Münchner Sagen & Geschichten

Der Marienplatz

Das Rathaus

Raff - So lang der alte Peter... (Seite 23)


Das Herz von München war von je der große Platz, Marktplatz, später Schrannenplatz geheißen; erst in neuerer Zeit ward ihm sein jetziger Name verliehen. Am östlichen Ende des Platzes stand das Rathaus — „meiner Herren der Bürger Hofstatt," wie es der Stadtschreiber Tänzel in dem Statutenbuch von 1365 nennt. Erbaut war es wohl um die Zeit, als der Stadt ein Rat gesetzt ward (also gegen Ende des 13. Jahrhunderts) und zwar zu beiden Seiten des spitzen gotischen Turmes, der jetzt als „Alter Rathausturm" bezeichnet wird, aber eines der vier Stadttore war, nämlich das Talbruck- oder Talburgtor. Droben bei St. Peter, wo heute das Standesamt sich befindet, lag das eigentlich alte „kleine" Rathaus, an der Nordseite des Talbrucktores aber das „große" Rathaus (auch „Tanzhaus"), das heute das alte ist.

Bei den häufigen Feuersbrünsten, die in der jungen, meist aus Holzbauten bestehenden Stadt wüteten — 1327 brannte über die Hälfte der Häuser ab — hatte das gleichfalls mit Holz gedeckte Rathaus sein Teil zu leiden. 1418 brannte es vollständig nieder; 1462 in der Nacht vor Agidi (1. September) „schlug das Wetter in den Rathturm und anfeuerte sich und verbrann daselbst das ganze Dachwerk, das Zinnwerk verfloß alles und die Glocke zerging einstheils und der Knopf fiel herab auf die Gassen, und belag das Feuer auf dem ersten Boden, der war mit Ziegeln gepflastert und ward daselbst das Feuer aufgehalten, daß es aus Gottes Gnaden nicht weiter kam." — So der Bericht eines zeitgenössischen Chronisten. In Folge dieses Brandes wurde das ganze Rathaus zur Zeit Albrecht IV. erweitert, vollendet und in den Jahren 1470 - 74 der noch bestehende große alte Rathaussaal mit seinem prächtigen Tonnengewölbe erbaut. Den Bau leitete der „Stadt Maurer und Baumeister", Jörg von Haslbach bei Moosburg, der Meister der Frauenkirche. Der Ratsturm erhielt bei diesem Anlaß ein neues Zinndach mit acht Wimpergen; Turm und Fassade des Rathauses wurden von dem auch als Dichter von Ritterromanen, Nachdichter der deutschen Epen und als Chronikenschreiber bekannt gewordenen Maler Ulrich Fueterer al fresco bemalt. Den plastischen Schmuck führte Erasmus Grasser, der Bildhauer, aus; sein Werk sind die berühmten Figuren der Maruska-Tänzer im Rathaussaal, Gestalten, deren Humor und Lebensfülle aus die Bestimmung des Saales als „Tanzsaal" hinweist. Die Überlieferung bezeichnete sie ehedem als „Narren" und wollte in ihnen die Bildnisse wirklicher Narren aus Albrechts IV. Zeit erkennen, — Somit besaßen also „meine Herren die Bürger" nun ein ansehnliches Haus.

Die Verwaltung des städtischen Wesens hatte ehemals wie heute ihren Sitz im Rathaus. Einen erfreulichen Gegensatz zu unserem papierenen Zeitalter bildete der geringe Verbrauch von Schreibmaterial; so wurden im Jahre 1424 laut Stadtkammerrechnung nicht mehr als sieben Buch Papier beim Magistrat angeschafft und verbraucht.

Die Stadtkämmerer ließen die täglichen Einnahmen und Ausgaben durch den Stadtschreiber in ein eigenes Buch (Memorial) eintragen und für jedes Jahr eine eigene Kammerrechnung stellen; vom Jahr 1396 bis 1430 sind diese Rechnungen noch erhalten. Die alljährliche Abrechnung der Kämmerer geschah öffentlich im Rathaussaal, im Beisein der obersten Ratspersonen und der Gemeinde; alle Anwesenden mußten auf Eid bestätigen, „daß die Kämmerer ehrbarlich widerraitet und der Stadt ein gut Genügen getan haben —" was sodann vom Steuerschreiber am Schluß der Rechnung angemerkt wurde. Hernach ward auf Kosten der Kammerrechnung ein gemeinsames fröhliches Kammermahl gehalten, was häufig den letzten Rest des Barbestandes verschlang.

Ebenso hatte alljährlich die Bürgerschaft sich auf dem Rathaus einzufinden, um die Erhebung der Stadtsteuer zu beraten und zu bewilligen. Alsdann begannen die drei dafür bestellten Steuereinnehmer ihre Tätigkeit im selben Rathaussaal, von dessen Fenster die Steuerfahne, auf der ein Scherge abgebildet war, ausgehangen wurde. Und der Fronbote ging von Haus zu Haus und sagte einem Jeden an, „daß er steure, denn man sitz an der Steuer."

Viele und bedeutsame politische Vorgänge sah der Rathaussaal. So die heftigen Kämpfe innerhalb der Bürgerschaft in den Jahren 1397 - 1403, als diese sich gegen die damaligen Herzoge Ernst und Wilhelm empörte, und das bisherige Stadtregiment durch ein neues demokratisches gestürzt ward. Dann die Beratungen, Wahlen und Verpflichtungen der Hauptleute in kriegerischen Zeitläuften, wie in den eben genannten Jahren und den endlosen Fehden der Stadt mit etlichen meist ritterbürtigen Feinden, die sich durch das ganze 15. Jahrhundert hinzogen. Ferner mußte der, laut fürstlichen Wahlbriefes vom Jahre 1403, alljährlich neu erwählte innere Rat, sogleich nachdem er bei Hofe dem Landesfürsten geschworen hatte, den äußeren Rat erwählen und die Gemeinde auf den Rathaussaal besenden, wo dann der äußere Rat der Gemeinde und hinwieder diese dem gesamten Rat den Treueid leistete. Auch pflegte im Rathaussaal dem jeweiligen neuen Landesherren die Erbhuldigung abgelegt zu werden, wonach der Fürst feierlich der Stadt ihre hergebrachten Freiheiten und Rechte bestätigte. Die Landstände versammelten sich gleichfalls auf dem Rathaus, bis sie in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts ein eigenes Haus auf dem Marienplatz, das erst zu Beginn des 19. Jahrhunderts abgetragene Landschaftshaus, erwarben. Heute befindet sich das Haus der Landstände, d. h. des Landtages, bekanntlich in der Prannerstraße.

Der große Saal des Rathauses diente jedoch auch zu Lustbarkeiten, Tänzen, Festtafeln, Schauspielen, die bei fürstlichen oder patrizischen Hochzeiten, zu Ehren fremder Gäste, oder in der Fastnacht stattfanden. So feierten im Februar 1403 (noch vor dem letzten Neubau) die Münchner rebellischen Bürger mit ihren Frauen lustig Fastnacht auf dem Rathaus, als schon die starke bewaffnete Macht der vertriebenen Herzoge Ernst und Wilhelm zwei Stunden vor der Stadtmauer lagerte. In späterer Zeit gab es Bälle und Redouten im Rathaus; mehrmals war auch ein Theater dort errichtet. Solange das Lottospiel bestand, fanden die Ziehungen im Rathaussaal statt, und die gezogenen Glücksnummern wurden unter Pauken- und Trompetenschall von dort verkündigt. Das geschah vom Mittelfenster der Westfront, dem gleichen, das am Tage einer Hinrichtung rot behangen war, und aus dem dann das Todesurteil dem armen Sünder nochmals verlesen und der Stab über ihn gebrochen ward. — Auch der Vollzug der meisten Strafurteile erging angesichts des Rathauses auf dem großen Platz. Hier stand der Pranger, wo die leichteren Verbrecher zur Schau gestellt und ausgepeitscht oder gebrandmarkt wurden; vor der späteren Hauptwache (auf der Westseite des Platzes, am Eingang zur Weinstraße) stand der Strafesel, darauf straffällige Soldaten reiten mußten. Auf dem Marktplatz ward der Galgen errichtet, an dem der „Goldmacher" Bragadino, ein venetianischer Betrüger, unter Wilhelm V. 1591 aufgehängt wurde, mittelst eines golddurchwirkten Strickes. Seine zwei schwarzen Hunde, weil sie für verlarvte Höllengeister galten, wurden mit ihm erschossen. — Oft genug wurde auch das Blutgerüst hier aufgeschlagen. Die harte Rechtspflege früherer Zeiten ließ sich nur selten so anmutig erweichen, wie im Falle des jungen, hübschen Burschen, der anno 1427 von der Bleiche Leintücher gestohlen hatte und dafür den Tod erleiden sollte. Die Frauen der Stadt baten, von der Wohlgestalt des Diebes gerührt, einmütig um Gnade für ihn, und der Rat gab dem Flehen nach und bestrafte den hübschen Galgenvogel nur mit Stadtverweis. Das Bild der alten blutigen Gerichtsbarkeit aber spiegelt sich in der Sage von 
Diez Swingburg

 


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