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Die Baukunst Alt-Münchens

II. Abschnitt: Baugeschichtliche und bautechnische Erläuterungen zu den Stadtbildern.

Das Heiliggeistspital war für die damalige Zeit eine sehr bedeutende Anlage; sie bestand aus mehreren Gebäuden, die sich über den ganzen jetzigen Viktualienmarkt ausdehnten; das Spital hatte schon in den ältesten Zeiten einen eigenen Friedhof mit einem Kirchlein an der Stadtmauer (siehe Abb. 45); der Spitalfriedhof wurde erst 1769 resp. 1789 außer Gebrauch gesetzt.

Dann besaß das Spital auch noch eine eigene Bierbrauerei, und zwar verlieh  Herzog Ludwig der Strenge dem Spital schon im Jahre 1286 eine Bierbrauereigerechtsame, es hatte ferner auch eine Mühle, eine Bäckerei, eine Fleischbank; 1489 wurde ein Waisenhaus erbaut, 1589 eine Gebärstube; am Ausgang des 5. Jahrhunderts wurde „die Stube der Sinnlosen“ (eine Art Irrenanstalt) eingerichtetet. Das Spital, das neben der Verpflegung Armer und Kranker auch „eingekaufte“ (vermögliche Pfründer aufnahm, erwuchs allmählich „zu einer Stadt in der Stadt“. — Das Heiliggeistspital bestand 600 Jahre.82)

1885 wurde als letzter Rest des Spitals des Weibersaal des Siechenhauses, der zuletzt als Fleischbank diente, abgebrochen und die Kirche um drei Joche verlängert; die Kirche erhielt nun eine Westfassade im Stile der von den Brüdern Asam erbauten alten Kirche.83)

Der dicke, runde Turm, der „große Scheiblinge-Turm“, den wir im Vordergrunde des Bildes 46 sehen, schütze den Zugang zum Einlaßtor; Dr. Karl Trautmann führt die Erbauung dieser dickwandigen, mit Schießscharten versehenen rinden Türme, von denen die zweite Befestigung Münchens mehrere aufweist, darauf zurück, daß die weittragenden Geschütze den Mauern immer gefährlicher wurden und deshalb an besonders exponierten Punkten der Umwehrung diese Rundtürme zur Abwehr des Artillerieangriffs notwendig wurden.84)

Beim Einfluß des Isarbaches in die Stadt sehen wir über der einen Bogenöffnung in der Stadtmauer — zum Schutz dieser Öffnung — einen kleinen Gußerker; der Bach teikt sich dann noch innerhalb des Zwingers; ein Arm fließt links durch den Zwinger selbst in die Roßschwemme (wo er sich mit dem Glockenbach vereinigt); ein schmälerer Arm überquert den Zwinger und fließt unter dem Gebäudeflügel eines zum Heiliggeistspital gehörigen Wirtschaftgebäude (oder auch Krankenhauses) auf den Platz des heutigen Viktualienmarktes, um den verschiedenen Zwecken des Spitals zu dienen. Auffallend ist das eben erwähnte Gebäude des Spitals durch seine Größe; drei seiner 4 Flügel haben im Erdgeschoß offene Arkaden.

In architektonischer Hinsicht bildete die Heiliggeistkirche, deren Chor mit dem im Tal anstoßenden Bürgerhäusern durch einen Bogen verbunden war85), eine schöne Baugruppe, die infolge der zwangslosen Zusammensetzung aus verschiedenartigen Elementen, — siehe die Steigerung von dem zu Füßen der Kirche liegenden Verkaufsladen bis zu dem das Ganze überragende hohen Kirchendach! —, eine zweifellos malerische Wirkung gehabr haben muß; störend wirkte nur der unorganische Anschluß des Spitalgebäudes an die Westseite der Kirche. Die im rechten Winkel zu einander stehenden Dächer der Kirche und des Weiberbaus bilden ohne jeden Übergang einen unschönen und wahrscheinlich auch infolge der mangelhaften Abwässerung einen schädlichen Winkel.

Das gebrochene Dach der Kirche erinnert in seiner Form an das Dach der Frauenkirche; da die Heiliggeistkirche nach F. M. Forster viel älter ist, als die Frauenkirche, ist es nicht unmöglich, daß sie für die letztere in manchen Punkten als Vorbild diente, zumal gerade diese gebrochene Dachform in der Gotik selten vorkommt. Diese Dach scheint beim Umbau der Kirche durch die Brüder Asam abgetragen oder abgeändert worden sein.


82) Das gottselige München, S. 810—821.
83) München und seine Bauten, S. 72.
84) München und seine Bauten, S. 38.
85) Offenbar war das ganze Gebiet des Heiliggeistspitals von der städtischen Umgebung vollständig anschließbar, denn wir sehen auch auf
Abb. 46 einen Torbogen.

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