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Ein Jahrhundert München

Heinrich Heine in München

Vom Spätjahr 1827 bis zum Sommer 1828 lebte Heinrich Heine in München, wo er als Redakteur für den Cottaschen Verlag tätig war. Unter seiner Leitung erschienen hier zwei Bände der „Neuen politischen Annalen", für die er einen Teil seiner „Englischen Fragmente" schrieb. Er hoffte auf eine Professur an der Münchner Universität. Als sie ausblieb, obwohl sich Cotta, unter Überreichung der Werke Heines, bei König Ludwig sehr nachdrücklich dafür eingesetzt hatte, wurde Heine bitter. Das mag den Ton erklären, in dem er in Briefen und Aufsätzen über München und später in boshaften Ausfällen besonders über Ludwig I. spricht:

München ist eine Stadt, gebaut von dem Volke selbst, und zwar von aufeinander- folgenden Generationen, deren Geist noch immer in ihren Bauwerken sichtbar, so daß man dort, wie in der Hexenszene des Macbeth, eine chronologische Geisterreihe erblickt, von dem dunkclroten Geiste des Mittelalters, der geharnischt aus gotischen Kirchen- pforten hervortritt, bis auf den gebildet lichten Geist unserer eigenen Zeit, der uns einen Spiegel entgegenhält, worin jeder sich selbst mit Vergnügen anschaut. In dieser Reihenfolge liegt eben das Versöhnende,- das Barbarische empört uns nicht mehr, wenn wir es als Anfänge und notwendige Übergänge betrachten. Wir sind ernst, aber nicht unmutig bei dem Anblick des barbarischen Domes, der sich noch immer kn stiefelknechtlicher Gestalt über die ganze Stadt erhebt und die Schatten und Gespenster des Mittelalters kn seinem Schoße verbirgt. Mit ebensowenig Unmut, ja sogar mit spaßhafter Rührung betrachten wir die haarbeutelkgen Schlösser der späteren Periode, die pluinp-dcutschen Nachäffungen der glatt-französischen Unnatur, die prachtgcbäude der Abgeschmacktheit, toll schnörkelhaft von außen, von innen noch putziger dekoriert mit schreiend bunten Allegorien, vergoldeten Arabesken, Stukkaturen und jenen Schilderekcn, worauf die seligen hohen Herrschaften abkonterfeit sind. Wie gesagt, dieser Anblick verstimmt uns nicht, er trägt vielmehr dazu bei, uns die Gegenwart und ihren lichten Wert recht lebhaft fühlen zu lassen, und wenn wir die neuen Werke betrachten, die sich neben den alten erheben, so ist's, als würde uns eine schwere Perücke vom Haupte genommen und das Herz befreit von stählerner Fessel. Ich spreche hier von den heiteren Kunsttempeln und edlen Palästen, die in kühner Fülle hervorblühen aus dem Geiste Klcnzes, des großen Meisters.

Daß man aber die ganze Stadt ein neues Athen nennt, ist, unter uns gesagt, etwas ridikül, und es kostet mich viele Mühe, wenn ich sie in solcher Qualität ver- treten soll.

(Aus den „Reisebildern II" 1828 — 1829.)

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