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Raff - So lang der alte Peter... (Seite 11)
Es war einmal in der Münchner Stadt eine fromme Wittfrau, die hatte einen einzigen Sohn. Dem tat sie alles zu liebe und hielt ihn auch fleißig zu aller Sitte und Tugend an. Weil aber die Mutter ihm gar zu gut war, und er von Niemand sonst mochte gezogen werden, geriet der junge Sohn auf Abwege, hielt sich zu bösen Gesellen und vertat mit ihnen sein Gut. Da es alsdann die Mutter mit Strenge versuchte und ihn kürzer hielt, begann er mit ihr zu hadern und gab ihr grobe Reden. Zumal begehrte er, sie sollte ihm sein Väterliches herausgeben und ihn ziehen lassen, daß er nicht fürder ihres Alters Knecht zu sein brauchte. Weil sie ihm darin nicht willfahrte, ward er immer ärger und hässiger gegen sie, und ihre Tränen und Bitten fruchteten nichts. Hatte sie ihm aber einmal das Herz ein wenig umgewendet, so spotteten alsbald seine Gesellen ihm die weiche Wandlung hinweg, und es währte nicht lang, so war er ärger denn zuvor. Die Mutter bat und weinte, mahnte ihn an Gottes Gericht, aber vergebens. Einst, als sie sich vor ihm auf die Knie warf, und ihn anflehte, in sich zu gehen, stieß er sie rauh von sich, riß mit Gewalt ihren Schrein auf und raffte zusammen, was er an Geld und Geldeswert fand. „Jetzt nehm ich, was mir zukommt," rief er „will meiner Jugend froh werden; der Altweiberlehren bin ich satt!" Die Witwe aber reckte die Hände auf und flehte zu Gott, daß er ihr Kind nicht dem Heil verloren gehen lasse. „Soviel er schwelgt," verhieß sie „will ich mich für ihn kasteien und will entbehren." Deß lachte er und spottete: wie mehr sie ihm erspare, je lieber sei es ihm! Damit lief er davon.
Es währte nicht lang, so hatte er all das Seine vertan, war verlottert und ein Übeltäter geworden, bis zuletzt das Gericht ihn sahen und in den Kerker werfen ließ.
Seine Mutter derweil lebte schier von nichts und zog sich von aller Welt zurück. Mit dem Wenigen, was ihr geblieben, ging sie zu einem Meister Steinmetz und schaffte ihm an: er solle ihr in Stein bilden die Angst unseres Herrn am Ölberg. Wie die Stationstafel fertig war, bat sie, daß sie den Stein an der Mauer des Marienkirchleins, neben der Türe, einsetzen lassen dürfte. Dies ward ihr verstattet. Davor betete sie oftmals und inbrünstig, daß Gott, so es ihm gefiele, ihr ersparen wollte, den Leidenskelch wegen ihres Sohnes bis zur Neige zu leeren. Darnach bestellte sie ihr Haus und tat den letzten Wunsch, unter ihrem steinernen Ölberg bestattet zu werden. Dann legte sie sich nieder und weinte um ihr Kind, bis ihr das Herz brach und sie hinüberschied.
Etliche Jahre stand es an, da kam in die Stadt gewandert ein zerschlissener, hohläugiger Geselle, dem wohl anzusehen war, er sei in einer üblen Herberge gewesen. Der klopfte am Haus im Thiereckgäßlein, wo die Wittwe gewohnt hatte und fragte nach ihr; denn es war der verlorene Sohn, dem in der schmählichen Haft die Augen aufgegangen waren darüber, wie er an seiner Mutter gesündigt hatte. Seitdem nagten ihn die Reue und die Sehnsucht, und er hatte, nun er frei geworden war, kein größeres Verlangen, als sie um Verzeihung zu bitten.
Da vernahm er, daß sie tot sei, und als ihn die Hausleute an seinem Schrecken erkannten, stießen sie ihn aus und schalten ihn, daß er den Fluch Gottes auf sich trage, weil er seine Mutier mit Gram unter die Erde gebracht. Draußen am Marienkirchl, unter der Ölbergstafel, die sie habe setzen lassen, schlafe sie durch seine Schuld.
Wie er hinauskam zum Kirchlein, fand er alsbald die Stätte, und die Leute wiesen ihm die Steintafel und beklagten die gute Frau, die mit so viel Leid von hinnen fahren gemußt, weil ihr Sohn ein Schelm gewesen. Der elende Mensch sah die Steinarbeit an, und wie länger er den betenden Herrn und die schlafenden Jünger beschaute, um so deutlicher entsann er sich all der Liebe seiner Mutter, all ihrer Gebete für ihn, und wie viel Tränen er sie gekostet hatte. Da ward sein Herz bewegt, daß er auf die Knie niederfiel und mit großer Reue Gott und seine verstorbene Mutter um Vergebung bat. Und bekannte sich den Leuten, die verwundert herzuliefen, als den sündhaften Sohn, der zu spät heimgekehrt war. Von Stund an mochte er nirgend bleiben, nahm auch schier keine Nahrung mehr, sondern ging Tag für Tag ans Marienkirchlein, um dort am Grabe zu beten. Darüber verfiel er zusehends und ward so hager und bleich, daß es einen Jeden erbarmte; aber dennoch schleppte er sich zum Grab und zur Stationstafel hin.
Einstmals aber kam er von dort wiederum dahergewankt, und sein Antlitz war licht und friedsam, sodaß die ihm Begegnenden darob erstaunten. Da erzählte er: daß er zur Nachtzeit einen gar tröstlichen Traum gehabt; darin sei ihm seine Mutter erschienen und habe ihm vergeben. Nun hoffte und wünschte er nur eines noch: Gott möchte ihn ihr vereinen, und das bald.
Wie er so sagte, tats eben vom Turm des Marienkirchleins sieben Glockenschläge. Das empfing er mit Recht als ein Zeichen seines Hinscheids, wußte nur nicht, deutete es auf sieben Tage, Wochen oder Monate.
Aber die Antwort ward ihm bald, denn nach sieben Tagen wurde er zu seiner Mutter ins Grab gelegt.
Darnach als unser Lieben Frauen Münster groß gebaut wurde, kam der steinerne Olberg wieder an die Kirchenmauer. Dort, zur Rechten des großen westlichen Tores zwischen den beiden Frauentürmen, ist er noch zu sehen.