Alte Quellen

Sendling

Quelle Zauner - München in Kunst und Geschichte (315)
Jahr 1914

Sendling. Geschichte der Vorstadt. Sendling (womit OberSendling gemeint ist) ist schon 782 als Bajuwarenniederlassung „ad Sentilingas“ (=bei den Nachkommen des Sentilo) beurkundet. Im 10. Jahrh. ist es bereits Sitz einer Ding- oder Gerichtsstätte des Edelgeschlechtes der „Sendlinger“, deren Burgen im sogen. Reichenthal an der Isar bei OberSendling gestanden haben und deren Ruinen noch 1773 sichtbar gewesen sein sollen. In UnterSendling besaß Sigmund Marquard Freih. von Pfetten eine Taferne, neben der sich ein adeliges Gut mit Schlößchen befand, das 1698 an den kurf. Hofkammerrat und Landrichter zu Waldeck, Thomas Maccolini, überging und mit dem jetzigen Cafe Harras identisch sein dürfte [F],

Mordweihnacht von 1705, Episode aus dem unglückseligen Spanischen Erbfolgekrieg 1701—14. Der kinderlose König Karl II. von Spanien ernannte i698 den bayerischen Prinzen Joseph Ferdinand, Sohn des Kurf. Max Emanuels aus dessen erster Ehe mit Maria Antonia von Oesterreich, zum Erben der spanischen Länder und zwar unter Widerspruch des Kaisers Leopold von Oesterreich, dessen einziges Kind aus erster Ehe jene Maria Antonia war und der statt ihrer seine Söhne aus zweiter Ehe für erbberechtigt hielt. Aber der bayerische Prinz starb schon 1699. Da ließ König Ludwig XIV. von Frankreich seinen Enkel Philipp von Anjou als Erben aufstellen und versprach dem bayerischen Kurfürsten die Niederlande für seine Hilfe gegen den Kaiser. In dem nun ausbrechenden Kriege Oesterreichs und Englands als dessen Bundesgenossen (unter Marlborough) gegen die Bayern und die Franzosen (unter dem General Villars) unterlagen 1703 die Letzteren in der entscheidenden Schlacht bei Höchstädt a. d. Donau und Max Emanuel floh nach Frankreich, nachdem ihm Oesterreich alles Land — mit Ausnahme München mit Stadt und Umgebung — abgenommen hatte. Als aber bald darauf auch die Kurfürstin — unter Zurücklassung ihrer Prinzen — München verließ, besetzten die Oesterreicher auch die Landeshauptstadt. Jetzt erhob sich das unglückliche Volk, das unter dem furchtbaren Druck, den die Oesterreicher ausübten, schwer litt, gegen die Fremdherrschaft und zur Befreiung der bayerischen Prinzen — entschlossen, „lieber bayerisch zu sterben als kaiserlich zu verderben“. Zuerst, im Herbst 1705, standen auf die Leute im Innviertel, dann folgte das Oberland. Da waren es zuvörderst Münchner Bürger, wie der Bierbrauer Ballmaier, die Weinwirte Jäger und Khidler, der Weinhändler Schandl und der Postmeister Brix, die mit den Gesinnungsgenossen außerhalb der Stadt in Verbindung traten. Der Weinwirt Jäger, ein geborner Tölzer, eilte in seine Heimat, um seine Landsleute unter die Waffen zu rufen; am 16. Dezember fand im nahen Königsdorf die entscheidende Versammlung statt und Tölz wurde zum Mittelpunkt des Aufstandes. Im dortigen Franziskanerkloster versammelten sich die Pflegerichter von Valley, Aibling, Miesbach, Wallenburg, Beichersbeuern und Tölz sowie die Klosterrichter von Tegernsee, Dietramszell und Benediktbeuern. Nahezu 1000 Schützen unter Führung des französischen Hauptmanns Gauthier bewaffneten sich mit ihren Stutzen; der übrige Haufen schmiedete Sensen, Gabeln, Sicheln, Pflugscharen zu Waffen um. Inzwischen trafen auch die Patrioten Münchens ihre Vorbereitung, und schon hatte der Eisenhändler Senser (dessen Haus und Eisenhandlung an Stelle des jetzigen Kaufhauses Grießl an der Ecke Sendlingerstraße-Färbergraben stand), dem als Magistratsrat die Aufsicht über die Schlüssel zu den Toren und Schanzen zustand, die Schlüssel zum Hofgartentor einem Hofkoch übergeben, damit hier die Hauptmacht der Oberländer hereingelassen würde, während die kleine österreichische Garnison von 700 Mann damit beschäftigt werden sollte, den Angriff der übrigen Oberländler am Boten Turm beim Isartor abzuwehren; eine I’akctte würde vom Petersturm in die Höhe steigen und den Männern vor den Toren das Zeichen zum Angriff geben. Am 23. Dezember versammelte sich die ganze Macht der Patrioten bei Schäftlarn und der Hauptmann Mayer von der Leibgarde der Kurfürstin übernahm den Oberbefehl. Auch wurde jetzt die Verbindung mit den aufständischen Unterländlern herzustellen versucht, nämlich mit den Bauern von Erding, Haag und Grafing unter dem Befehl des Posthalters von Anzing. Doch wußte dies der österreichische General von Krieschbaum zu vereiteln. Also brachen am 23. Dezember die Oberländler allein von Schäftlarn auf nicht ahnend, daß sie in ihrer Mitte einen Verräter hatten, nämlich den Pflegrichter Johann Joseph Oettlinger von Starnberg. Der eilte ihnen voraus und verriet sie an den österreichischen Statthalter in München, der sofort den General Kriechbaum von Anzing her zu Hilfe rief. Die Hauptstadt selbst war im ganzen wenig vorbereitet auf den Kampf gegen die Oesterreicher: die Bürger waren im voraus niedergedrückt und unschädlich gemacht durch die Wachsamkeit der österreichischen Garnison; nicht einmal die Christmette durfte in den Kirchen gefeiert werden; unter Todesstrafe war es verboten, am Weihnachtsabend auf die Gasse zu treten; alle Waffen mußten abgeliefert werden. Unterdessen zogen die Oberländler bis Thalkirchen, wo sie ihr Mittagsmahl einbrachten. Hierauf ging ein Teil bei Harlaching über die Isar; die Hauptmacht aber bezog bei Unter-Sendling das Hauptlager und stellte die Wälle und Schanzen her. Unterdessen vereinigte sich die nach Harlaching ziehende Truppe in Giesing mit den „Zimmerleuten von der Au (96 Mann stark). Vergebens warteten sie auf das Zeichen vom Petersturm; da begannen sie den Ansturm auf den Roten Turm, dessen Tor unter den Axthieben der Zimmerleute fällt; die Besatzung wird niedergemacht und die Isarbrücke abgebrochen, um gegen den heranrückenden Kriechbaum sicher zu sein; doch die Stadtmauern bieten zu großen Widerstand. Inzwischen kam auch die Hauptabteilung vom Sendlingerfeld her an der „Schmerzhaften Kapelle“ (jetzt Kapuzinerkirche) vorüber bis zum Isartor. Sie erwarteten, ihre Freunde würden ihnen aufmachen; aber nicht diese waren es, sondern die Grenadierbataillone des österreichischen Obersten de Wendt. Um 1/28 Uhr kam endlich General Kriechbaum mit seiner Kavallerie und Infanterie an, und nun wurden die Bauern wieder bis Sendling hinaufgetrieben unter schrecklichen Verlusten an Verwundeten und Toten. In weitem Bogen umschlossen die Kaiserlichen das Dorf. Es wurde Pardon verheißen unter der Bedingung, daß die Leute sich aufs Sendlinger Unterfeld begeben, um dort die Waffen zu strecken. Eine große Menge gehorchte — und nun vernehmen wir einen zeitgenössischen Bericht: „Bei den Umrungenen aber ist es sehr übel und erbärmlich hergegangen, indem es geheißen: ihr habt Pardon, legt eure Spieße nieder, habt Reu und Leid über eure Sünden; alsdann erfolgte Feuer. Und wie die erste Salva vorbey: „Wer noch lebendig, stehe auf!“ — hat man gleich wieder Salva gegeben und türkisch umgemetzgert, bis 1100 Mann auf dem Platz gebheben.“ Die Pfarrkirche von Sendling und die Straßen des Dorfes wurden nun der Schauplatz des letzten Verzweiflungskampfes; vier Stunden lang dauerte das Gemetzel; nur wenigen gelang es, zu entrinnen und ein großer Teil des Dorfes ging in Flammen auf. Als der Letzte kämpfte nach der Erzählung der riesige Schmied Baltes, umgeben von seinen Söhnen; sein Morgenstern schmetterte mit jedem Hieb einen Gegner nieder, bis er selbst als der Letzte sterbend niedersank. Hauptmann Gauthier fiel durch eine Geschützkugel; Hauptmann Mayer, die Leutnants Clanze (Dolmetsch für Gauthier und Aberle wurden gefangen. Mayer erhielt nach neunjähriger Haft und Erstehung der schrecklichsten Tortur die Freiheit; Clanze und Aberle wurden gemeinsam mit dem Weinwirt Khidler am 29. Januar 1706 auf dem Marienplatz enthauptet, der Weinwirt Jäger aber wurde am 17. März 1706 in schauerlicher Weise hingerichtet, nämlich gevierteilt, sein Kopf auf dem Isartor und seine Leichenstücke auf der Stadtmauer zum abschreckenden Beispiel aufgesteckt. Andern Häuptern der Erhebung gelang es zu entfliehen; insbesondere waren es die Kapuziner und Franziskaner, die unter dem Schutz des Kleides des hl. Franziskus im stillen Frieden ihrer Klöster manchen vor dem Grimm der Feinde bargen. Der große Sprachforscher Joh. Schmeller forderte als erster (1818) zur Errichtung eines Denkmals für die braven Helden auf; 1831 fand ein solches in Form eines Weihbrunngefäßes aus Erzguß auf ihrem Massengrab (682 gefallene Bauern in 9 Gräbern) im Südlichen Friedhof (am äußeren westlichen Hauptgange) Aufstellung, gestiftet von König Ludwig I. Desgleichen stiftete Geheimrat Philipp Zwackh ein Denkmal auf dem Sendlinger Friedhof, woselbst 3—400 der Tapferen ruhen; 1831 wurden dortselbst das herrliche Fresko des Wilhelm v. Lindenschmitt „Heldentod des Schmid Balthes und seiner Kampfgenossen“ an der Außenwand der Margarethen-Pfarrkirche enthüllt. Endlich 1911 wurde der Gedenkbrunnen in der Lindwurmstraße errichtet (von Bildhauer W. Ebbinghaus und Arch. Carl Sattler); vor einer Ballustrade steht auf mächtigem Sockel der Held Schmid-Balthes, nur mit dem Schurzfell bekleidet und kampfbereit die Fahne der Erhebung geschultert. Ein literarisches Denkmal — aere perennius — weihte den Oberländlern Professor Joh. Nep. Sepp. Die Stadt München selbst aber ehrte die Wackeren, indem sie deren Andenken und das Andenken derer, die ihnen zum verdienten Ruhm für die Nachwelt verholfen haben, dadurch wach erhielt, daß sie in den Straßen Sendlings deren Namen sowie die Namen ihrer Heimatgaue verewigte. [Nach „Sendling und Aidenbach“ von Albert Clementi in B. 06.)


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