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Münchener Stadtbuch

XLIII. Die eingekerkerte Nonne im Kloster am Anger.

1742.

Tag bei Wasser und Vrod eingesperrt; —weil am Palmsonntage der aus Holz geschnitzte Christus, der auf einem Palmesel im Klostergarten herumgefahren wurde, keinen Kranz auf dem Kopfe hatte, mußte sie drei Tage lang im Refektorium auf der Erde speisen; — als ihr ferner am Pfingstsonntage der Strick, an welchem der aus Blei gegossene fünfzig Pfund schwere heilige Geist in der Kirche empor gezogen wurde, aus der Hand entwich, das Bild herabstürzte und zerbrach, wurde dieses Versehen vom Beichtvater als absichtliche Bosheit und als ein Religionsverbrechen erklart, sie mit Ruthen gezüchtiget und sodann vier Tage lang in den Kerker eingesperrt; — als sie eines Tages mit der Schwester Aloisia die Nonnenschleier mangen (plätten) mußte, und hiebei der acht Pfund schwere Mangstein auf den Boden siel und die Schwester Aloisia leicht am Fuße beschädigte, wurde sie acht Tage lang eingekerkert. So folgten unausgesetzt Strafen auf Strafen.

Acht Jahre lang hatte sie diese gehäßigen Verfolgungen und Beschimpfungen und diese unabläißigen Seelenqualen erlitten und mit möglichster Sündhaftigkeit erduldet. Allein es gibt einen Punkt, wo endlich auch die größte menschliche Geduld ihr Ende findet. Dieser martervollen Lage, diesem Sturm ihres Innern, dieser Angst, Reue und Verzweiflung, die in ihrem Herzen tobten, satt, faßte sie endlich den Entschluß zu entfliehen.

In einer sehr kalten Dezembernacht verließ sie ihre Zelle, erreichte den Klostergarten und erkletterte um die Mitternachtsstunde mit Hilfe einer Leiter, die sie fand, die fünfzig Schuh hohe Klostermauer, zog diese Leiter oben an sich, und ließ sich mit derselben auf der andern Seite

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