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Ein Jahrhundert München

Ein Ausflug nach Schwabing um 1820

dann auf dem Kirchhof die Gräber der verstorbenen Freunde und Verwandten aufzusuchen. Auch das Leichenhaus bildete eine große Anziehungskraft für jung und alt. 2m Methaus, Metgarten, auch Lebzelter genannt, von denen das beliebteste der Dom- berger in der Neuhauserstraße war, stärkte man sich mit dem süßen dunklen Met und den herrlichen Lebkuchen. Ein kleiner Baumgarten von einfachen Galerien, Lauben, umgeben, bildete den Tummelplatz für uns Kinder, die wir es kaum erwarten konnten, bis endlich der Vater kam, uns zu einem großen Spaziergang abzuholen. Wenn cs nun nach langer gründlicher Beratung gar hieß: wir gehen nach Schwabing, so war das schon eine große Partie, und wir wurden erst gründlich untersticht, ob unsere Kräfte, vor allem aber unsere Stiefel, einem solchen Unternehmen gewachsen schienen. Das war nun ein Jubel, und gerne wären wir gleich losgestürmt! Einst- weilen hieß es aber gesittet neben Vater und Mutter zu gehen, solange wir noch in der Stadt waren. Gott sei Dank für uns, waren wir bald am letzten Haus und vor der Stadt angelangt. Wo nämlich jetzt die Feldherrnhalle steht, war damals ein großes Haus mit einem Muttergottesbild an der Fassade, mit dem Blick gegen Schwabing. Von da an bestand beinahe alles aus Wiesen und Feldern und un- bebautem Land. Zur Linken, wo später die schonen Auslagenfenster von Thierry und van Hees — Ecke der Brienner- und Ludwigstraße — den Vorübergehenden so verführerisch einluden, stand auf einem kleinen bewaldeten Hügel ein kleines Haus, das Schettville-Schlößchen genannt. Rechts die Reitschule, dahinter der Hofgarten mit dem kleinen See, den schönen Schwänen und den herrlichen Anlagen. All diese Pracht war jedoch für die profanen Augen des Münchner Bürgers verschlossen. Liber duftige Wiesen und Felder wanderten wir gegen Schwabing, traten dort in die kleine Kirche, erlabten uns im nahen Wirtshaus mit Bier und Brot, tollten noch tüchtig herum und traten dann nach gründlicher Rast die Heimreise wieder an. Zu Hause aber schlüpften wir ermüdet in unsere Betten, träumten von dem herrlichen Tage, und die ganze Woche zehrten wir von solch einem Ausflug und wurden nicht müde, die verschiedenen Eindrücke und Erlebnisse nochmals nachzukosten.

Wie es damals am Schwabinger Tor aussah, hat der treffliche Münchner Vedutenmaler Domenico Ouaglio in einer seiner schönsten Münchner Ansichten, die sich in der Neuen Pinakothek befindet, bildlich festgehalten. Eine Wiedergabe dieses Bildes ist unserm Buche beigegeben. Das „Schettville- Schlöfichen" war der Wohnsitz des ehemaligen kurfürstlichen Gobelinwirkcrs Andre Chedeville (f 1820), eines großen Gartenfreundes, dessen Ehefrau das besuchteste und vornehmste Mädchenpenfionat Altmünchens unterhielt.

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