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Die Baukunst Alt-Münchens

II. Abschnitt: Baugeschichtliche und bautechnische Erläuterungen zu den Stadtbildern.

Abb. 35 und 36: Der schöne Turm

Der „schöne Turm“ schloß ehemals die Kaufingerstraße an ihren nördlichen Ende ab; über den Stadtgraben, der Fortsetzung des Färbergrabens nach der Frauenkirche zu, führte zuerst eine hölzerne, erst im Jahre 1434 eine gemauerte Brücke65).

Im Gegensatz zum Talburgtor (Rathausturm), welch das untere Tor hieß, nannte man den schönen Turm in seiner ersten Zeit das obere Tor, im Jahre 1300 erhielt er nach einer Patriezierfamilie Kaufinger den Namen Chufringer Tor, woher auch die Bennenung der Straße stammt.66) Um 1460 heißt er der „öde Turm “; offenbar war um diese Zeit schon in ganz vernachläßigtem Zustand, denn schon im Jahre 1479 mußte er wegen Baufälligkeit abgebrochen werden, aber schon im Jahre 1481 ließen ihn unsere Vorfahren (die Gründe für den Wiederaufbau siehe in der Beschreibung des inneren Sendlingertores) neu erstehen, schöner und größer als zuvor und so reich mit Wandmalerein geschmückt, daß er in Zukunft der „schöne Turm“ geheißen wurde. Die 4 Ecktürmchen sollen schon im Jahre 1777 wegen angeblicher Bauschäden abgetragen worden sein; im Jahre 1807 wurde der ganze Turm abgebrochen. In dem Wandfelde über dem Torbogen sehen wir bannerhaltende Kriegsknechte dargestellt; im Stockwerk darüber das Hauptbild: den Kaiser auf hohen Throne, umgeben von den Kurfürsten des Reiches und einem ackernden Bäuerlein zu seinen Füssen.67)

Die Kugel unter der Sonnenühr gab den Mondwechsel an und die im Mitteltürmchen befindlichen Glocken wurden geläutet, wenn ein Missetäter zum Tode geführt wurde. Das im Grundriß, der den Schnitten beigegeben ist, mit a bezeichnete Gebäude war das von Kaiser Ludwig dem Bayern dem Kloster Ettal geschenkte Haus, welches bei der Säkularisation in Privatbesitz überging; das mit b bezeichnete Häußchen in der Ecke gehörte der Stadt und wurde früher von dem jeweiligen Stadtuhrmacher bewohnt.

Der schöne Turm war auch, nach dem Modell und allen Abbildungen zu urteilen, der hervorragendste unter den Türmen der profanen Baukunst in damaliger Zeit. In architektonischer Hinsicht mag überhaupt die ganze Bazgruppe, d. h. der Turm mit den ihn umgebenden Häusern, mit zu den schönsten des alten München gezählt haben. Fast jedes dieser Häuser besitzt einen oder zwei Erker oder einen Eckladen, so daß sich ein reiches Bild von selbst ergibt, Malerein an den Häußern werden nicht gefehlt haben; in dem Erdgeschoß befanden sich Verkaufsläden mit den seinerseits üblichen und zweifellos sehr praktischen Vordächern überdeckt.

Beachtenswert ist das Eckhaus an der Kaufinger- und jetzigen Liebfrauenstraße; es war nicht nur mit einem versenkten Dach gedeckt (siehe Abschnitt 1a), sondern hatte auch einen merkwürdigen vierstöckigen, halbrunden Erker, an der Ecke gegen die Liebfrauenstraße ausgebaut; der Erker hatte in jedem Stockwerk für die damalige Zeit ungewöhnlich große Bogenöffnungen.

Die vorliegenden Abbildungen geben einen Wiederherstellungsversuch der damaligen Architekturbilder, desgleichen die Darstellung des Häuserblocks am Frauenplatz, Abb. 63 (siehe auch die hiezu gehörigen Bemerkungen!).

Der schöne Turm

35. Der schöne Turm (links = Innenansicht; rechts = Außenansicht).

Der schöne Turm

36. Der schöne Turm (rechts = Schnitt in der Richtung Kaufingerstraße-Neuhauserstraße, nach a b gesehen; links = entgegengesetzter Ansicht). 


65) München in guter alter Zeit, S. 5
66) Münchner Adressbuch 1915 (siehe Kaufingerstraße)
67) Alt-München, S. 40, Tafel 33.

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