Münchner Sagen & Geschichten

Fanny Zaloska. 1785

Mayer - Münchner Stadtbuch (1868)


(Erzahlt nach Fr. Jakobs.)

Fanny Zaloska war die einzige Tochter einer polnischen Familie, die in Folge der politischen Verhältnisse ihres Vaterlandes in den siebziger Jahren des vorigen Jahrhundertes ausgewandert war und sich in München niedergelassen hatte. Ihr Vater war im Kriege umgekommen und ihre Mutter Lodoiska hatte sich dann noch vor Ablauf des Trauerjahres mit dem Oberst Pieart vermählt. Diese zweite Ehe erfüllte die Erwartungen nicht, welche sich beide Theile davon gemacht haben mochten. Frau Lodoiska war noch jung, schön, dem Vergnügen ergeben und überaus gefallfüchtig; der Oberst heftig und voll Eifersucht. So war reicher Stoff zur Zwietracht da, die auch oft in Flammen ausbrach, wenn die Heftigkeit des Mannes und der Stolz der Frau einander entgegen traten. Unter solchen Verhältnissen und als Zeugin dieser ehelichen Zwiste wuchs Fanny auf, oft selbst der Gegenstand und die Veranlassung solcher unangenehmen Vorfälle, 

da der Oberst, ihr Stiefvater, sie eben so unbedingt liebte als ihre Mutter sie haßte.

Als Fanny das sechzehnte Lebensjahr erreicht hatte, war wohl in München keine Jungfrau, die ihr an Schönheit den Rang streitig gemacht hätte. Um diese Zeit, — es war im Jahre 1785 — wurde in ihrem älterlichen Hause Graf Duras eingeführt, der mit der französischen Gesandtschaft nach München gekommen war; ein junger Mann von angenehmer Gestalt, feinen und einnehmenden Sitten und großem Vermögen. Er sah Fanny; ihre Schönheit reizte ihn, ihr Geist zog ihn an; seine Besuche wurden häufiger, und in kurzem war es ihm gelungen, ihr eine Leidenschaft einzuflößen, die er, nur nach flüchtigen Vergnügungen haschend, selbst nicht theilte. Da die Mutter mit ihren eigenen Angelegenheiten beschäftiget, wenig auf ihre Tochter achtete, der Stiefvater aber eine Neigung zu begünstigen schien, welche die schönsten Aussichten eröffnete, so gab sich Fanny dem Zuge ihres Herzens sorglos hin, und erwartete von der Verbindung mit dem liebenswürdigen Manne alles Glück, was ein junges Gemüth in dem Rausche der ersten Liebe träumt. Jndeß wich der Graf einer ernstlichen Erklärung aus, und während er der Fanny ohne Unterlaß seine Liebe betheuerte, klagte er oft in räthselhaften Worten das Schicksal an, das sich so oft zwischen die heißesten Wünsche der Menschen dränge. Zugleich aber bot er alle Künste der Verführung auf, die ihm vollkommen zu Gebote standen, um das liebende Herz des Mädchens immer fester zu umstricken, und sie einem strafbaren Ziele zuzuführen. Die Arme sah den Abgrund nicht, dem sie sich näherte, und sie wäre vielleicht hinabgerissen worden, 

wenn ihr nicht durch die Dienstfertigkeit ihres Kammermädchens einiges von den Galanterien des Grafen zu Ohren gekommen wäre, was wenigstens ihre Aufmerksamkeit rege machte. Der Stolz ihrer Tugend erwachte, und ob sie gleich unvermögend war, eine Leidenschüft auszurotten, die zu tief in ihrem Gemüthe gewurzelt durch Duras Gegenwart immer neue Nahrung erhielt, so bewachte sie sich doch mit größerer Sorgfalt, und entging so der Gefahr, mit der sie bedroht war.

Den geübten Blicken des Grafen entging die größere Zurückhaltung in Fanny's Wesen nicht; er forschte leise nach der Ursache; da sie aber nichts verrieth, sing er an zu muthmaßen, daß ihre Zurückhaltung ein Mittel sein sollte, ihm eine bestimmtere Erklärung abzudringen. Dieser Meinung gemäß ließ jetzt bestimmtere Hoffnungen zu einer näheren Vereinigung blicken, die bald wieder mit Aeusserungen einer großen Schwermuth abwechselten, immer aber mit heiligsten Schwüren seiner Liebe verbunden waren.

Fanny, die kein Mißtrauen in feine Aufrichtigkeit setzte, glaubte ihrem Glücke näher zu sein. In diesem Augenblicke — es war Anfangs Dezembers 1785 — traf sie ein herbes Mißgeschick; ihr Stiefvater, Oberst Picart, starb plötzlich und unvermuthet in Folge eines Unglücksfalles und dessen Tod traf sie um so schmerzlicher, je mehr Ihm und seiner zärtlichen, Sorgfalt bisher den väterlichen Schutz gegen Lodoiska's unmütterliche Gesinnungen dankte . In ihrem großen Schmerze war die einzige Zuflucht ihres Herzens Duras, und die Hoffnung, durch ihn der Willkür ihrer Mutter entrissen zu werden. Aber 

diese Hoffnung ging unter, und zwar auf eine Weise, die dem Innersten ihres Lebens eine tödtliche Wunde schlug.

Wenige Tage nach dem Tode ihres Stiefvaters hatte Graf Duras sie wie gewöhnlich besucht, und mehr als gewöhnliche Zärtlichkeit hiebei zu erkennen gegeben. Die Heftigkeit ihres Schmerzes und das Gefühl ihrer Hilflosigkeit hatten ihre Zurückhaltung ein wenig vermindert; sie warf sich in die Arme des Grafen, weinte an seiner Brust und suchte Trost an feinem liebenden Herzen. Jedes seiner Worte war ein Trost, jeder Laut legte sich kühlend an ihr verwundetes Herz. So verließ er sie, und sie dankte dem Himmel mit aufgehobenen Händen, daß er ihr doch noch eine Stütze gelassen habe. Indem sie so dankt und lindernde Thränen von ihren Augen strömen, kömmt ihre Mutter in das Zimmer, um einige gleichgiltige Gegenstände zu besprechen; nach deren Entfernung sindet Fanny einen schmalen Papierstreifen auf dem Boden, den ihre Mutter Lodoiska wahrscheinlich mit ihrem Sacktuche aus der Tasche gezogen hatte, ohne es zu bemerken. Sie hebt ihn auf, erkennt die Handschrift des Grafen und entfaltet das Billet ohne besondere Erwartung und Neugierde. Auf das höchste betroffen aber ward sie, als sie Folgendes las:

„Quäle doch Dein Herz nicht mit eitlem Wahn. Wenn Du meinen Schwüren nicht traust, so vertraue doch Dir selbst und der Fülle Deiner Liebenswürdigkeit! Lodoiska! verläumde eine Liebe nicht, die wie ihr Gegenstand nicht ihres Gleichen hat; kränke nicht durch Mißtrauen ein Herz, das nur für Dich schlägt, in Dir nur lebt, und, mit Deinem Bilde erfüllt, jedes Glück 

verschmäht, das Du ihm nicht beust! Verbanne jede Besorgniß, süßes Weib, und wenn es nöthig ist, um die wachende Eifersucht einzuschläfern, mit der Liebe eines Kindes zu spielen, so glaube mir, daß die Peinlichkeit dieses Schmerzes durch nichts als das unbedingte Zutrauen belohnt werden kann, mit dem Du Dich meiner Zärtlichkeit ergibst."

Fanny las diese Zeilen zuerst nur mit den Augen und ohne Sinn; erst beim zweiten Lesen begriff sie den ganzen Verrath. Eine tiefe Betäubung folgte auf diese Entdeckung; dann erwachten Erinnerungen an vieles früher kaum Bemerkte, an überraschende Bewegungen und Blicke und an gewisse Veranstaltungen der Mutter während der letzten Abwesenheit ihres verstorbenen Gemahles; — alles dieß ging jetzt durch ihre Seele und eröffnete ihren Blicken einen Abgrund von Abscheulichkeit, vor dem ihr ganzes Wesen erbebte, und in den immer von neuem hinab zu schauen sie sich doch nicht enthalten konnte. Abscheu, tiefe Verachtung, bitterer Schmerz und eine dumpfe Verzweiflung stürmten zugleich auf sie ein. Ihr Stolz war auf das heftigste empört, ihr Herz zerrissen, ihre Hoffnungen waren vernichtet, das Leben lag vor ihr wie ein verheertes Land, aus dessen Boden Flammen der Verwüstung schlagen, während dunkle und unglücksschwangere Wolken über seine Oberfläche wogen und brausen. Ihr Beschützer war todt, ihre erste Liebe schändlich verrathen, und die, in deren Gewalt sie jetzt war, hatte sich aus einer Mutter in eine Nebenbuhlerin umgewandelt; die, die ihr als Vorbild der Tugend vorleuchten sollte, war zur niedrigen Buhlerin, zur Ehebrecherin herabgesunken! Unter solchen Gräueln 

zu leben, schien ihr unmöglich. Sie beschloß zu sterben. Aber ihr Tod sollte den Abscheu der Welt und den Fluch des Himmels auf die Häupter der Verräther bringen! So entwarf sie den schaudervollen Plan.

Von diesem Augenblicke an sprach sie nicht mehr. Aber Nachbarn hatten bemerkt, daß sie die Nacht hindurch geschrieben, öfters vom Stuhle aufgestanden und mit schnellen Schritten durch das Zimmer gegangen, und bis an den Morgen bei Licht aufgewesen sei.

Am folgenden Morgen kleidete sie sich schwarz an, und ging in tiefer Trauer in die Kirche zu U. l. Frau. Wer sie gehen sah, blieb stehen und verfolgte mit seinen Blicken die hohe und zarte Gestalt, die mit gesenkten Augen durch die Straßen ging, und nichts von allem zu bemerken schien, was um sie geschah. Ihr blondes Haar war aufgelöset und floß, von zarten Perlenschnüren um die Schlafe gehalten, wie ein goldener Schleier über den Nacken hinab, und warf seinen leichten Schatten auf ihr blasses Angesicht, das durch die tiefe Traurigkeit noch verschönert ward. Viele verließen ihren Weg und folgten ihr nach, um sie beten zu sehen. Sie trat in die Frauenkirche, und warf sich vor einem Altare auf die Kniee. Lange lag sie so da, in tiefem Gebete versunken, aber ihre Lippen bewegten sich nicht, und sie hätte ein Steinbild geschienen, wäre nicht bisweilen ein flüchtiges Roth über ihre Stirn und Wangen gegangen. — Endlich stand sie auf, nahm ihren Weg gegen das große hintere Kirchenthor zu, und verschwand durch die Thüre, welche auf den südlichen Frauenthurm führt; mit hastigen Schritten sah man sie die ersten Stufen hinaufeilen.

Kurze Zeit darauf sahen mehrere Leute, welche eben über den Frauenfreithof gingen und an die Thürme zufällig hinaufblickten, oben an dem Geländer der Thurmwächters Wohnung eine weibliche Gestalt, die weit sich überwiegend in die Tiefe hinabsah, dann zurücktrat, ihre langen blonden Locken mit der Rechten zurückstrich, dann sich mit beiden Armen auf das Geländer stützte, sich hinaufschwang und sich hinabstürzte. Ein Augenblick, — und der Leichnam der unglücklichen Fanny Zaloska lag zerschmettert unten! —

Mit Blitzesschnelle verbreitete sich die Kunde von diesem entsetzlichen Vorfalle in der Stadt. Der Eindruck war um so größer, als in der Frauenkirche an der Stelle, wo sie geknieet hatte, ein von ihrer Hand geschriebenes Blatt mit dem Verlaufe der Geschichte in kurzen Worten gefunden wurde, dessen Inhalt rasch von Mund zu Mund lief. Das von Wuth und Grimm gegen die ehebrecherische Mutter ergriffene Volk gerieth in Bewegung, umstellte deren Wohnung und stieß gefährliche Drohungen aus. Lodoiska wurde anfangs versteckt gehalten, am folgenden Tage aber ergriff sie verkleidet die Flucht. Duras folgte ihr. Von ihrem weiteren Schicksale hat man nichts mehr gehört.

 

 


 Zaloska Fanny

Stadtmodell von Sandtner