Münchner Sagen & Geschichten

Der Marienplatz

​Der Schäfflertanz

Raff - So lang der alte Peter... (Seite 41)


Nach einer grausigen Pestzeit waren, trotz des endlichen Erlöschens der Seuche, Furcht und Schrecken noch so groß, daß kein Mensch sich aus seiner Tür zu gehen traute und die Straßen wie ausgestorben verblieben. Da faßten, wie die Sage meldet, zuerst die Schäffler neuen Mut, zogen mit Trommeln und Pfeifen vor die Häuser und führten muntere Tänze auf, um das Volk zu erheitern und wieder mit Lebenslust zu erfüllen. Zum Andenken draran werden diese Tänze alle sieben Jahre wiederholt. Es werden dann zunächst gewählt:
Der Umfrager, welcher sich erkundigt, wo getanzt werden soll, der Vortänzer, der einen mit Bändern geschmückten Stab hält, der Reifschwinger, auch „Hans" genannt, und der Nachtänzer oder Spaßmacher, außerdem 16 — 20 Schäfflergesellen. Die Kleidung besteht aus einer roten Jacke, weißer Weste, über die sich das schwarze Pestband hinzieht, schwarzen Beinkleidern, gelbem Vorfell oder Schurz, weißen Strümpfen und schwarzen Schuhen mit Silberschnallen. Den Kopf schmückt eine grüne Kappe mit weiß und blauen Federn. Grün umkränzte Bögen, auch Wein in einer Kanne nebst Gläsern tragen die Schäffler bei sich. Vor den Häusern, wo getanzt wird, führen sie mit ihren grünen bebänderten Reifen, die sie über sich halten, den künstlichsten Contretanz mit mannigfaltigen Figuren auf; die Hauptfigur heißt „der große Achter". Die Musik spielt dazu die Weise:
„Gretel in der Butten,
Wie viel gibst du Oar?"
„I gib net mehr, i gib net mehr,
Als um an Kreuzer sechsi
Und um an Batzen zwoa."
„Und wenn du mir net mehra gibst,
Als um an Batzen zwoa,
So bhalt du deine Butten
Un alle deine Oar!"

Bei einer anderen Figur bilden die Tänzer einen Ring um den Hans, den Reifenschwinger, der auf einem Fasse stehend, im Takt zwei Kugeln in die Höhe wirft und wieder auffängt. Hierzu spielt die Musik: „Hansl gea fort! Grell du aa! Hansl komm wieda! Grell du aa!" Der Reifenschwinger bedarf überhaupt besonderer Übung und Gewandtheit, da er am Schluffe ein volles Weinglas auf die innere Fläche seines Reifens sehen und mit diesem herumschwingen muß, ohne es zu verschütten. Dies Glas leert er hernach auf das Wohl der Hauseigentümer, und der schmucke Zug der Schäffler verabschiedet sich hiermit.

 

Der Luftigmacher, der sie begleitet, trug ehemals einen bizarr aufgekrempten Hut mit den daran gesteckten vier Aß eines Kartenspiels, in der Hand eine lange Wurst und auf dem Rücken eine Butte, in der ein ausgeftopftes altes Weib saß. Hiervon hieß er selbst „Gretel in der Butten". Dieser Name übereinstimmend mit dem Text des schon angeführten Liedes und der ganzen eigentümlichen Mummerei sollte gleichfalls an die Pestzeit gemahnen, weil, der Sage nach, ein Bauernweib mit Eiern in der Butte sich nach Erlöschen der Seuche als Erste in die Stadt gewagt hätte.

Seit Beginn des 19. Jahrhunderts war die Gretel in der Butten nicht mehr beim Schäfflertanz. Der „Nachtänzer" oder Lustigmacher, von da ab als richtiger „Wurstl" bunt gekleidet, trieb jedoch munter seinen Schabernack mit den Zuschauern, hatte es namentlich auf die Weiberleute und vor allem auf die „Kocherln" abgesehen; bald suchte er Einer das Gesicht zu schwärzen, bald ihr einen Kuß zu rauben. War der Tanz beendet, so zogen die Schäffler paarweise nach den Klängen eines Marsches weiter, um an einer andern Stelle die Vorführung zu erneuern.

Bekanntlich verewigt das künstliche Glockenspiel auf dem neuen Rathaus den Schäsflertanz. Mit dem Glockenschlag elf Uhr erscheinen zuerst zwei turnierende Ritter, dann die naturgetreu gebildeten kleinen Schäfflerfiguren, die sich munter im Reigen drehen. — In der Sendlingerstraße 86 — Eingang vom Färbergraben — besagt eine Inschrift, daß hier das Haus „Zum Himmelsschäffler" stand, von dem der Schäsflertanz seinen Ausgang genommen haben soll. Ihre Zunftgottesdienste pflegten die Schäffler im Dom zu halten, am Neujahrstage und am Tage St. Urbans, des Weinpatrons (29. Juli).

 

Literatur

Der Marienplatz
Der Marienplatz

I.M. Mayer Kgl. Hofsattler und Kutschenfabrikant