Picassos Welt der Kinder
In den vergangenen Jahren richtete sich die Aufmerksamkeit der Ausstellungen und Publikationen auf viele Aspekte im Werk Pi-cassos. Dabei blickte man auch immer wieder gebannt auf den späten Picasso, auf die erschütternde und hemmungslose Selbstaussage eines mythisch gewordenen Giganten, der sich gegen Zerfall und Tod zur Wehr setzt. Dieser existentielle Picasso fordert heraus. Was er in diesen wilden., >freien< Bildern vorführt — die im gierig-schlürfenden Kuß verwachsenen Köpfe., die von Todesangst erfüllten Augen, den vitalen Stellungskrieg der kopulierenden Paare —, dies alles unterstreicht ein schroffes und unharmonisches Gefühl, in dem sich unsere Zeit wiedererkennt. Die vorliegende Publikation gilt einem harmonischeren Picasso. Tritt auf diese Weise ein gefälliges, konventionelles Thema in den Vordergrund, das diejenigen mit Picasso versöhnen kann, die sich vor den Forrnexzessen der Moderne fürchten? Der flüchtige Blick auf die Kiiiderdarstellungen könnte zu diesem Urteil verführen. Denn fraglos bereitet ein Großteil dieser Arbeiten Genuß und Freude. Es gibt darunter Gemälde und Zeichnungen, deren Zärtlichkeit und Brillanz an die berühmtesten Kiiiderdarstellungen von Raffael, Leonardo, Veläzquez. Rubens oder Goya heranreichen. Wir müssen jedoch Picassos Hinwendung zu den Kindern in ihrer Beziehung zum Gesamtwerk sehen. Denn sie ist vielgestaltiger und folgenreicher, als es zunächst den Anschein hat. Das Idyllische, Freundliche, das den Betrachter so spontan anspricht, erhält seine Schlagkraft nicht zuletzt dadurch, daß es durchwegs in einer dialektischen Beziehung zur Dramatik und zur Schärfe der übrigen Bildsprache bleibt. Auf eine Formel gebracht: die Kiuderszenen sind auf dem Hintergrund eines oft problematischen, schwierigen Werkes zu sehen. Ihre Rolle innerhalb der Ästhetik Picassos gilt es zu erläutern. Der Picasso, den wir hier antreffen, forciert zu einer Reihe von Fragen auf, deren Beantwortung das Gesamtwerk in einem neuen Lichte erscheinen läßt. Denn es gibt kein anderes Sujet im Werk, das den Ikono-graphen Picasso auf eine derart präzise und widerspruchsvolle Weise herauszufordern vermochte.
- Inseln im Werk
- Kindheit: Strategie des Beginnens
- Frühzeit und Blaue Periode
- Freudlose Kinder
- Das Kind als Symbol
- »Nie war mehr Anfang als jetzt«
- Die Verkleidungen der Rosa Periode
- Primitivismus oder Kindheit
- Kubismus: Die Suche nach einer Welt ohne Kindheit
- Die Rückkehr des Motivs
- Klassizismus und Stilpluralismus
- Das höfische Porträt vom Erstgeborenen
- Privates und Projektion in mythologische Ferne
- Die toten Kinder.
- Guernica und Das Leichenhaus
- Grenzen der Darstellbarkeit
- Der erste Schritt
- Fundstücke und Spielzeug
- Blick in das Sehen des Kindes
- Letzte Bilder
- Anmerkungen
- Verzeichnis der Abbildungen