Münchner Sagen & Geschichten

Rings in der Altstadt

Von Sankt Peter

Raff - So lang der alte Peter... (Seite 81)


„So lang der alte Peter, der Petersturm noch steht" — — —

Dies Leiblied der Münchner ist zwar nicht aus ihrem Herzen geschöpft, sondern eine Nachdichtung des Wiener Liedes vom „alten Steffl". Aber das Gefühl der engen Zusammengehörigkeit von St. Peters Kirche mit der Münchner Stadt, das ist so echt als begründet.

Fast überall, wo die Stelle einer Menschenansiedlung gegeben schien, haben zuerst Benediktinermönche, diese Pioniere des Glaubens und der Kultur, sich niedergelassen. Drei ihrer Klöster waren auf dem heutigen Münchner Boden begütert, bevor die Stadt erwuchs, die zu Recht ihren Namen von den „Münichen" herleitet. Die von Tegernsee hatten für ihre Klosterhofleute die uralte kleine Wieskapelle auf dem Petersbergl erbaut und dem „Heiland in der Rast" geweiht.

Auf dem Grunde derer von Schäftlarn erhob sich die Marienkapelle; dazwischen schob sich eine umfangreiche Besitzung des Stiftes Benediktbeuern: Altham oder Altheim, deren Name im „Altheimer Eck" fortlebt. Eine sehr alte Kapelle stand auch dort; die Zeit ihres Entstehens und Vergehens ist ungewiß. Noch ehe Heinrich der Löwe aus den Mönchshöfen sich einen befestigten Platz zum Schutze der von ihm gebauten Isarbrücke schuf, erstand hinter der Wieskapelle, südlich von Altham, ein gleichfalls vom Kloster Tegernsee errichtetes Peterskirchlein; seitdem diente die Wieskapelle nur noch als Freithofkapelle. Im Streite zwischen Heinrich dem Löwen und dem Bischof Otto von Freising hielten die von Schäftlarn es mit dem Bischof, die von Tegernsee aber mit dem Herzog; und außerdem war das Petersberglein dem Löwen wichtig als strategischer Punkt. Deshalb wurde, als 1169 München zur Pfarrei, aufstieg, die Peterskirche die erste Pfarrkirche der jungen Stadt.

 

Sie wuchs mit dieser, vergrößerte und erneuerte sich, litt ihre Gefährden mit. Bei dem verheerenden Brand, der 1327 die halbe Stadt einäscherte, ging auch St. Peters Kirche samt der Wieskapelle zugrunde; nur die Katharinenkapelle unter dem Nordturm blieb verschont. In ihr und dann in der neuerbauten Wieskapelle (von deren nun gotischer GesTalt die Reste bis 1880 erhalten blieben) ward lange Zeit Gottesdienst gehalten, bis der Wiederaufbau der Peterskirche vollendet war. Noch hängt am Fenster der Katharinenkapelle eine kleine Glocke, die damals gedient haben soll, um die außer der Kirche Stehenden auf die heilige Wandlung aufmerksam zu machen. Die Armut, in die der Stadtbrand einen großen Teil der Bürger versetzt hatte und das auf Stadt und Land lastende Interdikt (eine Folge von Ludwig des Bayern Streit mit der Kurie) verzögerten die Vollendung des Neubaus achtunddreißig Jahre.

Bei der feierlichen Einweihung der neu errichteten Kirche (1365) fehlten noch die Türme. Zu Ende des 14. Jahrhunderts stand jedoch auch das Turmgebäude fertig da mit zwei schlanken, gotischen Spitzen und blieb so bis 1607. In diesem Jahr schlug, am 24. Juli gegen Mitternacht, der Blitz in den nach dem Markt hin gelegenen Kirchturm, und beide Türme brannten ab. Mit Mühe konnten die Glocken gereitet werden. Als nach großem Aufwand von Zeit und Geld der Schaden wieder gut gemacht war, erhielt der Petersturm so ziemlich das Aussehen, das er bis heute bewahrt.

Die Kirche selbst wurde noch zweimal erweitert und umgebaut, in durchgreifender Weise unterm Kurfürsten Maximilian I., darnach ein letztesmal im 18. Jahrhundert, wo das Innnere eine völlige AusgesTaltung im Geiste des Rokoko erfuhr. Nicht gar lange hatte sie in dieser endgültigen Form bestanden, als ihr alter Feind, das Feuer, ihr einen, wenn auch kurzen Besuch abstattete: ein noch mit glühenden Kohlen gefülltes Rauchfaß, das unvorsichtigerweise in einen Paramentenschrank geschlossen worden, ward die Ursache, daß die Sakristei gänzlich ausbrannte, wobei eine Menge wertvollster Paramente und Meßgewänder verloren ging.

Es ist verständlich, daß seit der Zeit, da die Kirche Unserer Lieben Frau zur zweiten Pfarrkirche Münchens erhoben wurde (1271), gewisse Präcedenzstreitigkeiten zwischen dieser und der Pfarrkirche von St. Peter als der ersten und ältesten Pfarrei sich entspannen und bis in den Anfang des fünfzehnten Jahrhunderts währten. Ein natürlicher Sohn des Herzogs Johann II. von Bayern, Dr. Grünwalder — so benannt nach dem Jagd- und Lustschloß Grünwald, wo er erzogen worden — war damals Dechant zu St. Peter. Der Streit um den Vorrang zwischen beiden Kirchen, wobei Dr. Grünwalder sehr energisch das Recht seiner Kirche verfocht, wurde 1428 durch folgende Entscheidung des Bischofs von Freising geschlichtet: „Der Pfarrer bei unserer Lieben Frau in München hat dem Dechant bei St. Peter Ehre und Gehorsam zu bezeigen" . .. (dies änderte sich wesentlich, als 1494 die Frauenkirche zur Collegiat-Stiftskirche erhoben ward). „Mit der Verkündigung der heiligen Zeiten, der Feier- und Festtage soll sich, wenn ein Zweifel darüber wallet, der Pfarrer bei Unserer Lieben Frau nach dem Rate des Dechants bei St. Peter richten." .... „Mit der Antlaß- (Fronleichnams-)prozession soll es also gehalten werden. Selbe soll alle Jahre abwechselnd von einer der beiden Pfarrkirchen ausgehen" . . . . Dies regelmäßige Abwechseln zwischen beiden in betreff des Ausgangs der Fronleichnamsprozession blieb bis 1826 in Kraft.

Das „Tal", eine Hauptverkehrsstraße Münchens, insofern sie den Fuhrleuten von auswärts und den Landboten als Unterstand und Einkehr diente, ward ehemals von der Grenze der beiden Pfarreien durchschnitten: die südliche Seite hieß „Tal Petri" die nördliche „Tal Mariä".

Sowohl der Mutterpfarrkirche zu St. Peter als dem Münster zu Unserer Lieben Frau widerfuhr durch Papst Pius VI., der 1782 als Gast des Kurfürsten Karl Theodor in München weilte, die Auszeichnung, daß der Papst am Hochaltar einer jeden Kirche eine stille Messe las. Deß zum Angedenken ward eine Marmortafel hinter beiden Altären eingelassen.

Aus allen Stürmen und Wirren der Jahrhunderte: dem Streit zwischen Herzogen und Bürgern, dem Schwedeneinfall, dem spanischen und österreichischen Erbfolgekrieg, ging das ehrwürdige Gotteshaus zu St. Peter unversehrt hervor. Nochmals drohte Gefahr durch äußere Feinde: als 1796 die Truppen des französischen Revolutionsheeres unter Moreaus Führung den geschlagenen Österreichern über den Rhein nachsetzten und sie bis nach Bayern herein verfolgten. Die Stadt München, aus der Kurfürst Karl Theodor samt seiner jungen Gattin geflüchtet war, verschloß den beiden Heeren ihre Tore. Die Österreicher nahmen ihre Stellung vom Gasteig bis Trudering, während die Franzosen ein Lager von der obern Land bis an den Türkengraben bezogen. Am 8. September kam es zu einer Kanonade, von der die Stadt schwer betroffen ward, denn der eine Kopf der Isarbrücke, der Rote Turm und an 62 Häuser der Lehelvorstadt wurden in Brand geschossen. An diesem Tag, als am Feste Mariä Geburt, fand in der Peterskirche ein feierliches Hochamt statt. Da sauste eine verirrte Kugel in die Kirche herein, versehrte zwar niemand, erregte aber einen solchen Schrecken, daß Alles Hals über Kopf aus der Kirche entfloh. Nur der amtierende Priester, Dechant Kumpf, harrte ruhig am Altäre aus und vollendete mit Hilfe der ihm treugebliebenen Ministranten das Meßopfer. Darnach setzte er das Allerheiligste wieder ein und kehrte gelassen in den Dechanthof zurück. 

Von einem hartnäckigen Widersacher der Peterskirche, besonders des Petersturmes, weiß die Sage noch zu melden, nämlich vom leidigen Teufel. Es wird erzählt, daß der Höllenwirt auf die fromme Stadt München, die um ihrer vielen schönen Kirchen willen das deutsche Rom genannt ward, einen höllischen Zorn gefaßt hätte, und auf ihre älteste Pfarrkirche im Besonderen. Namentlich wäre die hochragende Spitze des Turmes ihm ein Dorn im Auge gewesen. Der Umstand, daß der Blitz mehrmals in den Turm eingeschlagen hatte, ward dem Teufel in die Schuhe geschoben, vornehmlich der Blitzeinschlag bei dem großen Unwetter 1627, wo das Turmgebäude abgebrannt war. Darnach als gar eine Galerie um die Plattform herumlief, von der herab zu bestimmten Zeiten fromme Weisen geblasen wurden, hätte dies den bösen Feind erst recht verdrossen, und er hätte nach dem Verderb auch des neuen Turmes getrachtet.

Eines Nachts — so kündet die Sage - saß der Türmer von Sankt Peter friedlich in seinem Stüblein und horchte auf den Wind, der sein Wesen mit den Wetterfahnen trieb. Die Nacht war ungewöhnlich finster und stürmisch, ein schweres Wetter zog daher. Um Mitternacht aber erhob sich ein Zischen, Brausen und Heulen, wie noch kein menschliches Ohr gehört hatte. Der Türmer eilte hinaus auf die Galerie und sah mit Entsetzen, wie ein ganzer Knäuel von häßlichen Unformen und höllischen Ungeheuern sich an die Turmspitze hing; das teuflische Heer ward vom leibhaftigen Satan in Person angeführt, der offenbar nichts Geringeres im Schilde führte, als den Turm oder doch dessen Spitze zu Falle zu bringen.

Der Türmer aber, ein beherzter Mann, sprang flugs in die Stube hinein und riß das Kruzifix von der Wand. So bewehrt, stürzte er wieder auf die Galerie und schlug, indem er laut den Namen des dreieinigen Gottes anrief, das Kreuz dem Satan aufs Haupt. Der Höllenfürst wand und krümmte sich, ließ aber seine höllischen Pratzen nicht vom Turm, weil seine feste Absicht dahin ging, der verhaßten Betburg ihren Turm zu kappen; wahrscheinlich meinte er: tiefer verdammt als er schon sei, könnte er dafür auch nicht werden.

Allein der Türmer wich gleichfalls nicht; und ob er gleich mit größter Mühe sich halten konnte, daß der Sturm ihn nicht in die Tiefe riß, und ob ihm gleich der Arm, mit dem er das Kruzifix schwang, zn erlahmen drohte, so ließ er sich, als ein fester Münchner, die Schneid nicht abkaufen, sondern hielt voll Gottvertrauen stand.

Da schlug es eins vom Turm, und im Nu war der ganze höllische Spuk zerstoben. Der Himmel ward mählich klar und still, und über der schlummernden Stadt und dem Türmer, der dankend im Gebet kniete, zogen die Sterne herauf.

Des andern Morgens aber tat der Türmer dem Rat Meldung von dem Geschehnis der Nacht. Da war großes Wundern und wollte es niemand glauben.

Als nun die Mär ruchbar ward und viel Volks auf dem Schrannenplatz zusammenlief, rief einer aus dem Haufen derer, die zum Petersturm hinaufschauten: „Muß doch wahr sein, schauts: die Spitze steht ein bißel schief!"

Es war wirklich so: die Turmspitze hatte sich ein wenig schräg zur Seite geneigt. Seitdem hat es noch oft in den alten Peter eingeschlagen, doch ohne daß ihm erheblicher Schaden geschah. Der Teufel scheint also das Vergebliche seines Mühens eingesehen zu haben. In München aber blieb als stehende Redensart: „Sankt Peter steht schief."

Literatur

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