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München um 1900

Titel München um 1900
Autor:in Gasser Manuel
Verlag Hallwag Verlag
Buchart Gebundene Ausgabe
Erscheinung 1977
Seiten 159
ISBN/B3Kat B00282F8AU
Kategorie Geschichte 
Suchbegriff Jugendstil 
Regierungsbezirk Oberbayern
Zitierhinweis:

Stadt der Jugend - München trug diesen Namen nie mit größerem Recht als in dem Jahrzehnt zwischen 1895 und 1905. Was immer damals an Schönem und Geistreichem, Frechem und Verspieltem entstand, wurde von jungen Menschen geschaffen; von Künstlern und Literaten, die noch keine Dreißig oder wenig darüber waren. Und diese Jugendlichkeit macht die Beschäftigung mit dem München um 1900 zum Vergnügen.

Daß einem dieses Vergnügen nicht in den Schoß fällt, sondern erarbeitet werden muß, zeigt sich schon bei der Architektur. Vieles vom Schönsten und Feinsten, was die Jahrhundertwende an Bauten hervorgebracht hat, wurde durch Bomben zerstört, durch menschliche Dummheit vernichtet oder verschandelt. Doch blieb des Staunens- und Liebenswerten genug; auch überdauern viele Denkmäler der Epoche in lebendigem Kontakt mit dem Alltag. Die Stuck- Villa zum Beispiel oder Richard Riemerschmids Kammerspiele. Leicht ist der Zugang zur Literatur des Jahrzehnts. Verse, Prosa und Bühnenstücke von Ludwig Thoma, Frank Wedekind und Otto Julius Bierbaum, der Brüder Thomas und Heinrich Mann, der jungen Annette Kolb und der jungen Franziska zu Reventlow - was immer von Einheimischen oder Zugereisten hervorgebracht wurde, hat seine Grazie bewahrt. Und da war auch der junge Stefan George und sein Kreis und der junge Rilke, der sich noch Rene Maria nannte und rührend-unbeholfene Verse schrieb. Die Geister regten sich, es war eine Lust zu leben! Ein großes geistiges Vergnügen ist es sodann, die zehn in diesen Jahren erschienenen Sammelbände der Zeitschrift «Simplicissimus» durchzugehen. Da haben sich Kunst und Witz, Kampfeslust und Sinnenfreude mit schöner Selbstverständlichkeitzusammengefunden. Problematischer hingegen ist die Malerei der Epoche. Wer die Bestände der Städtischen Galerie im Lenbachhaus in Augenschein nimmt, erkennt, daß sich das in anderen Bereichen so fruchtbare Jahrzehnt hier als eine Periode des Ausklangs, Übergangs und Tastens erweist. Der «Malerfürst» Franz v. Lenbach war alt und ausgeschöpft, der Tagesheld Franz v. Stuck pausierte, Lovis Corinth und Alfred Kubin kehrten der Stadtfrüh den Rücken, und viele unter den begabtesten Jungen wanderten von der Malerei zur Karikatur und zum Kunstgewerbe ab. Und doch war da mehr als die liebenswürdig-verspielte Kleinmeisterei eines Leo Putz, Thomas Theodor Heine oder Carl Strathmann: Ein gewaltiges Kunstgewitter zog am Horizont herauf mit Wassily Kandinsky, Alexej v. Jawlensky und Marianne Werefkin, mit Franz Marc und Paul Klee. Die waren zwar alle noch blutjung, und ihre Bilder ließen das, was wenig später unter dem Namen «Der Blaue Reiter» die Kunstwelt in Aufruhr bringen sollte, erst ahnen. Aber gerade das macht die Jahre zwischen 1895 und 1905 so sympathisch, daf.3 sie nicht in Müdigkeit und ÜberdruJ3 ausklingen, sondern das Fanal sind zu einem Auf- und Umbruch sondergleichen.

Diese Zusammenschau der Münchner Kunst und Kultur der Jahrhundertwende will dazu verleiten, die «schöne und gemächliche» Stadt, wie sie sich damals darbot, neu zu entdecken; denn was hier vor Augen
geführt und beschrieben wird, sind nur Beispiele eines künstlerischen Erbes, das in der fast unglaublich kurzen Zeitspanne eines einzigen Jahrzehnts geschaffen wurde. M. G.