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Ein Jahrhundert München

Ein Ausflug nach Schwabing um 1820

Die PraterinselDie Praterlnsel. Radierung von Eugen Neureuther

Frau Josephine Kaulbach, eine geborene Münchnerin, erzählte nach der Aufzeich- nung ihrer Tochter, Frau Josephine Dürck-Kaulbach in deren Buch „Erinnerungen an Wilhelm von Kaulbach und sein Halls" über einen Münchner Sonntag um das Jahr 1820: Der Münchner Bürger führte, als ich jung war, etwa 1810 bis 1820, ein mono- tones, spießbürgerliches, aber arbeitsames Leben. Der ganze Tag von früh morgens bis abends spät war nur der Arbeit und der Pflicht geweiht,- ein Spaziergang an einem Wochentage ware deshalb als ein großer Leichtsinn und frevelhaster Übermut von der ganzen Berwandtschast besprochen und kritisiert worden. Dagegen liebte der ehrsame Hausvater es sehr, sich abends nach dem Essen noch auf ein Stündchen zu seinen Freunden an den Wirtstisch zu sehen und etliche Gläser oder auch Krüge Bier zu leeren und dabei die wichtigsten Tagesereignisse zu besprechen. Um neun Uhr, wenn die Stadttore gesperrt wurden, trennte sich die Gesellschaft,- blieben aber einige lockere Gesellen wirklich noch sitzen, so war es um elf Uhr, wenn die Polizeistunde schlug, die höchste Zeit, durch die dunklen Straßen, mit der Laterne in der Hand, dem sicheren Heim zuzueilen. Der Sonntag war jedoch ganz der Erholung geweiht. Früh ging die Familie zur Kirche, hörte Amt und predigt mit großer Andacht,- dann machte man kleine Gänge durch die Stadt, besuchte den Herrn Vetter, die Frau Goden, erkundigte sich nach dem werten Befinden der Frau Bas und war Punkt zwölf Uhr wieder zu Haus am Mittagstisch beisammen. Bach Tisch, während der Vater ein bischen einnickte, ging die Mutter mit den Kindern zur Vesper, um

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