Veranstaltungen - Geschichte - Kunst & Denkmal
Quelle | Zauner - München in Kunst und Geschichte (164) |
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Jahr | 1914 |
Straße | Sendlingerstraße 62 |
Johann Nepomukkirche, Sendlingerstraße 62. Errichtet 1732—34 (Fassade aus 1746) von den beiden Münchner Künstlerbrüdem Cosmas Damian und Egid Quirin Asam, demnach zur selben Zeit wie Cuvillies Amalienburg, so daß „beinahe gleichzeitig Hof und Bürgertum ihre Glanz- und Meisterstücke begonnen und ausgeführt haben [W 187]“.
Der Aussenanblick des Baues ist kaum zu trennen von dem Privathaus daneben, dem Künstlerheim der beiden Asam, die nicht nur die Schöpfer, sondern auch die Stifter der Kirche waren, so daß man in diesem Werk das Unikum vor sich hat, daß die künstlerischen Absichten von den entgegenstehenden W ünschen eines Bestellers nirgends durchkreuzt worden sind. Zudem ist dies ein Kirchenbau, der — wie kein zweiter in München — auch im Außenbau die Schlußentwicklung einer durch viele Jahrhunderte gehenden Entwicklung zeigt, nämlich eine Fassade, wo alles bis zu dem Grade vereinheitlicht ist, daß kein Bestandteil an ihr vom Ganzen ohne ästhetischen Schaden trennbar oder eine einzelne Figur herauslösbar ist, wie ja auch die Bewegung des Portals in derselben Bewegungsströmung liegt wie die Bewegung des obern Kirchenabschlusses: es ist nicht nur der Anlauf des Giebels, in dem die Figur des verzückten hl. Nepomuk ihre natürliche Stellung findet; dieser Anlauf ist vielmehr vorbereitet von unten her, in dem schrägen Vorbau von natürlichem Felsgestein, wo jenes „Empor“ erstmals anschlägt, das dann fortklingt in der kleinen Form und den kleinen Figuren des Portalabschlusses, in der ebenfalls kleinen Form des Fensters und ebenso in der großen Form des Giebelabschlusses als Abschluß des Ganzen — alles die letzte Konsequenz der bauchigen Führung der Gesamtfassade. Mit dem hl. Nepomuk aber hoch oben gehören zusammen die 2 Tugendallegorien über dem Fenster (Fides, Spes) mit einem großen goldenem Herzen, dem Symbol der Caritas in der Mitte, und die Erklärung liegt in dem Spruch, der dem Herzen aufgeschrieben ist: Fides, spes et caritas, — im Joanne unitas.
Inneres. Auch im Innern ist diese — vielleicht wundervollste — Kirche Münchens etwas so Eigenartiges, daß sich wohl auf der ganzen Welt nicht ein halb Dutzend Kunstwerke finden, die man damit in Verbindung bringen könnte — ein Bauwerk, das ein wahrer „TFaM- fahrtsort des Künstler“ sein sollte. Wo immer von diesem Bau gehandelt wird, heißt es: er ist unbeschreiblich. Eine solche Formenfülle ist hier über dem ganzen Baum ausgegossen, daß man mit der auflösenden Beschreibung kaum nachkommen kann; denn indem wir beschreiben, reißen wir das eng Gedrängte auseinander und machen aus dem, was, wie hier, etwas durchaus Simultanes ist, ein Sukzessives. Aber man kann auch weitergehen und sagen: die Kirche ist auch nicht photographierbar: es brauchte unbedingt des frei schaffenden Künstlers wieder, um aus dem Eindruck, den die Formen im Ganzen, aufgenommen auf der Fläche des Bildes, machen, das Essentielle herauszunehmen. Aber auch mit dem Wort: „ Wir haben hier eine eminent malerische Kirche“ ist hier nicht alles gesagt, solange man sich nicht vergegenwärtigt, daß in allem „Malerischen“ der Fall vorliegt, daß sich über das Gegenständliche, über das Sachliche der Formen hinaus ein zweites einstellt, das über diese Dinge hinweggeht, gewissermaßen wie ein Schleier, der über sie geworfen ist und der doch von ihm bedingt ist. Und das ist im allerhöchsten Grade der Fall in diesem Innenraum. Erstaunt, verblüfft, fast blind gemacht durch die Ueberfülle des Eindrucks, werden wir auf den ersten Blick hin es überhaupt nicht für möglich halten, uns auf das stoffliche Substrat, auf die einzelnen Formen der Wände, der Decke, des Gesimses, heruntertasten zu können. Aber lassen wir uns dadurch nicht beunruhigen; hier kommt es in der Tat in erster Linie darauf gar nicht an: wir sollen ja eben — das ist die Absicht des Meisters — übergossen werden wie von einem Sprühregen von Blitzlichtern, von jene» wunderbaren Zusammenklang der Töne, der durch einen ganz eigentümlichen Licht ei nfall bedingt ist. Diese Lichtführung aber hat ihre geheimnisvolle Quelle zunächst in dem großen Frontfenster, das das mittägliche Licht in breitem Strom durchfluten läßt, dann aber weiterhin in einem asymetrischen Licht vorne rechts, das für den Beschauer ebenfalls versteckt liegt, das da und dort im Chor einzelne Sachen herausnimmt — und gleichfalls nach dem Chor — ein Uebergewicht von Helligkeit bringt; unabhängig davon endlich ein drittes Licht, das ganz entgegengesetzt am Eingang überm Portale liegt. Dann ist auch hier, wie bei allen „malerischen“ Bauten, die Wirkung davon abhängig, daß dem Beschauer schon durch das Gitter ein bestimmter Platz angewiesen ist. Malerische Dinge dürfen nicht umgedreht, nicht umgangen werden — sie haben nur eine Ansicht (das ist eben der Unterschied des „Malerischen“ vom „Nichtmalerischen“), daß das eine einen bloßen Sehern erzeugen will und das andere dagegen körperliche Realitäten bringt.
Durch den queroblongen Vorraum treten wir ein ins mäßig gestreckte Rechteck des Hauptraums mit den abgerundeten Ecken, wo sich vorn am Chor das Queroval wiederholt; „abgerundete Ecken“ und „querovaler Chor“: das sagt schon, daß eine kulissenartige Gliederung eintritt, daß es auf Ueberschneidungen, auf geheimnisvolle Verdeckungen abgesehen ist — diese Urelemente malerischer Wirkung —, daß wir wissen: dahinter kommt noch etwas, das wir nicht genau sehen, aber doch ungefähr erraten können. Und dieser Reiz wird noch dadurch gesteigert, daß nun hinter diesem rückwärtigen, teilweise überschnittenen Werk dem Chor ein eigener Lichtweg zugeleitet wird, eben jenes asyme- triscli eingestellte Licht, das das Untergeschoß beim ersten Altar erhellt, wie dann eine neue Lichtquelle, zurückgeschoben hinter dem Altar des ersten Stockwerkes, das Obergeschoß belichtet. Und noch weiter nach oben treffen wir jene Dreifaltigkeitsgruppe, die wie ein „Baldachin“ sich krönend über jene gewundenen, frei emporgehenden Säulen legt, in denen der „letzte Trumpf“ des Formenreichtums ausgespielt wird. In der Wandgliederung ist eine Zweiteilung geschaffen durch eine durchgezogene Galerie, die — ähnlich wie im gleichzeitigen Residenztheater — malerisch mit einem plastischen Teppich teilweise belegt ist. Darunter und darüber eine Folge von vertikalen Wandteilungen, von denen das breiteste Feld scheinbar querschiffmäßig ausweicht, und dementsprechend auch das Gesims darüber plötzlich einwärts biegt. Die Hohlkehle aber mit dem Gesims darüber ist so geführt, daß sie den Deckenansatz überschneidet (wieder das Prinzip der „Ueberschneidung“): man soll nicht sehen, wo das Deckengemälde ansetzt; der Ansatz verliert sieh vielmehr hinter dieser stark vorspringenden Kehle, und es ergibt sich ein Eindruck wie jener in manchen modernen Sälen, wo man versteckte Lichtkörper über das Hauptgesims setzt. Weiterhin aber wird die Form des wirklichen Gesimses von der Malerei aufgenommen. Vor allem aber können wir auch hier jene Bewegtheit der Linie sehen, die im „malerischen“ Stil unter allen Umständen sympathisch ist, wo es eben darauf ankommt, nicht —• wie in der Renaissance — das einzelne, tastbare Glied im Detail zu formen und zu sehen, sondern den Eindruck eines alles überrieselnden, alles überschauenden Etwas herzustellen, wobei man nach den einzehien Trägern der Formen (den Kapitellen, den Säulenfüßen u. dgl.) gar nicht frägt und auch nicht fragen soll — das einzelne Glied ist vollständig untergegangen in jenem Meer von Bewegung, Licht und Formen des Ganzen.
Einzelbeschreibung:
Gemälde. Am flachgewölbten Plafond großartiges, kolossales Deckenfresko mit Szenen aus dem Leben und Leiden des hl. Nepomuk, „ein kaum üdersehbarer Deckenprospekt mit endlosen Raumtiefen“. Die beiden Längswände sind „für eine große rhetorische Konfrontation zweier effektvoll vorgetragener Themata aus dem Leben Christi bestimmt (von der Hand Amigonis oder C. D. Asams selbst); rechts eine „Anbetung der Hirten“; links die „Tempelaustreibung“, ein glänzendes Meisterstück der Theatermalerei im Stil Tiepolos: Christus stürmt aus dem Tempel heraus und treibt die Händler und Wucherer mit hoch erhobener Geißel vor sich her, daß sie kopfüber die Treppe herunterstürzen, die Warenballen vor ihnen her; die augentäuschende Wirkung ist sehr auf die Spitze getrieben, daß es scheint, als ob das stürzende Chaos bis auf die Bänke in der Kapelle fallen könne; nur eine Frau mit Broten im Arm, die für die Tempelopfer bestimmt waren, nimmt feierlich und gelassen ihren Weg über die Treppenstufen, als wäre sie eine der berühmten Randfiguren Tizianscher oder Paolo Veronesischer Fresken [WT'. Auf der Galerie links 2 Fresken von C. D. Asam: das Grab des hl. Johannes Nepomuk im Dom zu Prag, rechts die Verehrung seiner Reliquien. Im Schiff links gutes Oelgemälde auf Leinwand von Celesti; Fußwaschung Christi durch Magdalena. Hinterm Hochaltar grau in grau die Medaillonsbrustbilder der beiden Stifter und Künstler C. D. und E. Q. Asam, von C. D. Asam. Neben dem Bild der Tempelaustreibung die Verleihung des Rosenkranzes durch Maria an Dominikus; gegenüber an der rechten Wand der hl. Schutzengel, wahrscheinlich von Karl Loth; weiter: Christus wäscht den Aposteln die Füße; in der Türfüllung darunter Johann Nepomuk im Kerker, von Franz Erasmus Asam.
Altäre.
1. Der Hochaltar in seinem oberen Säulenaufbau mit der Giebelgruppe „eines der glänzendsten Altarwerke Egid Asams“; auf der Marmormensa ein Metalltabernakel (beide erst von 1783); dahinter ein mächtiger Sarkophag des Heiligen; darüber eine Riesengloriole, deren Strahlen von einem Medaillonbild (Christus) ausgehen; an den Strahlen angeschraubt Silberwolken und Engelsköpfe, Ornamente und anderer Schmuck, alles in Silber getrieben, von hohem Wert und von vorzüglicher Technik; im übrigen ein fast überladenes, aber ungemein färben- und formenreiches Werk der virtuosesten Schreiner-, Gipser- und Malerkünste.
2. Die Seitenaltäre, dem Zeitstil gemäß in den innigsten Konnex mit der Architektur gebracht; über der tumbaförmigen Stuckmarmormensa ein Hochbau als Umrahmung einer Nische für die plastischen Altarbilder, worüber sich ein zierlicher Baldachin wölbt; am linken Seitenaltar eine flott modellierte „Maria vom Siege“ in der Mandorla: das liebliche Kind auf dem Arm stößt dem Drachen die Lanze in den Bachen.
3. Der Galeriealtar im Obergeschoß, ein Bruderschaftsaltar, gewidmet der hl. Dreifaltigkeit: in der Hauptsache eine äußerst bewegte Säulenarchitektur, welche das obere Altarbild (das erst später eingesetzt wurde) umgibt und die Trägerin der plastischen Giebelgruppe der hl. Dreifaltigkeit bildet. (An Stelle dieses schwachen Gemäldes war früher die Figur des Kirchenpatrons aufgestellt, eine Arbeit von Stuck und somit wahrscheinlich von Astvn selbst.) Ein sicher von der Meisterhand Egids herrührendes Werk ist die Dreifaltigkeitsgruppe und die 4 sie tragenden Säulen mit ihrem überaus reichen figürlichen und dekorativen Schmuck: „ein Keichtum in Formen und Farben ist über diese Komposition ausgegossen wrie an keinem andern Werk des Künstlers“; die Architektur verläßt alle statischen Gesetze und löst sich in die freieste Dekoration auf. Engelchöre in bewegtesten Posen barocker Akrobatenplastik sind hier besonders dicht und zahlreich, „so daß diese zweigeschossige Apsis die tollsten und schmucksten Tricks der schwebenden, fliegenden, gaukelnden und schaukelnden Artisten aus der Asam- schen Luftgymnastikertruppe enthält; mit Stolz mögen die Meister gerade dieses Schlußtableau ihrer Begiekunst betrachtet haben — es ist wohl nirgends an meisterhafter Kombination übertroffen worden [W 187]“.
Egid wählte bei den 4 Säulenschäften die graziös gewundene Form (wie er es ganz ähnlich in Fürstenfeld tat), einerseits um mehr Leichtigkeit und Anmut in die Komposition zu bringen, andererseits um das Schwerlastende der Säulen, welche als Basis die leichte Bailustrade der zierlich sich ausbiegenden Galerie haben, in einer solchen Höhe möglichst zu vermindern ; auf diesen 4 Säulen sitzen zierlich geschwungene Kämpfer und darüber die breit ausladenden, in Kurven gehaltenen Gebälkstücke. Völlig frei stehen die beiden vordem Säulen, nur durch äußerst reizvolle Gipsguirlanden mit den rückwärtigen beiden andern Säulen verbunden. Die Lebhaftigkeit der in steter Schwingung laufenden Gesimse, Gebälkstücke und Säulenkämpfer ist derartig an keiner Altararchitektur Asams hervorgetreten und läßt bereits den Geist der Altaranlagen im Geschmack des Bokoko erkennen. Der figürliche Schmuck des Altares konzentriert sich aufs reichste um die Hauptgruppe: die hl. Dreifaltigkeit; „in dieser hat der Küns tier das denkbar höchste geleistet, was die Plastik überhaupt zu leisten imstande ist [Hf]“; die Gruppe scheint frei über dem Chor zu schweben; mit welchem Geschick ist dabei jede Verbindung mit dem architektonischen Stütz- und Haltpunkten verhüllt, daß die ganze Gruppe mit dem gewaltigen Heiland von den Engeln getragen erscheint. Hie „Idee“ dieser Dreifaltigkeitsgruppe ist in ihrer Innigkeit echt deutsch; Egid wählte nicht das Nebeneinanderthronen der beiden göttlichen Personen und dazwischen den hl. Geist im Strahlenglanze — eine Komposition, die an zahlreichen Eokokoaltären zu sehen ist; er greift vielmehr die alte, deutsche, im ausgehenden Mittelalter so beliebte Anlage des sogen. „Gnadenstuhles“ auf, wobei GottVaterseinen am Kreuz hängenden Sohn vor sich auf dem Schoß hält und der Menschheit zeigt. Im einzelnen sind die Figuren der Gruppe mit seltener Sorgfalt durchgeführt, trotzdem sie rein dekorativ und nur für die Ferne wirken sollen: die Gestalt Gott Vaters mit seinem herrlichen Haupt, das voll Liebe und Milde zum göttlichen Sohn herabgeneigt ist, ist in ihrer Erhabenheit und Majestät ein Meisterwerk ; feinfühlig zurückgehalten ist der allzu starke Realismus in der Figur des gekreuzigten Heilandes im Augenblick des Hinscheidens: sein auf die rechte Seite der Brust herabgesunkenes Haupt spricht das „Consummatum est“ in ergreifender Weise aus. Die Anordnung des herabhängenden Kreuzesbalken mitten in der Zeit des üppigsten Barocks und Rokokos versetzt uns mit einemmale zurück in eine geradezu entgegengesetzte Stilperiode, in die Gotik, wo von der Höhe des Triumphbogens oder über dem Altar das mächtige Kreuz ernst und feierlich sich herabsenkte.
Die ganze Gruppe zeigt von einer tief innerlich empfundenen, liebevollen Ausführung, so daß wir mit dem Gewirr von Engelsgestalten versöhnt werden, die mehr dem italienisch-theatralischen Geist entnommen sind und bei deren Bildung die Virtuosität der Technik einseitig betont ist; die nackten Körperteile, besonders die graziös ausgestreckten Beine, streifen an Manier: der Künstler wollte die Schönheit und den regelmäßigen Bau der Füße in einer ziemlich vordringlichen Weise zeigen — das war im Geschmack der Zeit gelegen, dem auch Asam den Tribut zollen mußte.
In der Vorhalle trefflich geschnitzte Beichtstühle in schönem, dunkelbraunem Holz, von dem sich weiße Puttenköpfe leuchtend abheben; über den Beichtstühlen wird in starker Antithese der Tod des Sünders und des Gerechten vor Augen gestellt: „aus dem offenen Grab erhebt sich der arme Sünder, fleht um Gnade, aber findet keine mehr; er ist verloren; und ein Engel macht sich daran, ihm das Leichentuch unter dem Körper wegzuziehen: nackt und bloß soll er liegen bleiben; denn der Tod des Sünders ist schrecklich: mors peccatorum pessima. Gegenüber zieht der Gerechte auf Wolken in den Himmel ein, wobei ihm ein Engel den Weg weist und andere Engel, Rosenkränze im Haar, ihn begleiten.
Bemerkenswert das reich und schön komponierte schmiedeeiserne Abschlußgitter. Im Vorraum rechts Epitaph für einen Grafen Zech mit einem merkwürdigen Intermezzo zwischen dem Tod und einem kleinen Puttenengel, der mit wehmütigem Gesicht den Lebensfaden des armen Grafen dem Knochenmann mit der großen Schere hinhält [Dr. Rich. Hoffmann, Altäre der Erzdiözese].