Kulturlandschaft Wurmtal
Modellversuch
Arbeitsheft 74 - Bayerisches Landesamt für Denkmalpflege
Vorwort
Der Modellversuch „Landschaftsmuseum" läßt sich als eine Art Gegenmodell zur ungebrochen anschwellenden Zahl von Heimatstuben, Ortsmuseen und Ausstellungen betrachten. Es geht dabei um die aktive Vermittlung eines Gefühls der Verantwortung für an Ort und Stelle erhalten gebliebene Zeugnisse der Natur- und Kulturgeschichte, für Naturdenkmäler, Boden- und Baudenkmäler, nicht um die Musealisierung einer vielleicht „nutzlos" gewordenen Landschaft und ihrer Bestandteile. Unter „Museum" wird kein mit Ausstellungsgut, mit „Exponaten" gefülltes Gebäude verstanden, sondern die Anwendung bestimmter Formen der museumsbezogenen Geschichtsvermittlung auf Objekte des Alltags und der Gegenwart, und zwar ohne die Institution Museum. Ein Leitbild könnte hier der inzwischen auch in Bayern höchst erfolgreich durchgeführte europäische Tag des offenen Denkmals sein, übertragen auf die ja Tag für Tag mögliche Begegnung mit einer unter vielen Aspekten „offenen" Denkmallandschaft.
Hauptanliegen des Modells „Landschaftsmuseum" ist die Förderung einer besonderen Art von kommunal getragener Kulturarbeit - die systematische Darstellung und von Fall zu Fall durchaus auch spielerische Vermittlung der Geschichte einer Kulturlandschaft. Gesichtszeugnisse einer Kulturlandschaft sind im wesentlichen Einzeldenkmäler und bauliche Anlagen im Sinn des Denkmalschutzgesetzes sowie historische Kulturlandschaftselemente und Landschaftsteile von besonderer charakteristischer Eigenart nahe schützenswerter Kultur-, Bau- oder Bodendenkmäler im Sinn der Naturschutzgesetzgebung: also eiszeitlich geformte Teile der Erdoberfläche, Biotope, historische Wegeführungen, Hügelgräber, Burgställe, Schlösser, Mühlen oder Turbinenhäuser, Kapellen und Kirchen, Bauernhäuser, Industriebetriebe, Villenkolonien, historisch geprägte Siedlungskerne, Ortsgrundrisse und anderes mehr.
Der Modellversuch „Landschaftsmuseum" regt auf einer übergreifenden theoretischen Ebene auch zur Schärfung der traditionellen denkmalpflegerischen Sichtweise im Rahmen der üblichen Denkmälerinventarisation an, bei der Erfassung und Vermittlung der geschichtlichen Bedeutung von Einzeldenkmälern und Ensembles. Er thematisiert die historische Entwicklung der Denkmalorte und die Bedeutung der Denkmäler für die umgebende Kulturlandschaft. Diese Sichtweise führt nicht zu neuen Denkmalkategorien, sondern zu einem vertieften Wissen über die Denkmäler. Diese Sichtweise setzt allerdings eine interdisziplinäre Aufgeschlossenheit der Denkmalpflege voraus und nähert sich dem geographischen Konzept der „historischen Kulturlandschaft".
Eine Zusammenarbeit der Denkmalpflege mit der Angewandten Historischen Geographie im Methodischen ist nicht neu. Siedlungsformenkarten, Baualterspläne zur Stadtsanierung, auch die Reihe „Denkmäler in Bayern" (Denkmaltopographie Bundesrepublik Deutschland) und vor allem das für Bayern entwickelte Instrument denkmalpflegerischer Erhebungsbogen zur Dorferneuerung sowie weitere Verfahren zur historischen Ortsbildanalyse reflektieren die Ortsbindung des Denkmals, seine Lage und Sichtbarkeit im Raum, die andauernde Zeugniskraft des „historischen Erbes", den in bildhaften Sequenzen erlebbaren Denkmalverbund im kulturlandschaftlichen Netz und das Bedeutungsrelief der Denkmäler in ihrer räumlichen Verteilung.
In der Entwicklung seines Konzepts und der exemplarisch durchgeführten Erfassung der Kulturlandschaft oberes Würmtal für den Modellversuch „Landschaftsmuseum" ist der Verfasser noch einen Schritt weiter gegangen. Der als Denkmalpfleger arbeitende Geograph nimmt bewußt eine interdisziplinäre Sichtweise ein, um die ganze Bandbreite methodischer Möglichkeiten zur Erfassung der Geschichtszeugnisse einer Kulturlandschaft darzustellen. So eröffnet die Anwendung vielfältiger, in der üblichen Denkmalinventarisation bisher wenig beachteter Methoden, verbunden mit der systematischen Zusammen-führung und Auswertung erfolgversprechender Arbeitsmittel verschiedener Fachdisziplinen, neue Wege zum Verständnis der Geschichtszeugnisse in der Kulturlandschaft und zur Vermittlung ihrer schutzwürdigen Bedeutung.
York Langenstein
Michael Petzet
- Einleitung und Zielsetzung
- Wege zur Landschaft
- Zur geographischen Entdeckung von Natur und Landschaft
- Apodemiken, Reisehandbücher, Landschaftsmalerei und Landesvermessung: Wegbereiter der modernen Geographie
- Die frühe Geographie zwischen ästhetischer Vergegenwärtigung und wissenschaftlicher Objektivierung
- Zur Ausbildung eines musealen Verständnisses von Landschaft
- Die „Landschaft" als geographisch erforschbares Palimpsest
- Die „Landschaft" als denkmalkundliches Geschichtsbuch
- Erhaltung der „Landschaft" als Aufgabe der Landespflege und des Naturschutzes
- Zur Neuentdeckung des geographischen Landschaftskonzeptes
- Das geographische Landschaftskonzept in der Nutzung als methodisch-didaktisches Prinzip
- Methodisches Potential und Vielfalt der Idee Landschaftsmuseum
- Musealisierung der Vorstellungsbilder ferner, gemalter und kartographischer Landschaften
- Freilichtmuseen als Schutz und Speicher translozierter Elemente historischer Kulturlandschaften
- Freilichtmuseen und Denkmalschutzgebiete als Reservate in situ erhaltener Elemente historischer Kulturlandschaften
- Der französische Ansatz ,Ecomusee' und ihm verwandte Versuche, „das Museum in die Landschaft zu bringen"
- Industriemuseen, ,Museen der Arbeit' und ihnen verwandte Versuche, „das Museum in die Landschaft zu bringen"
- Das Landschaftsmuseum als methodisch-geographisches Konzept
- Zum Landschaftsverständnis der Angewandten Geographie
- Die Begriffe Altlandschaft und Landschaftsgeschichte
- Die Begriffe Persistenz und historisches Kulturlandschaftselement
- Das Landschaftsmuseum als Erschließungs- und Interpretationsaufgabe
- Die Begriffe Erfassung, Vernetzung und Visualisierung
- Die Begriffe Werkstatt und regionale Identitätsbildung
- Methodische Verfahren zur Erfassung, Vernetzung und Visualisierung historischer Kulturlandschaftselemente
- Verfahren der Angewandten Geographie
- Historisch-geographische Landesaufnahme und Kulturlandschaftsinventarisation
- Denkmodell vom Kartendruckverfahren und Deckblattverfahren
- Verfahren der genetischen Kulturlandschaftsforschung
- Verfahren der geographischen Landschaftsbewertung
- Verfahren der Landespflege und des Naturschutzes
- Luftbildauswertung und Fernerkundung
- Informationsästhetische Ansätze
- Biotopkartierung
- Verfahren der Denkmalkunde und Denkmalpflege
- Archäologische Landesaufnahme
- Fundamentalinventarisation, Baualtersplan und Denkmalliste
- Denkmalpflegerischer Erhebungsbogen zur Dorferneuerungsplanung
- Denkmaltopographie
- Denkmallandschaft
- Verfahren der Freizeitpädagogik
- Wahrnehmungsspaziergänge
- Geographische Spurensuche und Umweltwahrnehmung
- Historische Exkursion, Lehrpfad, Lernpfad, Lernlandschaft
- Konzept und Arbeitsweise des methodisch-geographischen Landschaftsmuseums
- Der Konzeptbaustein „Materialsammlung"
- Festlegung der Verfahren zur Erfassung historischer Kulturlandschaftselemente
- Festlegung der Verfahren zur Ordnung und Vernetzung historischer Kulturlandschaftselemente
- Der Konzeptbaustein „Bestimmungsbuch"
- Festlegung der „Ausstellungsthemen" des Landschaftsmuseums
- Festlegung der „Ausstellungsareale" des Landschaftsmuseums
- Der Konzeptbaustein „Werkstatt"
- Kriterien zur Wahl des oberen Würmtales als Erprobungsraum des methodisch-geographischen Konzeptes Landschaftsmuseum
- Zur Landschaftsgeschichte des oberen Würmtales
- Grenzen im Kontinuum
- Entdeckungsgeschichten des oberen Würmtales
- Die kartographische Entdeckung des oberen Würmtales
- Tabula Peutingeriana
- Philipp Apians Landaufnahme und Topographie
- Topographischer Atlas, Katasterpläne und Flurkarten
- Die topographische Entdeckung des oberen Würmtales
- Michael Wenings Historico-topographica Descriptio
- Malerische Topographien
- Historisch-statistische Topographien
- Touristische Topographien
- Die Entdeckung der Geomorphologie des oberen Würmtales
- Geologische Karten
- Eiszeitenfolge und glaziale Serie
- Nacheiszeitliche Akkumulation und Erosion im Trompetental
- Die Entdeckung der Geobotanik des oberen Würmtales
- Buchenfront und Fichteninvasion
- Siedlungskontinuität durch die Weiternutzung von Rodungsflächen
- Biotope, Natur- und Landschaftsschutzgebiete als geobotanischer Bedeutungsanzeiger
- Pollenanalysen als Schlüssel zur Siedlungsgeschichte
- Die Entdeckung der Archäologie und Denkmäler des oberen Würmtales
- Die „weise Frau" aus der Spätbronzezeit
- Die „Römerschanze" ist eine latenezeitliche Viereckschanze
- Das römische „Bratananio" lag südlich von Gauting
- Die bajuwarische Landnahme am „Pfingstmittwochbühel"
- Burgen, Mühlen, Kirchen und der Siedlungsausbau im Mittelalter.
- Exkurs: Karl der Große und das obere Würmtal
- Exkurs: Die Ruinen auf dem Karlsberg
- Exkurs: Mühlenbann, Mühlenbau und das Fischrecht
- Hofmarkschlösser und Siedlungsstrukturen
- Exkurs: Das Wildbad Petersbrunn
- Industriearchäologie und technische Denkmäler
- „Kunstmühlen" und Elektrizitätswerke
- Zur Bedeutung der Eisenbahnanbindung
- Das landwirtschaftliche Mustergut Leutstetten
- Die Gautinger Papierfabrik
- Zu den Anfängen des Industriestandortes Gauting
- Die Entdeckung des Wohn- und Freizeitwertes des oberen Würmtales
- Zu den Anfängen der „Sommerfrische" in Gauting
- Die Gautinger Villenkolonie
- Zur Trinkwasser- und Stromversorgung, Abwasser- und Müllentsorgung
- Der Wohnpark Würmufer
- Naherholungsgebiet oberes Würmtal
- Zur Interpretation der Entstehung, Lage und Persistenz historischer Kulturlandschaftselemente im oberen Würmtal
- Geomorphologische und geobotanische Strukturen der Kulturlandschaft
- Oberflächenformen der Riß- und Würmeiszeit
- Oberflächenformen des Eiszerfalls und Gletscherrückzuges
- Oberflächenformen der nacheiszeitlichen Terrassen- und Talbildung
- Anthropogene und kulturgeschichtliche Strukturen der Kulturlandschaft
- Landnahme und Rodung - Eingriffe in Oberflächenformen
- Frühe Siedelplätze - Anpassung an Oberflächenformen
- Mühlenbetrieb und Burgenbau - Optimierung der Oberflächenformen
- Industrialisierung - Ausbaugrenzen optimierter Oberflächenformen
- Gauting - Vom Dorf zur Stadtrandsiedlung
- Persistierende historische Strukturen in der Kulturlandschaft
- Zum Beharrungsvermögen von Wegenetzen und Ortsgrundrissen
- Das Standorterbe von Mühlen, Burgen und Kirchen
- Zum Standorterbe der Mühlen
- Zum Standorterbe der Burgen und Schlösser
- Zum Standorterbe der Kapellen und Kirchen
- Landschaftsmuseum oberes Würmtal
- Arbeitsformen des Landschaftsmuseums oberes Würmtal
- Arbeitsmittel des Landschaftsmuseums oberes Würmtal
- Rahmenkonzept
- Vermittlungskonzept
- Zur Entwicklung von Lernpfaden durch das obere Würmtal
- Zusammenfassung und Ausblick
- Anhang
- Karten, Folienvorlagen, Denkmalliste, Landschaftsansichten im Vergleich und Beilagen
- Register
- Verzeichnis der Tabellen
- Verzeichnis der Abbildungen
- Verzeichnis der Karten, Folienvorlagen und Beilagen
- Verzeichnis der historischen Kulturlandschaftselemente
- Abbildungsnachweis