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Mayer - Münchner Stadtbuch (1868)
An jenem Reste der ehemaligen Stadtmauer, welcher sich vom St. Salvatorsplatze — dem sogenannten griechischen Markte — bis zur Häuferreihe des Maximiliansoder Dultplatzes hinzieht, ist eine Gedenktafel angebracht mit der Inschrift:
Hier stand der
Jungfernthurm,
erbaut im Jahre
1493.
Abgebrochen
im Jahre
1804.
Auf diesem Jungfernthurm haftet eine schauerlichromantische Volkssage. Nach dieser soll in demselben eine eiserne Statue der heiligen Jungfrau gewesen sein, welche das Schlachtopfer, dessen Tod beschlossen war, habe küssen müssen, während dem der Boden unter seinen Füßen sich machend, sie öffnete und der Unglückliche in die Tiefe des Verließes versank. Nach einer anderen Erzählung öffnete sich unter dem Verurtheilten eine Fallthüre, und derselbe sank in der Tiefe in die Arme der eisernen Jungfrau, die ihn mit denselben umschloß und an ihre mit Dolchen gespickte Brust drückte, während zugleich die mit Schwertern bewaffneten Arme ihn zerfleischten und der Unglückliche hiedurch des qualvollsten Todes starb. Namentlich knüpft die heutige Volkssage dieses geheimnißvolle Walten der eisernen Jungfrau an die Zeit des Kurfürsten Karl Theodor, durch dessen geheimen Ausschuß, an dessen Spitze der berüchtigte geheime Rath Lippert stand, allerdings ohne gerichtliches Urtheil Landesverweisungen ausgesprochen, Todesurtheile gefällt und ohne Geräusch heimlich vollzogen wurden. Personen, welche durch revolutionäre Grundsätze dem Staate gefährlich schienen, sollen dieser Sage nach plötzlich verhaftet, durch den gespenstigen „Einspänniger" in die Residenz abgeführt, dort im gefürchteten gelben Zimmer von dem geheimen Ausschuße abgehört und verurtheilt und sodann in dem Jungfrauenthurm durch die Arme der eisernen Jungfrau ermordet worden sein. Die Münchener Sage benennt sogar mit Bestimmtheit den Hauptmann des churbayerischen Leibregimentes Franz von Unertl, welcher am Abende des 6. Januar 1796 aus einem Gasthause dahier mit dem Einspänniger abgeholt, und am 7. Januar Morgens 3 Uhr durch die eiserne Jungfrau hingerichtet worden sein soll. Diese Sage benützte ein neuerer Novellist, Hermann Schmid in seiner Erzählung: „Mein Eden", wo er aber, von dem Rechte eines Romandichters Gebrauchmachend, sie
in die letzten Lebenstage des Kurfürsten Karl Theodor 1799 verlegt, und mit erfundenen Nebenumständen und Liebesabentheuern ausschmückt. Allein über solche geheimnißvolle Handlungen zur Zeit des Kurfürsten Karl Theodor liegen uns keine aktenmäßigen Nachweise vor; denn als nach dem Tode desselben sein Nachfolger Kurfürst Maximilian Josef, später König, unterm 26. März 1799 den Befehl gab, die Verhandlungen des geheimen Ausschusses zu untersuchen, fanden sich von diesen nur die seit dem Jahre 1796 vor; alle früheren waren vernichtet. Der Scharfrichter von München, über solche Vorgänge vernommen, gab an, daß er einmal in der Residenz eine ihm unbekannte Person habe hinrichten müssen.
Daß nun aber die Sage von der eisernen Jungfrau im Jungfernthurme zu München eine weit ältere ist, und erst später in die Zeiten Karl Theodors versetzt worden sei, geht daraus hervor, daß zu Zeiten dieses Kurfürsten und noch viel früher im Volke die Sage dahin ging, es sei in alten Zeiten im Jungfernthurm die heilige Vehme gewesen. Diese ältere Sage wird uns von Lipowsky in seiner Urgeschichte Münchens aufbewahrt.
Die Sage von einer eisernen Jungfrau als Hinrichtungs-Maschine kommt in mehreren Städten und Orten vor, und es ist begreiflich, daß sich die Phantasie gerne des Schauerlichen dieses Gegenstandes bemächtigte. Aber an keinem Orte, wo sich der Sage nach eine eiserne Jungfrau befunden haben soll, wurde diese Maschine noch vorgefunden, und es fehlt daher aller Nachweis und
mit ihm alle Glaubwürdigkeit, daß je eine solche als Hinrichtungs-Werkzeug existirt habe. Eine einzige Maschine, die mit dem Namen der eisernen Jungfrau belegti st, hat sich bis auf unsere Zeiten erhalten; sie befindet sich in der Dietrichstein'schen Sammlung zu Geistritz in Niederösterreich, und soll dieselbe früher in Nürnberg gewesen sein. Allein nach der Abbildung, welche uns M.F.Rabe in seiner Schrift über die eiserne Jungfrau und das heimliche Gericht im k. Schloße zu Berlin (Berlin 1847) davon gibt, war dieses Instrument lediglich nur ein Tortur-Werkzeug. Es hat dasselbe nämlich so ziemlich die Form eines Sessels mit spitzigen Nägeln an dem Sitze, dem Rücken und den Armen, auf welchen der, der peinlichen Frage (Tortur) zu unterwerfende Verbrecher gesetzt und so lange gefoltert wurde, bis ein Geständniß seines wirklichen oder eingebildeten Verbrechens erfolgte. In Berlin selbst ist in dem Inventare über die Geräthschaften des dortigen Stadthofgefängnisses vom Jahre 1718 eine eiserne Jungfrau unter den Folterwerkzeugen aufgeführt.
Alle schauerlichen Sagen von der eisernen Jungfrau und deren geheimnißvollen Hinrichtungen möchten daher in das Reich der Märchen gehören.
Aber auch die Geschichte des Jungfernthurmes in München weiset uns mit vollster Bestimmtheit die Unwahrheit und Unmöglichkeit dieser Sage nach.
Die Münchener Bürger entschlossen sich schon im Jahre 1430, die Stadt stärker zu befestigen, theils aus Furcht vor den „bösen Ketzern in Behaim" (den Hussiten), theils aber auch in der Erwägung, daß die Stadt „mit Bau an den Gräben und der Ringmauer zu guter Wehrlichkeit nicht wohl versehen sey", und es, wurde von nun an fortwährend namentlich an der Herstellung eines festeren Zwingers an der nördlichen Seite der Stadt gebaut. Hiebei bekam jeder Arbeiter „täglich ein ehrbares Brod, dessen sich eine Person einen Tag redlich betragen mag, und dazu auch alle Tag einen Pfenning Münchener Währung, damit er zu dem ehegenannten Brode nach seinem Willen und Vergnügen noch mehr Speise darum kaufe, es sei Fleisch, Kraut, Gemüs, Suppe oder Anderes." Am stärksten mußte aber diese Befestigung am Schwabingerthore aufwärts gegen das jetzige neue Thor hin sein, denn in der Nähe der Salvatorkirche befand sich das herzogliche Zeughaus, welches mit Waffen und Geschützen jeder Art, namentlich Kanonen wohl versehen war, und dessen drei zugemauerte Spitzbogenthore wir noch an der Mauer zwischen der Fleischbank und der Salvatorkirche sehen, sowie die Rüstkammer. Ferner hatte Herzog Albrecht IV. sich ein neues Schloß, die neue Veste erbaut, welches im Jahre 1476 vollendet war und von ihm bezogen wurde. Dieser Stadttheil war daher von größter Wichtigkeit und mußte, zumal Kriegsunruhen drohten, in möglichst guten Vertheidigungsstand gesetzt werden. Zu diesem Behufe wurden im Jahre 1493 die Stadtmauern verstärkt, und große und feste Basteien angelegt. Diese, bestanden aus Thürmen, welche nach dem Graben oder der Aussenseite zu halbrund, nach der Stadtseite zu aber viereckig, mit steinernen Brustwehren versehen, und entweder an den Ecken oder auch in der geraden Linie dieser
Stadtmauern vorgebaut waren. Am St. Salvatorplatze mußte sogar die Unseres-Herrn-Kirche demolirt werden, weil sie in der Linie dieser Befestigungen lag, und wurde dafür die jetzige Salvator- oder griechische Kirche weiter zurück erbaut. Die eine dieser Basteien war der Jungfernthurm und seine Erbauung geschah im Jahre 1493. Sein Zweck war daher ursprünglich ein rein militärischer. Derselbe hatte 70 Schuh in der Höhe und 120 Schuh im Umkreise; die Mauern hatten an dem stärksten Theile 9, am schwächsten aber 6 Schuh Dicke. Er durchschnitt quer den Zwinger und die äußere Ringmauer, und seine Rundvorderseite reichte bis an den vorbeifließenden Stadtgraben hinab. An der gegen die Stadt zu gerichteten Flachfronte des Thurmes befand sich die mit einigen Stufen erhöhte Eingangsthüre. Im Erdgeschoße, welches mit dem Stadtgraben in gleicher Tiefe lag, war ein Durchgangsbogen; oben aber, an der innern Mauer lief ein Gang hin um die Stadt, der sogenannte Wehrgang.
Die Benennung dieses Thurmes als „Jungfernrhurm" aber ist wahrscheinlich erst späteren Ursprunges, und seine anfängliche Bezeichnung ist unbekannt. Zum erstenmale kommt dieser Name urkundlich in einem Auftrage vor, den der Obristzeugmeister Freiherr von Rouyer unterm 31. Mai 1666 erhielt, den „JungkfrauThurn" mit Zuziehung des Hofbauamtes zu untersuchen, ob derselbe nicht zur Aufbewahrung des Saliters brauchbar oder doch mit geringeren Kosten als der Thurm beim „Kostthörl" herzurichten wäre. In seinem unterm 18. Juni 1666 hierauf erstatteten Berichte sprach sich aber der Obristzeugmeister dagegen aus, „indem der „Jungkfrau--Thurm"
zwar zu Unterbringung des Saliters lüftig und taugsam sei, daß jedoch ihn zu repariren weit ein Mehreres als der Thurm beim Kostthörl an Unkosten erfordere, auch keine Einfahrt dazu vorhanden sei, indem selbiger mit dem Hennengarten und in anderweg verbaut worden, so ohne Spesa und Ungelegenheit nicht konnte geändert werden."
Von nun an schweigen längere Zeit alle Nachrichten, über den Jungfernthurm.
Inzwischen hatte Kurfürst Ferdinand Maria im Jahre 1658 durch den italienischen Architekten Franeisei ein Opernhaus bauen lassen, welches der Salvatorkirche gegenüber nach dem Jungfernthurme zu seine Stelle hatte. Der Raum in demselben wurde aber nach längerer Zeit zu eng, da die Dekorationen nach und nach zu einer solchen Menge angewachsen waren, daß sie im Opernhause nicht mehr untergebracht werden konnten. Deshalb wurde durch kurfürstliches Dekret vom 10. November 1724 die Erbauung eines „Dekorationsstadels" verfügt und zugleich angeordnet, daß die älteren und seltener zur Benützung kommenden Theaterdekorationen und Requisiten in dem leerstehenden Jungfernthurme untergebracht werden. Von nun an diente dieser Thurm zur Aufbewahrung der Dekorationen des Opernhauses.
Nach einer Erzählung des General-Feld- und Oberstlandzeugmeisters Josef Grafen von Salern, die uns, der ehemalige k. Polizei-Direktor Baumgartner aufbewahrt, hatte dieser im Jahre 1751, als er damals Intendant der Hofmusik gewesen, wegen Opernkleidern in dem Jungfernthurme Geschäfte. Bei dieser Gelegenheit
bemerkte er, daß in dem Fußboden der ersten Etage ein Pflasterstuckchen etwas in die Höhe stand, so daß man darüber leicht stolpern und fallen konnte. Als man daher dieses repariren wollte, fand man darunter eine Fallthüre, die in einen tieferen Raum führte. Ein paar beherzte Maurer ließen sich in das unten besindliche Loch auf einem an einem Seil befestigten Querholze hinab, und fanden daselbst zwei nicht angeschlossene, jedoch fast ganz vermoderte Leichen mit vielen Lumpen. Diese Leichen und Lumpen wurden nun ohne weitere Untersuchung herausgeschafft und auf dem damals gleich daneben gelegenen Kirchhofe begraben.
Hier sind wir auf eine höchst auffallende Thatsache gestoßen. Es geht durch diese Nachricht zwar auf keine Weise auch nur im Entferntesten die Existenz einer, eisernen Jungfrau hervor; jedoch scheint es, daß dieser Thurm wirklich eine Zeitlang zur Kriminalrechtspflege gebraucht worden sei. War solches aber wirklich der Fall, so müßte eine derartige Verwendung zwischen dem Jahre 1666, in welchem ihn Obristzeugmeister Freiherr von Rouyer untersucht und ganz leer gefunden hatte, und dem Jahre 1724, in welchem er zur Aufbewahrung von Operndekorationen bestimmt wurde, geschehen sein.
Da während' der ganzen Regierung des Kurfürsten Karl Theodor in dem alten Opernhause am Salvatorplatze, und zwar dreimal in der Woche, Vorstellungen gegeben wurden, und der Jungfernthurm fortwährend als Dekorations-Magazin benützt wurde, so ist eine Benützung desselben zu Kriminalzwecken ganzlich unmöglich, und alle Sagen über schauerliche und geheimnißvolle
Hinrichtungen in demselben während dieser Regierungsperiode sind Fabeln.
Im Jahre 1802 endlich, unter der Regierung des Kurfürsten und nachmaligen Königes Marimilian Josef wurde das alte Opernhaus auf dem Salvatorplatze als gänzlich baufällig abgebrochen, und es wurden von nun an alle Vorstellungen in dem Theater an der Residenz, welches früher nur zu den großen Karnevalsopern gebraucht wurde, gegeben. Dadurch hörte auch der bisherige Gebrauch des Jungfernthurmes als Dekorations-Behältniß auf. Nunmehr wurde aber in demselben Jahre vom Stadtmagistrate die Herrichtung des hiedurch entbehrlichen Jungfernthurmes zu einem Arrestorte für „Houoratiores" und Wechselschuldner beantragt. Der desfallsige Kosten-Ueberschlag belief sich gegen 4000 fl. Allein ein kurfürstliches Reskript vom 23. August 1802 wies diesen Antrag deshalb ab, „weil sich der fragliche Vorschlag durch die anbefohlene Erweiterung und Verschönerung der Stadt auf dieser Seite inzwischen alterirt habe." Demgemäß wurde die Hoftheater-Commission unterm 7. Januar 1804 von der damaligen General-Landesdirektion beauftragt, „die Räumung des sogenannten Jungfernthurmes, worin bisher dem Vernehmen nach ein Theil der Theatergarderobe aufbewahrt worden, schleunigst zu verfügen, da dem hiesigen Stadtmagistrate anbefohlen worden, diesen Thurm ehestens abbrechen zu lassen."
Dieser Thurm wurde hierauf im nämlichen Jahre abgebrochen.
Der damalige k. Polizeidirektor Baumgartner gibt uns hierüber mit folgenden Worten Bericht:
„Unter dem Volke ging immer das Gerücht herum, daß in diesem Thurme in ältesten Zeiten ein heimliches Gericht gearbeitet habe und vielleicht manche Opfer begraben haben, möge. Als der Thurm abgebrochen wurde, untersuchte ich mit Stadtbaudirektor von Schede! und dem Stadt-Maurerpolier Ferdinand Zimmermann alle Winkel desselben, und es zeigte sich oben in der ersten Etage eine alte gothische Thüre, innerhalb dieser Thüre ein ausgemauertes Fletz, und auf dem Boden eine Fallthüre. Ich stieg mit einem Maurer eine Leiter hinunter, und befand mich wie in einem Begräbnisse, in welchem in einer Nische eine Art von Ruhestätte zurecht gerichtet war. Von Ketten oder eisernen Ringen habe ich keine Spur gefunden, wohl aber im Gewölbe ober der Fallthüre selbst einen eisernen Hacken zu einem Flaschenzuge, um in die ' Tiefe etwas hinabzulassen oder daraus herauf zu ziehen. Es war ein modernder Geruch in dieser Vertiefung, und der Boden war ganz mit Hülsen der Motten überdeckt, welche man an lange begrabenen todten Körpern findet. Einige Knochen, die man darin fand, waren aus der Kinnlade eines Hundes."
Aus allem diesen dürfte als das wahrscheinlichste hervorgehen, daß der Jungfernthurm in früherer Zeit, ehe er noch als Dekorations-Magazin benützt wurde, als ein Gefängniß jener barbarischen Art diente, wo die Gefangenen durch eine Oeffnung in das unterirdische Verließ oder den Kerker hinabgelassen wurden, aus welchem sie nie wieder zurückkehrten. Solche grausame Gefängnisse waren in mittelalterlichen Schlössern, Burgen und Rathhäusern, wie sie z. B. heut zu Tage noch in Regensburg gezeigt
werden, häusig vorhanden. In Frankreich existirten sie unter dem Namen der „Dublietten."
In München gab es übrigens mehrere Thürme, welche als Gefängnisse benützt wurden, so z.B. wurde der runde Thurm am Lueg ins Land, welcher noch gegenwärtig steht, im Jahre 1680 zum Gefängnisse bestimmt, und diente in dieser Eigenschaft bis zum Anfange des gegenwärtigen Jahrhundertes, desgleichen der Falkenthurm, welcher, wie schon sein Name zu erkennen gibt, ursprünglich ein Falkenhaus behufs der fürstlichen Jagden war.