Münchner Sagen & Geschichten

Der Marienplatz

Was auf dem Marktplatze sonst geschah

Raff - So lang der alte Peter... (Seite 27)


Münchens öffentliches Leben spielte sich vorwiegend auf dem Marktplatze ab. Der hatte ursprünglich ein ziemlich dorfmäßiges Ansehen; erst Kaiser Ludwig der Bayer, der für das Aufblühen und die Verschönerung seiner Hauptstadt eifrig Besorgte, befahl durch Verordnung vom Jahre 1315 das Abbrechen der Fleischbänke, Kramläden und Hütten, die den Platz verschmutzten und verengten. Aber im 15. Jahrhundert bot der Markt schon einen stattlichen Anblick. Wo heute die Mariensäule ragt, stand das Gollierkirchlein, erbaut von dem Ritter Ainwig dem Gollier an Stelle der 1295 von den Bürgern aus Ingrimm wegen der Münzverschlechterung zerstörten herzoglichen Münze. Neben der Kirche, gegenüber dem „Wurmeck" stand das Rechts- oder Dinghaus, in dessen Erdgeschoß sich Kaufläden und Brotbänke befanden; an der linken Seite des Platzes lag das zur städtischen Trinkstube eingerichtete ehemals Implersche Haus. Gehandelt wurde auf dem Platz mit Früchten, Kräutern, Gemüse, Eiern und Geflügel, Lebensmitteln und Hausgeräte verschiedener Art. Der Baum- und Blumenmarkt, der Vögel- und Hundemarkt (dieser alle Sonn- und Feiertage), der Verkauf von „Kistlerarbeiten", als Kästen, Bettstätte, Stühle usw. von Tölz herab, deren Westenrieder erwähnt, — fanden späterhin auf dem großen Platz statt. Beim Fischbrunnen war der Fischmarkt, „alle Fast- und Abstinenztäge" -. Der Rindermarkt befand sich an der Stelle, die jetzt noch so heißt, der Schweinemarkt in der Althamer Gasse (Altheimer Eck). Jeden Mittwoch wurde bei dem Dinghaus am großen Platz die Getreideschranne abgehalten, woher sein Name „Schrannenplatz" sich ableitete. Da der Handelsweg von Italien nach Augsburg und Nürnberg oder nach Wien teilweise über München ging, wurden auch fremdländische Waren, wie Seidenstoffe und edle Gewürze, schon im vierzehnten Jahrhundert eingeführt.

 

Selbstverständlich war der „große Platz" die Hauptstätte aller Volksbelustigungen und öffentlichen Feste. Namentlich fanden hier die Turniere des Adels statt; so kämpfte im Jahre 1371 der Ritter Seitz von Altheim gegen den Ritter Diepold Guß von Güssenberg und stach ihn so in den Unterleib, daß er alsbald verstarb. Von den übrigen ritterlichen Festturnieren sei erwähnt dasjenige, wo die Ingolstädter gegen die Münchner kämpften (1399) und den berühmten gefürchteten Ritter Rindsmaul als Kämpen mitbrachten sowie das besonders glanzvolle anläßlich der Vermählung Herzog Wilhelms des Fünften mit Renata von Lothringen (1568), das mehrere Tage währte. Da gab es Ringelrennen, Fußturnier, Lanzenstechen, alle Formen des Wettkampfes. Beim Ringrennen, das Erzherzog Ferdinand von Österreich veranstaltete, war auf dem Platz eine 130 Schuh lange und 80 Schuh breite Rennbahn errichtet, mit hoher Planke umgeben. Alle Ritter waren in Masken, zumeist in Tiermasken gehüllt, die Pferde waren gleichfalls, z. B. als Riesen maskiert. Der ausgelassenen Fröhlichkeit war kein Ende. Zu Ehren der Anwesenheit Kaiser Karls V. im Juli 1530 ward gleichfalls auf dem Platz das große Feuerwerk abgebrannt, bei dem ein ganzes hölzernes Schloß in Flammen aufging. Von Altanen und Fenstern pflegten solchen Veranstaltungen die vornehmen Frauen zuzusehen wie auch sonst bei festlichen Umzügen jeder Art.

Zu den jährlich wiederkehrenden Freudenfesten zählte das am „Sübend-" oder „Sunnwendabend" (Johannistag, 24. Juni) entfachte Sonnwendfeuer, für das die Münchner Kinder vorher in allen Häusern Holz gebettelt hatten mit dem Reim:
„Js a braver Herr im Haus,
Reicht er uns a Scheit heraus,
Zwei Scheiter und zwei Boschn
Macht es brennen und gloschen."

Wenn dann der Riesenbrand rings die Mauern anstrahlte und als rote Lohe gen Himmel stieg, tanzte die frohe Jugend singend um das Feuer oder sprang paarweise durch die Flammen. Auch Fürsten und schöne Fürstinnen verschmähten die Teilnahme an der Johannisfeier nicht. So war 1401 die blonde Landshuter Elfe, Schwester Heinrichs des Reichen, die sich bald darnach mit Friedrich Wilhelm von Zollern, Burggrafen von Nürnberg, vermählte, als Gast in München und tanzte um das Johannisfeuer ganz allein, so voller Anmut, daß Jedermann ihr bewundernd zusah. Desgleichen tanzte 1402 der schon zweiundsiebzigjährige Herzog Stephan II. mit seiner ihm eben vermählten jungen Gattin Elisabeth von Cleve und seiner schönen Tochter, der nachmaligen Königin „Isabeau" von Frankreich, um das Johannisfeuer und sprang kräftigen Schwunges darüber.

An sonstigen Volksbelustigungen fehlte es nicht. So wenn etwa ein Wunderdoktor mit dem unvermeidlichen Hanswurst seine Marktschreierkünste auf dem Marktplätze übte oder wenn eine Truppe von Gauklern und Seiltänzern sich sehen ließ oder wenn die verschiedenen Zünfte ihren „Dinzeltag" hielten. Alle acht Jahre kamen die Braunauer Schwerttänzer und führten ihren Tanz mit entblößten Schwertern auf; vom Schäfflertanz und vom Metzgersprung soll noch ein Näheres gemeldet werden.

Die großen kirchlichen Aufzüge, vor Allem die Fronleichnamsprozession, die Krönungsaufzüge und fürstlichen Leichenfeiern, den Einmarsch fremder Truppen und die Wiederkehr heimischer Krieger — all das hat der Marienplatz, gedrängt voll von erregten Zuschauern, miterlebt. Desgleichen späterhin die Schützen- und Turnerfeste, die Begrüßung des Altreichskanzlers Fürsten Bismarck auf dem Rathaus im Sommer 1892 und das Großartigste von Allem: den Festzug 1888 zur Hundertjahrfeier von König Ludwigs I. Geburt. Das vorläufig letzte derartige Schauspiel war im November 1921 das düster ergreifende Leichengepränge, mit dem LudwigIII., weiland König von Bayern und seine Gemahlin zu Grabe getragen wurden.

 


 Herzog WilhelmRenate von Lothringen

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