker. Allgemein war und ist jetzt noch der Brauch, eine Mutter,
die bei der Geburt stirbt, in Kranz und Schleier wie eine Jungfrau
zu begraben. Die tiefe und schöne Bedeutung davon ist, daß die Gebä-
rerin durch ihren Opfertod die ursprüngliche Reinheit wieder erlangt hat
und geradeswegs in den Himmel eingeht.
Nach alter Anschauung sollte bei einem Kinde, außer dem namenge-
benden Paten, auch eine Person des anderen Geschlechtes zu Gevatter
stehen. DaS bedeutete dem Kinde künftiges Liebes- und Eheglück.
Ferner galt in Altmünchen der Brauch, einem Knaben gleich nach der
Taufe ein Schwert oder sonstiges Gewaffen in die Hand zu geben,
damit er nicht verzagten Sinnes würde. Die Hebamme, von dem Paten,
resp. der Patin geleitet, trug das Kleine zur Kirche, wohlgemerkt in
die Sakristei, denn das Betreten des heiligen Raumes selbst ist erst dem
in die christliche Gemeinschaft Aufgenommenen gestattet. Am alten
Frauenfreithofe befanden sich an fünf Stellen Öffnungen in der Kirch-
hofsmauer, die durch eine Drehschranke (einen Pfahl, auf dem eine
Drehscheibe in Kreuzesform liegt) abgeschloffen waren. Im Volks-
mund hießen diese Drehschranken „wart ein bißl". Hier hatte der Täuf-
ling seinen ersten Aufenthalt: die Wehmutter mußte mit ihm warten,
bis der Meßner kam und gegen ein paar Kreuzer Schrankengeld beide
hereinließ.
Nach der Taufe brachte die Wehmutter der Wöchnerin das Neuge-
taufte zurück mit dem Spruche: „einen Heiden haben wir fortgetragen,
einen Christen bringen wir."
In guten Bürgerhäusern war es Sitte, daß darnach ein kleines
Taufmahl abgehalten wurde, an welchem der Geistliche, die Paten,
die Hebamme und die nächsten Verwandten teilnahmen. Fleischspei-
sen waren von diesem Mahle ausgeschlossen; als unerläßliche Speisen
aber wurden aufgesetzt: Schneeballen (eine Art Krapfen), Käse,
Konfekt, Früchte und Wein. Hernach wurde von all diesem den
Gästen noch etwas in ihre Wohnung geschickt. Käse mußte beim Kind-
taufmahl dabei sein, weil das Kind, wenn es ein Knabe war, sonst
später keinen Bart bekam.
Einige Tage nach der Taufe pflegten die Frau Gevatterin und die
sonstigen Nahestehenden der Kindbetterin ihren Besuch abzustatten.
Dabei wurden Geschenke gebracht, meist Eier, Butter, Mehl und dergl.
Das altbayerische Wort für das Kindbett- oder auch Hochzeitsgeschenk
lautet „Weisat". Sogar im altbayerischen Weihnachtslied, wenn die
Hirten sich aufmachen gen Bethlehem, wird beraten, was sie dem gött-
lichen Kinde und der reinsten Mutter „weisen" wollen, und der älteste
Hirt mahnt die jüngeren:
Und bal ma zu dem Kind hinkemma 1 So bucktS enk sauber fei,
Tuats Weisat in die Hand nemma 1 Und geatS schö zugsam nei!"
Ein Münchner Kind empfing vom Paten (Göd, Godel ist der bayerische
Name für Pate und Patin) einen Patenthaler, meist eine schöne, alte
Denkmünze, in die Wiege. Später, wenn es größer war, einen silbernen
Patenlöffel mit dem eingravierten Namen des Herrn Göden. Außerdem
bekommt das Patenkind, bis es erwachsen ist, vom Göd oder der Godel
an jedem Allerseelentag einen Seelenwecken oder Seelenzopf. Dies Ge-
bäck, künstlich geflochten, vom einfachen Hefenteig bis zum feinsten
Bisquit- oder Makronenteig, ziert in allen Größen, mit bunten Pa-
pierblumen besteckt, während der letzten Oktober- und ersten Novem-
bertage die Auslagefenster sämtlicher Münchner Feinbäcker und Kon-
ditoren. Am Palmsonntag wurde das Kind ehedem im Hause des Paten
mit Met und Konfekt bewirtet. Göd oder Godel stehen dem Kinde
näher, als selbst die Blutsverwandten; denn sie sind es, welche das
Kleine „aus dem Waffer" (der Taufe) holen und ihm den Namen
schöpfen. Ehemals war eS Brauch, daß am Tage der Firmung das
Patenkind nochmals brieflich dem Göd oder der Godel ehrerbietigen
Dank sagte dafür, daß sie ihm einst zur christlichen Taufe verhalfen
hatten.
Wenn Fremde ein kleines Kind berufen, so soll die Mutter zur Seite
auöspucken oder noch beffer das Kind sofort bekreuzen. Noch heute be-
steht im Volke der Glaube: einem von plötzlicher Krankheit, z. B. den
Fraisen, befallenen kleinen Kinde könnte etwas „angetan", d. h. es
könnte verhext sein. Eine Münchner Arbeitersfrau dagegen, deren
Kleines in Krämpfen lag, erklärte: „Dös glaub i wieder net, daß
dem Kind was antan worden iS; S' Gehirn wachst halt und so oft dös
an Ruck tut, beutelt's das Kind a weng umanand." Wo Kinder sind,
galt es als heilsam, ein Rotkehlchen im Käfig zu hallen, weil bei Ma-
sern oder Scharlach der Kinder dieser Vogel die Krankheit an sich
ziehen soll. Hier und da ward noch bis vor kurzem behauptet, daß man
einem kleinen Kinde die Fingernägel nicht beschneiden, sondern, wenn
sie wachsen, ihm abbeißen soll, weil das Kind sonst ein Dieb wird.
Recht bedenklich war die alte Sitte, das Kind, fast bis es stehen
konnte, fest zu „fatschen", d. h. zu wickeln, wobei die Ärmchen eng an
den Körper gepreßt wurden. Es gehörte die eingeborene Gesundheit
eines kräftigen Volksstammes dazu, daß nicht viel häufiger Krankheiten
und Verkrüppelungen hieraus entstanden.
Das Trotzen auf diese Gesundheit verriet und verrät sich auch in dem
frühen Darreichen schwer verdaulicher Nahrung, in dem vorzeitigen
Biergenuß und ähnlichen Dingen, die jedoch in München erfreulich ab-
* 207 *
* 206 *
genommen haben, dank der unablässigen Einwirkung sozialer und hy-
gienischer Vereinigungen.
Das Kind ward größer und die Eltern walteten ihrer Erzieher-
pflicht. Sie lehrten es, nicht ohne Morgengebet aufzustehen, nicht das
Waschen und Kämmen zu vergessen, nichts anzunehmen aus fremder
Hand; denn durch alles dies könnte feindliches, nächtiges Wesen Macht
über Leib und Seele gewinnen. Auch nichts aufheben von der Straße
sollte das Kind. Es soll jetzt noch nicht bei Tische das Messer mit der
aufwärtsgekehrten Schneide hinlegen, damit nicht ein Englein oder
eine arme Seele sich daran schneidet. Eßbare Gegenstände wegzuwerfen
gilt als Sünde gegen die Gottesgabe, sie verkommen lassen, ebenso. Eine
Ausnahme macht, wenn das Kind ein Stück Brot ins Freie auf einen
Kreuzweg legt oder in ein Bächlein wirft mit den Worten: „für die
armen Seelen." Wer den Tisch Abends nach dem Nachtmahl nicht or-
dentlich abräumt, nimmt den armen Seelen die Ruhe; wer ohne Nacht-
gebet einschläft oder die Stiefel verkehrt vors Bett wirft, den kann
die „Trud" (der Alp) drucken, oder der Teufel kann einsteigen zu ihm.
Der kann auch einfahren in Solche, die beim Gähnen nicht die Hand
vor den Mund halten oder ein Kreuz davor machen. Recht eitle
Dirndln, die sich voll Hoffart in den Spiegel schauen, sollen ein Teufels-
antlitz oder einen Totenkopf statt des ihrigen sehen. Eine Münchner
Mutter lehrte ihr Dirndl: ,,D' Hoffart ist die öberste Sünd; weil dös
an Lucifer die feine g'weft ist. Der hat nöt unferm Herrgott zu Füßen
sitzen mögen, und a seins Paar Schuh' hält' er wöllen, er alloanig, wo
doch alle lieben Engerln bloßfußet gehen."
Wenn die Kinder fragten, wo sie hergekommen feien, ward ihnen
gerne weißgemacht, die Eltern hätten sie vom Baume herabgeschüttelt
oder aus einem tiefen Brunnen heraufgeholt. Erst ziemlich spät hat der
gute Storch sich in München eingebürgert.
Nach Sonnenuntergang, wo alles Unholde um den Weg ist, sahen
sorgliche Eltern nicht gern, daß ihre Kleinen noch draußen spielten; auch
jetzt rufen sie dieselben meist nach dem Aveläuten in die Stube.
Unzählig sind die Spiele alten Herkommens, die das Münchner
Straßenkind noch heute spielt: „Fangemandl", (Haschespiel), „Schnei-
der leih' mir die Scher", (ein Platzwechselspiel), „Räuber und
Schandi" und das in allen möglichen Lesarten übliche „Engerl- und
Teuferlspiel". Das allbekannte: „Ringel ringelreihe", wobei die Kin-
der sich an den Händen halten und eine Runde bilden, ist von altersher
den Münchner Kindern geläufig, nicht minder das Reihenlied „Marie-
chen saß auf einem Stein", über dessen grauslichen Sinn (Ermordung
des Mädchens durch den treulosen Geliebten) die Harmlosigkeit der
Kinder glücklich hinweggeht.
Was den Schulunterricht in Altmünchen betrifft, so war bis zu Be-
ginn des neunzehnten Jahrhunderts Niemand verpflichtet, feine Kin-
der in eine öffentliche Schule zu schicken; vielmehr stand Jedem frei, sie
nach eigenem Plan erziehen zu lassen. Der Adel wählte meist den letz-
teren Weg, hielt sich Privatlehrer; die Bürgersöhne besuchten öffent-
liche Schulen. Die beiden Normal- und Trivialschulen bei Unserer
lieben Frau und bei St. Peter waren nur für Knaben, desgleichen das
Gymnasium, in dessen lyceistischer Abteilung Philosophie und Theologie
von geistlichen Lehrern gelehrt wurden, während in den Realklassen und
der humanistischen Abteilung auch weltliche Lehrer sich befanden. Außer-
dem gab es gegen Ende des 18. Jahrhunderts noch zehn Normal-
schulen in den verschiedenen Stadtteilen. Die üblichen Prüfungs-
gegenstände waren: Religions- und Sittenlehre, Schönschreiben, Hi-
storie und biblische Geschichte, Rechenkunst. Den Unterricht der Mäd-
chen übernahmen hauptsächlich die Nonnenklöster, so die Englischen
Fräulein, die Salesianerinnen, die Servitinnen. Zur Ausbildung armer
fähiger Knaben für den Priesterstand hatte Albrecht V. noch das Gre-
gorianum in der Neuhauserstraße (außerdem auch Albertinum
genannt) begründet. Es hieß nach dem großen Papst Gregor, dem beson-
deren Gönner und Patron der armen Bettelstudenten. Ein ganz eigen
Münchnerisches Kinderfest, das gleichfalls mit dem Papste Gregor I.
zusammenhing und an seinem Tage stattfand (12. März), war bis zum
Ende des 18. Jahrhunderts im Schwange. Zu diesem „Gregori",
mit dem der winterliche Schulunterricht abschloß, wurden aus der
Zahl der Schulknaben dreie gewählt, deren einer den Bischof, die
zwei anderen seine Pfarrer (Diakone) darstellten; die übrigen Buben
verkörperten verschiedene Stände: Doktoren, Handwerker usw. Nach
diesen angenommenen Charakteren gekleidet, zogen die Kinder am
genannten Festtage von der Schule zur Kirche, wo eine Predigt
mit Hochamt abgehalten ward. Nach der Predigt wurde von den
Kindern das Gregoriuslied: „Hört ihr Eltern, Christus spricht"
gesungen, darauf hielt der kleine Bischof eine ihm eingelernte Predigt
in Versen. Nach dem Gottesdienst zog die Kinderschar unter Führung
des „Bischofs", der anstatt des Krummstabes eine Bretzel auf einer
Stange trug, durch die Stadt und erhielt von allen Seiten Kuchen
und Bäckereien geschenkt. Eine „Münchner Schulmeisterordnung" vom
Jahre 1563 besagt: „Mit dem Gregori oder Umgehen zu St. Gre-
gorientag soll es hinfüran noch wie von alters her gehalten werden und
ein jeder Schulmeister mit seinen Kindern denselben zu einer Freud
und Ergehung züchtig umgehen. Aber zu der Mahlzeit, die nach dem
Umgehen gehalten worden, soll hinfür niemand verbunden sein, seine
Kinder zu schicken, sondern in eines Jedweden freien Willen stehen,
n 208 *
14
n 209 n
ob er seine Kinder bei dem Schulmeister will effen und zehren lasten
oder nicht."
Allmählich wurde der Brauch, der als unpassend und veraltet er-
schien, in eine Art Maifest umgewandelt, das an einem schönen Tage,
etwa zwei Wochen vor Jakobi, mit einem Gottesdienst begann und
stch dann in ein großes fröhliches Treiben auf der alten Schießstätte
vor dem Karlstor fortsetzte. Noch Lorenz Westenrieder hat es mit
Freuden gesehen und beschrieben. Um die Wende des >8. zum 19. Jahr-
hunderts hörte der Kindergregori auf. Die altbayerische Mundart kennt
noch den Ausdruck „Gregori", als Bezeichnung eines ausgelassenen
Treibens, eines Drüber und Drunter.
Am 20. Dezember herrschte in Altmünchen der Brauch, daß jedes
Kind sich eine Rute aus Wachholderzweigen machte und die Erwach-
senen damit fitzen durfte, was man „pfeffern" hieß, bis sie sich durch
ein kleines Geschenk loskauften. Desgleichen durften bis ins 18. Jahr-
hundert die Knaben am Vorabend und Nachmittag des Palmsonn-
tags auf dem hölzernen Palmesel, der die segnende Heilandsfigur trug,
die Kirchen umfahren. Von den übrigen mit den kirchlichen Hauptfest-
zeiten verbundenen Kinderfreuden, wie dem Niklo, dem Klöpfeln usw.
wird noch zu reden sein. —
Um ein Kind, das in seiner Unschuld gestorben, mithin ein Engel ge-
worden ist, soll die Mutter nicht zu heftig weinen, weil sie ihm damit die
himmlische Freude verstört. Wer kennt nicht das schöne Märchen, wie
das tote Kindlein der weinenden Mutter erscheint und sie bittet, nicht
mehr so zu weinen, weil sein Hemdchen von ihren Tränen so naß wird?
Und die Mutter, aus Liebe zu ihrem Kind, zwingt sich, nicht mehr zu
weinen.
Den toten Kindern ward ein Kränzlein auf den Kopf und um die
Hände gegeben; sie wurden schon binnen 24 Stunden begraben. Mit
einer Kinderleiche ging kein Mann, mit dem Leichenzuge eines Erwach-
senen dagegen keine Frau. (Erst seit ein paar Jahrzehnten ist diese
Sitte durchbrochen worden.) Dem SeelengotteSdienst dagegen wohnten
Männer und Frauen bei.
Den Verstorbenen ledigen Standes, die schon zur Kommunion ge-
gangen waren, legte die Seelnonne vor das Haus ein Kreuz von Stroh,
hierauf einen Ziegelstein und auf diesen eine Krone, die jedoch vor
Nacht weggenommen, erst des Morgens wieder hingeseht ward. Den
Verheirateten wurden das Kreuz und der Stein ohne Krone hingelegt,
wie auch ihr Sarg nicht gleich dem von Kindern und Ledigen mit Kro-
nen geziert war. Bei Erwachsenen pflegte das Trauergeleite nicht zur
Begräbnisstätte zu fahren; Kinderleichen wurden (nach Westenrieder)
in der Kutsche hingebracht. E'gene Leichenfuhrwerke gab es bis Ende
* 210 *
des 18. Jahrhunderts nicht; die Toten wurden zu Grabe getragen. Erst
im März 1798 beantragte Graf Rumford, der Vertraute des Kur-
fürsten Karl Theodor, bei der Staatskammer die Beschaffung von Kin-
derleichenwagen; im selben Jahre schaffte die Stadtgemeinde Mün-
chen drei Leichenwagen für Erwachsene an. Die Sitte des Totentragens
war jedoch so allgemein, daß die Fortschaffung der Leichen mittelst
Leichenwagen noch 1848 bei Strafe anbefohlen werden mußte. Bis tief
ins neunzehnte Jahrhundert kam es vor, daß die Seelnonne (Leichen-
frau) ein totes Kind auf den Friedhof trug.
Die Einrichtung von Leichenhäusern, die Vorkehrungen gegen die
Bestattung Scheintoter entstammen auch erst dem neunzehnten Jahr-
hundert, desgleichen die heutige Sitte, die Toten hinter den großen
Glasfenstern der Leichenhallen auszustellen. Als zu München noch nicht
die jetzigen Vorschriften bestanden, laut welchen ein Verstorbener späte-
stens 12 Stunden nach eingetretenem Tode in die Leichenhalle über-
führt werden muß, wurden die Leichen der Erwachsenen bis zur Be-
stattung, also 36 — 48 Stunden im Hause aufgebahrt; zuweilen voll-
zog stch die Aufbahrung in einer Kirche. Bei dem Verstorbenen hielten
Angehörige und Freunde abwechselnd unter Gebet die Totenwacht;
fand die Aufbahrung in einer Kirche statt, so ward dies Amt auch von
Geistlichen übernommen.
Die Begräbnisse gewöhnlicher Leute geschahen in Altmünchen meist
am frühen Morgen, die der Bürger nach Vesperzeit, und zwar war die
Stunde um so später, je vornehmer der Rang des Verstorbenen. Bei
vornehmen Leichen gingen die Hauptleidtragenden in der „Gugel", d. h.
in einem schwarzen kuttenartigen Gewand mit schwarzer Kapuze, die
nur die Augen freiließ. Dieser Brauch erhielt sich nachmals nur bei den
Leichenbegängnissen bayerischer Könige, und zwar war es die Münchner
Laderinnung (Trockenlader), der die Gerechtsame zustand, den toten
Fürsten als „Gugelmänner" zu geleiten. Sie schritten, wie dies noch
bei der Bestattung König Ottos I. geschah, unmittelbar vor dem
Sarge, vierundzwanzig an der Zahl, der Letzte trug das Bildnis des
hl. Georg, des Schutzpatrons des wittelsbachischen Königshauses. An-
läßlich der Bestattung des letzten KönigSpaareS wurden die Gugel-
männer durch ehemaliges Hofpersonal gestellt.
Wo eine Leiche an einer Kirche vorübergetragen wurde, läuteten in
Alt-München jedesmal die Glocken. Bei den Seelgottesdiensten
herrschte in München der auf dem Lande noch bestehende Brauch, daß
sämtliche Anwesende zweimal um den Altar zum Opfer gingen. Der
Hauptkläger behielt bei der ersten Seelenmesse den Hut auf. Allgemein
war es üblich, den Freunden, die den Toten geleitet hatten, hernach ein
Leichenmahl zu geben, wobei es nach reichlichem Trünke mitunter sehr
* 211 *
lärmend zuging. Ebenso ward Brot und bisweilen Geld nach der
Kirche den Armen ausgeleilt; noch jetzt stellen in einem Trauerhause
Bettler sich zahlreich ein. Am siebenten oder am dreißigsten Tage nach
dem Todesfall fand ehemals noch ein Leichentrunk für die Leidtragenden
nach Kirch- und Opfergang statt. Bis ein Monat abgelaufen, kamen
jeden Abend die nächsten Freunde zusammen, um im Trauerhause für
den Verstorbenen zu beten, wobei sie dort bewirtet wurden. Nach altem
Glauben aber sollte kein Fremder im Hause effen, solange der Tote
noch darin lag; das galt als unheilbringend. Ebenso wurden ehemals
die Schüsseln, die beim Leichenmahl gedient hatten, zerschlagen, wegen
des Glaubens, daß, wer daraus wieder äße, schwer erkranken würde.
Wenn Eins in „die Züge greift", d. h. wenn der Todeskampf ein-
tritt, wurde (und wird) eine geweihte Kerze angezündet und das Fenster
geöffnet, damit die Seele leichter vom Leibe scheide; auch wurden sonst
die Wände mit Weihbrunn besprengt, auf daß der Böse keine Gewalt
habe. Das Waschen und Ankleiden der Leiche oblag von Alters der
Scelnonne. Beim Hinaustragen eines Toten wurde streng darauf ge-
achtet, daß er „mit den Füßen voraus" fein Heim verließe; auch ward
ihm ein Gefäß mit Wasser nachgeschüttet, — Beides, damit er nicht
als Spukgeist wiederkehre.
An Tod und Grab hat sich von jeher der Aberglaube mit Vorliebe
gehängt. Wenn z. B. in einer Münchner Kirche ein Licht auf dem
Altäre von selbst auslöschte, so ward daraus geschlossen, daß bald ein
Priester dieser Kirche sterben werde. Das Ablaufen einer Turmuhr
sollte einen Todesfall in der Herrscherfamilie anzeigen; ganz besonders
galt dies von der Uhr auf der Theatinerkirche. übrigens ward auch
das plötzliche Ablaufen von Uhren in Privathäusern als unheilkündend
angesehen. Das hartnäckige Heulen eines Hundes in einem Hause, wo
jemand krank liegt oder das Krächzen eines Raben auf dem Dache
waren und sind in den Augen vieler alter Münchnerinnen bestimmte
Todesvorzeichen. Der Totenwurm (Holzwurm), dessen leises Picken
gleichfalls Tod weissagt, ist unterm Namen ^,Erdschmiedl" bekannt
und unbeliebt. Wenn der Kranke auf Hühner- oder Taubenfedern
liegt, so stirbt er hart. Erst recht hart stirbt, wer eine unbereute
Sünde auf sich hat oder Unrecht eines andern gegen ihn nicht
verzeihen mag. Wenn einer Leiche im Sarge ein Band des Toten-
kleides in den Mund gerät, so — meinte man einst — saugt sie daran
so lange, bis noch ein anderes Familienglied stirbt. Auch wenn das
Gesicht einer Leiche rot aussieht, soll noch jemand aus der Sippschaft
sterben. Die beiden letzten, an Vampyrsagen gemahnenden Arten von
Aberglauben sind längst verschollen, ebenso die alte Sitte, dem Toten
ein Geldstück in den Mund zu legen, damit er, im Falle er einen ver-
borgenen Schah hinterließe, nicht als Spukgeift umgehen dürfte. Da-
gegen wird es von furchtsamen Gemütern noch heute als gefährlich be-
trachtet, einem Toten irgend etwas, das einem Lebenden gehört, mit
ins Grab zu geben, weil dadurch der Tote ihn nachziehen könnte. Alt-
münchnerisch hieß es: „wenn ein Zweiglein von einem Rosmarin-
strauche einem Toten ins Grab mitgegeben wird, so verdirbt der Stock,
sobald das Reis im Grabe fault". Manche haben es nicht gern, wenn
ein Toter die Augen nicht fest zu hat, sodaß er zu blinzeln scheint; er
soll dann nach dem nächsten Toten schauen. Weit verbreitet ist die
Meinung, daß die Trauernden keine Träne auf den Toten fallen lassen
dürfen, weil sie ihm sonst die Ruhe nehmen.
Ein Nagel von einer Totenbahre unter eine Türschwelle gelegt,
sollte nach altem Glauben verhindern, daß ein Dieb hereinkäme; wurde
ein solcher Nagel an den Standort eines Pferdes gesteckt, so sollte es
nicht weiter können, sondern stehen bleiben müssen. Ein Nagel, auf dem
Kirchhof gefunden, bringt dem den Tod, in dessen HauStüre er ein-
geschlagen wird.
Bisweilen geben sogenannte „könnende" oder „wissende" Frauen
den Rat, Kirchhofserde auf ein geschwollenes oder entzündetes Glied
zu legen: das heile trefflich. Ein alter Taglöhner, dem dieser Rat erteilt
wurde, nickte bedeutsam: „Sell glaab i scho," sagte er — „Kirchhofs-
erden heilt uns allesam."
c) Von den Festtagen
Eng verbunden ist das Münchner Volksleben mit der reichen Sym-
bolik des katholischen Kults. Gleich in den Beginn jedweden neuen
Jahres fällt das Fest der Erscheinung des Herrn, „Dreikönigstag"
genannt. In alten Urkunden wird er als der „obriste Tag" bezeichnet;
mit ihm schließt die geheimnisvollste Zeit des Jahres ab, die der zwölf
Rauchnächte (von Christi Geburt bis 6. Januar), in der christliche und
uralt heidnische Überlieferung sich wundersam vermischen. Am Vorabend
schon wird in der Kirche Wasser, Salz, Kreide und Weihrauch geweiht.
Mit dem Weihrauch, der früh beim Gottesdienst an allen Kirchtüren
zu Kauf steht, wird das Haus durchräuchert, während auf die Türen
von Haus und Stall die Anfangsbuchstaben der heiligen drei Könige
ch C -f- M j- B j- mit geweihter Kreide gemalt werden. Ehemals
räucherte der Hausherr sein Heim mit der Glutpfanne aus, auf die
außer dem Weihrauch noch Wachholder und andere heilsame, zur Ab-
wehr finsterer Mächte dienende Kräuter gelegt wurden.
An Dreikönig soll auch die Wünschelrute geschnitten werden, außer-
* 213 *
* 212 *
dem noch zur Fastnacht und am Johannistag. Um Sonnenaufgang und
wann der Mond sich erneut, soll der Schnitt geschehen; ein jähriger
Trieb der Haselftaude hat die meiste Kraft. Während des Schnittes
soll man sprechen: „Ich schneide dich, liebe Ruten, daß du mir mußt
sagen, um was ich dich tu fragen und dich solang nit rühren, bis du die
Wahrheit tust spüren." Darnach ward die Rute getauft in der Hl.
Dreifaltigkeit Namen und auf einen der hl. drei Könige.
Sowohl am Vorabend wie am Abend des Dreikönigstages zogen
ehemals Kinder und junge Leute Gaben heischend umher unter Ab-
singen der uralten Dreikönigslieder, auch Sternlieder genannt. Meist
waren drei dabei, die sich als „Könige" hergerichtet hatten und auf
einer Stange einen goldpapierenen Stern trugen. Alte Münchner,
zumal in den Vorstädten rechts der Isar, erinnern sich noch wohl an
das „Ansingen" von Tür zu Tür; fast überall ward gern gespendet
für den frommen Sang. Außerdem aber hat der Dreikönigstag noch
die besondere Bedeutung, daß mit ihm der Fasching beginnt, der bei
der genußfreudigen Münchner Bevölkerung von Alters wie noch heute
sein volles Recht behauptet hat. Es muß jedem auffallen, wie gern
und leicht sich der Münchner in einer Mummerei, einem angenommenen
Charakter bewegt, zumal wenn eine Augenluft sich damit verbindet.
Alle Schichten und Stände sind sich darin ziemlich gleich.
Im 16. Jahrhundert pflegte der Magistrat von München noch
am Sonntag nach Dreikönig eine große nachmittägliche Schlitten-
fahrt zu veranstalten, an der die Bürgermeister, Ratsherren und
Patrizier samt ihren weiblichen Angehörigen teilnahmen. Die Herzoge
mit ihren Familien sahen aus den Fenstern der Neuvefte, später der
Residenz, dem Schauspiel zu und stifteten zu der Mahlzeit, welche her-
nach in der Trinkstube am Marienplah stattfand, das Wildbret, fanden
sich wohl auch bei dem nachfolgenden Tanze persönlich ein. Vom Jahre
1592 an suchte jedoch der Magistrat sich diesem Herkommen zu ent-
ziehen, während offenbar der herzogliche Hof, als einer ihm gebührenden
Huldigung, darauf bestand. Bei Herzog Wilhelm V. entschuldigte sich
der Magistrat im obengenannten Jahre mit der Tatsache, „daß bisher
noch kein Schnee gefallen sei" — bat auch aus diesem Grund um
Ausfallen der diesjährigen Schlittenfahrt, weil „mehrere ihrer Haus-
frauen schwangeren Leibes seien und daher das Herumfahren mit Schlit-
ten auf dem bloßen Pflaster gefährlich für sie fei." Mit Herzog Mari-
milian I. gab es eine längere Verhandlung in Sachen dieser Umfahrt.
Der Herzog ließ dem Magistrat zu Beginn des Jahres 1604 fein Miß-
fallen wegen der unterlaßenen Schlittenfahrt ausdrücken und gab den
Befehl, herum zu fahren, „es schneie oder nicht". Worauf unterm
18. Januar die Ratsherren dem sparsamen Fürsten hinrieben, daß er
* 214 *
ihnen diesmal das Wildbret zum Bürgcrmahl nicht hätte zuordnen
lassen, und daß sie daher geglaubt hätten, er selbst wolle den Brauch
wegen der großen Unkosten abftellen. Sie rechneten ihm darnach die
Ausgaben vor, die auch sie gehabt hätten und baten, die Umfahrt
wenigstens bis zum Vorhandensein einer Schlittenbahn aufzuschieben,
zumal wieder etliche ihrer Hausfrauen krank oder in gesegneten Um-
ständen sich befänden. Es gab noch einiges Hin und Her, bis im De-
zember des gleichen Jahres der Rat dem Herzog auseinandersetzte: sie
(die Ratsherren) hätten nicht finden können, daß das Herumfahren
„aus einiger Schuldigkeit" geschehen, sondern es sei nicht anders, als
eine aus freiem Willen angestellte Ehrenbezeu-
gung. Der „Pöbel" aber habe in letzter Zeit davon spöttlich geredet,
als geschehe es dem Magistrate zum Spott und wegen einer von alters
verschuldeten Strafe. Es fei auch geschehen, daß die alten Geschlechter
merklich abgenommen haben, so daß sie kaum mehr sechs Geschlechts-
personen des Äußeren Rates ersehen können .... und Seiner fürst-
lichen Durchlaucht nur schlechte Ehr' erzeigt werde. Sie bitten daher um
gänzliche Aufhebung dieses Gebrauches. - Im Jahre 1608 ward ihnen
dann vom Herzog das jährliche Herumfahren wirklich für immer erlassen.
Es versteht sich, daß der Hof auch seine eigenen Faschingsfeiern
hatte; namentlich unter Max Emanuel und Karl Albrecht, doch auch
noch unter Max III. Joseph war als höfisches Karnevalsvergnügen
besonders die Nachahmung einer ländlichen Wirtschaft oder Bauern-
hochzeit beliebt. Schon im Februar 1670 unter Ferdinand Maria
stellte des Kurfürsten Schwägerin, Herzogin Febronia, die Wirtin eines
in der Residenz sehr geschickt nachgeahmtcn Wirtshauses dar; der Hof-
raispräsident Fürst von Fürstenberg spielte den Wirt, die übrigen Per-
sönlichkeiten des Hofes figurierten als Dienerschaft oder als Gäste.
Noch lustiger waren die Bauernhochzeiten, welche im Jahre 1719 ihren
Anfang nahmen. Der Hof und der hoffähige Adel, in die verschiedensten
bayerischen Bauerntrachten gekleidet, versammelte sich in Nymphenburg
und fuhr von dort im Schlitten nach München zur Residenz. Dort
stiegen sie ab und begaben sich in den Georgssaal, an dessen Türe ein
Schild mit der Aufschrift „zum bayerischen Löwen" hing. Am Eingang
des Saales wurden sie vom Kurfürsten als Bauernwirt und von der
Kurfürstin als Wirtin empfangen und bewillkommnet, worauf alles
nach Weise einer wirklichen ländlichen Hochzeit, zu der auch Stühle,
Gedeck und alle Äußerlichkeiten stimmten, durchgeführt ward. Die
Tänze waren im bäurischen Geschmack, die Musik bestand aus Geigen,
Dudelsack und Schalmeien, der Hochzeitlader brachte seine ländlichen
Sprüche in Knittelversen vor. Später wurden diese Bauernspiele durch
die mehr und mehr aufgekommenen Schäferspiele verdrängt.
* 215 *
Minder üppig, aber um so lustiger und ungebundener, ging es im
Volke her. Das eigentliche Faschingstreiben zu München entfaltete sich
am letzten Donnerstag im Fasching, dem „unsinnigen Pfinztag". Da
zog alles in Maskengewändern, mitunter derb drolligen Verkleidungen
einher. Typische Figuren waren: der Hansl und die Gretl (auch Dudl
und Bartl genannt), die meist von jungen Burschen der Umgebung dar-
gestellt oder ausgestopft auf einem Karren geführt wurden. Zwei
groteske Bauerngestalten, er mit einem Stock und sie mit einem Korb.
In der Neuzeit fand das in München außerordentlich beliebte „Masch-
keragehen" hauptsächlich in den drei letzten FastnachtStagcn vom Sonn-
tag bis zum Dienstag statt. Ehemals war es am Fastnachtsdienstag
der Brauch, die Fastnacht in Gestalt einer hanswurstmäßig hergerichte-
ten Stroh- und Lappcnpuppe zu verbrennen; später, im München der
Prinzregentenzeit, gab es richtige Fastnachtszüge mit geschmückten Wa-
gen und allerlei witzigen Anspielungen auf jüngste Geschehnisse des
öffentlichen Lebens. Die allbekannten, weithin berühmten Künstlerfefte,
die sich von der Zeit Ludwigs I. bis in die Jahre kurz vor dem Welt-
krieg erstreckten, pflegten den Höhepunkt des Münchner Faschings zu
bilden.
Ein bedeutsamer Tag im Februar ist Mariä Lichtmeß (2. Februar),
an dem das Wachs für die Kerzen und diese selbst geweiht werden. An
diesem Tage soll sonnenloses Wetter sein, nach der alten Wetterregel:
wenn der Dachs an diesem Tage seinen Schatten sieht, schlieft er
wieder für 40 Tage ins Loch. Im übrigen tröstet sich jedermann, daß
die kurzen Tage zu Ende sind, denn bis Neujahr wächst der Tag einen
Hahnenschritt, bis Dreikönig einen Mannschritt, bis Sebastian (20.
Januar) einen Hirschensprung und bis Lichtmeß eine ganze Stund.
„Lichtmeß tut bei Tag eß", lautet ein bayerischer Spruch, der sich auf
das ehemals übliche Nachtmahl um 6 Uhr bezieht, das an diesem Tage
schon ohne künstliches Licht eingenommen werden konnte.
Der Aschermittwoch macht heute wie ehemals dem Faschingstreiben
ein Ende. Im Brunnen am Marienplah wäscht nach drolligem alten
Brauch manch Einer den leeren Geldbeutel aus. Die bis Mitternacht
gelacht und getollt haben, werden früh in der Kirche mit dem Aschen-
kreuz an der Stirn bezeichnet und vernehmen die alte, ernste Wahrheit:
„Gedenke Mensch, daß du Staub bist und zum Staub zurückkehren
wirst!"
Die nun angebrochene Fastenzeit, die stille und hoffnungsreiche, wurde
und wird bekanntlich unterbrochen durch die Bock- und Salvatortage
mit ihrer derben Genußfreude. Fällt Ostern sehr früh, so kann der Aus-
schank der beiden berühmten Starkbiere in die Festzeit kommen; meist
aber sind sie das, was sie auch heißen: Fastenbiere. Inzwischen regt
sich schon überall das Walten des Frühlings: an Mariä Verkündigung
(25. März) kommen die Schwalben wiederum; der verschiedenen Früh-
jahrsbräuche und Frühjahrskuren ist bereits gedacht worden. Die wackere
Münchner Hausfrau läßt vor Ostern ihr Heim gründlich „stöbern"
(groß reinemachen), wie das auch im Herbst geschieht; hauptsächlich aber
nahm und nimmt die Sorge um den Schmuck der Seele, den die hohe
kirchliche Festzeit bedingt, die Gemüter in Anspruch. Am Palmsonntag
früh drängt sich jung und alt zur Palmenweihe. Die ersten jungen
Zweige und Triebe der Palmweide mit ihren grauen, sammetnen Kätz-
chen werden entweder als Sträuße oder in künstlicher Form um den
geschälten Stab einer Hasel gebunden, nach der Weihe heimgetragen
und daheim in der Wohnstube, meist im sogenannten Herrgottswinkel
(wo das Kruzifix hängt), aufbewahrt. Bei Ungewittern ein Stück der
geweihten Palmen auf dem Herdfeuer zu verbrennen, galt als Schutz
gegen Blitzschlag.
Am Gründonnerstag läuten bekanntlich die Glocken der katholischen
Kirchen zum letztenmal. Nach altem Volksglauben, der noch lange Zeit
in der Vorstellung namentlich der Kinder haften blieb, reisten die
Glocken in der Nacht nach Rom, um ihren Teil von dem Segen zu
empfangen, den der Papst am Karfreitag spendet; in der Nacht vom
Freitag auf den Samstag flogen sie dann wieder heim. Während die
Glocken schweigen, wird mit der „Ratsche", einer Art hölzerner Klap-
per, zum Gottesdienst gerufen. Eine Weibsperson, die mit ihrem
Sprechwerk allzu ausgiebiges Geräusch macht, bezeichnet der Münchner
Volksmund als „Karfreitagsratschen". Am Vormittag des Grün-
donnerstags werden in der Kirche die heiligen Ole geweiht; den
„12 Aposteln" (ehrbaren bedürftigen Greisen) wusch ehmals der König
die Füße und beschenkte sie; das Gleiche tut jetzt noch der Erzbischof,
wie auch in allen Klöstern die Fußwaschung ftattfindet. Daß am Grün-
donnerstag mittags eine grüne Suppe („Kräutlsuppe") verzehrt wird,
ist wohl überall Brauch. Nachmittags strömen die Andächtigen zu den
heiligen Gräbern, die bis zum Karsamstag in allen Kirchen errichtet
und mit bunten Lampen (Grabkugeln), Blumen und Kerzen geschmückt
sind. Am Karfreitag ward ehemals ziemlich allgemein gearbeitet; jetzt
bürgert sich in München mehr und mehr der Brauch ein, geräuschvolle
häusliche Arbeiten zu unterlassen, um die weihevoll trauernde Ruhe
des Tages nicht zu stören.
Der Karsamstag Morgen war in Alt-München fröhlich bedeutsam
dadurch, daß sich zumal die Knaben jeder Gemeinde in aller Frühe zur
Feuerweihe einfanden. Dies Feuer, das auf dem Kirchhofe oder in der
Vorhalle der Kirche entfacht und vom Priester geweiht wird, dient
dazu, um daran zuerst die dreiarmige Kerze, die das Sinnbild der Drei-
* 216 *
* 217 *
faltigkeit ist, hernach die Osterkerze, die den auferstandenen Christus
bedeutet, anzustecken. Wer an diesem geweihten Feuer ein Holzstück,
Reisigbündel oder was immer Brennbares anzündet, trägt sich damit
den Segen nach Hause. Drum hatten die Buben und jungen Burschen
es eilig, die am Osterfeuer entzündeten Scheite heimzubringen, wenn
möglich brennend, wofür sie dann ein kleines Geschenk (Ostereier oder
dergleichen) erhielten. Auch alte Reime wurden bei dem Lauf gesungen.
Hier und da in den Münchner Vorstädten besteht der Brauch noch.
Gegen Abend wird, nachdem zuvor die „Auferstehung der Glocken"
in gleichzeitigem weilhallenden Geläut stattgefunden, die Auferstehung
des Herrn gefeiert, wobei in früherer Zeit tatsächlich ein wächsernes
oder hölzernes Heilandsbild, mit der roten Osterfahne in der Hand,
überm Altar emporgezogen ward. Jetzt geschieht dies nur noch in länd-
lichen und einzelnen klösterlichen Kirchen; aber die Osterwonne, die aus
aller Augen strahlt, ist darum nicht geringer.
Wer einem Nahestehenden eine Ostergabe reichen wollte, stand ehe-
dem recht früh am Ostersonntag auf und brachte ein Körbchen voll
leckerer Dinge in die Kirche, wo bei der ersten Messe die Speisen ge-
weiht werden. Da standen, resp. lagen nebeneinander das Tüchel, in
das etwa ein alter Austrägler die von ihm zu verschenkenden Eier ge-
bunden und der Korb mit Osterschinken, Ofterfladen, Eiern und sonsti-
gen Leckerbissen, den eine begüterte Hausfrau ihren Gefreundeten zm
gedacht hatte. Erft die Nahrungsknappheit der letzten Jahre hat den
schönen Brauch eingeschränkt. Von geweihten Speisen (vom „Geweich-
ten" heißt eö kurzweg) dürfen Reste und Abfälle nie weggeworfen
werden: auf dem Herdfeuer werden sie verbrannt, damit der Segen
beim Hause bleibe. Die liebe Jugend ergibt sich mit Eifer dem Spiel
des „Eierspeckens", indem zwei Kinder je ein buntes Osterei in der
Hand halten und diese gegeneinanderklopfen; wessen Ei dabei zerbricht,
der hat verloren und muß es dem anderen abtreten. So umgeben
freundliche und neckische Bräuche das hohe Auferstehungsfest. Sogar
die Sonne soll nach altem Glauben am Ostersonntag, wenn sie aufgehl,
drei Freudensprünge tun. Das Wasser, das jemand an diesem Tage vor
Sonnenaufgang in heiligem Schweigen aus einem Bach oder Fluß
schöpft, gilt als heilsam.
Das Fest Christi Himmelfahrt schließt die Ofterzeit kirchlich ab.
Altmünchnerische und überhaupt altbayerische Sitte war es, an diesem
Tage wieder eine, den Heiland darstellende Figur durch das Kirchen-
dach hinaufzuziehen. Etliche gaben dabei immer scharf acht, nach welcher
Himmelsrichtung das Heilandsbild sein Antlitz gewendet hielt, denn
daher sollten im Sommer die meisten Gewitter kommen. In München
aber hatte dieser Brauch noch ein Vorspiel. Am Vorabend des Himmel-
fahrtötageS vermummte irgend ein „Bacchant" oder „Vagant" (fahren-
der Gesell) sich als Teufel und wurde von etlichen, die als „Druden"
ebenfalls greulich hergerichtet waren, mit Krücken und Ofengabeln
unter Hallohgefchrei durch die Stadt gehetzt bis in die Hofburg, wo
man ihm zu trinken gab. Darnach ward die Teufelsverkleidung ihm
ausgezogen, fein mit Heu und Stroh ausgestopft, und diese Figur hing
über Nacht an einem langen Strick aus dem Fenster des einen Frauen-
kirchturmö heraus. Wenn dann am Himmelfahrts-Nachmittag die
Gestalt des Herrn emporgeschwebt war, warf man die Teufelspuppe
von der Höhe des Gewölbes herab, als ein Zeichen, daß der Fürst der
Finsternis durch den Heiland überwunden fei. Dann schleiften die
Buben die Teufelspuppe vor die Stadt auf den Gafteig, wo sie unter
Lärm und Jubel verbrannt wurde.
Ein durchtriebener Schalk vom Hofe Herzog Wilhelms IV., mit
Namen Liendl Lautenschlager, führte einst den Streich aus, den
„Herrgott", der gen Himmel fahren sollte, vorher aus der Frauenkirche
zu entwenden und mit ins Wirtshaus zu nehmen, wo er ihn hinter
den Tisch setzte und ihm fleißig zutrank. Das Ding ward ruchbar und
die Heilandsfigur ward zur Himmelfahrt in die Kirche zurückgebracht,
Liendl aber wegen seines Frevels zur Verantwortung gezogen. Er gab
an: er habe ja nur „die Letz" getrunken mit unferm Herrn, damit es
der ihm einst vergelte und im Himmel ihn freihalte. Der Herzog
verwies ihm streng seinen unzeitigen Scherz: mit dem Teufel könne
er Schwank treiben, nicht aber mit unferm Herrgott. Darauf ging
Liendl am nächsten HimmelfahrtStag hin und bemächtigte sich der vom
Frauenturm herabhängenden Teufelspuppe und stellte sie nächtlicher
Weile an den Pranger, nachdem er ihr noch einen schönen Fuchspelz,
den er unter anderem Vorgeben von seinem Wirt entlehnt, angezogen
hatte. Der Streich kam alsbald auf; Liendl jedoch, wiederum verklagt,
redete sich frischweg auf den Herzog aus, der ihm im Vorjahr befohlen
habe, künftig mit dem Teufel Scherz zu treiben. Diesen Schelmen-
streich hat kein Geringerer in Versen verewigt, als der teure Meister-
singer Hans Sachs, der 1514 während seiner Wandcrzeit sich in
München aufhielt. (Hans Sachs hat außer diesem Schwank noch
andere auf München bezügliche Dichtungen und einen gereimten Lob-
spruch auf die Münchnerstadt verfaßt.)
Bald nach dem Himmelfahrtötage ist wiederum „Pfingsten das
liebliche Fest" gekommen, wo alle Kirchen mit Maien (jungen Birken)
geschmückt und die Altäre mit Pfingstrosen geziert sind. Auch der häus-
liche Tisch prangt mit Blumen und Grün. Vormals hielt zu München
— (ein Brauch namentlich der Handwerksgesellen und Lehrlinge) — der
„Pfingstlümmel" oder „Wasservogel" seinen Umzug, eine ganz in
* 218 *
* 219 *
Grünwerk vermummte Jungemannsfigur zu Pferde, von andern fungen
Burschen zu Fuß oder zu Pferd umgeben. Er sagte seinen alten, in
verschiedenen Fassungen üblichen, Spruch auf und wurde mit Eß-
waren, auch mit etwas Geld beschenkt. Bis gegen Ende des 18. Jahr-
hunderts pflegten auch aus der Umgebung Münchens junge Bauern-
burschen beritten nach München zu kommen, wobei sie zwei ausgestopfte
groteske Figuren, HanS und Grell genannt, herumführten. Diese
Figuren waren an den entgegengesetzten Enden eines umlaufenden
RadeS befestigt, reichten einander wie zum Tanz die Hand und wurden
von ihren Führern vor jedem Wirtshaus unter Hersagen eines gereimten
Spruches, sowie unter großem Jauchzen und Johlen der Zuhörer vor-
geführt. Das allzu ausgelassene Gebaren der Burschen bei Übung dieser
Pfingstbräuche war schuld, daß das „Pfingstlreiten" verboten ward.
Da um Pfingsten die Zeit der Firmungen ist, herrscht große Nach-
frage nach Firmpaten. Diese Würde ist zwar minder verantwortungs-
voll als die Taufpatenschaft, doch kann sie stets nur einer Person
und zwar vom selben Geschlecht wie der Firmling übertragen werden.
Das mit dem größten Prunk und Aufbietung aller künstlerischen
Kräfte begangene Kirchenfest im alten München war die Fronleich-
namsprozession. Ihren Höhepunkt erreichte die Ausgestaltung dieses
Festes unter Herzog Wilhelm V., der seinen Rat, den Lizenziaten
Müller, einen Freund Orlando di Lassos, zum Generaldirektor der
Prozession bestellte. Wochenlang vorher erwog im Verein mit diesem
eine Anzahl von Hoftheologen, Hofbeamten, Mitgliedern des Stadt-
rates und erfahrenen Werkleuten alle Vorbereitungen. Gebete um
schönes Wetter wurden angeordnet und durch Almosen unterstützt. Fast
sämtliche Figuren des Alten und Neuen Testaments wandelten in
Gruppen vorbei. Gottvater selbst erschien als würdige, bejahrte
Mannesgestalt mit langem grauem Barte; ein ähnlich ehrwürdiges
Ansehen mußten die Patriarchen und Propheten haben, während die
Hohenpriester und Pharisäer feiste, aufgeblasene Gesichter und künstlich
ausgestopfte Bäuche zur Schau trugen. Sechzehnmal im Zuge trat
die Gestalt der Gottesmutter Maria auf: die auf dem Esel Sitzende
bei der Flucht nach Ägypten mußte das längste Haar, die als schmerz-
hafte Mutter Auftretende verweinte Augen haben. Hiob, auf dem Miste
sitzend, kratzte sich von Zeit zu Zeit mit Scherben; Jonas, der Prophet,
dargeftellt durch einen kecken, gewandten Buben, schlüpfte an bestimm-
ten Straßenecken in seinen Walfisch hinein und an anderen wieder
heraus. Die Pharaonen durften in kostbaren Schlafröcken aus dem
Nachlaß Herzog Albrecht V. prangen, mußten aber, wenn sie trinken
wollten, zur Vorsicht ein „Tifchfazinetl" (Serviette) vornehmen. Bei
den neunzig Engeln hatte der Generaldirektor sehr darauf zu achten,
* 220 *
daß nicht etwa einflußreiche Eltern ihre unansehnlichen Knaben unter
die holdselige Schar hineinschmuggelten; überhaupt ward dem wackeren
Manne das Leben so sauer gemacht, wie nur irgend einem heutigen
Theaterintendanten, und er mußte ernstlich darauf Hinweisen, daß das
Mitwirken an diesem gottseligen Werk gleich verdienstlich sei, ob eines
nun eine hervorragende oder geringere Rolle spielte.
Der Eindruck so vieler wohlgebildeter und schöngewandeter Gestalten
hat übrigens hie und da (wiewohl diese Ausgestaltung der Prozession
auch zahlreiche Gegner fand) sehr anmutige Wirkungen gezeitigt. So
hatte Lizenziat Müller einmal für die Darstellung der Rebekka am
Brunnen die Köchin eines angesehenen Münchner Hauses mit Namen
Veronika, die „ein schönes, wohlbetendes und gottesfürchtiges Mensch
war", erkoren. Die sah ein vermöglicher Handelsmann aus Bozen, der
zum Zusehen gekommen, und fand solches Gefallen an ihr, daß er sie
vom Fleck weg heiratete.
Die hübscheste und bekannteste Geschichte, die sich an jene prunk-
vollen Umgänge knüpft, ist Müllers Erzählung von der Prozession des
Jahres 1584, wo morgens um 4 Uhr ein schreckliches Wetter losging
— der Generaldirektor erhob sich an diesem Tage stets um halb zwei
Uhr — und auch zu Beginn der Prozession der Himmel jeden Augen-
blick mit Regen zu drohen schien. Im Augenblick aber, als das Aller-
heiligste aus der St. PeterSkirche herausgetragen ward, und Meister
Orlando di Lasso seinen „herrlichen, wohlkomponierten, lieblichen Ge-
sang ,Gustafe ed videte1" anheben ließ, brach die Sonne hervor und
schien während der ganzen Prozession zur innigsten Freude des Lizen-
ziaten Müller, sowie auch des Fürsten und aller Teilnehmer. Erft nach-
dem die Prozession vorüber war, fing eS wie mit Schäffeln zu gießen an.
Gut Wetter am Fronleichnamslage gilt auch der Ernte wegen für
wünschenswert, denn „Corpus Christi hell und klar, deutet ein gutes
fruchtbares Jahr."
Am Fronleichnamstag sind selbstverständlich auch heute die Straßen,
welche die feierliche Prozession durchschreitet, mit grünen Birken be-
steckt; bunte Decken und Teppiche hängen aus den offenen Fenstern der
Häuser, in reichem Blumenschmuck prangen die im Freien aufgerichteten
Ältäre, an denen die vier Evangelien gelesen werden. Und wenn schon
vom Bilderreichtum der früheren Zeit so gut wie nichts geblieben ist,
tut der Anblick der hohen und höchsten geistlichen Würdenträger, das
Mitgehen der Bruderschaften und katholischen Studentenkorporationen,
der lieblichen weißgekleideten Kinder und jungen Mädchen immer noch
seine Wirkung. Nach der Prozession stürzen die Zuschauer, die jugend-
lichen zumal, sich auf die straßenschmückenden Bäume und reißen sie in
Stücke, um ein Zweiglein mit heimzutragen.
* 221 *
Bald hinter dem Lorpu8 Okristi-Tag kommt Johannes des Täu-
fers Tag mit seinem lohenden Feuerzauber. Vom Sonnwendfeuer zu
München ist schon erzählt worden; wer darüber sprang unversengt, galt
für ein Jahr als gegen Fieber gefeit. Wer durch den Kranz, den er beim
Tanzen um das Feuer getragen hatte, hindurch ins Feuer sah, den
befiel angeblich kein Augenweh; ein noch glühender Brand vom Subend-
seuer sollte ein Feld, in das er gesteckt wurde, vor Hagelschlag schützen.
Gegen solchen Aberglauben trat schon frühzeitig die Kirche auf; doch
erhielt der Brauch des Sonnwend- oder IohannisfeuerS sich zu Mün-
chen bis ins achtzehnte Jahrhundert, bis wiederholte polizeiliche Ver-
bote ihn als feuergefährlich abstellten. Wunderschön anzusehen sind die
Bergfeuer am Johannisabend, die, auf einer Anhöhe oder Bergkuppe
entzündet, wie große Sterne die Nacht erleuchten. Durch Hinein-
schauen in ein fließendes Wasser, in der St. Iohannisnacht unter An-
rufung des Heiligen, hoffen junge Dirnen ihren künftigen Liebsten zu
erblicken. Wasser, das schweigend in der Frühe des Johannistages aus
einem dem heiligen Täufer geweihten Brünnlein geschöpft wird, soll
gleiche Heilkraft haben, wie das am Morgen des Ostersonntags geholte.
Wer sich des Tages noch besonders freut, sind die Jäger und die Wil-
derer, denn zu Johanni geht die Jagd auf.
An den Johannitag knüpfte sich zu München ein alter Handwerks-
brauch, der bis zu Anfang des 19. Jahrhunderts bestanden hat. Die
Lehrlinge der Schmiede und Schlosser trugen nämlich an diesem Feste
eine kleine als Schmied gekleidete Puppe, je zu vier und vier, herum.
Vor den Häusern ihrer Kunden schnellten sie die Puppe auf einem
Leintuch auf und nieder, was man das „Jackelschutzen" hieß: Dazu
sangen sie:
Wir schützen den Jackl in alle Höh',
Daß ihm's Weiß in 'n Augen vergeh'.
Eins, zwei, drei.
Der Jackl, der hat a groß' Paar Augen,
Der taugt uns wohl zum Geld aufklauben.
Eins, zwei, drei.
Der Jackl, der hat a große Nas'n,
Die taugt uns gut zum Feuer anblasen.
Eins, zwei, drei.
Der Jackl ist gar hochgeborn,
Hat wenig Hirn und lange Ohrn.
Eins, zwei, drei.
Natürlich empfingen sie von den Kunden für das Jacklschutzen ein
kleines Geschenk. Der Name soll sich herleiten von dem großen Schmied-
hammer, den die Schlosser und Schmiede „Jackl" nennen.
Auf Johannitag folgt der Festtag der Apostelfürsten Peter und Paul
(29. Juni), der zwar vom Städler auch mit Besuch der Gottesdienste
und Rasten von der Alltagsarbcit gefeiert wird, doch nicht so eifrig wie
auf dem Lande, wo die zwei hohen Apostel als besondere „Wetter-
herren" geehrt sind.
An Mariä Heimsuchung (3. Juli) hat es Jedermann nicht gern,
wenn es regnet, denn sonst regnet es drei Wochen lang. „Wie unser
liebe Frau übern Berg geht" - (naß oder trocken) — „so geht sie
wieder zurück."
So lange die Frucht auf dem Felde steht, sind Prozessionen und
Bittgänge in Münchens Umgebung häufig, um Regen und Sonne, Ge-
deihen des täglichen Brotes zu erflehen. Desgleichen ist der Sommer
die Zeit der meisten Wallfahrten. „Mit dem Kreuz gehen" heißt das
Wallfahrten auf altbayerisch, und die Wallfahrer heißen auch „Kreuz-
leut". Von berühmten Gnadenorten nahe bei München steht schon an
anderen Stellen dieses Buches zu lesen. Ein Haupttag, um nach Maria
Eich oder gar zur Muttergottes von Altötting zu wallen, ist der „Groß-
frauentag", nämlich Mariä Himmelfahrt (15. August). Nichts ist
holder, als die an diesem Tage in allen Kirchen schimmernde bunte
Blumenfülle, denn an Mariä Himmelfahrt werden Blumen und
Kräuter in großen Buschen und Körben zur „Kräuterweihe" gebracht.
Die schönsten Blüten des Spätsommers umduften den Altar; heilsame
Kräuter — heißt es — haben besondere Heilkraft in dieser Zeit, wie
auch die giftigen oder für giftig geltenden Tiere und Pflanzen in ihr
die giftige Eigenschaft verlieren.
Mit Mariä Himmelfahrt, dem schon erwähnten Großfrauentag, be-
ginnt der „Frauendreißigft". Etliche Bäuerinnen, auch Städterinnen,
hangen fest an der Meinung, daß die während des „Dreißigft" ge-
legten Hühnereier sich besser halten als alle übrigen, wie ja auch die
Küchenkräuter in dieser Zeit am besten seien. Der „kleine Frauentag",
Mariä Geburt (8. September), schließt den Dreißigst ab und schließt
die schöne Jahreszeit, denn „an Mariä Geburt ziehen die Schwalben
furt". Dem kleinen Frauentag vorher geht noch das Erntedankfest,
nachdem das „tägliche Brot" glücklich in Scheunen und Vorratsräumen
geborgen ist.
Die in den Herbst fallende Kirchweih bringt fett gebackene Schmalz-
nudeln und die rösch gebratene Kirchweihgans. Die Hauptfreuden des
Herbstes sind übrigens dann für den Münchner alter und neuer Zeit
eigentlich schon vorüber, da das vierzehn Tage währende „Oktoberfest",
der Kirchweih voraufgeht. Dies Fest, von König Max I. eingeführt,
hat als Zweck und Ursprung eine Ausstellung der Landwirtschaft Bay-
erns, zumal des heimischen Viehstandes. Die besten Tiere inländischer
* 222 *
* 223 *
Zucht erhalten Preise, deren Verteilung ehemals vor dem weißblau
gestreiften, inmitten der Therefienwiese errichteten KönigSzelt stattfand.
Es kamen drollige Szenen dabei vor, wie z. B. daß ein Bäuerlein dem
verstorbenen Prinzregenten Luitpold die Hand dankbar schütteln, oder
ein etwas protziger Großbauer nach der Prämierung seines Stieres
dem ersten Bürgermeister von München ein Trinkgeld geben wollte.
Wettrennen von tüchtigen Bauerngäulen finden statt, auch Preisschie-
ßen um eine Ehrenscheibe und eine Menge von Volksbelustigungen,
wie eine solche Gelegenheit sie mit sich bringt. Der erste Sonntag im
Oktober war der Haupttag: da bewegte sich der Feftzug, in dem auch
heute alle möglichen Münchner Vereine und ländliche Trachten vertre-
treten sind, auf die von Menschen wimmelnde Festwiese zu Füßen der
ehernen Bavaria. Die Budenstadt, die sich da ausbreitet, gewährt
einen nahezu phantastischen Anblick; es duftet nach Eß- und Trinkba-
rem von aller möglichen Art. Das Fest dauert noch eine Woche nach dem
Hauptsonntag; dann beginnt, nach nur achttägiger Ruhepause, die
Herbftdult (Michaelidult) in der Vorstadt Au, wo man ehemals die
schönsten alten Stoffe, Geräte, Bücher um ein Spottgeld kaufte.
Heute sind alle diese Dinge dort so teuer, wie sie auf allen Messen und
Märkten und in sämtlichen Trödlerläden sind. —
Mählich wird es still in Stadt und Land. Über die kahle Erde pfeift
der kalte Wind. Das ernsteste Fest des Jahres naht: Allerheiligen-
Allerseelen. (I. und 2. November.)
Am letzten Oktober schon stehen viele Gräber geschmückt; es wimmelt
und hastet zwischen den Grabfeldern, durch die Kirchhofsportale. Lam-
pen und Kerzen werden herbeigetragen, die letzten Herbstblumen als
Kränze und Sträuße über die Hügel ausgestreut. Es fällt oft schon
der erste Schnee um diese Zeit, wenn der Geistliche im Rauchmantel,
mit dem Weihwedel den Gang um die Gräber antritt. Liegt viel
Schnee, so sagte man ehemals, daß im kommenden Jahre viel Wöch-
nerinnen sterben würden. Der alte Aberglaube, daß der, welcher in der
Allerseelennacht um zwölf Uhr sich auf den Friedhof oder auf einen
Kreuzweg stellt, die Toten des künftigen Jahres vorbeiziehen sieht, ist
bekannt. Altbayerischer Glaube ist außerdem: die in der Fremde begra-
ben liegen, kommen in der Nacht vor Allerseelen an ihren Heimatort
geflogen, um am Libera und Segen auf dem heimischen Gottesacker
ihren Anteil zu haben. Noch eine alte Überlieferung erzählt von den
nächtlichen Gottesdiensten der abgeschiedenen Seelen in Kirchen und
Domen. Die Nacht vom l. auf 2. November gibt alle Geister frei.
Fährt der Wind heulend und mit unheimlicher Macht einher, so hören
feine Ohren das Klagen der abgeschiedenen Seelen heraus. In alten
Zeiten war es Brauch, den armen Seelen Speise hinzustellen; wer
* 224 *
ihnen diese wegaß, mußte noch im selben Jahre sterben, dafern er nicht
durch eine besondere Guttat einer armen Seele aus dem Fegfeuer
half. Besonders verdienstlich sind Gebete und Liebeswerke für das Heil
der allerärmsten Seele, deren sonst Niemand mehr gedenkt.
Am 25. November ist in München in vielen Gasthäusern „Kathari-
nentanz", weil hernach, im Advent, die fromme Vorbereitung auf die
Ankunft des Gotteskindes solche Vergnügungen nicht zuläßt. Daher
der Spruch: „Sankt Kathrein stellt's Tanzen ein."
Advent! — Im „Engelamt" in der dunklen Frühe tönt der alte
flehende Gesang: „Tauet Himmel den Gerechten, regnet Wolken ihn
herab! Auf tue sich die Erde und sproße den Heiland!"
Dem von den Kleinen so sehnlich erwarteten Christkind geht noch
ein Gabenspender voraus, der Nikolaus oder Niklo am 6. Dezember.
Nach alter Sitte erschien er als heiliger Bischof, meist beritten, weiß-
gewandet mit goldenem Hauptschmuck; als finsterer Gefährte schritt
ihm der haarige, ungefüge Klaubauf zur Seite. Heutzutage kommt,
um Fleiß und Betragen der Kinder zu prüfen, ehrwürdig im langen
Bart und Pelzrock der „Niklo" mit Sack und Rute, macht aber von
der letzteren selten Gebrauch, schüttet hingegen fleißig den süßen In-
halt des ersteren aus. Alle Bäcker-Schaufenster Münchens liegen voll
eßbarer Nikolausfiguren aus Marzipan- und Lebkuchenteig, zum Teil
nach entzückenden alten Modeln, zum Teil grotesk modern: Teufel,
Bauernweiber, Bergfexn und dergleichen.
Eine anmutige Art, das Schicksal zu befragen, bringt kur; vorher
der Tag der heiligen Barbara, der 4. Dezember. Überall wurden und
werden an diesem Tage „Barbarazweige" feilgeboten, d. h. Zweige
vom Flieder, vom Kirschbaum, der Kastanie usw., die schon Augen an-
gesetzt haben. Die stellt man in laues Wasser in einen warmen Raum
und tut bei jedem Zweig einen heimlichen Wunsch. Hat der Zweig bis
Weihnacht Blüten getrieben, so geht der Wunsch in Erfüllung.
Die drei letzten Sonntage vor dem Christfest hießen ehemals: der
„kupferne", der „silberne" und der „goldene"; an allen dreien durf-
ten die Verkaufsläden geöffnet fein.
Im alten München hieß der Abend des letzten Donnerstages vor
Weihnachten „die Klöpfleinsnacht". Es war üblich, daß die Dienst-
mägde bei den Krämern, Bäckern und sonstigen Gewerbsleuten, wo sie
das Jahr über einkauften, desgleichen die Lehrlinge bei den Kunden
ihrer Handwerksmeister, ein kleines Geldgeschenk oder auch Lebkuchen,
Kletzenbrot und Ähnliches erhielten. Dabei sagten oder sangen sie
folgenden Spruch:
15
* 225 *
„Hollah, Hollah, klopf an!
D' Frau Hot an scheanen Mann.
Geit mir d' Frau a Küchl zum Lohn,
Daß i an Herrn gelobt hon;
A Küchl und an Zelten.
Da Peter wirdS vergelten;
Da Peter is a heil'ger Mann,
Der alle Ding vergelten kann."
Womit gesagt sein sollte, daß St. Peter, der Himmelspförtner, der-
einst den Mildtätigen mild vergelten und ihnen die Himmelstüre öff-
nen werde.
DaS „Klöpfeln" auch „Anfingen" ward außerdem sowohl an den
Abenden vor Weihnachten, wie in der ganzen Zeit zwischen Weihnacht
und Dreikönig geübt. Anklopfend und die alten schönen Weihnachts-
lieder singend, zogen Kinder und junge Leute von Haus zu HauS, wur-
den überall reich beschenkt. „Halloh, halloh, Klöpflesnacht 1 Wer nir
gibt, der iS nit brav", riefen sie strafend an den Häusern empor, wo
ihnen nicht alsbald aufgetan ward. Jetzt ist der Brauch nur noch hie
und da auf dem Lande lebendig.
Mit zahlreichen Wundern schmückte die Volksphantasie ehedem die
gnadenreiche Weihnacht aus. Um Mitternacht sollten an den dürren
Asten der Obstbäume goldene und silberne Blüten aufsprießen; aus
dem Brunnen sollte lauterer Wein rinnen, aber dem Vorwitzigen, der
absichtlich deswegen von der Christmette daheimblieb, konnte es übel
ergehen. Ein Schlemmer und Trunkenbold erpaßte die Mitternacht,
um gierig an den nächsten Brunnen zu eilen und deffen Strahl sich
ins Maul laufen zu lasten. „I schmeck an Wein", schrie er beglückt,
und - „du bist mein", ergänzte der Teufel, der schon lange auf ihn
gelauert hatte und nun mit ihm davonfuhr. Um Mitternacht soll auch
das Vieh im Stalle menschliche Sprache erhalten und die Zukunft
offenbaren können.
Da sehr viele Münchner zur Christmette gehen, sind die Straßen
Münchens gegen Mitternacht so belebt, wie am Tage. Das Schießen
aus Freude ist lange abgekommen; daegegen ist in jüngster Zeit die
alte Sitte des nächtlichen Blasens vom Kirchturm wieder neu belebt
worden. Auf den Friedhöfen, obschon diese jetzt weit außerhalb der
inneren Stadt liegen, geht es am hl. Abend lebhaft zu. Tannen-
bäume und Lichterkronen brennen auf vielen Gräbern, ein Zeichen,
daß die Liebe nimmer aufhört.
Wie schon erwähnt, fand in München am zweiten Weihnachtsfeier-
tage, dem Tage des Erzmärthrers Stephan, der Stephansritt statt.
Denn dieser Heilige ist, außer dem heiligen Leonhard und dem heiligen
Wendelin, der Hauptpatron für das Vieh, zumal für die Pferde. An
seinem Feste ließ man darum den Pferden zur Ader oder ritt sie um
eine Stephanskirche herum, wie dies in München um die StephanS-
kirche des alten (südlichen) Friedhofes geschah.
Die Nächte zwischen Weihnachten und Dreikönig führen gemein-
sam den Namen „Rauhnächte" oder „Rauchnächte" und gelten sämt-
lich als zum „Löffln" geeignet. Um z. B. zu erfahren, ob ein Verschol-
lener noch am Leben ist, bindet der Fragende in einer der Rauhnächte
einen Ring an einen Faden und nimmt diesen zwischen die Finger,
indem er sich vor den Tisch stellt. Auf den Tisch sind ein Stück Brot
und ein Häufchen Erde gelegt; neigt nun der zwischen den Fingern
baumelnde Ring sich nach dem Brot, so lebt der Verschollene noch — i
im andern Falle ist er tot. Vollends am letzten Tag des alten und er-
sten Tag des neuen Jahres, tritt alter Brauch und Glaube, auch
Aberglaube in sein Recht. Nachdem in den Kirchen feierlicher JahreS-
schluß stattgefunden hat, gibt eS allerorten fröhliche Silvesterfeiern mit
Punsch und Krapfen. Auch wird mit großem Lärm um Mitternacht
das neue Jahr angeschoffen. Aber daheim im Stübchen legt vielleicht
Mancher oder Manche sich einen geweihten Gegenstand unter das
Kopfkiffen, weil es heißt, daß einem dann das Erleben des neuen
Jahres träumt. Oder ein Mädchen übt einen von den schicksalskünden-
den Bräuchen, die in der Silvesternacht gang und gäbe sind. Eine
Art, um zu erforschen, welcher Art der künftige Gatte sein würde,
war folgende: Am Neujahrsmorgen stellte sich das Mädchen früh vor
die HauStüre, einen vom Christabend aufbewahrten Apfel schälend.
Wer dann zuerst vorbeiging, ein Schuster, Schloffer, Schreiber usw.
aus deffen Stande sollte ihr Liebster sein. Es galt und gilt auch noch
für wichtig, wer Einem am ersten Januar zuerst begegnet. Alte und
Kranke sollen Unglück bringen, Kinder und junge, schmucke Leute
Glück.
Das Neujahrsingen ist, wie überhaupt das Singen und Klöpfeln
dieser Festzeit, aus München verschwunden; ehemals war es allge-
meiner Brauch. Die schönen alten Lieder, die dabei gesungen wurden,
bezogen sich alle auf die gnadenreiche Geburt des göttlichen Kindes,
auf das neue Jahr, „das uns hereingeht", außerdem enthielten sie
Wünsche für sämtliche Hauögenoffen. Solch ein Lied möge hier am
Schluffe im Auszug stehen:
„Wir treten einher ohn' alles Gefahr,
Wir wünschen euch Allen ein glückseligö Neujahr,
Ein neues Jahr, eine gute Zeit,
* 227 *
* 226 *
Die uns Gott Vater vom Himmel geil.
Wir wünschen Euch einen goldenen Tisch,
An jedem Eck ein' gebackenen Fisch
Und in der Mitten ein GläSlein Wein,
Das soll euch wohl bekommen sein!
Wir wünschen euch zum neuen Jahr
Ein neugeborns Christkindl mit krausem Haar.
Wir wünschen Gesundheit für Klein und Groß,
Gott behüt' eure Truhn, eure Rinder und Roß;
Und daß wir aufs Jahr wieder kommen gegangen,
Und daß wir uns Alle mit Freuden empfangen.
Sprecht Amen, sprecht Amen! das werde wahr:
Gott führ' uns allsammen zur himmlischen Schar!
Benutzte Literatur:
Otto Aufleger und Karl Trautmann »Alt-München in Bild und Wort'
(München 1897).
Max Buchner »Studien zur Vorgeschichte Münchens" (Histor.-polit. Blätter
für d. kathol. Deutschland. Iahrg. 16)).
Michael Doeberl „Entwkckelungsgeschtchte Baierns" (München 1912).
Th. Dombart „Schwabing. Briefliche Plaudereien" (München 1913).
3. M. Forster »Das gottselige München" (München 189)).
August Hartmann »Weihnachtsspiel und Weihnachtslked kn Oberbayern"
(München 187)).
Max Hauttmann und Hans Karlknger »Bayerisches Wanderbuch
(München 1922).
Karl Theodor Hekgel »Die Wittelsbacher" (München 1880).
Karl Theodor Heigel »Das Tagebuch Kaiser Karls VII." (München 1883).
Karl Theodor Heigel „Zkymphenburg" (Bamberg 1891).
?. Emmeram Hetndl O. 5. B. „Der heil. Berg Andechs" (München 189)).
Otto Jahn „W. A. Mozart" (Leipzig 18)6).
Moritz v. Lasser „Der neue östliche Friedhof zu München (München 1902).
Anton Mayer „Die Domklrche zu U. L. Frau in München" (München 1868).
Josef Maria Mayer »Münchener Stadtbuch" (München 1868).
Joseph Meyer „Was das Münchener Kindl erzählt" (München 1922).
Karl Alex. v. Müller »Landtagebuch" (München 1921).
Friedr. Panzer „Beitrag zur deutschen Mythologie" (München 1848).
Friedr. Panzer „Bayerische Sagen und Gebräuche" (München 18))).
Willy Rett „Münchener Vorstadtsagen" (München 1913).
Sigmund Riezler „Geschichte Äaierns" (Gotha 1914).
Adolf Sandberger „Beiträge zur Geschichte der Bayr. Hofkapelle unter
Orlando di Lasso" (Leipzig 1894).
p. MagnusSattlerO.L.B. „DieChronik vonAndechs", (Donauwörth 1877),
A. Schöppner »Sagenbuch der Bayerischen Lande" (München 1874).
Johannes Sepp „Völkerbrauch bei Hochzeit, Geburt und Tod" (Mün-
chen 1891'.
Johannes Sepp »Altbayerischer Sagenschah" (München 1891).
Karl Simrock „Die geschichtlichen deutschen Sagen"(Frankfurt a. M. 18)0).
Henry Simonsfeld »Der Buckntoro auf dem Starnbergersee" (Jahrbuch
f. Münchner Geschichte IV, 17)).
Franz Trautmann »Die Abenteuer Herzog Christofs von Bayern (Re-
gensburg 1880).
Franz Trautmann »Alt-Münchener Geschichten (Augsburg 1886).
Franz Trautmann »Alt-Münchner Wahr- und Denkzeichen (München 1893)-
Franz Trautmann »Münchener Siadtbüchlein (München 1897).
Karl Trautmann »Kulturbilver aus Alt-München" (München 1918).
Frievr. Tresz „Das Wirtsgewerbe in München" (Stuttgart 1899).
„Volksbuch von vr. Johannes Faust" (Frankfurt a. M. 1)87).
Arthur Weese „München" (Leipzig 1906).
Josef Weiß „Kurfürst Maximilian l. als Gemäldesammler" (Histor.-pollt.
Blätter für d. kathol. Deutschland Iahrg. 1908).
Karl Weinhold „Die deutschen Frauen in dem Mittelalter (Wien 1897).
Lorenz Westenrieder »Beschreibung der Haupt- und Residenzstadt Mün-
chen" (München 1782).
Lorenz Westenrieder „Abriß der Baierischen Geschichte" (München 1822).
F. p. Zauner „München in Kunst und Geschichte" (München 1914).
F. p. Zauner »Münchens Umgebung in Kunst und Geschichte".
Zeitschrift des „Vereins für Volkskunde" (Berlin).
Zeitschrift des „Htstor. Vereins für Oberbayern" (München).
Zeitschrift des „Bayer. Heimatschutz" (München).
Ferner: zahlreiche heimatkundliche Aufsätze in den letzten Jahrgängen der
großen Münchner Tageszeitungen.
* *
*
Außer dem Danke, den ich den obgenannten Verfassern und Quellen
schulde, bin ich für wertvolle mündliche Aufklärungen und Winke den Herren
prof. Or. Max Buchner, Oberregterungsrat, prof. Or. Karl Alex. v. Müller
und prof. Or. Karl Trautmann höchlich verpflichtet. Gütige Auskünfte auf
einzelne Fragen, vorab von den Herren des Städt. Archivs, haben mich sehr
gefördert. D. Verf.
Inhalts-Verzeichnis
Getto
Vorwort.......................................................................................................... 5
I. Abteilung: Geschichtliches und Sagenhaftes v. MünchnerDom7—23
Die Erbauer / Der Teufelstritt unter der Orgel / Unser Herr am Slberg / Das schwarze
Kruzifix, die Mrkenfahne und die „kunstreiche Uhr' / Der heilige Benno, Münchens Schutz-
patron /Das Bild mit den gesenkten Händen/Konrad paumann/Kaiser Ludwigs Grabmal
II. Abteilung: Der Marienplah....................................23 — 52
Das Rathaus/Dlez Swlnburg / Was auf dem Marktplatze sonst geschah / Das Wurmeck /
Der große Chrlstoffel am vermarkt / Der Bürgerstrett mit den Herzögen und der Tag von
Alllng / Dle Schweden in München / Die Pest in München / Der Schäfflertanz / München
im spanischen Erbfolgekrleg / Vom Mchgersprung / Die Marlensaule
III. Abteilung: Rtngs in der Altstadt.............................52 — 114
a) Nördlich und westlich vom Marlenplatz: In der Burggasse / Der Max Iosephplatz / Dle
dleblsche Dohle/Der Spleaelbrunnen/AuS der Gruftgasse /Der Schlafhaubenkramer /Kloster
und Kirche der Theatlner/Der Salvatorplatz und der Iungfernturm/Die Studkenklrche und
dle Drelfattkgkettsklrche / Der Bau der MlchaelSkirche / Unsere llebe Frau vom Herzogfpttal/
Der Bürgerfaal und dle Augustlnerkirche / Die drel Raben / DaS Ettaler HauS an der Für-
stenfelderstraße / Der schöne Turm
b) Südlich und östllch vom Markenplatz: Von Sankt Peter / Herzog Fordlnand und Marla
pettenbeck / In der Sendllngerftraße / Dle Johann NepomukS-Kirche in der Sendllnger-
straße / Das Sendllngertor und das Fausttürmchen / Dle schmerzhafte Kapelle und das Ka-
puzlnerkloster / Vom alten Friedhof „am Kreuz" und vom südlichen Friedhof / HundSkugel zu
München / Sankt Jakob am Anger / Das Münchner Gnadenjahr / Vom Münchner Bier/
Die Münchner Sauerbäcken / Die Wadlcrbrezen / Kirche und Spltal zum heiligen Geist
IV. Abteilung: AusMünchensFürstenschlössern.............114 — 144
Von den Burgen und Schlössern / Ludwig „der Strenge" / Der Turmaffe im „alten Hof"/
Herzog Christoph der Kämpfer /Herzog Wilhelms V. Hochzeit und die Mär vom Doktor Fau-
ftus/Albrecht V. und Orlando di Lasso/Der erste Kurfürst/Schleißheim / Kaiser Karl VH./
Nymphenburg / Max Hl. Joseph / Karl Theodor, Maria Anna und die Zweibrückener
V. Abteilung: Außerhalb der Tore.............................144—194
a) Rechts der Isar: Von Sankt Emmeram/Frau Uta zu Truderkng und Frau Uta zu Föhrkng/
Ramersdorf / Bogenhausen / St. Nikolaus am Gafteig / In der Au / Der Walsenvater /
Pestsagen aus Giesing/Vom Salvator / Von pachem und vom Hachlnger Bach/Harlaching
b) Links der Isar: An der Isar / Schwabing / Sendling /Neuhausen und der Winthirstein/
Die Entstehung von Thalkirchen/Die Birg bei Hohenschäftlarn / Wolftalshausen: a)Vom seli-
gen Konrad Nantwein,- b)Vom Gastabudel/Marla Elch/Wie Karl der Große geboren ward
(Mühlthal b. Starnberg) / Bucintoro (Starnberg) / Fürstenfeldbruck: a) Ludwlg des Bayern
Tod/ b)Dke helllge Cdigna zu Puch / Vom seligen Grafen Rasso/Vom helllgen Berg AndechS
VI. Abteilung: Alt-München in Bräuchen, Sitten und Meinungen
a) DaS tägliche Leben, b) Liebe, Hochzeit, Geburt und Tod, c) Don den Festtagen 194 — 228
Benutzte Literatur..............................................229—230
Vorwort
Dies Buch ist keine Chronik, überhaupt kein gelehrtes Buch. Es
läßt sich auch nicht als ein Führer durch München und Umgebung be-
zeichnen, denn ein Führer hat hinzuweisen auf gute, billige Unterkünfte,
auf Sehenswürdigkeiten und schöne Aussichtspunkte. Unser Buch will
den Wanderer durch Münchens Straßen, in Münchens Umgebung
erinnern an das, was an der und der Stätte geschehen ist oder was für
eine Mär davon erzählt wird. Nicht zuletzt aber will es ihn mahnen
an die Sonderart, die Vorstellungen, Meinungen und Sitten des
kernigen deutschen Stammes, der hierzulande haust. Gewöhnlich wird
über der Gegend oder den in einer Stadt angesammelten Kunst-
schätzen und Vergnügungsstätten vergessen, daß hinter alledem ein Volk
steht. München gilt den Meisten als das „gemütliche München", wo
fidel zu leben ist, als die Kunststadt, die Stadt des Faschings und der
internationalen Sommerfreuden. Selten, daß Einer mehr in die Tiefe
dringt, sich Gedanken darüber macht, wo eigentlich Münchens und ganz
Bayerns Kraft und Ehre liegt. Nicht einmal alle Eingesessenen tun
das, geschweige denn die Fremden. Darum schadet Keinem ein bescheide-
ner, treuer Begleiter, der ihn manchmal am Ärmel zupft und mit dem
Finger hindeutet auf den Zusammenhang zwischen Land und Leuten,
zwischen Vergangenheit und Gegenwart. Dies Rückdeuten soll sich
namentlich beziehen auf die Zeit der Herzöge und Kurfürsten; denn mit
dem Anfang des l 9. Jahrhunderts und des Königtums beginnt das
neue München, das in Aller Munde und vor Aller Augen ist. Dagegen
ist die alte deutsche Stadt ziemlich versunken; nur Weniges von ihr
lebt im Verborgenen fort. Und ein Weniges hiervon meldet dies Buch,
das gern dem Leser Lust machen möchte, sich zu versenken in all das
Viele, was über Alt-München schon gesagt ist und noch zu sagen wäre.
Ob die Absicht dem Büchlein gelungen ist, muß der geneigte Leser
entscheiden.
München. HeleneRaff.