Stadtplanung im 19. Jahrhundert
Das Beispiel München bis zur Ära Theodor Fischer
Einleitung
Der Vergleich des Baubestandes der Stadt München im Jahre 1833 (Abbildung 1) mit dem von 1908 (Abbildung 2) zeigt eine erhebliche räumliche Erweiterung der Stadt und zugleich neuartige Elemente wie Eisenbahnanlagen oder radial verlaufende Ausfallstraßen mit bandartiger Besiedlung. Parallel zur Ausweitung der Stadt zeigen die Karten das Zurückweichen der Natur; Heide und Wald sind 1908 vielfach verschwunden, die wilde Isar ist begradigt, das dichte Netz der Feldwege ist mancherorts aufgeknüpft. Beide Entwicklungslinien bedingen einander; die Arbeit beschäftigt sich nicht nur mit der Geschichte einer Stadt, Münchens, sondern auch mit der Erforschung des Urbanisierungsprozesses, der in Deutschland im Laufe des 19. Jahrhunderts so stark einsetzte, daß er zur allgemein verstandenen Benennung dessen taugt, was das Neue dieser Epoche ausmacht. „Zeitalter der Bewegung" (W. H. Riehl) nannte man es miterlebend schon im 19. Jahrhundert, dann, schärfer analysierend, „Industrielles Zeitalter", „Blütezeit des Kapitals" oder „Epoche der Modernisierung".
Damit sind auch schon Besonderheiten von Stadtplanung im 19. Jahrhundert angedeutet: sie konnte keine statisch-beständig geglaubte Zukunftswelt mehr entwerfen wie das von den mesopotamischen Städtegründern bis zu den absolutistischen Fürsten möglich war; sie mußte jetzt dem neuartigen Phänomen des kontinuierlichen Wachstums der Städte gerecht werden. Und sie hatte sich dabei mit einem liberalen, auf das frei verfügende Individuum bezogenen Eigentumsbegriff auseinanderzusetzen. Beim „Übereinkommen" der planenden Gemeinde mit den beteiligten Besitzern „kann von der Aufstellung eines systematischen Erweiterungsplans kaum die Rede sein"1, hieß es im ersten deutschen Lehrbuch des Städtebaues, 1876 erschienen, über Bayern. Gerade das „kaum" Mögliche trat dann aber ein. Wesentliche Bestandteile des Planungsinstrumentariums, wie es im Bundesbaugesetz von 1960 erstmals länderübergreifend festgelegt worden ist, sind in München entwickelt (Zweistufigkeit des Planungsverfahrens mit Flächennutzungs- und Bebauungsplan oder hochdifferenzierte Zonungsregeln) oder wenigstens erstmals diskutiert worden (Raumausdehnung eines frei zu gestaltenden Baukörpers als Richtmaß für die höchstzulässige Bebauung) und haben über Kriege und Staatskatastrophen hinweg ihre Gültigkeit behalten.
- Einleitung
- I. Strukturelle Bedingungen der Münchener
Stadtentwicklung 1870-1900
- Die Menschen in der Stadt
- Bevölkerungswachstum
- Sozialstatistik der Erwerbstätigen nach Stellung im Beruf
und nach Gewerbezweigen
- Wohnverhältnisse
- Sozialgeographische Grunddaten
- Sozialstatistik der Mieter und der Hausbesitzer
- Die Stadtgemeinde München: Menschen und Institutionen
- Steuern und Steuerzahler
- Die Einführung der städtischen Besitzwechselabgabe 1897/8
- Rechtlich herausgehobene Einwohner
- Das Gemeindebevollmächtigtenkollegium als Wahlkörperschaft
- Der Magistrat als Verwaltungsspitze
- Das Stadtbauamt als ausführende Behörde
- Die Lokalbaukommission als selbständige Baupolizeibehörde
- Der Boden in der Stadt und seine Bebauung
- Gemarkung und Bodenpreise
- Neubauten und Neubaupreise
- Bestehende Gebäude
- Das Baugewerbe
- Der Realkredit
- Terraingesellschaften und städtische Bodenpolitik
- Konjunkturverlauf und Immobilienkrisis (seit 1900
- II. Grundprobleme von Städtebau und Stadtplanung in Deutschland im 19.
Jahrhundert
- Zur Semantik der „planvollen Stadterweiterung"
- Der Städtebau in der Eigentumsordnung des Liberalismus als
Beschränkung von Rechten der Eigentümer
- Abstrahiert-totaler Eigentumsbegriff
- Modell einer „liberalistischen Bauordnung"
- Unterschiedlich starke Staatseingriffe in die Freiheit der
Eigentumsnutzung
- Probleme der nationalökonomischen Theoriebildung: Spekulation
und Markt im Städtebau
- Die Stadt als Sozialraum im Wandel von der ständischen zur
Massengesellschaft
- Der Verkehr als technisch-wirtschaftliches Grundproblem im
Städtebau
- Vom „geometrischen" zum
„romantischen" Städtebau: ästhetische Probleme zwischen
Technik, Kunst und Wirtschaftsordnung
- Ordnung und Nützlichkeit im geometrischen Stadtplan
- Mannigfaltigkeit und Schönheit im „romantischen" Städtebau
- Ästhetik als Ziel amtlicher Baupolizei in einer liberalen
Marktgesellschaft?
- Die Entdeckung der dritten Dimension als grundlegender
Wandel in den Sehgewohnheiten
- Die Natur von Zukunftsvorstellungen im Wandlungsprozeß der
Urbanisierung und die Konsequenz des Planungsgedankens
- Wahrnehmung von Wandel, Zeithorizont des Zukunftsdenkens
und Methoden der Prognose
- Natur der Stadtplanung in ihrer Entwicklungsphase
- III. Stadtplanung in München während der „Minderjährigkeit" der Gemeinde
(bis zur revidierten Gemeindeordnung von 1869)
- Vorrang des einzelnen Hauses oder der Stadt als Gesamtheit:
Konzeptionen im Umbruch der Revolutionszeit
- Französische „Revolutionsarchitektur" (Ledoux und Durand)
- „Sonnenbaulehre" (Faust)
- Landesverschönerung (Vorherr)
- Münchener Baupraxis im Widerstreit der Architekturkonzeptionen
- Entfestigung und „General"planung unter Maximilian I.
Joseph
- Reduktion des Planungshorizonts auf eine Straßenachse
unter Ludwig 1
- Neuorientierung königlicher Stadtplanungsversuche in München unter
Maximilian II.: „Nationalstyl", Arbeiterwohnungen, Begrenzung des
Stadtwachstums
- Schaffung eines freieren Handlungsraumes der Gemeinde seit
1861
- IV. Vorentscheidungen für eine effektive kommunale Stadtplanung in
der Ära Zenetti (bis 1891) und Widenmayer (bis 1893)
- Das Vordringen gesundheitlicher Rücksichten im Münchener Städtebau
- Die Typhus-Cholera-Epidemie von 1873 und Pettenkofers
sozialhygienische Ratschläge
- Kanalisation und Wasserleitung
- Die offene Bauweise (1879) als Eingriff in das Eigentum im
Interesse der Gesundheit
- Das Projekt eines Stadtparks auf der Theresienwiese
- Vom Stadtparkprojekt zum Villenviertel
- Übergang zu einer komplexeren, wieder verflechtenden
Eigentumskonzeption
- Probleme bei der Finanzierung der Straßenpflasterung: das
Straßenstatut von 1889
Die Stadtplanung mit juristischen Mitteln: Kompensationsverfahren nach
Verhandlungen
- Ablauf des Verfahrens vor der Lokalbaukommission
- Basis und Handhabung von Ausnahmeregelungen
- Die Stadtplanungskonzeption von Baurat Zenetti: Problematik ihres
regelmäßigen Straßennetzes
Die funktionale Stadtkonzeption eines Außenseiters: Heilmanns
Denkschrift (1881) und sein Verkehrsplan (1889)
- V. Volle Entfaltung kommunaler Stadtplanung in München in der Ära
Rettig/Fischer/Borscht
- Neue Konstellationen seit 1891
- a) Die ersten Pläne in der Sitte-Nachfolge
b) Der Münchener Stadterweiterungswettbewerb (1891/93)
- c) Das Stadterweiterungsbureau als Schöpfung des neuen
Oberbaurats Rettig (1893)
- Das Scheitern Wilhelm Rettigs in München
- a) Probleme Rettigs mit den Gemeindekollegien
- b) Rettigs „Kubische Bauordnung" 1894 und sein Ausscheiden
aus dem Münchener Gemeindedienst
- c) Weiteres Schicksal Rettigs
- Aspekte der Tätigkeit Theodor Fischers als Leiter des
Stadterweiterungsbureaus (1893-1901)
- Absinken einer konkurrierenden
„Kumulativkommission für Stadterweiterung" in die
Bedeutungslosigkeit
- Platzgestaltung
- Übergang zu geschwungenen Straßenführungen - das
Beispiel der Arnulfstraße
- Straßennetze in Analogie zu bestehenden
Besitzstrukturen
- Erste funktionale Trennung von Verkehrs- und
Wohnstraßen
- Erste U-Bahn-Pläne für München
- Industrieviertel für die „Kunststadt" München?
- Fischers Auseinandersetzungen mit den
Gemeindebevollmächtigten
- Das Regelwerk der Staffelbauordnung (1904) als Ergebnis der
Zusammenarbeit von Verwaltungsjurist und Stadtplaner
- Zusammenfassung
- Anhang
- Kurzbiographien
- Verzeichnis der Abbildungen
- Verzeichnis der Tabellen
- Abkürzungsverzeichnis
- Verzeichnis der benutzten Archive und Bestände
- Literaturverzeichnis
- Register