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Münchener Stadtbuch

XLVIII. Die Beterin an der Mariensäule.

Von mitleidigen Menschen aufgehoben, wurde sie in das Haus eines benachbarten Wundarztes getragen, welcher fand, daß ihr der eine Fuß gebrochen war. Nach hergestelltem Verbande kam sie gegen Abend wieder zu sich, und ihre ersten Worte fragten nach ihrem Sohne Mar. Auf ihre Bitten begab sich ein altes Weib auf den Schrannenplatz zur Muttergottessäule, wo der Knabe, der schon lange warte, zu finden sein werde. Aber nach kurzer Weile kam das Weib allein zurück; sie hatte den Knaben nicht gefunden, um die Mariensäule war alles leer! Lautlos siel bei dieser Schreckensnachricht die unglückliche Mutter in die Kissen des Lagers zurück; die Sinne waren ihr neuerdings gewichen.

Des andern Morgens wurde die Arme in einer Sänfte in das Spital gebracht. Bewußtlos brachte sie dort vier Wochen zu. Endlich waren zwar ihre Wunden geheilt, aber die gewaltige Erschütterung und die Verzweiflung hatten ihren Geist zerrüttet: sie war stumpfsinnig geworden!

Kehren wir zu dem Knaben zurück. Mar war, gehorsam dem Befehle, bei der Säule geblieben. Obwohl ihm die Zeit lange wurde, und seine Mutter immer nicht zurückkam, hatte er doch anfangs mancherlei Zerstreuung, denn der lang andauernde Vorbeimarsch der Soldaten, die Musik, das Gewühl der Menschen fesselten seine Aufmerksamkeit. Endlich hungerte ihn, sehnsuchtsvoll schaute er nach allen Seiten, ieden Augenblick das Herannahen der Mutter erwartend, — sie kam nicht; es sing ihn Nachmittags in der naßkalten Witterung zu frösteln an, — die Mutter kam noch nicht, es brach die Dunkelheit herein, —

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