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Bautechnischer Führer durch München 1876

III. Die Neuzeit.

Sonst besch ftigte Se. Majest t die zum Theil sehr bedeutenden künstlerischen Kr fte, welche ihm zur Verfügung standen, in den neugebauten Sommerschl ssern Hohenschwangau und Linderhof, von welchen das erstere in einer zweiten Burg im romanischen Styl unweit der alten gothischen (noch unvollendet) besteht, w hrend sich an der Stelle des ehemaligen Linderhofs ein zauberhafter Pavillon im Styl Louis XIV. und XV. in der Abgeschiedenheit der W lder erhob. Andere Schl sser wurden restaurirt, wie besonders die ehrwürdige und malerische Trausnitz bei Landshut u. s. w. Von den ffentlichen aus Staatsmitteln entstandenen Geb uden Münchens ziert die erste Regierungszeit des K nigs Ludwig H. vor Allem das Polytechnikum, 1865--1868 von Oberbaurath G. Neu- reuther erbaut, welches eine neue Aera der Münchener Architektur begründete. Bis dahin war der Einfluss der Maximiliansstrasse wenigstens in so ferne herrschend geblieben, als man sich nicht leicht über die Magerkeit und Schw chlichkeit der Fagade'ngliederung, welche jener Neugothik anhaftet, erhob, selbst wenn man einen entschiedenem romanischen, gothischen oder selbst renaissanceartigen Ton anschlug. Die Renaissance war kurz vorher wieder zu neuem Leben erweckt worden, nachdem man sich überzeugt hatte, dass mit allem Modernisiren der romantischen Baustyle weder eine den modernen Zwecken entsprechende, noch eine künstlerisch befriedigende Bauweise sich entwickeln lasse. Selbst Architekten, die in der Romantik aufgewachsen waren, wie L. Lange, hatten ihre Vorliebe der Renaissance zugewandt, und in ihr nicht blos Sch nes ausge- führt, sondern noch mehr geboten, was leider nicht zur Ausführung gekommen ist. Dass im neuen Rathhausbaue (nach Hauberrisser's Pl nen 1875 vollendet) und in der zweiten protestantischen Kirche in der Gabelsbergerstrasse (nach Professor R. Gottgetreu’s Entwürfen begonnen, jedoch in dor Vollendung wesentlich modificirt) noch einmal die Gothik in den Concurrenzen siegte, vermochte an der entschiedenen Wiederaufnahme der Renaissance nichts mehr zu ndern, da ihre Erscheinung, so vortrefflich diese Werke auch durchgeführt sind, doch nur für die gegebenen F lle sich eignete, und zu einem weitergehenden Einflüsse nicht angethan war. Doch bestand und besteht Gefahr, dass der Modegeschmack statt bei dem Neureuther’schen Musterbau im Sinne der San Gallo- und Baldassare Peruzzi’schen Hochrenaissance anzuknüpfen, vielmehr in der deutschen Renaissance und zwar insbesondere der Barockepoche sich verfange, welche bei aller Sch nheit im Einzelnen und bei allem Vortheil einer nationalen Entwicklung doch als Grundlage einer systematischen Weiterentwicklung selbst zu wenig ursprünglich, vielmehr zu sehr manierirt erscheint. Halb verstohlen machte sich diese Richtung zuerst bei der inneren Ausstattung von Cafe - und Restaurationslokalen geltend, und wagte sich dann bei Schaufenstern der Kaufl den in’s Freie, indem sie die starren Eisenstützen und

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