Münchner Sagen & Geschichten

Der ewige Jude in München. 1721

Mayer - Münchner Stadtbuch (1868)


Im Jahre 4721 machte ein sonderbarer Vorfall in München großes Aufsehen. Am 22. Juli kam am Isarthore ein alter Mann an, gebräunten Angesichts, mit gefurchten Zügen und von fremdartigen Aussehen. Als er auf Befragen sich dem Thorwächter als den ewigen Juden angab, ließ ihn dieser nicht ein, ohne zuvor die Erlaubniß vom städtischen Magistrate erhalten zu haben, und auf geschehene Anfrage verweigerte ihm auch dieser den Eintritt in die Stadt.

Dieser fremde Mann begab sich nun noch selbigen Tages nach Haidhausen, wo er Unterkunft fand und einige Zeit sich dort aufhielt, indem er mit Schmucksachen, Gold und Perlen, die er mit sich führte, Handelschaft trieb.

Da sich die wunderbare Märe von diesem Manne schnell verbreitete, so erhielt er großen Zulauf von Leuten jeden Standes und Geschlechtes sowohl aus der Stadt München als aus der nahen und fernen Umgebung. Er erzählte den Leuten, er sei wirklich und wahrhaftig der ewige Jude, Ahasverus mit Namen, ein Schuster aus Jerusalem, und es sei die Sage, daß er Christum den Herrn verhöhnet und Ihm eine kurze Rast auf der Steinbank vor feinem Hause verweigert, und er deshalb zur Strafe auf der Erde bis zum Ende der Welt herumwandern müße, vollkommen wahr, und er habe bereits schon siebenmal die Erde ganz durchwandert. Er erzählte ferner die genauesten und ganz unbekannte Data von dem Leiden und von der Kreuzigung des Herrn, die ihm freilich Niemand widerlegen konnte; er berichtete von den Wundern Christi und der Apostel, die er alle selbst sehr gut gekannt habe, erzählte ferner von der damaligen Judenschaft in Jerusalem, und daß allen Nachkommen jener Juden, welche Christo den Backenstreich gegeben, die rechte Hand zweimal länger als die linke sei, daß aber die aus jenem Geschlechte, welche Jesum angespieen, sich jederzeit beim Ausspucken bis auf den heutigen Tag selbst anspeien. Alle diese albernen Mährchen fanden bei der Menge des zugelaufenen Volkes unbedingten Glauben, so daß dieser Mann bei seinem Handelsgeschäfte eine gute Spekulation machte, indem fast Jedermann von dem „ewigen Juden" etwas besitzen wollte.

Auf dem Gasteigberge betrachtete er lang und genau das Kruzifix, das noch gegenwärtig daselbst aufgestellt ist, und von dem Hofbildhauer Gabriel Luidl zu München verfertigt worden war und betete mit großer Andacht vor demselben. Deshalb befragt, gab er zur Antwort, diese sei allein die rechte Abbildung unseres Herrn, das Gesicht und die Länge des Körpers sei ihm vollkommen gleich.

Nachdem dieser Mann einige Zeit sein Unwesen getrieben hatte, ohne merkwürdigerweise darin von der Polizei auch nur im Geringsten gestört worden zu sein, verschwand er eines Tages wieder eben so plötzlich als er vor der guten Stadt München erschienen war.

Wir lesen in den nächsten paar Jahren von dem wiederholten Erscheinen des ewigen Juden an mehreren Orten des Frankenlandes, namentlich in Bamberg und Würzburg; aber dort überall ausgewiesen, verschwand er spurlos nach kurzer Zeit.


Münchner Friedhofsportal